Der “österreichische Weg”

“Austrokeynesianismus” von Bruno Kreisky zu Franz Voves
John Evers

Als 1973 – mit einer gehörigen Verspätung zum übrigen Westeuropa – auch Österreich von einer ökonomischen Krise, dem Erdölschock, erfasst wurde, versuchte die damals schon amtierende sozialdemokratische Regierung Kreisky die Theorien Keynes' in gesellschaftlich-politische Realität umzusetzen. In diesem Sinne tätigte Bruno Kreisky seinen vielzitierten Ausspruch: “Ein paar Milliarden mehr Schulden sind weniger schlimm als ein paar hunderttausend Arbeitslose.” Um diese programmatische Vorgabe zu erreichen, wurden steuerpolitische und stabilitätspolitische Maßnahmen gesetzt. Mit Erfolg: Die Arbeitslosenzahlen in der Ära Kreisky waren die niedrigsten in der Geschichte der Zweiten Republik. Der von Bruno Kreisky praktizierte Austrokeynesianismus erreichte jedoch schnell seinen Grenznutzen: Das strukturelle Budgetdefizit wuchs rapide an, wodurch sich die Spielräume antizyklischer Budgetpolitik immer mehr einengten.” (Lexikon der SPÖ Steiermark, http://www.stmk.spoe.at)

Der Artikel der SPÖ Steiermark fasst präzise die Problemlage des “österreichischen Weges” zusammen: Die Versuche “antizyklisch” – also mit Konjunkturprogrammen gegenzusteuern - scheiterten letztlich an der ökonomischen Realität des Kapitalismus. Nachdem sich zwischen 1970 und 1980 die Verschuldung (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) mehr als verdoppelt hatte, vollzogen die Arbeitslosenzahlen 1980 bis 1982 eine ähnliche Entwicklung: Binnen zwei Jahren waren statt 53.000 mehr als 105.000 Personen arbeitslos. Bereits ab 1978 war es auf einem weiteren Feld zu einem Wendepunkt gekommen: Ab diesem Zeitpunkt begann die Lohnquote – also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen – langfristig zu sinken. Am Ende des österreichischen Weges standen demnach: Gestiegene Schulden, höhere Arbeitslosenzahlen und eine beginnende Umverteilung von “Unten” nach “Oben”.

Neoliberale Wende

Die Wende hin zu Privatisierung, Sparpaketen und einer Steuerpolitik, welche Vermögen entlastete, bedeutete auch ideologisch eine Abkehr von den Konzepten der Kreisky-Ära. Die Idee durch “bessere Investitionsbedingungen” und Marktöffnungen (“Europäisierung”, “Globalisierung”) für Unternehmen die ökonomische Lage zu stabilisieren, scheiterte allerdings ebenso vollständig wie vorher der “Austrokeynesianismus”; und das nicht erst seit der Krise 2007/08. Bis 1990 stieg die Verschuldung von 26,3% (1980) auf 47,8% des BIP, in den 1990ern schließlich sogar auf über 60% (derzeit werden 78,5 % prognostiziert). Eine ähnliche Entwicklung galt für die Zahl der Arbeitslosen: Seit 1993 ging diese im Jahresschnitt kaum mehr unter 200.000 Personen zurück.  Die dynamisch sinkende Lohnquote erreichte schließlich auch die Reallöhne: Sowohl Mitte der 1990er Jahre als auch 2000/2001 hatten die ArbeitnehmerInnen gemessen an der Kaufkraft tatsächlich weniger in der Geldtasche als in den Jahren zuvor.

Neue Europäische Wirtschaftspolitik (NEW): Mit Voves zurück zu Kreisky?

“Vieles was er im Papier “Neue Europäische Wirtschaftspolitik” als NEW verkauft, schoss Voves im letzten Jahr bei KP-Anträgen im Landtag ab, etwa die Rücknahme der Teilprivatisierung der Post, oder die Forderung nach Verbleib von Abfallwirtschaft und Straßenbau in der öffentlichen Hand. Auch zu amtlichen Preisregelungen und zur Sicherstellung, dass landeseigene Gesellschaften nicht am Landtag vorbei verkauft werden könnten, antwortete die Steirer-SP der KP mit “Njet” . Auf den bereits beschlossenen baldigen Rückkauf der veräußerten Estag-Anteile weist derzeit ebenfalls nichts hin. (Der Standard, 15.4.2009)”
Inhaltlich ist im Programm “NEW” der steiermärkischen SPÖ wenig NEW; sondern das Meiste als Abschwächung bisheriger neoliberaler Dogmen formuliert, welche auch die SPÖ vertrat. So heißt es auf S. 5 z.B.: “Zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise muss auf europäischer Ebene (…) der Pakt für Stabilität und Wachstum temporär ausgesetzt werden.” Allerdings wecken vor allem die Ansagen zur Vermögenssteuer und Re-Verstaatlichung Hoffnungen auf einen echten Kurswechsel der SPÖ: “Für jene Dienstleistungen, die bereits vollständig oder teilweise liberalisiert wurden (Telekommunikation, Strom, Gas, Eisenbahnen) … halten wir eine Rückführung in öffentliches Eigentum für gerechtfertigt.” (NEW, S.11). Dass Ansagen wie diese heute Allgemeingut der politischen Debatte sind, zeigt allerdings vor allem eines: Den Bankrott der neoliberalen Ideologie, die von der Sozialdemokratie a la Blair, Schröder, Klima und Gusenbauer auch inhaltlich vollständig übernommen worden war. Doch heute (Re-) Verstaatlichung zu erwägen, ist alleine noch lange nicht links: “Rein von der Gesetzeslage ist es theoretisch möglich, jede Bank zu verstaatlichen, wenn damit eine Gefahr für die Volkswirtschaft abgewendet werden kann.” (Josef Pröll, 5.4.2009, http://www.oe24.at). Über den Charakter und die Begrenztheit solcher Maßnahmen lässt demgegenüber etwa Ex-Kanzler Vranitzky, wie viele andere prominente SPÖ-Vertreter, keine Zweifel aufkommen: “Und wenn solche Unternehmen wie etwa Banken in Zeiten der Wirtschaftskrise unter staatliche Kontrolle gestellt werden, dann kann das auch keine Dauerlösung, sondern nur vorübergehend sein.” Gleichzeitig stellt sich die Frage: Was setzt die SPÖ von den positiven Elementen der laufenden Debatte um. Hier sprechen die Erfahrungswerte eine deutliche Sprache: Neben den in Punkto Vermögensteuern gebrochenen Wahlversprechen der Bundes-SPÖ, ist es vor allem die oben zitierte Praxis der SPÖ-Steiermark selbst, die zeigt, dass keine substantielle Abwendung von der Politik der letzten Jahre erfolgen wird. In der Krise bedeutet das praktisch, dass die ArbeitnehmerInnen über höhere Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und Sparpakete für Sanierungsmaßnahmen bezahlen sollen.

Welchen Weg aus der Krise

Tatsächlich zeigt sich der substanzielle Charakter der aktuellen “Finanzkrise” am deutlichsten an der langfristig steigenden Arbeitslosigkeit und Verschuldung. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre fand hier weltweit eine Trendwende statt. Diese Wende wurde durch den “Ölschock” lediglich markiert und in unserer Erinnerung/Geschichtsschreibung als Werk der “Araber die den Ölhahn zudrehen” mystifiziert. Doch die Ursache für den dauerhaften Anstieg von Arbeitslosigkeit und Verschuldung war eine andere: Der längste Aufschwung in der Geschichte des Kapitalismus ging damals zu Ende, ein neues “depressives” Zeitalter brach an. Wirtschaftswachstum beruht(e) seitdem vor allem auf der Aufblähung des Finanzsektors und dem Anstieg öffentlicher sowie privater Verschuldung. Tatsächlich handelt es sich also um eine Krise der kapitalistischen “Realwirtschaft”, die jetzt die “Finanzwirtschaft” auf den Boden der Realität geholt hat. Wenn heute “Keynesianer” sagen “der Markt regelt es nicht alleine” und “Neoliberale” zurück schreien “Schulden machen in der Krise funktioniert nicht, weil die Probleme dadurch nicht abgebaut werden” haben beide irgendwie recht. Der Markt versagt, doch die Spielräume im System die Krise ohne verheerende Folgen – Not und/oder gar Krieg – strukturell zu überwinden sind heute enger als je zuvor. Das Problem ist, dass kein theoretisches Modell im praktischen Kapitalismus des Jahres 2009 funktioniert, weil dessen grundlegende Widersprüche viel zu gravierend sind. Stark verkürzt lautet das “Problem”: Es kann – gemessen an der Möglichkeit der Unternehmer Profit zu realisieren – zuviel produziert werden. Krisen sind im Kapitalismus nämlich Überproduktions- bzw. Überkapazitätskrisen. Stark verkürzt lautet daher die Lösung: Es gilt die Profitlogik auszuschalten damit entsprechend dem tatsächlichen Bedarf der Menschheit – der angesichts von bestehender Armut selbst in den reichen Gesellschaften ja gegeben ist – produziert werden kann.

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