Gewerkschaftliche Offensive als Alternative zu Corona-Leugner*innen und Regierung

Der nationale Schulterschluss der Gewerkschaftsführung mit der Regierung hilft weder gegen Leugner*innen und Rechtsextreme noch gegen Corona.
Sonja Grusch

Widerstand regt sich - aber wo bleibt der ÖGB?

Die Infektionszahlen bleiben hoch, die Übersterblichkeit ist Ausdruck des Versagens der Herrschenden. Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst und damit einhergehend psychische Erkrankungen erreichen traurige Höchstwerte. Monatelange Lockdowns sowie mangelhafte oder sogar falsche Informationen durch die Regierung und dazu noch das Impfchaos - all das macht unsicher und wütend. Doch nichts davon musste so kommen! Im Gegenteil ist die aktuelle Situation weder “gottgegeben” noch “natürlich” oder “unvermeidbar”: sie ist das Ergebnis einer Politik, für die “die Wirtschaft” im Zentrum steht und Menschen nur das nötige Anhängsel sind. Die aktuellen Engpässe im Gesundheitswesen hätten vermieden werden können. Langfristig, indem der Kürzungswahnsinn z.B. im Gesundheitswesen schon vor Jahren gestoppt und umgekehrt hätte werden müssen. Aber auch kurzfristig, in den rund 12 Monaten seit Ausbruch der Pandemie, hätte mit den entsprechenden Maßnahmen die gesundheitliche, soziale, psychische und ökologische Katastrophe verhindert werden können. Und grundsätzlich: wenn nämlich nicht Profite, sondern Menschen im Zentrum stehen - doch das ist im Kapitalismus nicht vorgesehen und nicht möglich.

Von einer Regierung der Reichen und Kapitalist*innen war nicht zu erwarten, die notwendigen Maßnahmen zu setzen, hätte das doch bedeutet, Geld von oben nach unten umzuverteilen und die Politik an gänzlich neuen Parametern auszurichten. Doch es gibt ja nicht nur die Regierung, sondern eine Organisation mit über einer Million Mitglieder, die den Anspruch hat, die Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien, die Arbeiter*innenklasse, zu vertreten. Die Rede ist vom ÖGB sowie den Fachgewerkschaften. Dieser ist Teil diverser Verhandlungen und kreidet auch einige der aktuellen Missstände an. Doch wir wollen hier ein paar zentrale Punkte aufzeigen, die nötig gewesen wären - und immer noch sind - um die Corona-Krise wirklich zu bekämpfen. Wir können hier nur einige Punkte anführen, weit mehr haben wir in zahlreichen anderen Artikeln zum Thema erarbeitet:

Schutz der Menschen, nicht der Profite

Die Maßnahmen der Regierung waren und sind halbherzig. Während wir private Kontakte einschränken sollen, werden bei den Öffis die Intervalle reduziert, was dazu führt, dass die Unzähligen, die nach wie vor in die Arbeit oder zur Schule fahren müssen, in vollen Bussen, Straßenbahnen und Zügen stecken. Unternehmen bleiben offen und in vielen Betrieben wird dicht an dicht gearbeitet. Wäre es in der ersten Welle zur Schließung von nicht systemrelevanten Unternehmen wie z.B. den Waffenproduzenten Glock bei Jobgarantie und voller Bezahlung der Beschäftigten gekommen, hätte eine weitere Ausbreitung vielleicht überhaupt gestoppt werden können. Doch je länger die Pandemie andauert um so weniger ist das komplette Runterfahren der Wirtschaft eine Option - auch weil die meisten Beschäftigten froh sind, überhaupt noch einen Job zu haben. Nun brauchen wir einen Überblick, Koordination, Umstellung und Planung der gesamten Wirtschaft: was ist sinnvoll und soll weiter produziert werden? Wo kann Produktion umgestellt werden? Welche Sicherheitsmaßnahmen können gesetzt werden Und wo kann die Arbeitszeit bei vollem Bezug gekürzt werden. Eine solche Planung kann nicht “Expert*innen” von außen überlassen werden sondern muss von Beschäftigten selbst gemeinsam mit Vertreter*innen von Gesellschaft und Arbeiter*innenklasse erfolgen. Wofür hätte die Gewerkschaft stattdessen einen Kampf organisieren müssen:

  • Das Recht, bei vollem Bezug bei den Kindern zuhause bleiben zu können.

  • Zentrale Planung für gestaffelte Anfangszeiten in Firmen und Schulen, mehr Ressourcen für die Öffis und Nulltarif.

  • Umfassende Schutzmaßnahmen, inklusive ausreichender Pausen für alle Beschäftigten, erarbeitet von Sicherheitsteams aus Kolleg*innen vor Ort die die Situation am besten kennen. Überwachung dieser Maßnahmen durch Beschäftigte, Betriebsrät*innen, zusätzliche Kräfte bei den Arbeitsinspektoraten, AK und Gewerkschaft. Voller Schutz für Beschäftigte, die Missstände aufzeigen, vor Schikanen durch die Firmen.

  • Ein gesamtgesellschaftlicher Plan, erarbeitet durch Gewerkschaften, Betriebsräte und Beschäftigte zur Kontrolle, wie Wirtschaft und Produktion im Interesse von Gesundheit und Erhalt von Arbeitsplätzen organisiert werden können. 

Insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen waren die Bedingungen schon vor Corona mehr als Mangelhaft: zu wenig Personal, zu wenig Ressourcen, zu wenig Zeit. Viele Beschäftigte im Gesundheitswesen fühlen sich zu recht verarscht, wenn ihnen als “Held*innen” auf die Schulter geklopft wird, dann aber kein zusätzliches Personal angestellt wird. Die Überlastung des Gesundheitswesens hat nicht erst mit Corona begonnen sondern ist das Ergebnis von Jahrzehnten von Kürzungen und Sparmaßnahmen. Im Bildungswesen ignoriert die Gewerkschaft das Sicherheitsbedürfnis der Beschäftigten weitgehend und argumentiert für “Öffnung”, ohne sich um den gesundheitlichen Schutz von Beschäftigten, Schüler*innen und ihren Angehörigen zu kümmern. Dabei geht es nicht um “die Kinder”, wie gerne behauptet wird, sondern die Schule wird im wesentlichen als Aufbewahrungseinheit für Kinder gebraucht, damit die Eltern arbeiten können. In diesem Bereich wird besonders deutlich, dass die Gewerkschaft, als Folge ihres staatstragenden Agierens, weit hinter den Notwendigkeiten zurück bleibt. Anstatt die breite Solidarität und Wertschätzung mit den Beschäftigten in den “systemrelevanten” Bereichen zu nutzen um durch breite Kampagnen endlich notwendige Verbesserungen durchzusetzen, beschränkt sich die Gewerkschaft im großen und ganzen auf Presseaussendungen. Wofür hätte die Gewerkschaft stattdessen einen Kampf organisieren müssen:

  • Corona-Zulage pro Monat erschwerter Arbeit unter Corona-Bedingungen, ohne Schlupflöcher für die Firmen

  • Zusätzliches Personal auf Basis eines Bedarfs-Planes, erstellt von den Beschäftigten selbst, die am besten wissen, was nötig ist.

  • Bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, um ehemalige Pflegekräfte und Lehrer*innen zurück zu gewinnen.

  • Bezahlte Ausbildung und Jobgarantie, um zusätzliches Personal zu schaffen.

  • Nutzung der Ressourcen in den Ministerien, Bildungsdirektionen und bei Lehramtsstudierenden, um alternatives Unterrichtsmaterial für Distance-Learning, Outdoor-Unterricht und Projektunterricht zu schaffen.

  • Längerfristige Planung um gestaffelten Unterricht, ausreichend Personal, zusätzliche Räume etc. rechtzeitig bereit zu stellen - diese Planung nicht durch “Expert*innen” die keine Ahnung von der Praxis haben, sondern von Schüler*innen, Lehrer*innen etc. selbst.

  • Ausreichend finanzielle Mittel um sicherzustellen, dass notwendiger Schutz und gute Betreuung nicht an Finanzierungsfragen scheitern

Seit Monaten herrscht das Chaos, sei es bei Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen, bei der Schule und nun beim Impfen. Der Grund ist, dass die Interessen “der Wirtschaft” im Vordergrund stehen - bei der Frage “Skifahren” wird das überdeutlich. Zwei Probleme kommen hier zusammen: ein Föderalismus, der den Mangel verwalten soll, und der heilige Markt, dem die Regierung letztlich alles überlässt. Im 21. Jahrhundert, mit Internet und Großrechnern ist es geradezu absurd, welches Chaos beim Impfen herrscht. Wofür hätte die Gewerkschaft stattdessen einen Kampf organisieren müssen:

  • Die Information nicht den Medien und den Verschwörungs-Schwurblern überlassen, sondern selbständig regelmäßige, mehrsprachige, wissenschaftlich fundierte und niedrigschwellig aufbereitete Informationen aus dem Blickwinkel der Arbeiter*innenklasse produzieren und über Betriebsräte, aber auch Zusendung an Gewerkschaftsmitglieder (bzw. über die Arbeiterkammer), öffentliche Informationskampagnen und Diskussionen auf Betriebsversammlungen verbreiten.

  • Kampf für die Umstellung der Produktion, wo dies möglich ist (und das wissen die Beschäftigte der Firmen sehr genau) auf Schutz (Masken, Desinfektionsmittel, Test etc.) und Behandlung (Beatmungsgeräte, Impfstoff etc.) - auch in Österreich gibt es Pharmaunternehmen!

  • Kampf für die Offenlegung aller Patente und Forschungsergebnisse, damit diese für alle genutzt werden können.

  • Kampf für die kostenlose Abgabe von Masken, Schnelltests, Impfungen etc. in ausreichender Menge

  • Kampf für einen nationaler Impfplan auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht von Freunderlwirtschaft

  • Kampf für eine Kontrolle der Produktion und Verteilung durch demokratisch gewählte Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse und der Beschäftigten - keine Profite mit Corona, keine Chance der Korruption!

Corona hat die tiefste Wirtschaftskrise seit 100 Jahren ausgelöst die zu Pleitewelle und Massenarbeitslosigkeit führen wird, wenn die Gewerkschaftsführung weiter ihre Politik des nationalen Schulterschlusses fährt. Die Wirtschaftskrise ist kein Naturereignis und wird auch mit dem Ende von Corona, so es denn kommt, zu Ende sein, weil sie in den tieferliegenden Widersprüchen des Kapitalismus wurzelt. Die Gewerkschaftsführung ist sich bewusst, dass sie im Rahmen der kapitalistischen Logik wenig Möglichkeiten hat, die Interessen der Arbeiter*innenklasse (der Beschäftigten, der Arbeitslosen und ihrer Familien) durchzusetzen, wenn die Krise an Fahrt aufnimmt. Deshalb hofft sie mit pseudo-cleveren Argumenten wie “mehr Beschäftigte bedeuten mehr Nachfrage” Regierung und Unternehmen zu “überzeugen”. Sie übersieht dabei aber völlig, dass jedes Unternehmen will, dass die anderen gut zahlen, damit deren Beschäftigte den eigenen Kram kaufen, aber selbst billig produzieren muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Auch wenn die Herrschenden von neoliberalen Dogmen abgehen und auf stärkere Staatsintervention setzen, bedeutet das nicht das Ende von Angriffen auf Löhne, Soziales und Jobs. Es gibt keine “gemeinsamen” Interessen, sondern widersprüchliche, es gibt daher auch keine gemeinsamen Lösungen! Die Zahlen zeigen: Österreich hat trotz des Stillhaltens der Gewerkschaft (die z.B. Anfang 2020 den Streik im Sozialbereich abgewürgt hat) den tiefsten wirtschaftlichen Einbruch in der EU. Es braucht  also ganz andere Maßnahmen! Wofür hätte die Gewerkschaft stattdessen einen Kampf organisieren müssen:

  • Job- und Einkommensgarantie für alle Beschäftigten, egal ob Firmen wegen Corona und/oder Wirtschaftskrise geschlossen sind.

  • Angesichts der steigenden psychischen Belastung: mehr Zugang zu psychologischer Betreuung, Recht auf voll bezahlten Krankenstand, ohne Schikanen von AMS oder ÖGK. 

  • Offenlegung der Unterlagen über Reserven, Ausschüttungen und die wirtschaftliche Lage der Firmen insgesamt. Diese müssen herangezogen werden, um Jobs und Einkommen der Beschäftigten zu sichern, dabei müssen auch die Vermögen der Eigentümer herangezogen werden. 

  • Gibt es keine Mittel mehr, Übernahme dieser Firmen durch die öffentliche Hand und unter Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten. So kann die Basis für den Aufbau eines öffentlichen Sektors gelegt werden, der genutzt werden kann, um die zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft, wie die ökologische Transformation, zu bewältigen.

  • Unterstützung für Kleinstunternehmen und Ein-Personen-Unternehmen bei erwiesener Bedürftigkeit.

  • Eine internationale Vernetzung und einen länderübergreifenden Kampf, um weltweit zu verhindern, dass Superreiche, Banken und Konzerne die Krise auf dem Rücken von Arbeiter*innen und Jugendlichen abladen. Dazu braucht es auch gemeinsame, demokratische Planung der Produktion und Verteilung.

Wir alle erleben Tag für Tag, wie unsere Erfahrungen nicht zur Propaganda der Regierung passt. Wir sehen, dass Kranke, selbst mit Corona, zum Arbeiten gezwungen werden, dass in den Schulen die versprochenen Tests nicht da sind, dass die Pensionist*innen die versprochenen Masken nicht erhalten haben, dass Kolleg*innen aus dem Krankenstand zurückgeholt werden obwohl sie krank sind… Wir alle erleben Tag für Tag, dass die Einhaltung der Maßnahmen nicht daran scheitert, dass die Menschen kein Verständnis dafür haben, sondern keine Möglichkeit. Gemeint sind hier nicht die “reichen und schönen” Freund*innen der ÖVP in ihren Luxuswohnungen, sondern Menschen, denen in zu kleinen Wohnungen die Decke auf den Kopf fäll,t oder Alleinerzieher*innen, die Arbeiten gehen müssen und kein Recht auf Sonderbetreuungszeit haben. 

Die Gewerkschaft macht auf staatstragend

Zu vielen der Missstände schweigt die Gewerkschaft - viele Kolleg*innen gerade im Gesundheits- und Bildungswesen fühlen sich von “ihrer” Gewerkschaft allein gelassen. Wo ist der Aufschrei über fehlende Unterstützung angesichts der monatelangen Dauer-Überlastung? Wo sind die Aktionen gegen die Schikanen gegenüber Kranken? Wo die Kampfmaßnahmen gegen Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit? Nicht einmal die sonst zum ohnehin zahnlosen Arsenal gehörenden Klagen werden eingereicht, sondern die Beschäftigten schutzlos der Willkür von Chefs, Behörden und Krankenkassen überlassen.  Der Deutsche Kaiser sagte 1914 bei Kriegsbeginn: “Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! " und meinte damit, dass die Arbeiter*innenklasse für die Interessen des deutschen Kapitals in den Schützengräben verrecken soll. Und die SPD trug diesen Kurs mit. Ähnlich agiert die ÖGB-Führung heute: wie in einer Kriegssituation stellt sich die Gewerkschaftsführung fast bedingungslos hinter bzw. neben die Regierung und damit die Interessen der Unternehmen und der herrschenden Klasse. Es ist ein Trugschluss zu glauben, angesichts von Corona und Wirtschaftskrise würden die unterschiedlichen Interessen zwischen Reich und Arm, zwischen Oben und Unten, zwischen Kapital und Arbeit in den Hintergrund treten. Das Gegenteil ist der Fall: Ja, Corona trifft alle, aber eben nicht alle gleich!

Die aktuelle Situation verunsichert, und zwar nicht nur, weil wir alle die Lockdowns satt haben, sondern weil die Perspektive einer sich weiter vertiefenden Wirtschaftskrise Angst macht. Die Corona-Leugner*innen und Maßnahmen-Skeptiker*innen versuchen hier anzusetzen. In den letzten Wochen haben ihre Aufmärsche an Fahrt und Stärke aufgenommen. Der organisierte Kern dieser Mobilisierungen sind Rechtsextreme und Neofaschist*innen, Kräfte aus der FPÖ, christliche Fundamentalist*innen, Verschwörungsmythiker*innen und Mischformen daraus. Aber die Teilnehmer*innen  repräsentieren mehrheitlich andere Schichten - die allerdings offensichtlich zumindest in Kauf nehmen , gemeinsam mit dem rechten Sumpf zu marschieren, anstatt diesen aus den Demos zu entfernen. Radikal sind die Aufmärsche auch nur vermeintlich, decken sich ihre spärlichen Forderungen doch im wesentlichen mit jenen der kurzsichtigeren Wirtschaftsvertreter*innen. Doch sie können sich als “Opposition” darstellen, weil es sonst keine Opposition gibt. Eben weil die Gewerkschaft im nationalen Schulterschluss erstarrt, können Rechtsextreme, Neofaschist*innen und Verschwörungsmytiker*innen sich eine Bühne verschaffen. Klar ist aber auch: das Vertrauen in die Regierung ist im Keller, der Unmut über das Missmanagement ist enorm und viel, viel größer als diese “Demonstrationen”. Das zeigt, dass die meisten sehr genau verstehen, dass dort keine Lösungen angeboten werden, sondern bestenfalls wirres Zeug oder gar Hetze und Gewalt. Die Regierung kann sich noch halten, weil sie in einer verqueren Logik des “kleineren Übels” nicht gestürzt wird. Der überwiegenden Mehrheit ist klar: wir brauchen Sicherheit und Schutz vor Corona, die Leugner*innen und Skeptiker*innen können das nicht anbieten. Die wirkliche “schweigende Mehrheit” sind die Millionen Arbeiter*innen, Jugendlichen und ihre Familien, die Schutz vor Corona, Schutz vor der Wirtschaftskrise wollen und mit Rechtsextremen nichts am Hut haben. Bisher hat der ÖGB hier auf voller Linie versagt, es ist dringend an der Zeit endlich aktiv zu werden. 

So geht Widerstand aufbauen

Seit Jahren wächst der Unmut besonders im Gesundheits- und Sozialbereich. Nun kommt ein gesteigertes Bewusstsein über die Bedeutung dieses Bereichs dazu. In vielen Betrieben gibt es hier Kolleg*innen, teilweise sogar Betriebsrät*innen, die für einen kämpferischen Kurs stehen. Sie können um die Forderung nach “Ausfinanzierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs” und “Mehr Personal” sowie “Sichere Jobs, sicheres Arbeiten” organisiert und mobilisiert werden. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Gewerkschaften, diese Organisierung und diesen Kampf zu führen - doch wir wissen, dass das von den Gewerkschaftsspitzen nicht zu erwarten ist. Darum müssen wir selbst aktiv werden und gleichzeitig am Aufbau einer organisierten kämpferischen Opposition in den Gewerkschaften arbeiten: Beginnend mit Betriebsgruppen, die selbst die Sicherheitsmaßnahmen organisieren und festlegen was nötig ist, kann hier der Widerstand organisiert werden. Gerade beim Impfen hat sich gezeigt, dass Mangel dazu führt, dass manche - und das sind in der Regel Reiche und Mächtige - es “sich richten”. Nicht die Vorstände, sondern die Beschäftigten “an der Front” müssen die ersten sein, die geimpft werden - kontrolliert werden muss das von demokratisch gewählten Komitees. Gemeinsam mit Klient*innen und Patient*innen, solidarischen Menschen, mit Kolleg*innen in Ausbildung kann der Protest auf die Straße getragen werden. Spätestens der 1. Mai (“Tag der Arbeit” - nicht  Tag der Selbstbeweihräucherung der SPÖ!) und der 12. Mai (“Tag der Pflege”) sollten für große Mobilisierungen genutzt werden. 

Auch Streiks sind nötig - und möglich. Natürlich schlägt niemand vor, in Corona-Stationen zu streiken, aber das Gesundheitswesen umfasst noch ganz andere Bereiche - z.B. die Buchhaltung, wo es u.a. um das Verschicken von Rechnungen an Patient*innen geht - kein Problem, wenn das mal steht… Als echte Opposition und Alternative zu den Corona-Schwurbler*innen können corona-sichere Menschenketten und Großdemonstrationen aufzeigen, wer die Gesellschaft wirklich am Laufen hält (weder Chefs noch Politiker*innen). Zu den Kolleg*innen im Gesundheits- und Sozialbereich kommen jene im Bildungsbereich dazu: auch hier ist die Wut über den Widerspruch zwischen Regierungspropaganda und der Wirklichkeit, nämlich allein gelassen zu werden, riesig. Ein Funke kann das zum Explodieren bringen. Auch hier gilt: Komitees an Schulen, durchaus von Lehrer*innen, Schüler*innen, Eltern und Verwaltungs- und Reinigungspersonal gemeinsam kann die Missstände öffentlich machen, aufzeigen was es braucht und Widerstand organisieren. Dazu noch die Beschäftigten bei den Öffentlichen Verkehrsmitteln, die Sicherheit und mehr Ressourcen brauchen um ÜBerlastung zu verhindern. Und die hunderttausenden, die arbeitslos sind oder um ihren Job fürchten, müssen Teil des Widerstandes sein und können sich organisieren. Die Gefahr an der aktuellen Herangehensweise der Gewerkschaft ist auch, dass sie einen letztlich nationalistischen Standpunkt einnimmt,  in Richtung “unsere Leute zuerst”. Das Problem ist: in einer Wirtschaftskrise, aber auch bei Mangel an Impfstoff und ähnlichen Situationen, wird das gerne als Problem zwischen Ländern dargestellt, obwohl es doch ein Problem zwischen Arm und Reich, Oben und unten, Kapital und Arbeit ist. Überall drängt sich die Elite beim Impfen vor, überall sind es prekär Beschäftigte, Frauen und Junge, die zuerst den Job verlieren. Die Lösung ist daher auch keine nationalstaatliche sondern eine internationale - all das, was an gesellschaftlicher Planung und Organisierung in einem Land nötig und möglich ist, muss auf internationale Ebene umgelenkt werden. Wenn Kurz behauptet “Das Virus kommt mit dem Auto” und damit meint, dass Menschen, die im Sommer ihre Familien am Balkan besucht haben, schuld wären an hohen Infektionszahlen, dann ist das ein rassistischer Ablenkungsversuch vom Versagen der Bundesregierung. Wer auf nationale Lösungen setzt findet sich bald Seite an Seite mit Rechtsextremen und Corona-Schwurbler*innen, während jene, die sogar noch von der Situation profitieren ungeschoren davon kommen.

Das Potential und  die Anzahl derer, die nicht mehr können und “was tun” wollen, ist groß. Statt sich staatstragend mit der Regierung zu verbünden, muss der die Gewerkschaft endlich wirklich die Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien verteidigen. Es ist höchste Zeit, endlich Widerstand zu organisieren.  

Was  muss der ÖGB dringend tun?

  • oben genannte und noch weiter gehende Maßnahmen fordern und für deren Umsetzung entschieden kämpfen.

  • den Schulterschluss mit Regierung und Unternehmen umgehend beenden und stattdessen ein Programm aufstellen und umsetzen, das einzig die Interessen und Notwendigkeiten der Arbeiter*innenklasse als Ansatz hat.

  • Die Missstände aufzeigen und anprangern.

  • Umfassende Information auf wissenschaftlicher Basis in allen Publikationen von Gewerkschaft und AK sowie durch Betriebsrats-Strukturen.

  • Demokratische Komitees auf allen Ebenen aufbauen, in den Betrieben und Stadtteilen und an der Basis der Gewerkschaften um Corona und Wirtschaftskrise zu bekämpfen.

  • Corona-Sichere Proteste bis hin zu Streiks organisieren für eine Ausfinanzierung des Gesundheitswesens, für mehr Personal im Bildungswesen, für Jobgarantie und Delogierungsschutz für Arbeitslose etc.

  • Gemeinsamer Kampf mit allen, die die Interessen der Beschäftigten, Arbeitslosen und der Kleinst-Unternehmen vertreten - keine Bündnisse, keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen, Faschist*innen und Verschwörungsmythiker*innen.