Arbeitszeit runter, Löhne rauf, mehr Personal!

Sonja Grusch

Arbeit unter den Zwängen einer kapitalistischen Gesellschaft ist fremdbestimmt, oft sinnlos, unter gefährlichen und schwierigen Bedingungen, mies bezahlt, langweilig, monoton. Doch es ist unsere Arbeit, die das ganze System am Laufen hält, und es ist einer der Grundwidersprüche der profitorientierten Produktionsweise, dass Beschäftigte möglichst wenig Arbeit für so viel wie möglich Bezahlung wollen - während die Unternehmen genau das Gegenteil wollen.

Normalarbeitstag wird zur Ausnahme

Der Arbeitsdruck ist in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegen, Arbeit wurde “verdichtet”, Pausen können oft nicht gemacht werden, bei Amazon & Co. ist nicht einmal der Gang zur Toilette möglich, Überstunden sind die Regel. Im internationalen Konkurrenzkampf wird versucht, die Produktivität zu steigern und immer mehr Leistung aus den Beschäftigten herauszupressen. Leistung, die sich für die Firmen, nicht für die, die sie erbringen, lohnt. 28% aller hierzulande 2022 geleisteten Arbeitsstunden waren Überstunden, in der EU sind “wir” Platz 2 bei langen Arbeitszeiten, mindestens die Hälfte der Beschäftigten ist überlastet. Dass nun endlich wieder über Arbeitszeitverkürzung diskutiert wird, ist logisch und notwendig. Denn die letzte flächendeckende Arbeitszeitverkürzung ist fast ein halbes Jahrhundert her! Stattdessen wurden 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche 2018 erleichtert.

Achtung vor Mogelpackungen!

Anstatt zu fordern was angesichts der Überlastung nötig ist, versuchen Gewerkschaft und Arbeiterkammer den Unternehmen eine Arbeitszeitverkürzung mit Studien und Beispielen schmackhaft zu machen, die zeigen, dass die Beschäftigten dann gesünder, zufriedener und genauso leistungsfähig sind. Eine win-win-Lösung für alle. Da läuten bei mir alle Alarmglocken, denn im Zentrum stehen Profite, so funktioniert Kapitalismus! Diese Arbeitszeitverkürzungsmodelle sind für den “Kreativbereich” getestet und für leitende Funktionen. Es gibt sie in Form von Arbeitszeit-Blockung (4 Tage zu je 10 Stunden) oder auch Arbeitszeitverkürzung, teilweise sogar mit vollem Gehalt. Sie gehen häufig mit Home-Office einher. So braucht man weniger Pausen, weniger Fahrzeiten, weniger Office-Space, Kosten für Heizen und Internet werden auf die Beschäftigten abgeschoben und Beschäftigte können die (kranken) Kinder und Angehörigen “nebenbei” betreuen. Beim Kochen denkt man übers Projekt nach, beim Putzen diskutiert man eine Lösung mit dem Kollegen. Arbeit und Freizeit verschwimmen, die Firma profitiert, die Gesundheit leidet zumindest mittelfristig. Nicht zufällig macht die Individualisierung auch Widerstand schwerer, weil man viel weniger sieht, dass die eigenen Probleme dieselben sind wie die von anderen. Für die meisten funktioniert das ohnehin nicht: Lehrer*innen, Verkäufer*innen oder Pflegekräfte können nicht dasselbe in kürzerer Zeit leisten. 

Es gibt im Kapitalismus keine win-win-Situationen, sondern es ist ein ständiges Tauziehen. Es geht nicht darum, Firmen davon zu überzeugen, dass eigentlich sie die großen Gewinner einer Arbeitszeitverkürzung wären. Sondern es geht darum, eine echte Verkürzung der Arbeitszeit UND mehr Bezahlung UND mehr Personal zu erkämpfen. Und das geht nicht mit Studien oder “guten Argumenten”, sondern mit Organisierung, Protesten und Arbeitskämpfen. Weil uns nämlich noch nie was geschenkt worden ist.

 

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