Vater Staat als Retter in der Not?

Das Comeback des starken Staates ist keineswegs Anlass zur Hoffnung auf einen sozialeren Kapitalismus.
Sebastian Kugler

„Die Neoliberalen haben ja jetzt wie nach der Finanzkrise wieder Sendepause.“ verkündete der Grüne Vizekanzler Kogler stolz im Jänner gegenüber dem ORF. Die Devise des Staates in der Krise sei: „Retten, dann überbrücken und vor allem rausinvestieren“. Zweifelsohne sehen wir aktuell eine Stärkung der Rolle des Staates in allen Gesellschaftsbereichen. Doch der neue starke Staat ist nicht der Retter vor dem Neoliberalismus. Im Gegenteil: Der Staat greift ein, um genau die wirtschaftliche Landschaft zu retten, die der Neoliberalismus geformt hat.

Die Äußerungen von ÖVP-Finanzminister Blümel sind also keineswegs verwunderlich: „Wenn jetzt einer sagt, endlich hat die ÖVP den Keynes entdeckt“, so Blümel bei seiner Budgetrede für 2021, dann antworte er: „Natürlich hat Keynes recht, aber nur kurzfristig. Langfristig hat natürlich Hayek recht“. Sozialdemokratische Blogs wie „Kontrast“ oder „Moment“ schäumten darüber, dass Blümel ihren Liebling Keynes nun mit dem Paten des Neoliberalismus Hayek versöhnen wollte. Doch tatsächlich trifft Blümel den Charakter der herrschenden Wirtschaftspolitik in Corona-Zeiten viel besser als Kogler.

Diese Politik ist nicht neu: Das „Revival des starken Staates“ analysierte „Vorwärts“ bereits vor einem Jahr (siehe „Vorwärts“-Schwerpunkt Nr.283). Es ist ein zentrales Merkmal der Austeritätspolitik, die seit der Krise 2008 herrscht, dass der Kapitalismus einen auf allen Ebenen gestärkten Staat benötigt, um die privaten Profite abzusichern. Doch die durch Corona ausgelöste Krise hat diesen Prozess enorm verstärkt.

Erstens in der Wirtschaftspolitik, um die niedrigen Profite durch Subventionen aufzufetten bzw. zu retten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Investitionsprämie, mit welcher der Staat bis zu 14% der Investitionskosten von Unternehmen trägt – die Profite dieser Investitionen gehen natürlich in private Taschen. Kein Wunder, dass die Industriellenvereinigung fordert, dass diese Maßnahme nicht wie geplant im März auslaufen, sondern permanent gemacht werden soll. Mindestens 61 Milliarden nimmt der österreichische Staat in der Corona-Krise unmittelbar in die Hand - und wöchentlich werden es mehr. Mit diesem Geld finanziert der Staat z.B. die Kurzarbeit. Diese Maßnahme soll nicht nur Jobs retten - vor allem soll sie Profite sichern. Denn der Staat übernimmt die Kosten der ausgefallenen Stunden. Ursprünglich als kurzfristige Maßnahme gedacht, wird die Kurzarbeit (in verschiedenen Formen) zu einer längerfristigen Maßnahme. Ebenso verhält es sich mit dem Umsatzersatz, bei dem der Staat den Unternehmen, die von Lockdowns betroffen sind, einen Teil des ausgefallenen Umsatzes zahlt. Bereits jetzt häufen sich die Stimmen von Seiten des großen Kapitals, sie zu beenden. Die großen Fische sehen es nicht gern, wenn die kleinen gefüttert und künstlich am Leben gehalten werden: Es sei Zeit für das große Fressen. Denn ein Ende dieser Maßnahmen würde bedeuten, dass unprofitable Unternehmen untergehen oder aufgekauft werden. Früher oder später wird dies passieren. Denn die aktuellen Maßnahmen sind extrem teuer und lassen die Staatsverschuldung explodieren. Dieser Riss zwischen Groß- und Kleinbürgertum wird politische Konsequenzen haben: ÖVP und Grüne werden ihre Basis im Kleinbürgertum enttäuschen. FPÖ, Strache und andere Rechtsextreme stehen bereits mit weit offenen Armen da. Ihre starke Präsenz auf den Demos der Corona-Leugner*innen und Skeptiker*innen ist Ausdruck der gefährlichen Dynamik, die sich im existenzgefährdeten Kleinbürgertum breitmacht.

Damit ist auch die zweite Ebene angesprochen, auf welcher der Staat Muskeln zeigt: Die Innenpolitik. Politische Stabilität ist das höchste Gut für das Kapital im Allgemeinen. Nur in einem “regierbaren” Land sind die Profite sicher. Die Einschränkungen des Versammlungsrechts, die der Staat gerade vor allem an den “wild gewordenen Kleinbürgern” (Lenin) auf den Anti-Corona-Demos einübt, werden in verstärktem Maße gegen echten Widerstand seitens Beschäftigter gegen Kürzungen und Betriebsschließungen eingesetzt werden. Bereits vorauseilend werden vor allem jene die “schlagende Hand” des Staates spüren, denen es schwer fällt, sich zu wehren. Die konsequente Weigerung der Regierung, das Arbeitslosengeld zu erhöhen - genauso wie das krampfhafte Fortsetzen von AMS-Kursen in Präsenz - ist ein Hinweis auf die verstärkte Repression, der Arbeitslose ausgesetzt sein werden. Zwangsarbeitsähnliche Maßnahmen, etwa in Verbindung mit Infrastrukturprojekten, sind durchaus im Bereich des Möglichen. Der ideologische Ausdruck dieser Entwicklungen wird eine massive Stärkung des Nationalismus sein. Appelle an den “Zusammenhalt” wirkten am Anfang der Pandemiebekämpfung noch unschuldig. Bereits im Sommer zeigte jedoch die Hetze gegen die “Heimkehrer”, wohin die Reise geht. Migrant*innen eignen sich als Virus-Sündenböcke besonders gut. Mit zunehmender politischer Instabilität wird nicht nur der rassistische Aspekt des Nationalismus stärker werden - die Repression wird all jene treffen, die durch ihren Kampf für soziale Verbesserungen die Profite bedrohen und damit zeigen, dass wir nicht “alle in einem Boot” sitzen.

Drittens ist da die Außenpolitik. Der Staat hat die Aufgabe, im weltpolitischen Hauen und Stechen für die nationalen Unternehmen die besten Marktbedingungen rauszuholen. Gerade hier ist die “alle in einem Boot”-Propaganda besonders wichtig, denn auf dem Ozean des Weltmarktes geht es in der Krise besonders stürmisch zu. Die Devise ist: die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen. Bereits seit der Krise 2008 geht der Welthandel im Vergleich zur Weltwirtschaftsleistung zurück. Die Globalisierung ist zwar nicht rückgängig zu machen, aber an die Stelle der Ideologie vom weltweiten Freihandel, von dem alle profitieren würden, treten nun die Konflikte um die Verteilung von Marktanteilen, z.B. in Form von Handelskriegen und Blockbildung. Österreich ist Teil des EU-Blocks, der sich verstärkt gegen Russland, China und die USA positioniert. Dieser Block ist jedoch selbst brüchig, wie die aktuelle Machtlosigkeit der EU-Institutionen angesichts nationaler Alleingänge zeigt. Der österreichische Staat manövriert innerhalb eines Widerspruchs: Einerseits ist da die Notwendigkeit, als kleines exportabhängiges Land Teil eines größeren Machtblocks mit sicheren Absatzmärkten zu sein. Andererseits wird ständig versucht, unmittelbare Wettbewerbsvorteile für bestimmte Kapitalfraktionen auf Kosten anderer Staaten herauszuholen - man denke etwa an die Öffnungen im Tourismus oder die “Kaufhaus Österreich”-Kampagne.

Inmitten der letzten Krise vergleichbaren Ausmaßes beschrieb der russische Revolutionär Leo Trotzki Mitte der 1930er Jahre die Politik des “starken Staats” als „Etatismus“, als „Einmischung des Staates auf der Grundlage des Privateigentums mit dem Ziel, es zu retten. Welches die Regierungsprogramme auch sein mögen, der Etatismus führt unweigerlich dazu, die Verluste des faulenden Systems von den Schultern der Starken auf die der Schwachen abzuwälzen.“ - Welche Beschreibung könnte heute zutreffender sein?

 

Was ist eigentlich was?

-  Etatismus: “Die Einmischung des Staates auf der Grundlage des Privateigentums mit dem Ziel, es zu retten.” (Leo Trotzki)

  • Große Depression: Weltwirtschaftskrise 1929-41
  • Große Rezession: Weltwirtschaftskrise 2007-2013
  • Keynesianismus: Der Ökonom Keynes argumentierte in den 1930ern, dass der Staat “antizyklisch” in den Markt eingreifen sollte: Das bedeutet etwa Rettungspakete in Krisenzeiten, um die Nachfrage anzuregen. Während einzelne Aspekte des Keynesianismus unmittelbare Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiter*innen bedeuten können, ist das Konzept keineswegs links: Es geht immer darum, das System als Ganzes zu stabilisieren. Dazu sind dem Keynesianismus auch autoritäre Regierungsformen, Krieg, Zwangsarbeit usw. recht. In der Nachkriegsära war der Keynesianismus die vorherrschende Wirtschaftspolitik. Doch dieser “strukturelle Keynesianismus” brach aufgrund seiner inneren Widersprüche 1973 mit der Ölkrise und dem Bretton Woods-Systems zusammen.
  • Laissez-faire: Eine Wirtschaftspolitik, wo sich der Staat so wenig wie möglich einmischt
  • Monetarismus: Wirtschaftspolitik, bei der der Staat v.a. über Regulierung der Geldmenge eingreift. In der Praxis der Vorläufer zum Neoliberalismus.
  • Neoliberalismus: Als Reaktion auf das Scheitern des Keynesianismus wurden die Ideen liberaler Ökonom*innen - insbesondere der Österreicher Hayek und Mises - aus der Mottenkiste geholt. “Liberal” hat hier nicht die positive, fortschrittliche Bedeutung, mit der das Wort ansonsten verbunden wird. Die “Freiheit” des (Neo-)Liberalismus ist die Freiheit des Kapitals. Um die Profitabilität wiederherzustellen, wurden ab den 1970ern dem privaten Kapital Bereiche eröffnet, die bisher staatliche Monopole waren: Es kam zu weitreichenden Privatisierungen im Gesundheits-, Bildungs- und Pensionssystem sowie der Industrie. Gleichzeitig wurde die Finanzsphäre dereguliert und aufgeblasen, um trotz stagnierender Löhne durch Kredite die Nachfrage zu stimulieren. Diese Doktrin herrschte bis 2008 vor, als ihre inneren Widersprüche in Form der Weltwirtschaftskrise ausbrachen.
  • Austerität: strenge Sparpolitik des Staates
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