Mit kleinen Schritten in den Abgrund

Dass die Rechte heute so stark ist, liegt am Scheitern linker Versuche, den Kapitalismus zu reformieren.
Jan Millonig

In den 2000ern blickten viele hoffnungsvoll auf linke Regierungen in Südamerika wie die von Chavez in Venezuela oder Morales in Bolivien. Nach dem Ausbruch der Krise 2007/08 schien auch in Europa der Boden fruchtbar für linke Regierungen: Tausende feierten auf Frankreichs Straßen den Sieg Hollandes, der sich als linker Sozialdemokrat präsentierte. In Spanien schoss Podemos aus dem Boden und schien kurz davor, die alten Parteien zu überholen. Und schließlich kam 2015 in Griechenland mit Syriza eine Partei an die Macht, deren kompletter Name auf Deutsch „Koalition der radikalen Linken“ heißt.

Und heute? Allerorts lesen wir vom Aufstieg der Rechten: Von Trump über Bolsonaro, Modi und Duterte bis zu Putin, Orban, Salvini und – Kurz. Wie konnte das passieren? Damit beschäftigt sich der aktuelle Vorwärts-Schwerpunkt.

Der Grund dafür, dass rechte und neoliberale Kräfte in vielen Ländern die Macht übernehmen konnten oder die politische Lage prägen, ist noch vor den „linken“ 2000ern zu suchen. Wir können die aktuelle Situation nur vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der traditionellen Massenparteien der Arbeiter*innenklasse, wie der Sozialdemokratie, und dem Fehlen oder Scheitern neuer linker Kräfte analysieren. In den 1980ern waren es oftmals die sozialdemokratischen Parteien selbst, welche die neoliberale Wende eingeläutet haben. Die Folge: Sie verloren stark an Unterstützung durch Arbeiter*innen, was dem Aufstieg des Rechtspopulismus den Weg bereitete. Mit dem Kollaps des Stalinismus beschleunigte sich diese „Verbürgerlichung“. Gleichzeitig brachen die in manchen Ländern sehr starken kommunistischen Parteien ideologisch und organisatorisch völlig zusammen. Die Arbeiter*innenklasse hat seitdem weder ein Kampfinstrument noch eine ideologische Antwort auf den Kapitalismus und seine Spar- und Spaltungspolitik in der Hand.

Die Weltwirtschaftskrise 2007/08 verdeutlichte diese Krise der Arbeiter*innenbewegung und Linken noch einmal verstärkt. Denn organisierter Widerstand fand kaum statt, dafür gab es aber spontane Bewegungen, wie „Occupy“ in den USA oder die „Indignados“ in Spanien. Aus dem aufflammenden systemkritischen Bewusstsein zu dieser Zeit entstanden vielerorts neue linke Parteien wie Podemos in Spanien. Bereits existierende, jüngere Formationen bekamen Aufwind, wie Syriza in Griechenland. Doch aufgrund der fortschreitenden Verschärfung der Systemwidersprüche und dem damit verbundenen Kürzungsdiktat des Kapitals standen diese neuen Formationen sehr schnell im Praxistest. Ihre Strategien, dem System durch Reformen die Zähne zu ziehen, scheiterten fatal. Andere Linksparteien bestehen schon seit den 2000ern, wie P-Sol in Brasilien oder Die Linke in Deutschland. Dort konnte der Aufstieg des Rechtspopulismus aufgrund deren Existenz und deren relativ breiter Unterstützung verzögert werden. Doch P-Sol konnte Bolsonaro nicht aufhalten, und auch Die Linke wird die AfD nicht stoppen können, wenn sie so weiter macht wie bisher.

Ähnlich wie vor 30 Jahren erweist sich das Scheitern der Linken als Sprungbrett für die Rechten. Das muss auch eine Warnung für neue linke Hoffnungsträger*innen wie Jeremy Corbyn in Britannien oder Bernie Sanders und die Democratic Socialists of America (DSA) sein. Denn obwohl die einzelnen Projekte unterschiedlich sind, so gibt es doch in all diesen Formationen gemeinsame Tendenzen: Die Beschränkung auf die Wahlebene, der Mangel an demokratischen Strukturen und das Fehlen eines klaren sozialistischen Programms - ein Programm, das unvereinbar mit jedweder Verschlechterung für die Masse ist und sich den kapitalistischen Spielregeln nicht beugt, sondern den Kapitalismus als das entlarvt, was er ist: Ein System, das nur für eine kleine Elite „funktioniert“ und abgeschafft gehört.

Jan Millonig.

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