Es gibt wenig „natürliches“ an Naturkatastrophen

„Es ist, als ob ein Gigant die Stadt eingeebnet hätte.“ (Augenzeuge Jamal, CWI-Pakistan)
Jan Rybak

Zweifelsohne hat es in der Geschichte immer wieder Naturkatastrophen gegeben. Die Häufigkeit und v.a. die materiellen und humanitären Auswirkungen haben jedoch in den letzten Jahrzehnten ungekannte Ausmaße angenommen. Die Gründe dafür liegen in der kapitalistischen Profitwirtschaft.

Fall 1: Hochwasser in Österreich (regelmäßig) - Beinahe jährlich rufen Medien ein „Jahrhunderthochwasser“ aus. Die Auslöser sind Jahr für Jahr die gleichen. Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung, maßgeblich bedingt durch die kapitalistische Profitwirtschaft, wird die Verdunstung verstärkt, was zu mehr Regen führt. Hinzu kommt das Schmelzen der Gletscher (die Alpengletscher haben sich in den letzten 150 Jahren mehr als halbiert, besonders seit den 70er Jahren ziehen sie sich immer mehr zurück). Das zusätzliche Wasser führt zu massiven Hochwassern. Das wäre an sich schon unangenehm genug. In den vergangenen Jahrzehnten wurde jedoch durch ungeplante, vor allem am Profit von Bauunternehmen orientierte, Baumaßnahmen in vielen Fällen nicht nur das notwendige Schwemmgebiet der Flüsse verbaut. Durch Druck und Korruption kam es, gerade in ländlichen Gemeinden, auch zur Umwidmung von aufgrund der Hochwassergefahr ehemals nicht für Baumaßnahmen vorgesehenen Grundstücken. Die oft ahnungslosen HäuslbauerInnen bauten in Überflutungszonen. Auf Grund fehlender Investitionen in den Hochwasserschutz (unterfinanzierte Gemeinden, 15 %-Kürzung der Bundesmittel) führte dies notwendigerweise zu Überflutungen. Freiwillige HelferInnen bekommen ein Schulterklopfen, keine Unterstützung. Oft müssen sie sich (unbezahlten) Urlaub nehmen. Die durch privatwirtschaftliche Maßnahmen hervorgerufenen Schäden (2002: 3,2 Mrd., 2013: 870 Mio.) werden großteils von der Allgemeinheit getragen. Die Versicherungen berufen sich häufig auf „Höhere Gewalt“ und zahlen nicht.

Fall 2: Erdbeben in Pakistan (2005) - Anfang Oktober 2005 wurde Pakistan von einem Beben der Stärke 7,8 erschüttert. Die Angaben schwanken zwischen 75.000 und über 100.000 Todesfällen, 3,8 Mio. Menschen wurden obdachlos. Es waren die Ärmsten der Armen, die besonders unter dem Erdbeben zu leiden hatten. Die meist aus Lehmziegeln gebauten Häuser der Armen konnten dem Erdbeben nicht standhalten und stürzten, ebenso wie ca. 7.000 billig gebauten Schulen und etwa 3.000 Klinken, über den Menschen zusammen. Nach dem Beben standen nur noch die meist aus Beton errichteten Häuser der Reichen und ein Gutteil der ebenfalls stabilen Einrichtungen des Militärs. Um 2005 gab die pakistanische Regierung 45 % ihres Budgets für das Militär aus, nur 1,7 % ging in den Gesundheitsbereich. Wochenlang leistete die Regierung kaum Hilfe in der Region.

Auch wenn die pakistanische ArbeiterInnenbewegung mit internationaler Unterstützung – auch das CWI hatte einen Spendenappell – alles tat, um den Menschen in der Region zu helfen: Als erste Profiteure stellten sich reaktionär-islamistische Gruppen ein. Sie errichteten, ermöglicht durch ausreichende Finanzierung aus den reaktionären Golfstaaten, Camps und verteilten Lebensmittel. Damit gelang es ihnen, sich in der Region zu verankern. Aber die IslamistInnen waren nicht die einzigen, die aus der Situation Profit zogen. TransportunternehmerInnen verdoppelten die Gebühren für die Nutzung der LKWs, private Bahnunternehmen vervierfachten die Preise. Die Regierung zeigte sich lange weder willens noch in der Lage, Hilfe zu bringen. Als sie es dann doch tat, behandelte sie die Situation v.a. als Sicherheitsproblem und schickte tausende Soldaten in die Region. Der Einsatz des Militärs sollte dessen Rolle in der Gesellschaft stärken, von der Bevölkerung wurde bedingungslose Unterstützung der Regierung und der Armee bei ihrer „nationalen“ Aufgabe verlangt. Dem Militär gelang es, das durch seine Diktatur angeschlagene Image aufzupolieren. Auch der Imperialismus profitierte. Unter dem Namen „Hilfsmaßnahmen“ sicherte das US-Militär Positionen und stärkte seine Rolle in der Region, v.a. gegenüber der pakistanischen Regierung.

Das war great, wie Fasanenjagd. Wenn es sich bewegt, erschießt du's.“ (Mitglied einer weißen Bürgerwehr in New Orleans)

Fall 3: Hurricane Katrina – New Orleans (2005) - Im August 2005 traf der Wirbelsturm Katrina auf die Küste von Louisiana. Eigentlich hätten die vom Army Corps of Engineers errichteten Dämme die Stadt schützen sollen. Wegen Unterfinanzierung, unzureichender technischer Ausführung und dem Abzug eines großen Teils der TechnikerInnen in den Irakkrieg hielten diese jedoch den Wassermassen nicht stand. Die ohnehin viel zu spät einsetzende Evakuierung der Stadt verlief planlos. Nur wer über ein Auto oder die notwendigen Mittel für ein völlig überteuertes Flugticket verfügte, konnte die Stadt verlassen. An der Grenze zu Texas baute die Nationalgarde ein Auffanglager auf; nicht um den Menschen zu helfen, sondern um alle Vorbestraften auszusortieren und wieder zurückzuschicken. Die Mehrheit der armen, schwarzen Bevölkerung, die schlicht nicht wusste wohin, blieb in der Stadt zurück.

Etwa 23.000 flohen in den Superdome – das American Football Stadion – und blieben in diesem tagelang ohne Lebensmittel, sauberes Wasser und funktionierende sanitäre Einrichtungen gefangen. Die Armen in New Orleans blieben sich tagelang selbst überlassen. Es gab übertriebene und verzerrte Medienberichte über angebliche Plünderungen. Tatsächlich „plünderten“ die meisten Menschen nur Lebensmittel und Trinkwasser. Die Regierung, die sich als unfähig erwiesen hatte die Bevölkerung zu schützen bzw. zu retten, nützte die „Berichte“ zum Einsatz der Nationalgarde zum Schutz von Privateigentum. Weiße Bürgerwehren nutzten die Gunst der Stunde zur rassistischen Hetzjagd und verhinderten mit Waffengewalt, dass Schwarze sich in vom Hochwasser betroffene, weil besser gelegene, weiße Viertel retteten. Mehrere Hundert der über 1.800 Toten sollen von solchen Bürgerwehren erschossen worden sein. Auf die Katastrophe folgte die ethnische und soziale Säuberung der Stadt. Die Zerstörung bereitete den ImmobilienspekulantInnen den Weg. Die zerstörten Stadtteile wurden als günstiger Baugrund Spekulationsobjekte. Sozialbauten, Schulen, Klinken etc. in Armenvierteln wurden nicht wiedererrichtet.

Keine wie auch immer eingerichtete Gesellschaftsordnung kann Naturkatastrophen verhindern. Die massive Zunahme von Umweltkatastrophen in den letzten Jahrzehnten ist aber zu einem großen Teil durch die kapitalistische Wirtschaftsweise bedingt. Die globale Erwärmung erhöht massiv die Risiken von Überflutungen, Wirbelstürmen etc. Vor allem aber bedeutet die Tatsache, dass es kapitalistische Gesellschaften sind, die von den Katastrophen getroffen werden, dass die Armen am meisten zu leiden haben. Schlecht gebaute Häuser, mangelnde Schutzmaßnahmen, fehlende Infrastruktur und Gesundheitsversorgung haben mehr als die Katastrophen selbst zu Leid und Tod von Tausenden beigetragen. Während jene mit Geld sich und oft ihren Besitz retten können, liegt es in der Natur des Kapitalismus, dass es die Armen sind, die die Katastrophen am schlimmsten abbekommen und oft noch jahrelang darunter leiden.

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