Schulschließung/Offenhaltung: Das Schlechteste aus allen Welten!

Es ist höchste Zeit für eine Bildungsrevolution, statt nur die alten Löcher zu stopfen

Die Frage “Schulen offen halten” oder “Schulen schließen” wird hitzig und polarisiert diskutiert. Die Landes- und Bundesregierungen, die monatelang nichts getan haben, um Vorbereitungen für die zweite Welle zu treffen, um einen zweiten Lockdown zu verhindern haben nun eine “Lösung” gefunden, die keine ist. Weder aus virologischer Sicht, noch aus Sicht der Kinder, der Eltern bzw. der Lehrer*innen: Die “Lösung” besteht letztlich darin, dass sich jeweils die durchsetzen, die am meisten Druck machen können bzw. am meisten Druck aushalten. Wieder wird die Verantwortung für ein gesellschaftliches Problem dem/r Einzelnen umgehängt und auf das “Recht des Stärkeren” gesetzt. 

Das Recht auf Sonder-Betreuungsurlaub gibt es nicht, hier setzt die Regierung auf den guten Willen der Unternehmen. Auf den die Beschäftigten wohl vergeblich warten werden - wie schon die große Herde “schwarzer Schafe” bei mangelnden Sicherheitsvorkehrungen etc. bewiesen hat. Das Ergebnis ist unmittelbar, dass in manchen Schulen und Kindergärten bis zu 80% der Kinder anwesend sind, dass Eltern überfordert und verzweifelt sind, Lehrer*innen und Kindergartenpersonal Angst haben und dass aufgrund des damit lückenhaften 2. Lockdowns ein dritter Lockdown wahrscheinlicher wird. Denn wenn die Infektionszahlen in Folge nicht ausreichend sinken, dann bleibt nur die Wahl zwischen immer mehr alte Mitbürger*innen sterben zu lassen oder einen neuerlichen Lockdown zu verhängen. Aktuell geht es eigentlich nicht um die Frage Schulen offen oder nicht, sondern wie müssen die Bedingungen sein, damit Schulen künftig sicher und offen sein können?! Wir sind für Schulen, die sicher und für alle frei und kostenlos zugänglich sind. Wo ausreichend und gut bezahltes Personal angestellt ist, wo in verschränktem Ganztagsunterricht gemeinsam gelernt, gespielt und entspannt werden kann. Wir sind für Schulen, in denen nicht Wirtschaftsinteressen und Sparstift, sondern die Bedürfnisse von Schüler*innen, Lehrer*innen und Gesellschaft im Zentrum stehen.

Alles für “die Wirtschaft”

Bei der Debatte offen oder nicht gibt es sehr unterschiedliche Interessen: Das vorrangigste ist jenes der Wirtschaft, die über “ihre” Arbeitskräfte ohne lästige Betreuungspflichten Zuhause verfügen will. Die unterschiedlichen Meinungen in den verschiedenen Landesregierung bzw. der Bundesregierung folgen keinen grundsätzlich anderen Zugängen sondern spiegeln eher den Druck verschiedener Kapitalfraktionen und deren Interessen wieder. Durchgesetzt hat sich aktuell der Bereich “Skiurlaub” und “Weihnachtsgeschäft”. Ihnen geht es auch nicht um die Schule als Bildungseinrichtung, sondern als Kinder-Aufbewahrungseinrichtung!

Daraus wird dann eine Frontstellung zu den dort Beschäftigten erzeugt, die ja auch Angst um die eigene Gesundheit und die ihrer Familien haben - und ihrerseits wieder die eigenen Kinder in die Betreuung schicken müssen um selbst arbeiten zu können. Das Totalversagen der Regierungen führt also dazu, dass Beschäftigte gegen Beschäftigte ausgespielt werden! Eltern berichten über Druck aus der Schule, die Kinder nicht zu schicken, dem sie aus beruflichen Gründen nicht nachgeben können. Kindergartenpädagog*innen berichten über Druck von den Eltern, de facto Normalbetrieb zu haben. Ein letztlich klassisches “Teile und Herrsche” Szenario, das nur einem dient: Die Arbeitskräfte im für die Unternehmen nötigen Ausmaß zur Verfügung zu haben. Wenn die Herrschenden als Argument das “Kindeswohl” vorschieben, dann ist das - um es mit aller Deutlichkeit zu sagen - eine Lüge, das war ihnen schon bisher völlig egal. 

Warum die aktuelle Schulschließung notwendig geworden ist

In der Debatte werden unterschiedlichste Studien zu Kindern, Jugendlichen bzw. Infektions-, Ansteckungs- und Erkrankungsrisiko zitiert. Das zeigt auch sehr gut, dass Wissenschaft nicht objektiv ist, sondern je nach Interessenlage genutzt wird bzw. liefert. Klar ist, die Infektionszahlen sind insgesamt hoch, Österreich hier trauriger Weltmeister. Klar ist auch, dass Infektionen dort stattfinden wo viele Menschen längere Zeit in geschlossenen Räumen zusammen kommen. Dazu gehören viele Arbeitsplätze, Öffentliche Verkehrsmittel und eben auch Schulen und Kindergärten. Bewiesen ist inzwischen, dass das Infektionsrisiko von Kindern sich kaum von jenem der Erwachsenen unterscheidet (allerdings unterscheidet sich die Sterblichkeit bei Ausbruch von Covid 19). Klar ist auch, die Schule besteht nicht nur aus Kindern, sondern zum Großteil (!) aus Jugendlichen und Erwachsenen. Die 1,1 Millionen Schüler*innen umfassen Kinder, aber eben auch Jugendliche bis ca. 19. Jahre, teilweise sogar älter. Dazu kommen rund 130.000 Lehrer*innen (davon je nach Schultyp zwischen ca. 40% und über 55% über 50 Jahre alt, also Risikogruppe), das Reinigungspersonal an den Schulen, Sekretariatskräfte, Personal in Kantinen und Großküchen. Und dann noch Beschäftigten bei den Transportunternehmen, die zweimal täglich hunderttausende Schüler*innen von A nach B bringen. Nicht zu vergessen die dazugehörigen Familien, also nochmal Millionen Personen. Selbst wenn also Kinder selbst nicht schwer erkranken, so sind Schule und Schulweg ein unsicherer Ort. Wenn also der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer von der SPÖ behauptet, die Schule wäre der “wahrscheinlich sicherste Ort” dann ist das definitiv unwahr.

Keine Vorbereitung führt ins Chaos

Spätestens mit der Schulfrage hat die Politik zu Recht viel an Vertrauen eingebüßt. Über die Sommerferien ist kaum etwas gemacht worden, dann im September erklärt worden es wäre alles super organisiert, obwohl jede*r in der Schule das Gegenteil erlebte und nun die Übernacht-Schließung.

Es gibt unzählige Beispiele für das völlige Versagen bei der Vorbereitung auf die 2. Welle. Eine Direktion in Wien berichtet, dass FFP2 Masken erst am 23.11. geliefert werden sollen (also eine Woche nach Lockdownbeginn) es aber fraglich ist, ob diese überhaupt je ankommen. Die verschiedenen digitalen Lernplattformen brechen laufend zusammen, weil in den Sommermonaten - trotz expliziter Bitte der dort Beschäftigten - kein zusätzliches Personal angestellt wurde um auf die massiv gesteigerten Nutzung reagieren zu können. Schüler*innen berichten über fehlende oder mangelhafte Leih-Laptops (z.B. solche die nicht Internetfähig sind). 

Aber nicht nur, dass der aktuelle Lockdown mit Teil-Schließung der Schulen und Kindergärten mit entsprechender Vorbereitung auf die 2. Welle zu verhindern gewesen wäre taumelt die Regierung neuerlich auf eine völlig unvorbereitete Schulöffnung nach dem 6. Dezember zu. Wieder wird nichts geändert an den Rahmenbedingungen und damit wird genauso schlecht weitergemacht wie zuvor. Es wird immer deutlicher, dass die türkis-grüne Regierung nicht nur planlos ist, sondern sich um das Weihnachtsgeschäft weit mehr kümmert, als um die Gesundheit der Menschen.

Mit den notwendigen Schritten hätte im Frühjahr begonnen werden müssen, doch nichts ist geschehen. Wenigstens jetzt muss umgehend damit begonnen werden, um Tote und einen 3. Lockdown zu verhindern. Hier nur einige der notwendigen Maßnahmen, denn die Betroffenen vor Ort sind die wahren Expert*innen, die Lehrer*innen, Schüler*innen, die Reinigungs- und Sekretariatskräfte, sie alle haben noch mehr und sehr konkrete Vorschläge:

  • Leerstehende Büro- und Hotelräume zu Klassen umfunktionieren um ausreichend Räumlichkeiten für kleinere Gruppen und Distanzhalten zu ermöglichen - dazu braucht es auch ein Umstellen des Lernens auf Projektunterricht um häufigen Raum- bzw. Lehrer*innenwechsel zu vermeiden

  • Anstellung aller zur Verfügung stehenden Lehrer*innen und ähnlicher Fachkräfte um die so entstandenen zusätzlichen Kleingruppen im Unterricht begleiten zu können.

  • Das Recht für alle im Schulbetrieb und derjenigen, die zu gefährdeten Gruppen gehören sich in anderer Form einzubringen - im Distance learning oder bei der Erstellung von Material

  • Rechtzeitiges zur Verfügung Stellen von allen notwendigen Unterrichtsmaterialien: Kopien, Bücher, aber auch Laptops und Computer. Die großen Tech-Konzerne machen aktuell Zusatzgewinne - hier ist genug Geld, um die notwendige Unterstützung für alle Schüler*innen zu garantieren, notfalls auch durch die Beschlagnahmung dieser Mittel

  • Kostenloses Internet für alle Haushalte in ausreichender Qualität - auch hier gilt: Stellen die Betreiberfirmen es nicht zur Verfügung, müssen sie zum Wohle der Allgemeinheit enteignet werden um diese Maßnahme umzusetzen

  • Statt einer pseudo Schulautonomie, die ohnehin v.a. eine Verwaltung des Mangels darstellt, hätte über den Sommer ein bundesweiter Schulbeginns-Plan zwischen Bildungsministerium und Öffi-Betreiber*innen erstellt werden können. Ein großer Teil davon ist ohnehin öffentlich und private Betreiber*innen, die dazu nicht bereit sind oder sogar noch Profit daraus schlagen wollen, gehören im Sinne des Gemeinwohls enteignet und in öffentlichen Besitz überführt

  • Die öffentliche Hand hätte Massentestkapazitäten aufbauen können - finanziert u.a. aus den Extraprofiten von Onlinehändler*innen und Pharmaindustrie. So könnten z.B. alle Schüler*innen und Lehrer*innen wöchentlich oder öfter getestet werden, um so Cluster und Superspreader zu verhindern

  • Statt abgehobener pseudo-Expert*innen hätten motivierte und dafür auch entsprechend bezahlte Lehrer*innen und Lehramtsstudierende zentral Unterrichtsformen ausarbeiten können, die mit Distance-Learning, Outdoor-Unterricht und in Kleinstgruppen sinnvolles Lernen möglich machen. Das wäre dann vielleicht ein bisschen weniger abprüfbarer Stoff und ein bisschen mehr wirklich über gesellschaftliche Fragen, Solidarität, das Gesundheitswesen etc. lernen als der Regelunterricht. Unzählige Lehrer*innen sind bereit und fähig, ihr Wissen hier einzubringen - doch sie werden von den Mühlen der Bürokratie überrollt, demotiviert und zu oft sinnloser und sogar gefährlicher Arbeit genötigt

Think Outside of the Box

Die Krokodilstränen von Wirtschaft und Politik sind Propaganda. Ehrlich sind aber die Sorgen von Eltern, Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen und natürlich die Wünsche der Kinder selbst. Hier gibt es nicht nur den Zwang nach einer Betreuungsmöglichkeit, um selbst arbeiten gehen zu können sondern auch die Angst vor psychischen und sozialen Folgen. 

Der Wunsch nach “Normalität” ist absolut verständlich. Wichtig ist es aber auch zu sehen, dass Corona viele der längst bekannten tiefgehenden Probleme im Bildungswesen offen gelegt hat. Die Frage sollte daher eigentlich lauten “Unter Corona versuchen den unzureichenden, oft sogar miesen Normalzustand so weit wie möglich aufrecht zu erhalten” oder “Es ist Zeit für wirkliche Veränderungen, auch im Bildungswesen”.

Der Mythos von der Schule als schöner Ort

Die Schule hat sich in den letzten hundert Jahren zweifellos stark verändert und ist nicht mehr diese Horrorinstitution, die im “Schüler Gerber” und vielen anderen Werken aufgearbeitet wird. Das Zusammenkommen mit anderen Kindern und Jugendlichen und das “rauskommen” aus Familie und Zuhause ist neben der Bildungsfrage ein wesentlicher und positiver Aspekt. Aber die Zahlen zeigen auch, dass das ausschließlich positive Bild, das aktuell gezeichnet wird nicht der Realität entspricht. Kein Wort darüber, dass Angst vor der Schule, vor Mitschüler*innen, vor Mobbing, vor Prüfungen etc keine Randphänomene sind. 50% aller Schüler*innen hat Prüfungsangst inklusive Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. 12% nehmen legale Aufputschmittel wie Kaffee und Energy Drinks, 6% nehmen Beruhigungsmedikamente. ⅓ der Schüler*innen empfindet den Schulalltag generell als belastend, ca. 23% haben eine Essstörung. 2019 entsprach die gesamte schulpsychologische Betreuung 158 Vollzeitstellen (wir leisten uns aber 183 Nationalratsabgeordnete) - für über 1,1 Millionen Schüler*innen und der Schätzung, dass mindestens 10% aller Schüler*innen psychische Probleme haben (vor Corona)! 

In vielen Fällen ist die Schule aber auch ein Fluchtpunkt für Kinder, die Zuhause mit Gewalt und Missbrauch konfrontiert sind. Hier kann das Problem erkannt und im Optimalfall auch Hilfe organisiert werden. Bei einem Lockdown spitzen sich nicht nur die Probleme Zuhause zu, sondern fällt auch diese Hilfsmöglichkeit weg. Das verschärft Probleme, die allerdings - so ehrlich muss man in der Debatte auch sein - auch vorher bestenfalls mangelhaft angegangen werden konnten, weil es an Sozialarbeiter*innen und entsprechenden Schutzeinrichtungen fehlt

Wenn eine Schülerin in der jetzigen Situation erklärt, gerne in die Schule gehen zu wollen weil “endlich Zeit ist, um nachzufragen und mit den Lehrer*innen die Themen in Ruhe durchzugehen” dann zeigt das, wie groß der strukturelle Mangel im Normalzustand ist. 

Die aktuelle Situation sollte genutzt werden, um echte Verbesserungen zu erkämpfen:

  • eine dauerhafte Verkleinerung der Klassen- und Gruppen

  • Entrümpelung des Lehrplanes durch Vertreter*innen von Lehrer*innen und Schüler*innen

  • Abschaffung der Prüfungsbulimie, weg mit Noten und Konkurrenzlernen

  • Anstellung nicht nur von zusätzlichem Lehrpersonal, sondern auch von Sekrätariatskräften, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen

Schule schon bisher too much

Eine weitere Angst ist, dass Kinder durch einen Lockdown “Zeit verlieren” - doch was ist damit eigentlich gemeint? Dahinter steckt der Gedanke, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo “nur die härtesten, bzw. best gebildetsten” durchkommen. Wer einen Nachteil bei der Ausbildung hat, hat schlechtere Karten. Wenn der Arbeitsmarkt schwieriger wird, steigen also die Chancen jener, die mehr können. Mal ganz abgesehen davon, dass aktuell alle das selbe Problem haben stellen wir die Frage einmal anders herum: Was ist so schlimm daran, wenn ein Schuljahr einmal gänzlich anders aussieht? Nicht nur, dass Kinder problemlos Stoff “aufholen” können, wenn sie die dafür nötige Unterstützung bekommen ist doch die Frage eher, ob es nicht eine gute Gelegenheit wäre, mal zu schauen, was und wie eigentlich gelernt wird. 

Schüler*innen haben im ersten Lockdown auch profitiert - sie haben gelernt, sich ihre Zeit selbst besser einzuteilen. Mag sein, dass “fachlich” der Lehrplan nicht voll abgearbeitet wurde. So what? Die Schüler*innen haben jede Menge gelernt über Medienkompetenz (Fake-News und Quellen beurteilen), über Naturwissenschaften (wie werden Viren übertragen, wo können sie wie lange leben, wie funktioniert die Übertragung…), über die Welt (wo liegt dieses China eigentlich, wer ist dieser Präsident von Brasilien und wieso kann Russland den Impfstoff an den Rekruten testen), über internationale Produktionsketten und wie das Wirtschaftssystem (nicht) funktioniert (warum gibt es zu wenig Masken, Desinfektionsmittel), darüber welche Jobs wirklich wichtig sind (Gesundheit, Handel) etc. Sie haben Erfahrungen mit Rassismus und Klassenunterschiede gemacht (warum werden Jugendliche mit Migrationshintergrund von der Polizei viel schärfer auf Einhaltung der Corona-Maßnahmen kontrolliert als die Reichen und Schönen) und damit, dass eben doch nicht alle gleich sind und nicht gleiche Möglichkeiten haben (weil Wohnungen unterschiedlich groß, Internetzugänge unterschiedlich gut und Laptops unterschiedlich vorhanden sind). Das wenigste davon ist abprüfbares Wissen, das “die Wirtschaft” fordert, aber Wissen und Erfahrung ist es dennoch. 

Müssen wir nicht auch die Frage stellen: Was für ein perverses System ist das, in dem in einer derartigen Ausnahmesituation Leute sich Sorgen machen müssen, dass ihr Kind ein paar Wochen “normale” Schulbildung verliert! Die Wirklichkeit sieht ja auch hier schon lange anders aus: 40% aller Schüler*innen brauchen mehrmals pro Woche Lernunterstützung von den Eltern, 25% täglich. ⅓ der Eltern ist damit - fachlich - überfordert, 70% ist damit belastet. Zusätzlich brauchen rund 25% aller Schüler*innen Nachhilfe, 18% kaufen diese auch tatsächlich extern zu - jährlich werden dafür rund 100 Millionen Euro von den Familien ausgegeben. All das sind VOR-Corona-Zahlen! 

  • Kein Durchfallen wegen Corona: schaffen wir das Durchfallen endlich ab

  • Nutzen wir Corona, um endlich die Noten abzuschaffen, die nachweislich nicht beim Lernen unterstützen

  • Für ein völlig anderes Schul- und Bildungssystem, das sich an Bedürfnissen & Fähigkeiten der Schüler*innen und der Gesellschaft, aber nicht der Unternehmen orientiert. Ein solches ist notwendig - steht aber im Widerspruch zum kapitalistischen System, in dem Menschen nur als Arbeitskräfte (und Konsument*innen) bewertet werden

Statt Sprungbrett für weitere Verschlechterungen endlich in die Offensive gehen!

Corona zeigt auch, dass das völlig veraltete System, Themen in “Fächer” aufzusplittern anstatt als Projekt von allen Seiten zu betrachten. Als “Bildungs”Minister Fassmann erklärte, dass Schüler*innen wie sonst auch jede Stunde im Distance Learning ein anderes Fach durchmachen würden hat das gezeigt, wie weit weg er - und andere politisch Verantwortliche - von der Schulrealität sind. Abgesehen davon dass dabei vergessen wird, dass nach wie vor viele Schüler*innen nicht über die technischen Hilfsmittel verfügen wird auch ignoriert, dass Lehrer*innen teilweise gleichzeitig Schüler*innen in Distance und in der Schule direkt betreuen sollen. Praktisch möglich ist all das nicht - pädagogisch sinnvoll auch nicht. Da machen Projekte, die Schüler*innen teilweise gemeinsam über mehrere Tage erarbeiten können wesentlich mehr Sinn - ein Konzept, das seit langem gefordert wird aber am starren Fächerkanon scheitert. Dieser wird beibehalten da hier viel leichter eine “Vergleichbarkeit” hergestellt werden kann. Ein Fach - ein abprüfbares Thema - eine Prüfung - ein Ergebnis. Dass dabei kaum Sinnvolles raus kommt ist zweitrangig, viel wichtiger ist, dass so eine Disziplinierung der Schüler*innen und ihre Anpassung an das System erzwungen werden kann. Wie realitätsfern das Ganze ist, offenbart Corona in krasser Form. 

Enorm ist der moralische Druck, “jetzt in der Krise” Besonderes zu leisten. Auffällig ist, dass dieser Druck sich insbesondere gegen Beschäftigte richtet, die nicht für Mehrarbeit bezahlt werden sollen bzw. unter besonderem Risiko arbeiten sollen. Das gilt besonders im Gesundheits- und Bildungsbereich. Es wird eine Darstellung konstruiert, als ob ordentliche Bezahlung und Corona-sicheres Arbeiten unzumutbare Forderungen wären, die im Widerspruch zu den Rechten und Bedürfnissen der Kinder stehen würden. Es ist zu erwarten, dass von Regierungsseite die nächste Runde von Lehrer*innen-Bashing vorbereitet wird um eine Stimmung zu erzeugen, in der Verschlechterungen leichter durchgedrückt werden können. In einem offenen Brief schreiben Elementarpädagog*innen: “Wir sind verpflichtet, uns diesem steigenden Risiko auszusetzen, obwohl wir selbst gerne uns und unsere Familien schützen würden.” 

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Unternehmen - und dazu gehört auch der Öffentliche Dienst - versuchen auszutesten, “wieviel reingeht”. Der jüngste Vorstoß von Wirtschaftskammer-Chef Mahrer, im Handel nach dem Lockdown auch am Sonntag offen zu halten, zeigt wohin die Reise gehen soll. Beschäftigte die im Homeoffice Arbeit und Kinderbetreuung schaffen - warum sollte dann künftig “neben” einem kranken Kind im Pflegeurlaub nicht auch gearbeitet werden? Im Bildungsbereich leisten Lehrer*innen aktuell unzählige unbezahlte Überstunden. Sie erstellen neues Unterrichtsmaterial, Hygienepläne und versuchen für Schüler*innen Laptops zu organisieren. Sie müssen ebenso wie die Schüler*innen für Internet, Ausdrucke, Handy-Minuten und Büro-Ausstattung selbst aufkommen (Fun-Fakt: Lehrer*innen haben zwar oft keinen Arbeitsplatz in der Schule, dürfen den Zuhause aber nicht von der Steuer abschreiben). Es ist sicher, dass auch nach Corona versucht werden wird, unbezahlte Extraleistungen, die jetzt “eingerissen” sind, beizubehalten. 

  • Für die volle Bezahlung der gesamten Arbeit, die bei Lehrer*innen, Kindergartenpädagog*innen und Unterstützungspersonal anfällt

  • Eine Rückkehr in Schule und Kindergarten wenn sichergestellt ist, dass ab dem ersten Tag ausreichend Tests und Schutzausrüstung zur Verfügung stehen

Die neue Sorge um “die Armen”

Ein zentrales Thema ist die Sorge um die “bildungsfernen Schichten” und die “Armen”. Auch hier muss deutlich gesagt werden: Die gibt es auch nicht erst seit Corona. Allein schon die  leidige Unterscheidung in AHS und Mittelschule zeigt, dass es sich nicht um ein neues Problem handelt. Und um es mit aller Deutlichkeit zu sagen: Den Herrschenden waren und sind die Schüler*innen aus diesen Schichten völlig egal. Es sind Krokodilstränen, die hier vergossen werden! Nicht alle haben einen Laptop - stimmt, und das war auch schon bisher so. Dennoch gibt es Schulen, in denen teure Taschenrechner, Laptops aber auch Berufskleidung, Werkzeug und Zubehör zur notwendigen Grundausstattung gehören. Der Schulanfang ist jedes Jahr für hunderttausende Familien eine ernsthafte finanzielle Belastung. Und diese Belastung steigt seit Jahrzehnten weil durch das Ausbluten des Bildungssektors alle Eltern eine Art “Schulgeld” in Form von Kopierkostenbeitrag, Bastelkostenbeitrag und ähnlichem Zahlen müssen. Corona macht diese Schieflage offensichtlich, doch sie hat immer schon bestanden und ist die notwendige Folge einer Klassengesellschaft! Bildung ist ein wichtiges Recht und Schulschließungen bergen die Gefahr, dass die soziale Schere noch weiter aufgeht. Der Umkehrschluss ist aber falsch: Auch eine gute Bildung kann die Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Klassengesellschaft nicht aufheben. Es ist wichtig, das Grundrecht auf Bildung zu verteidigen, und es ist wichtig, für ein System zu kämpfen, in dem Bildung unabhängig von der Herkunft für alle gleich ist!

  • Volle Ausfinanzierung des Bildungswesens, keine Privatisierung der Kosten, freier Zugang für alle.

  • Alle Unterrichtsmittel müssen - auch unabhängig von Corona - für alle kostenlos, in guter Qualität und ausreichend zur Verfügung stehen!

Und wo bleibt die Gewerkschaft?

Die Gewerkschaftsführung folgt bei dem - wie anderen - Themen letztlich der Regierungslinie. Sie hat den nationalen Schulterschluss verinnerlicht und auf eine unabhängige Position, die einzig die Interessen der Arbeiter*innenklasse vertritt, längst verzichtet. Das gilt für die ÖVP-nahe GÖD, die die Lehrer*innen zwar vertreten sollte, aber am “Weltlehrertag” am 5.10. zwar Wertschätzung für die Lehrer*innen verlangt, aber keine Schutzmaßnahmen. Das gilt genauso für die anderen, die SPÖ-nahen, Fachgewerkschaften. ÖGB-Vorsitzender Katzian freut sich, dass er von der Regierung ein bisschen mit einbezogen wird, aber reale Ergebnisse für die Beschäftigten wirft das kaum ab. Die Lohnabschlüsse sind mager, die Mehrarbeit wird nicht bezahlt, Sicherheit gibt es nicht und bei den Kindern zuhause bleiben dürfen die Eltern auch nicht. Wenn Gewerkschafter*innen für ein “Offenhalten” argumentieren, dann steckt dahinter eine schlichte Rechnung: Es gibt mehr Beschäftigte, die in anderen Bereichen arbeiten, also offene Schulen brauchen, als Beschäftigten in Schulen und Kindergärten. Das perfide Spiel der Regierung, eine Beschäftigtengruppe gegen eine andere auszuspielen wird von der Gewerkschaft damit mitgespielt. Doch die Gewerkschaft hat die Aufgabe, ALLE Beschäftigten zu vertreten, für alle sichere und gute Jobs zu erkämpfen und nicht den Druck von oben nach unten durch zu reichen!

Die Lehrer*innen und Kindergartenbeschäftigte, die seit Monaten unter Mehrfachbelastung, gesundheitlichen Risiken und gesellschaftlichem Druck leiden, fühlen sich zunehmend alleine gelassen. Im Gesundheits- und Sozialbereich organisieren sich Kolleg*innen seit einigen Jahren auch unabhängig von den offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen, um sich auszutauschen und ihre Interessen kämpferisch vertreten zu können. Auch im Bildungsbereich ist so ein Schritt notwendig und wohl nur mehr eine Frage der Zeit. Es sind die Schüler*innen, die Lehrer*innen und die Eltern, die die jahrzehntelange Kürzungspolitik im Bildungswesen, die “Optimierung” und die Anpassung an die Bedürfnisse der Wirtschaft nun unter Corona noch verstärkt ausbaden müssen. Jedes Problem, dass das Bildungswesen schon vorher hatte wird nun in potenzierter Form deutlich. Da einfach zu sagen “die Schulen müssen offen bleiben” geht meilenweit am echten Problem vorbei. 

Es braucht nicht weniger, als eine echte Bildungsrevolution, eine völlig andere Schule, völlig ausfinanziert, mit ausreichenden Mitteln und Inhalten und Methoden, die die Lernenden und die Lehrenden als Partner*innen ins Zentrum rücken. Eine solche Bildungsrevolution aber ist notwendigerweise Teil einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung. Bei der Bildung darf so ein revolutionärer Prozess also nicht stehen bleiben! 

Mehr zu den Positionen der SLP in unserem Bildungsprogramm: https://www.slp.at/broschueren/wessen-bildung-unsere-bildung-4828