Warum wir ALLE den Streik im Sozialbereich unterstützen sollten…


Jan Millonig, Diplompfleger

Von Dienstag bis Donnerstag werden Warnstreiks im privaten Sozial- und Pflegebereich abgehalten. Die Kollektivvertragsverhandlungen für die „Sozialwirtschaft Österreich“ (SWÖ) haben bis jetzt kein annehmbares Ergebnis erzielt. Dieser KV umfasst ca. 120.000 Beschäftigte in privaten Sozialvereinen, Organisationen der Hauskrankenpflege und mobilen Betreuung (Volkshilfe), privaten Altenheimen (SeneCura), Behinderteneinrichtungen (Lebenshilfe), ausgelagerten Bereichen (Wiener Horte), Obdachlosen- und Flüchtlingshilfe (Arbeitersamariterbund), psychosoziale Dienste (ProMente), arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (FAB/BBRZ, Jugend am Werk), Sozialarbeiter*innen in Beratungsstellen, Jugendzentren, Streetwork, Suchthilfe, Bildungsarbeit und viele mehr. Die meisten davon sind von staatlichen (Bundes- und Landes-) Förderungen abhängig.

Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz sind bei dieser Lohnrunde heuer leider nicht dabei, sondern haben extra Kollektivvertragsverhandlungen und diese teilweise auch schon mit (niedrigen) Abschlüssen beendet. Ein Fehler, wie wir finden, weil die Aufsplitterung des Bereichs damit weitergetrieben wird, anstatt gemeinsam mehr zu erreichen.

Wenn man die Arbeitsbedingungen und Belastungen im Sozialbereich betrachtet, sind die Forderungen der Gewerkschaft in der aktuellen Auseinandersetzung absolut berechtigt: 6 % Lohnerhöhung, 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich, 6. Urlaubswoche für alle. Gerade im Hinblick auf die überdurchschnittlich hohe Burnout-Rate im Sozialbereich und der Tatsache, dass dort die Einkommen ca. 20 % unter dem Durchschnitt aller anderen Branchen liegen, sind spürbare Verbesserungen dringend notwendig. Die Bereitschaft der Kolleg*innen dafür zu kämpfen und auch zu streiken, wie sich bei den größeren Demos der letzten Jahre und beim Streik Anfang letztes Jahr gezeigt hat, beweist sehr deutlich, dass die Situation für die Betroffenen nicht mehr ertragbar ist. Den Beschäftigten ist auch klar, dass es unter der aktuellen Regierungspolitik nicht besser wird und sie ihre Rechte nur verteidigen können, wenn sie sich selbst dagegen wehren. So entstehen vielerorts betriebliche und politische Vernetzungen, um gegen Kürzungen und verfehlte Sozialpolitik einzutreten.

Warum sollte JEDE*R, egal in welcher Branche sie*er arbeitet oder für welche politischen Themen sie*er sich engagiert, den Streik im Sozialbereich mit aller Kraft unterstützen?

  1. Ein Kampf der breiten Mehrheit

    Wenn man sich die Zahl der Beschäftigten und die oben aufgezählten Bereiche ansieht, merkt man, dass jede*r jemanden kennt, die*der betroffen ist, entweder als Arbeitnehmer*in oder Klient*in. Und wahrscheinlich sind auch viele Leser*innen dieses Artikels selbst direkt betroffen. Das heißt, es geht schon alleine darum sich für sein persönliches Umfeld einzusetzen. Solidarität ist dadurch auch unsere stärkste Waffe: Klient*innen und Angehörige, die sich solidarisch erklären, Briefe von Unterstützer*innen, Solidaritätsfotos vom eigenen Arbeitsplatz und die Teilnahme an Demonstrationen und Aktionen sind da einfache Möglichkeiten. Der Sozialbereich ist landesweit einer der größten Branchen und hat die Unterstützung von großen Teilen der Bevölkerung. Diese sollten wir aktiv nutzen.

  2. Ein Kampf gegen den „Pflegenotstand“
    
Jede*r, auch ohne von sozialen Problemen betroffen zu sein, braucht in seinem Leben einmal Kinderbetreuung oder Pflege. Das große Thema Pflege lässt sich vor allem durch Verbesserungen im Bereich selber lösen. Nicht irgendwelche Konzepte der Regierung oder private Vorsorge wird die Versorgung garantieren, sondern bessere Arbeitsbedingungen derer, die den gesellschaftlichen Auftrag umsetzten. Nur wenn der Job auch attraktiv ist, wird der Fachkräftemangel in dem Bereich zurückgehen. So sollte es im eigenen Interesse einer*eines jeden sein, sich hinter die Kolleg*innen zu stellen.
  1. Ein Kampf gegen Frauenarmut
    
Im Sozial- und Pflegebereich arbeiten ca. 80 % Frauen, fast 50 % Teilzeit und von denen viele ein niedriges Einkommen haben. Auch auf der Seite der Klient*innen oder derer, die Leistungen und Dienste in Anspruch nehmen, sind überproportional viele Frauen. Nicht zuletzt geht es hier auch um Arbeit, die, wenn sie nicht von Einrichtungen übernommen wird, Frauen übernehmen (müssen): Kinderbetreuung, Pflege von Alten und Menschen mit Beeinträchtigung. Das bedeutet Frauen sind hier doppelt und dreifach belastet. Jede Verschlechterung trifft sie auf mehreren Ebenen. Auch die Mitarbeiterinnen vieler Frauenhäuser sind Teil des SWÖ-KV und beteiligen sich am Streik. Abgesehen davon, dass es um die Besserstellung von Care Arbeit (Sorgearbeit) grundsätzlich in der Gesellschaft und Arbeitswelt geht, würden höhere Einkommen in dem Bereich, eine Arbeitszeitverkürzung und ein Ausbau der Sozialsystem Frauen effektiv entlasten und zur (sozialen) Gleichberechtigung beitragen. Hier geht es darum die Lohnschere zu schließen und nicht durch Reallohnverluste weiter aufzumachen. Deshalb ist die höhere Lohnforderung so wichtig. Provokante These: Wer für Gleichberechtigung kämpfen will, muss im Sozialbereich anfangen!
  1. Ein Kampf gegen Rassismus

    Die rassistische Agenda der Politik drückt sich nicht nur in Racial Profiling und medialer Hetze aus, sondern ganz praktisch auch im Abbau der Ressourcen für Flüchtlingshilfe. In Oberösterreich zum Beispiel wird der Flüchtlingsbereich de facto aufgelöst, auch in Wien wird massiv reduziert, dabei geht es um Hunderte Arbeitsplätze. Wenn wir von (fehlenden) Deutschkursen und Integration reden, sind es hauptsächlich die Beschäftigen des hier behandelten Kollektivvertrags, die das umsetzen. Der Kampf für bessere Bedingungen für die Kolleg*innen in den Flüchtlingsheimen und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ist also auch ein Kampf für bessere Unterstützung von Flüchtlingen. Nicht zu Letzt arbeiten auch viele Migrant*innen vor allem in der Pflege und Sozialpädagogik in einem Niedriglohnbereich. Für viele migrantische Frauen ist das eine der wenigen Möglichkeiten einer qualifizierten Arbeit nachzugehen. Eine Verbesserung der Entlohnung brächte ihnen besonders viel.
  2. Ein Kampf gegen Schwarz-Blau
    Die allermeisten Maßnahmen der schwarz-blauen (Landes- und) Bundesregierung trifft den Sozialbereich direkt oder indirekt im Besonderen. Die Kürzung der Mindestsicherung, die Verschlechterungen bei der Pflege und die verschiedenen Sparpakte auf Kosten des Sozialbudgets, bedeuten Personalabbau, Arbeitsverdichtung, Niedriglöhne, weniger Betreuungsplätze und eine unzureichende Finanzierung der Vereine und Trägerorganisationen. Außerdem spürt der Sozialbereich alle Belastungen für sozial schwache Menschen unmittelbar, ob Mindestsicherungs- oder Pflegegeldbezieher*innen, AMS-Kund*innen, Flüchtlinge oder Wohnungslose. Das macht die Soziale Arbeit schwerer und beschränkt ihre Handlungsmöglichkeiten. Ein Streik im Sozialbereich ist nicht nur ein wirkungsvolles, sondern auch direktes Mittel, um die unsoziale Politik am Rücken der Beschäftigten und Klient*innen zurückzuschlagen. Generell sind Streiks aktuell die konkreteste Form des Widerstandes. Es hat schon lange nicht mehr so viele Arbeitskämpfe wie unter Schwarz-Blau gegeben, angefangen bei der AUVA und den Sozialversicherungen über die Streiks der Metaller*innen und Eisenbahner*innen bis hin zu den Streiks im Sozialbereich letztes Jahr und jetzt. Das tut ihnen weh und zwingt sie in den einzelnen Bereichen die Maßnahmen zurückzunehmen (erfolgreiches Beispiel AUVA). Wer gegen Schwarz-Blau protestiert, ihre Politik im Sinne der Reichen und Konzerne ablehnt, hat mit dem Streik jetzt ein effektives Mittel in der Hand und sollte es nutzen. Die Donnerstagsdemos müssen zu „Streikdemos“ werden und jetzt den Sozialbereich unterstützen!
  1. Ein Kampf um die Bäckerei, nicht nur Brösel
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    Uns wird immer gesagt, wir müssen Sparen, weil kein Geld da ist. Das stimmt nicht! Eine neue Studie der Uni Linz zeigt: 36 Milliardär*innen und 148.000 Millionär*innen besitzen insgesamt 1.317 Milliarden Euro Privatvermögen in Österreich. Der Reichtum ist da. Die Frage ist nur, wird er für Konzerne und den Aufbau des Überwachungsstaates verwendet oder für die Ausfinanzierung des Sozialbereichs, den Ausbau von Pflegeeinrichtungen, das Gesundheitssystem und für Sozialleistungen. Wir dürfen uns in unseren Forderungen nicht der Logik eines Systems, dass Reiche bevorzugt und Armut überhaupt erst erzeugt, fügen. Die wahren Sachzwänge unter denen wir leiden sind, dass es uns in der Arbeit schlecht geht, wir zu wenig verdienen um selbstbestimmt zu leben, wir unsere Klient*innen nicht mehr ordentlich betreuen können und das System hinten und vorne nicht funktioniert. Nicht Naturgesetze bestimmen wie viel Mittel uns zur Verfügung stehen, sondern wie viel wir erkämpfen. Nur durch Druck, der sie zwingt nachzugeben, können wir mehr erreichen. Wir sind die Mehrheit. Umso wirkungsvoller unser Kampf ist, umso stärker können wir die Kräfteverhältnisse ändern.

  1. Ein Kampf um die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften

    Last but not least geht es auch um eine gewerkschaftliche Perspektive. Schwarz-Blau greift die Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innevertretungen frontal an. Viele waren enttäuscht, dass der 12-Stunden-Tag nicht abgewehrt wurde. Der versprochene „heiße Herbst“ fand in dem Ausmaß, wie es nötig gewesen wäre, nicht statt. Wir blicken der Gefahr entgegen, dass der ÖGB angesichts der Niederlagen und der neuen Situation kapituliert. Spätestens jetzt und am allermeisten im Sozialbereich muss das Prinzip, mit willkürlichen Zahlen in Verhandlungen zu treten und dann einen schlechten Kompromiss zu schließen, einer konsequenten Verteidigung unserer Rechte weichen. Wir müssen als Gewerkschaftsbewegung klarstellen, dass wir Forderungen, die den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen, auch durchzusetzen können. Das wäre eine „Machtdemonstration“, die „denen da oben“ zeigen würde, dass sie nicht einfach tun können, was sie wollen. Die aktuelle Auseinandersetzung im privaten Sozialbereich stellt eine erneute Chance dar, um das klar zu machen. Wenn ein GPA-Geschäftsführer gegenüber den Medien meint, er wolle über 3 %, sabotiert das die Forderung nach einer 6 % Lohnerhöhung. Beim wichtigen Thema Arbeitszeitverkürzung haben wir uns jetzt drei Jahre lang vertrösten lassen. Es wird Zeit, dass wir kriegen, was wir brauchen, und bis dahin hören wir nicht auf zu kämpfen. Dafür braucht es freilich einen Aktionsplan, der von Anfang an für alle klar ist und eine Eskalationsstrategie beinhaltet. Wir erlebten beim Streik im Sozialbereich letztes Jahr schon eine Enttäuschung, weil der Kampf auf Kosten eines schlechten Abschlusses abgebrochen wurde. Dieser Fehler, wieder nicht das zu erreichen, was wir uns als Ziel vorgenommen haben, darf nicht wiederholt werden. Das heißt, diesen Arbeitskampf zu unterstützen, muss auch heißen, sich für eine konsequente Kampfstrategie einzusetzen: die Einbeziehung der ganzen Basis, Betriebsversammlungen mit demokratischen Diskussionen, gut organisierte Streiks, öffentliche Aktionen und Organisierung von Solidarität, Urabstimmung über Verhandlungsergebnisse und eine Kommunikationskultur, die alle über die Geschehnisse informiert. Um das zu gewährleisten wird es auch Eigeninitiative aus den Betrieben und von solidarischen Menschen selbst brauchen, in der Abhaltung von Betriebsversammlung, in der Organisation von öffentlichen Kundgebungen, Sichtbarmachung von Solidarität und Druck auf die Gewerkschaftsführung keine schlechten Kompromisse einzugehen. Denn ein Erfolg im SWÖ-KV hätte nicht nur Symbolwirkung auf andere Branchen, sondern würde auch der Gewerkschaftsbewegung insgesamt neue Bedeutung verleihen.
  1. Ein Kampf mit Initiativen und Organisation an der Basis
    Dass es diesen Streik gibt und vor allem auch, dass es öffentlich Kundgebungen gibt, an denen sich Kolleg*innen vernetzen und solidarische Menschen beteiligen können, hängt mit der Organisierung an der Basis der Gewerkschaften in der Branche zusammen. „Sozial Aber Nicht Blöd“, „Resilienz“, und „KNAST“ sind nur einige Initiativen in denen sich kämpferische Kolleg*innen zusammengetan haben. In der Häufung ist das ein Alleinstellungsmerkmal in Österreich und ein wichtiges Vorbild für andere Branchen. Es braucht die demokratische Einbindung, um Kämpfe eben nicht wie viel zu oft Top-Down geführt von der Gewerkschaftsbürokratie zu führen, sondern unter Beteiligung aller Kolleg*innen. Demokratische Strukturen für die Basis fehlen fast völlig innerhalb der Gewerkschaften. Wer diesen Streik unterstützt, unterstützt also auch so eine Art der Organisierung, einen Schlüssel zur Umformung der Gewerkschaften in echte Kampforganisationen für unsere Rechte statt Schein-Riesen, die stets den ersten, schlechten Kompromiss akzeptieren.

Melde dich bei der Sozialistischen LinksPartei oder der Basisinitiative „Wir sind sozial, aber nicht blöd!“, wenn du in deinem Betrieb aktiv werden willst oder mit uns Solidarität organisieren willst!