Michael Moores "Fahrenheit 9/11" bricht in den USA alle Rekorde. Zurecht?

Harald Mahrer

Es ist wenig verwunderlich, dass Michael Moores neuer Film ”Fahrenheit 9/11” in den USA Massen in die Kinos lockt, fällt doch sein Start in eine Zeit zunehmender Polarisierung der Gesellschaft. Dazu kommt, dass im November ein neuer Präsident gewählt wird.
Moore versteht es ausgezeichnet, auf der Gefühlsklaviatur der Bush-GegnerInnen zu spielen und zeichnet ein Bild einer reichen, arroganten und abgehobenen Politikerkaste, der auf der anderen Seite normale Menschen gegenüberstehen. Als Fokus seiner Anklage dient George Bush.
“Andere nennen euch Elite, ich nenne euch meine Basis”, sagt Bush bei einer Versammlung von Multi-Millionären. Bushs Verbindung zu den Saudis – inklusive Familie Bin Laden wird ebenso aufgezeigt, wie seine Flucht vor sinkenden Umfragewerten – in den Urlaub.
Es gelingt Moore sehr anschaulich die Arroganz der Mächtigen zu zeigen. Moore konfrontiert Abgeordnete mit dem Patriot Act, jenem “Antiterror”gesetz, das – so zeigt der Film – dazu führt, dass harmlose Friedensgruppen infiltriert werden oder Menschen in Fitnesscentern bei privaten Plauderein belauscht werden. Die Abgeordneten hätten das Gesetz gar nicht gelesen, bevor sie ihm zustimmten. Als Rechtfertigung bringt einer vor, dass – würden alle Vorlagen gelesen – das Regieren unmöglich wäre.

“Der Krieg ist gut fürs Geschäft”

In einer anderen Szene – bei einer Konferenz zum Wiederaufbau des Irak – erläutert ein Geschäftsmann ohne rot zu werden: “Der Krieg ist gut fürs Geschäft. Ich meine, schlecht für die Menschen, aber gut fürs Geschäft.”
Zwei Rekrutierungsoffiziere der Marines werden von Moore bei einem Einsatz in seiner Heimatstadt Flint, Ohio beobachtet. Die beiden machen kein Hehl daraus, dass sie arme – meist schwarze – Jugendliche, möglichst ohne Perspektive im Visier haben. “Wusstest du das Shaggy bei den Marines war?”, antworten sie einem jungen Mann, der als Berufswunsch Musiker angibt. Sie versprechen mit beinah höhnischem Gesichtsausdruck das Blaue vom Himmel, sollten sich die jungen Leute verpflichten.
Wenig später zeigt Moore das wahre Gesicht des Militärs. In Interviews mit SoldatInnen kommt deutlich zum Ausdruck, was Krieg bedeutet. Aufnahmen die zu Beginn des Kriegs gemacht wurden, zeigen junge Leute, die darüber Auskunft geben, welchen Soundtrack sie zu ihren Panzerangriffen ausgewählt hätten: “Burn Motherfucker, Burn” oder “The Roof is on Fire” dröhnt aus den Lautsprechern, während Granateinschläge in Saddams Palast aber auch in Wohnhäuser zu sehen sind. Später schlägt die Stimmung um. “Ich verstehe gar nicht, warum uns die Irakis nicht mögen?” “Ich gehe nicht mehr zurück, ich werde keine anderen armen Leute mehr töten.” Diese Bilder gehen nahe, es sind normale junge Männer und Frauen – meist aus ärmlichen Verhältnissen – und völlig im Unklaren darüber, weshalb sie in diese Hölle geschickt wurden.
Der Film lebt von vielen eindrucksvollen Bildern, bleibt aber sowohl künstlerisch als auch politisch unter den Möglichkeiten. Moores Linie: “Anyone but Bush!” verbietet allzu viel Kritik an den Demokraten. So wird etwa – anders als in früheren Filmen – nicht erwähnt, ob die befragten SenatorInnen, die ihre Kinder nicht in den Irak schicken wollen, DemokratInnen oder RepublikanerInnen sind.

Anyone but Bush?

In öffentlichen Auftritten wirbt Moore für Kerry. Er sagt nicht, dass Kerry den Afghanistan-Krieg, den Patriot Act und den Irakkrieg unterstützt. Er sagt auch nicht, dass Kerry angekündigt hat, mehr junge Menschen in den Irak zu schicken, um “den Krieg zu gewinnen”, obwohl er selbst in seinem Film die Sinn- und Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens aufgezeigt hat.
Er verschweigt, dass Kerry die Steuern für die Reichen weiter senken will und gleichzeitig das ohnehin schwache Sozialsystem weiter aushöhlen will. Wirklich Anyone but Bush?

Stachel im Fleisch des Establishments

2000 unterstützte Michael Moore noch die Kandidatur Ralph Naders. 2004 ordnet er sich dem liberalen Mainstream voll unter. Bush muss weg, auch wenn dafür ein Mann an die Macht kommt, der genauso schlimm – nur netter – ist. Dem liegt die von den Demokraten bewusst geschürte Mär, Nader hätte Gores Niederlage verursacht, zugrunde.
Nader kandidiert auch 2004. Entscheidend ist nicht die Anzahl der Stimmen, sondern dass Millionen eine Alternative jenseits der zwei Establishment-Parteien kennen lernen und teilweise aktiv in die Kampagne eingebunden werden. Auch wenn Nader kein Sozialist ist, ist er – mit seinen teilweise radikalen Forderungen – so etwas wie ein Stachel im Fleisch des Establishments. Er könnte ein Kristallisationspunkt für das Entstehen einer neuen Massenbewegung in den USA werden. Moores Film hätte es gut getan, diese Möglichkeit aufzuzeigen, statt sich – wider besserem Wissen – auf Herrn Kerry zu verlassen.

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