Der Kampf für die Bedürfnisse von LGBTQI+ Menschen geht weiter!

*LGBTQI+ ist die Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer, inter und andere
ROSA - International Socialist Feminists

Campagne ROSA in Belgien
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Dieser Artikel erschien am 17. Mai 2020 zuerst auf der Website der Plattform "ROSA - International Socialist Feminists" (www.rosainternational.org) in englischer Sprache. 

Heute am 17. Mai ist der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT). Normalerweise finden an diesem Tag Aktivitäten und Paraden in verschiedenen Ländern statt. Die Möglichkeiten dafür sind aufgrund der aktuellen Corona-Krise stark eingeschränkt. Neben Absagen und/oder Verschiebungen von symbolischen und politischen Ereignissen, hat die Corona-Krise für viele LGBTQI+ Menschen mehr Repression, Gewalt, Isolation und Diskriminierung gebracht.

Corona – willkommener Vorwand für Angriffe und Gewalt

Während Corona „das“ beherrschende Thema in den Medien weltweit ist, haben verschiedene Politiker*innen und Regime die Gesundheitskrise als Gelegenheit genutzt, um alle möglichen (schon lange geplanten) unsozialen Maßnahmen umzusetzen. In der Hoffnung auf ein Ausbleiben von Protesten während der Social Distancing Maßnahmen, versuchen sie jetzt schnell unpopuläre und diskriminierende Gesetze und Einsparungen durchzusetzen. In vielen Ländern, ist die LGBTQI+ Community eine der Gruppen, deren Rechte und Sozialleistungen (die oft bereits schon sehr beschränkt sind) angegriffen werden.

In Ungarn hat Viktor Orban sofort seine fast uneingeschränkte Macht, die ihm durch diese Ausnahmesituation gewährt ist, missbraucht, um Trans Personen in seinem Land zu attackieren.  In der Praxis bedeutet sein Gesetz, dass es unmöglich geworden ist, offiziell als Transgender anerkannt zu werden. Auch in Polen folgten während der Pandemie rasch Angriffe. Die rechtskonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ hat den Lockdown genutzt, um ein komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und ein neues Gesetz, welches sexuelle Bildung von Minderjährigen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft und Homosexualität mit Pädophilie gleichstellt, einzuführen. Gegen ersteres sind schon in den letzten Jahren Millionen Menschen auf die Straße gegangen.

Solche Rhetorik und Maßnahmen sind von einem Anstieg an Gewalt gegen LGBTQI+ Personen begleitet. Offizielle Körperschaften und religiös konservative und politische Institutionen haben offen zu Attacken auf LGBTQI+ Menschen aufgerufen. In Uganda überfiel die Polizei eine LGBTQI+ Unterkunft und verhaftete 20 Personen unter dem Vorwand der „Nichteinhaltung der Corona-Regeln“. Bei Beginn des Ramadans beschuldigte Ali Erbas, offizieller religiöser Repräsentant in der Türkei, Homosexuelle, Krankheiten (sprich Corona) zu verbreiten und die Gesellschaft krank zu machen. In Marokko wurde Jagd auf schwule Männer gemacht, nach einem Aufruf eines türkischen Prominenten auf Social Media.

Diese Gesetzesänderungen und Rhetorik, nach der LGBTQI+ Personen als abnormal und eine Gefahr für die Gesellschaft präsentiert werden, sind sehr beliebt bei rechten Machthabern. In diesen Zeiten der Krise versuchen sie auf der Basis einer Teile-und-Herrsche-Strategie, sich selbst zu erhöhen und suchen ständig nach Sündenböcken (Geflüchtete, LGBTQI+ Menschen usw.) mit dem Ziel die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von den wahren Ursachen der Probleme – die Ungleichheit und Defizite in der Gesellschaft – abzulenken. Die enorme Gesundheitskrise ist aufgrund des jahrelangen Missmanagements der Politiker*innen um einiges schlimmer als sie sein müsste. Sie wird jetzt von den selben Politiker*innen genutzt, um Minderheiten anzugreifen.

Corona und unsoziale Politik: ein tödlicher Mix

Zusätzlich zu den rechtlichen Angriffen, erfährt die Mehrheit der LGBTQI+ Menschen die katastrophalen Auswirkungen neoliberaler Kürzungen und Privatisierungen der letzten Jahrzehnte. Die Pandemie offenbart weltweit die zunehmenden Engpässe der Finanzierung der Gesundheitsversorgung, öffentlicher Dienstleistungen, der Bildung, von ordentlichen Arbeitsplätzen und Wohnraum usw. Mängel, die schon vor der Krise existierten, aber jetzt zusehends mehr und mehr Menschen in prekäre, ungesunde und tödliche Verhältnisse drängen.

In vielen Ländern wurden Lockdowns organisiert. Durch den bekannten Mangel an Unterkünften für LGBTQI+Menschen und nicht ausreichenden sozialen Wohnbau sind viele LGBTQI+ Personen, vor allem junge Menschen, gezwungen, sich 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in einem potentiell gefährlichen/gewalttätigen häuslichen Umfeld aufzuhalten. Häusliche Gewalt ist am Steigen, wie auch die Suizidrate, welche in einer homo- und transphoben Gesellschaft bereits hoch ist. In Aufnahmezentren für Flüchtlinge, in denen sich die Unterkunft aufgrund der Mängel überhaupt nicht für Dinge wie Social Distancing, Hygienemaßnahmen usw. eignet, steht die Begleitung und der Schutz von LGBTQI+ Flüchtlingen während der Lockdowns unter Druck.

Außerdem sind LGBTQI+ Personen bei den Obdachlosen-Zahlen in vielen Ländern überrepräsentiert (z.B. haben LGBTQI+ Jugendliche in den USA ein um 120 % höheres Risiko Obdachlos zu werden). Das setzt sie während der Corona-Krise natürlich den Risiken von Krankheit und Repression viel mehr aus. Diskriminierung bei der Wohnungs- und Job-Suche, ein Phänomen verstärkt durch jahrelange Einsparungen bei sozialem Wohnbau und ordentlichen Arbeitsplätzen, bedeutet, dass viele LGBTQI+ Personen ohnehin bereits Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Arbeitsplatzverlust (vorübergehend oder dauerhaft) während der Corona-Krise bedeutet eine Gegenwart und Zukunft von enormer Prekarität für viele von ihnen.

Schließlich brachten die Jahre von Unterfinanzierung im Gesundheitsbereich einen Mangel an Personal, Infrastruktur und Schutzausrüstung. Selbst in den Ländern, in denen Operationen für Transgender-Personen möglich sind, die sie haben möchten, dauerte die Wartezeit schon vor der Corona-Krise für Transgender-Teams in Krankenhäusern oft ein oder mehrere Jahre. Jetzt da eine Pandemie stattfindet, sind viele dieser Gesundheitseinrichtungen gezwungen, sich in Corona-Abteilungen zu verwandeln und es gibt keinen Raum für „nicht-essentielle“ oder „nicht lebenswichtige“ Gesundheitsversorgung. Wartezeiten werden noch länger werden. Doch auch der Zugang zu Hormontherapien ist eingeschränkt worden, mit allen psychologischen und physischen Konsequenzen, die darauf folgen, einschließlich einem erhöhten Risiko, Gewalt ausgesetzt zu sein.

Kampf für LGBTQI+ Rechte und Soziales

LGBTQI+ Rechte und Soziales stehen weltweit auf dem Spiel. Die Corona-Krise beschleunigt diesen Prozess. Doch es ist klar, dass die Wurzel des Problems schon vor der Verbreitung der Krankheit existierte.

Solange es keine wirkliche Demokratie gibt und die Mehrheit der Bevölkerung untereinander um die Krümel, die übrig bleiben, kämpfen muss, nachdem die Gewinne in Steueroasen umgeleitet wurden, können Figuren wie Trump, Bolsonaro, Orban, Putin usw. im Zusammenhang mit Krisen und dem Mangel an glaubwürdigen Alternativen an die Macht kommen und diese Macht missbrauchen, um Frauen, LGBTQI+ Personen, Migranten und Flüchtlinge anzugreifen. Sie bieten keine Lösung für Gesundheitskrisen, sondern repräsentieren und verteidigen ein System, das teilweise für das Ausmaß dieser Krise verantwortlich ist und das die Gewinne einer kleinen Minderheit über die Gesundheit, das Leben und das Wohlergehen der Mehrheit der Bevölkerung stellt. Der Kapitalismus ist ein System, das Krisen, Ungleichheit, Ausbeutung und Diskriminierung in seiner DNA trägt.

Wir müssen uns für die Rechte von LGBTQI+ Personen einsetzen. Das bedeutet, internationale Solidaritätsaktionen für LGBTQI+ Menschen zu organisieren, die in Ländern leben, in denen oft kolonial konservative oder religiöse Gesetze ihre bloße Existenz als Verbrechen einstufen. Wir müssen jetzt und nach der Corona-Krise bereit sein, um Maßnahmen und Investitionen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu fordern und durchzusetzen, um homo- und transphobe Gewalt und Diskriminierung zu bekämpfen. In diesem Kampf gegen jahrzehntelange Privatisierung und Einsparungen bei lebensrettenden öffentlichen Dienstleistungen unter dem Neoliberalismus kommen der Kampf für LGBTQI+ Rechte und der Kampf für soziale Verbesserungen zusammen. Wir fordern massive Investitionen in Gesundheit, Bildung, sozialen Wohnbau, ordentliche Arbeitsplätze, Kultur, Notunterkünfte, den Sozialbereich usw. Das kann Leben retten, ob LGBTQI+ oder nicht, ob Gesundheitskrise oder keine. Der Kampf um Ressourcen sollte nicht in der Arbeiter*innenklasse untereinander, sondern gemeinsam geführt werden. Und das ist möglich. Homo- und Transphobie ist nicht angeboren. Es ist ein Mittel zur Spaltung und Schwächung der Arbeiter*innenklasse und verknüpft mit einer Klassengesellschaft, in der die Wahrung bestehender Machtverhältnisse mit der Kernfamilie und strengen Geschlechterstandards verbunden ist, um soziale Kontrolle und frei verfügbare sich reproduzierende Arbeitskraft zu erhalten.

Soziale Forderungen führen zwangsläufig zur Diskussion über die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung in der Organisation der Gesellschaft, denn in diesem kapitalistischen System stehen Rechte immer unter Druck und Soziales wird immer zweitrangig gegenüber Profit sein. Wir setzen uns für eine sozialistische Gesellschaft ein, in der der erzielte Gewinn für unser Bedürfnisse investiert wird. Weg mit dem Kapitalismus! Weg mit Unterdrückung! Hin zu wirklicher Freiheit und Wohlergehen!