Fußball 98: Viel Geld, wenig Tore!

Der Run aufs Geld
Harry Mahrer

Wenn am 10. Juni der Anpfiff zur 16. Fußballweltmeisterschaft erfolgt und sich die brasilianischen Superkicker mit den besten Schotten messen, sitzt wieder einmal die gestamte (hauptsächlich männliche) Welt vor den Fernsehgeräten. Seit Monaten in Aufregung sind die Werbechefs von Bier-, Auto-, Chips- und Kreditkartenunternehmen.
Während Millionen Fans auf rasante Spiele, geniale Tricks, millimetergenaue Passbälle und vor allem auf viele Tore hoffen, sehen die Werbechefs, die Konzernherren und die Funktionäre der Verbände nur Werbeverträge, Kontobewegungen, von Riesensummen für TV-Rechte ausgelöst, und Umsatzsteigerungen bei Bier, Chips und ähnlichen unerläßlichen Utensilien für die Männerrunde vorm TV-Gerät. Die Werbestrategen erklären sogar allen Ernstes, die Fußball-WM könne nur vor einem funkelnagelneuen 16:9-Riesenfernseher standesgemäß verfolgt werden.
Die Funktionäre der FIFA (internationaler Fußballverband) werden nicht müde, zu beteuern, ein Spektakel der Superlative zu organisieren. Der Fußball ist bei diesen Meisterschaften mehr Nebensache denn je. Was zählt, ist das Geld. Wieviel verdienen die Organisatoren, wieviel der Weltverband, wieviel die Sponsoren? Ex-FIFA-Chef Havelange prahlte 1994 vor einem Unternehmerforum, daß mit Fußball weltweit weit mehr als durch den größten Konzern - General Motors - umgesetzt wird.
Seitdem das Geld nicht nur die Welt, sondern zunehmend auch den Fußball regiert, drehen sich die Spielkonzepte der Mannschaften mehr um das Verhindern von Toren, als um das Erzielen ebendieser. Resultat: Weniger Tore, fades Abwehrgeplänkel, viel Rennen und Rempeln, kaum Spielen! Denn wichtig ist nur eines: Verlieren verboten.

Fußball als Aufputz fürs Politikerimage

Auch die Politiker stehen Schlange, um den jeweiligen Vertretern ihrer „Nation“ alles beste zu wünschen, vor allem aber Siege, weil die sind wichtig fürs „Vaterland“. Ob die Spiele gut sind, ist egal. Hauptsache „unsere Buam“ haben es den „Buam aus Chile, oder von sonstwo" ordentlich gezeigt, will heißen, sie erfolgreich am Toreschießen gehindert, oder noch deutlicher: Die „Gegner“ am Fußballspielen gehindert.
Begleitet wird dieses nationalistische Geheul der Politiker, das nicht nur in seiner Hysterie an Kriegsberichterstattung erinnert, von einem ebensolchen Geheul von Reportern, egal ob in Printmedien oder Fernsehen. Allesamt empören sie sich dann, wenn einige Fans den kriegerischen Worten Gewalttaten folgen lassen. Die Politiker fordern dann mehr Polizei und weniger Stehplätze, da sich dort ja der gewalttätige Mob versammelt.

Den Fußball zurückfordern!

Fußball war in seinen Anfängen ein Spiel, das den ArbeiterInnenmassen zur Erholung diente: Gemeinsame körperliche Betätigung, kombiniert mit Kreativität (Spielwitz) lenkte von der Arbeit ab, bot ein Forum, um sich zu treffen und um Kreativität zu entfalten. Kurz, es ging um Spaß und Unterhaltung, nicht um Krieg und Kampf. Anfangs wurden die Tore nicht einmal gezählt. Ergebnisse waren nicht wichtig. Fußball war Toreschießen und Spaß.
So wollen wir es auch diesmal halten: Es spricht ja nichts dagegen, sich auf schöne Spiele zu freuen. Hoffentlich siegt der Fußball über die Macht des Geldes, wenigstens in ein paar Momenten dieser WM. Wir müssen ja nicht die „Gegner“ hassen, oder die „eigenen Buam“ lieben, wir können ja auch einfach Fußball lieben, uns freuen, wenn wir ihn sehen, egal wer ihn uns zeigt. Auf die Ansprachen von Politikern, oder auf nationalistisches Geschrei von Sportreportern können wir ebenso verzichten, wie auf die Werbebotschaften, der „Sportartikelhersteller" Gösser, Radeberger, Warsteiner, Pringels, ...

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