Österreich nach 1945: Kein schöner Land...

Kapitalistischer Wiederaufbau und „Burgfrieden“ statt konsequentem Antifaschismus und Systemwechsel
Stefan Brandl

Die „Auferstehung“ Österreichs nach 1945 wurde von Anfang an verklärt – die Darstellungen reichen von der angeblichen Opferrolle Österreichs im Nationalsozialismus bis zur Legende vom gemeinsamen Aufbau. Insbesondere jetzt, wo etablierte Parteien den „nationalen Schulterschluss“ fordern, um ihr System in der Krise aufrechtzuerhalten, ist der Nationalmythos von 1945ff wieder aktuell. Die Realität sah jedoch anders aus.

Österreich wurde 1945 von außen und nicht aus eigener Kraft befreit. In der Moskauer Deklaration von 1943 wurde bereits von Österreich als „erstem Opfer“ des Nationalsozialismus gesprochen. Das war der denkbar beste Rahmen für die geschlagene Bourgeoisie in Österreich. 1946 hat das Außenministerium das „Rot-Weiß-Rot-Buch“ herausgegeben, um die Opferthese weiter zu untermauern.

Nach Ende des Krieges fürchtete das Kapital in den USA um die jetzt zerbombten Absatzmärkte in Europa und auch die politische Gefahr in Form der Sowjetunion – denn diese stellte eine, wenn auch extrem entstellte, Systemalternative dar. 1948-1952 zahlten die USA im Rahmen des Marshallplans Milliarden-Unterstützungen an Österreich, um ihren politischen Einfluss zu stärken und den der Sowjetunion einzudämmen. Die konsequente Entnazifizierung wurde dem kapitalistischen Wiederaufbau untergeordnet. Denn dieser funktionierte eben nur mit der Wiedereinbindung (ehemaliger) Nazis – die USA holten sich dabei auch selbst viele Nazi-Wissenschaftler*innen. Nicht nur im „Verband der Unabhängigen“ (VdU – Vorgängerpartei der FPÖ) fanden sich ehemalige Nazis wieder. Auch alle anderen Parteien buhlten um sie. Viele machten auch „unabhängig“ als Dozent*innen an Unis, Journalist*innen oder Unternehmer*innen Karriere.

Die KPÖ leistete gegen all das nicht nur keinen nennenswerten Widerstand mehr – die Einheit der österreichischen Nation war ihr politischer Dreh- und Angelpunkt. Schon im Kampf gegen den Faschismus berief sich die KPÖ vor allem auf die österreichische Nation. Damit ignorierte sie die Klassennatur des Faschismus. Die KPÖ stellte die österreichische Nation über den Sturz des Kapitalismus. Die von der KPÖ zuvor pseudowissenschaftlich argumentierte „österreichische Identität“ entwickelte sich aber erst nach 1945 mit dem Wirtschaftsaufschwung und mit der politischen Stabilität (ohne KPÖ in der Regierung) – nämlich als ideologische Waffe, als durch die politische Konkurrenz der Sowjetunion für das österreichische Kapital der Antikommunismus zum zentralen Bestandteil der neuen propagierten österreichischen Identität wurde.

Frauen leisteten einen großen Teil der Arbeit nach 1945, sowohl in den Fabriken wie auch in den Haushalten. Mit der Rückkehr der Männer wurden die Frauen jedoch zunehmend aus dem Erwerbsleben gedrängt und an Heim und Herd gekettet. Der Mythos der „Trümmerfrauen“ entstand erst später und kehrte diesen Rückschritt unter den Tisch.

Das Wirtschaftswachstum fand auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse statt – der ÖGB wurde nicht als kämpferische Gewerkschaft gegründet, sondern als staatstragender Verhandlungspartner der noch schwachen Kapitalist*innenklasse. Der ÖGB entstand 1945 überparteilich (SPÖ, ÖVP, KPÖ) und erst nach drei Jahren, wo die politische Ausrichtung und die Strukturen schon feststanden, wurde 1948 der erste Kongress abgehalten; die „normalen“ Mitglieder konnten keinen Einfluss auf die Gestaltung nehmen. Im selben Jahr streikten die Schuharbeiter*innen und gründeten unabhängige Streikkomitees. Ihre Forderungen nach Verbesserungen hinterging die ÖGB-Führung in einem Hinterzimmer-Kompromiss mit den Bossen, und ihre Forderung nach gewerkschaftlicher Demokratie wurde gleich ganz ignoriert. So festigte die ÖGB-Bürokratie ihre Machtbasis und den institutionellen Klassenkompromiss der Sozialpartnerschaft auf dem Rücken der Arbeiter*innen.

1950 wollte eine Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP, unterstützt von Unternehmen, Medien und  Gewerkschaftsführung durch das 4. Lohn-Preis-Abkommen massive Preissteigerungen (u.a. Mehl +64%, Zucker +34%, Brot +26%) durchsetzen. Sowohl die undemokratische Form – geheime Verhandlungen der Sozialpartner – als auch der unsoziale Inhalt dieser Maßnahmen führten zu Widerstand und der größten Streikwelle in der Geschichte der 2. Republik. Um die Streikwelle zu unterdrücken, wurde der Mythos eines Putsches der KPÖ erfunden – die KPÖ wurde somit zum Opfer der von ihr propagierten „österreichischen Identität“. Die letztlich verlorenen Oktoberstreiks waren der Höhe- und Endpunkt des Widerstands gegen die Vorboten des Kalten Krieges: Kapitalistische Restauration, Westintegration Österreichs, Rechtsruck der SPÖ und Reintegration der Faschist*innen.

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