Krise des Kapitalistismus: Warum sollen wir bezahlen?

Laura Rafetseder

Seit Jahrzehnten wird uns erzählt, dass der freie Markt das beste aller Systeme sei. Vor allem in den letzten 20 Jahren zog sich der Staat zurück - es wurde privatisiert, Sozialausgaben gekürzt, dereguliert. Mit dem aktuellen Zusammenbruch der Finanzmärkte ist alles anders.
Nun rufen die Banken und Konzerne nach dem Einschreiten der Regierungen um sich und den Kapitalismus zu retten. Laura Rafetseder analysiert die Entwicklung aus marxistischer Perspektive.

Verstaatlichung von Verlusten

Durch das Ausmaß der Finanzkrise sind die KapitalistInnen nun gezwungen den Staat, den sie so lange zurückgedrängt haben, darum zu bitten ihre Haut zu retten. Fannie Mae und Freddie Mac, die beiden Giganten im kommunalen Hypothekengeschäft in den USA, sowie AIG, eine riesige Versicherungsgesellschaft, wurden von der US-Regierung de facto verstaatlicht. Auch in Europa sehen Regierungen plötzlich keine andere Alternative als einzugreifen und Banken zu retten oder sie quasi zu verstaatlichen.
Aber das ist nicht die Verstaatlichung, wie wir sie fordern: Es handelt sich um die Verstaatlichung von Verlusten. Die USA kauft um 700-Milliarden faule Kredite auf und lagert sie in einem staatlichen Fonds zwischen. Die Schulden der Banken werden der ArbeiterInnenklasse aufgebürdet, während Wall Street Banker sich mit Millionenabfertigungen verabschieden. Einfachen HausbesitzerInnen, die bis über beide Ohren in Schulden stecken, wird nicht geholfen. Das Problem löst das Hilfspaket nicht, da damit vermutlich nur einen Bruchteil dieser faulen Kredite aus dem System genommen wird.

Kapitalistische Regierungen nicht links, sondern planlos

Das Einschreiten der Regierungen ist aus Sicht der herrschenden Klasse nötig, um das System vor dem völligen Zusammenbruch zu retten. Manche IdeologInnen des Neoliberalismus protestieren zwar, aber die plötzliche Liebe zum Staat bedeutet keinesfalls einen Linksruck der PolitikerInnen, die nun diese Rettungsaktionen durchführen. Sie haben lediglich die Lehren aus 1929 gezogen, als der Staat nichts getan hatte, um den Bankenkrach zu verhindern. Interveniert wird dort, wo die Folgen so groß wären, dass ein vollständiger Kollaps des Finanzsystems droht.
Bei diesen Rettungsaktionen handelt es sich nicht um tatsächliche Vergesellschaftung unter Kontrolle der Beschäftigten, sondern es geht dabei darum, die Banken auf Kosten der ArbeiterInnenklasse zu sanieren und dann wieder zu privatisieren, sobald sie wieder stabil und profitabel sind. Gleichzeitig zeigt sich an den chaotischen Panikreaktionen der einzelnen Regierungen, dass sie kein Konzept für die Lösung der Krise haben - weil sie im Rahmen der kapitalistischen Logik agieren. Tatsächlich sind sie in einer lose-lose-Situation: In Wirklichkeit können sie sich die Rettungsaktionen und finanziellen Hilfen nicht leisten, gleichzeitig können sie sich aber auch nicht leisten, einfach nur zuzusehen.

Wir tragen die Folgen!

Das Gerede, dass die "Realwirtschaft" robust sei und sich die Krise nur auf den Finanzsektor beschränkt sei, wurde bereits Lügen gestraft. Die Trennung in "Finanzwirtschaft" und "Realwirtschaft" ist künstlich - diese beiden sind untrennbar verflochten. Die US-Wirtschaft ist schwer getroffen, die Eurozone befindet sich im Schrumpfen. Überall ist von Rezession die Rede. Die Hoffnung, dass andere Länder die Rolle der USA als Zugpferd übernehmen könnten, erwies sich ebenfalls als trügerisch. Wir stehen vor einer weltweiten ernsthaften Weltwirtschaftskrise. Die EU-Granden haben bereits den Stabilitätspakt, über Jahre hinweg neoliberales Heiligtum und Hintergrund von Nulldefizit und Sparpaketen, ausgesetzt. Für Österreich liegen die “Wachstums”-Prognosen für 2009 bei rund einem Prozent. Die Vorboten der Krise sind deutlich zu sehen.
Es gab bereits erste Betriebsschließungen (Johnson & Johnson in Hallein, König & Bauer in Mödling und Ternitz, Thyssen-Krupp in Gratkorn, Hämmerle in Vorarlberg, Schindler stellt seine Rolltreppenproduktion in Wien ein,... ) und verstärkten Personalabbau in Österreich (Siemens, Magna, Telekom,...). Die österreichischen Banken sind ebenso international verflochten und damit betroffen. Die Mutter der Bank Austria die italienische UniCredit, steckt in Problemen, ebenso die Bayern LB, Mutter der Hypo-Alpe-Adria, Dexia, die an der Kommunalkredit beteiligt ist, Cerberus im Falle der Bawag. Die unbegrenzte Garantie der Spareinlagensicherung wird das Problem nicht lösen; denn der Staat kann ggf. nicht einmal eine einzige Großbank vollständig auffangen.  

Was wird die Krise bedeuten?

Wir müssen uns heute auf eine Wirtschaftskrise einstellen, deren soziale Folgen weitreichend sein werden.
1) Durch die Umstellung der Pensionen auf das 3-Säulen-Modell (de facto eine Teilprivatisierung im Rahmen der letzten Pensionsreform) und die Abfertigung neu sind viele ArbeitnehmerInnen direkt betroffen - die Gelder die sie in private Pensionsvorsorge gesteckt haben bzw. die Abfertigungen, die in ihrem Namen in Aktien angelegt wurden, sind zum Teil weg. Ähnlich verhält es sich im Falle von Mitarbeiternnenbeteiligungen, die zuletzt von den Unternehmern aber auch von Seiten der Gewerkschaft gepuscht wurden.
2) Betriebsschließungen und Personallabbau bedeuten steigende Arbeitslosigkeit. Jede kommende Regierung wird Sozialabbau betreiben. Die ArbeitnehmerInnen sollen den Preis dafür zahlen, dass Finanzspritzen an Banken ausgezahlt werden. Bei den kommenden Lohnrunden werden die ArbeitgeberInnen versuchen angesichts der Krise nur geringe Lohnerhöhungen zuzulassen. Die Beschäftigten brauchen v.a. wegen der hohen Inflation aber Reallohnerhöhungen - ob die Gewerkschaft diese rausholt, ist aber angesichts ihrer zögerlichen Politik fraglich.
3) Auf internationaler Ebene wird deutlich dass der Kapitalismus nicht funktioniert und die neoliberale Ideologie am Ende ist. Auch die kapitalistische EU kann daran zerbrechen - die Krise führt bereits jetzt zu einem Rückzug der einzelnen Nationalstaaten und zu einer weiteren Schwächung der EU.
Die Tatsache, dass der Staat Milliarden für die Banken auszugeben bereit ist, aber nicht für  Soziales oder für andere Anliegen der ArbeitnehmerInnen, wird enorme Wut und Stimmung gegen das bestehende System auslösen. Auch wenn die ArbeiterInnenklasse zu Beginn durch die mögliche Schärfe der Krise geschockt sein kann, kann es dennoch zu Kämpfen kommen. Der Kapitalismus wird zunehmend in Frage gestellt - aber ob dieser von links oder von rechts aufgegriffen wird, wird vom Kräfteverhältnis abhängen. Für Menschen, die nach einem Ausweg aus der Krise suchen, können sozialistische Ideen wieder attraktiv werden.
4) Gleichzeitig kann die Krise der extremen Rechten nützen, gerade wenn es nicht gelingt, die Gewerkschaften in demokratische Kampfinstrumente der ArbeiterInnenklasse umzuwandeln bzw. wenn es nicht gelingt eine Alternative von links in Form einer neuen starken ArbeiterInnenpartei aufzubauen. Steigende Arbeitslosigkeit und eine sich verschlechternde soziale Situation bereiten den Boden für den Erfolg von rassistischer Hetze auf. FPÖ und BZÖ greifen bereits jetzt soziale Themen auf und wettern gegen die Banken und Spekulanten, inklusive pseudo-antikapitalistischem Auftreten.

Lösung durch "besseren" Kapitalismus?

Welche Lösung gibt es? Stärkere Regulierung der Finanzmärkte und keynesianische Maßnahmen? Das wird die Probleme nicht lösen. Dafür sind die dem Kapitalismus zugrundeliegenden Widersprüche zu groß. Wenn kontrolliert und reguliert wird, ist immer die Frage: in wessen Interesse. Solange dies im Sinne der Profitlogik passiert, sind neue Krisen vorgezeichnet. Auch ein stärkerer Staat ist noch keine Lösung. Staatsinterventionismus an sich ist keine linke Politik. Die Kriegswirtschaft sowohl der Nazis, als auch die US-Militärprogramme unter Reagan beruhten auf einem starken Staat. Der Keynesianismus - also der nach John Maynard Keynes benannte Ansatz, Krisen durch temporäre Schuldenaufnahme zu verhindern - geht hier zwar zumindest theoretisch weiter. Investiert wird demnach in Infrastruktur, dadurch sollen Jobs geschaffen und die Wirtschaft angekurbelt und dann wieder Schulden abgebaut werden. Nur: Die Schulden sind schon jetzt da! Für einen "Austrokeynesianismus" wie unter Kreisky fehlen heute die ökonomischen Spielräume. Gemessen am BIP stieg die Rate der staatlichen Verschuldung in den 1980er und 1990er Jahren - trotz Solzialabbau und Sparpaketen (!) - gegenüber der Periode Kreisky auf das Doppelte! Der Kapitalismus hat keine Ressourcen für soziale Rüscherln. Natürlich gäbe es eine Reihe von Maßnahmen, die zu einer Umverteilung von oben nach unten führen würden - Steuerreformen, Arbeitszeitverkürzung, Reallohnerhöhungen etc. Der Haken dabei: Jedes Unternehmen wird ihnen zustimmen, solange es selbst davon nicht betroffen ist. Eben weil der ökonomische Spielraum enger ist, muss der Kampf für solche Schritte viel härter sein als in der Vergangenheit. Aber selbst wenn keynesianische Maßnahmen gesetzt würden, die kurzfristig Verbesserungen für (Teile) der ArbeiterInnenklasse bedeuten könnten, würde das längerfristig keinen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz schaffen. Maßnahmen, die eine Umverteilung hin zur ArbeiterInnenklasse bringen, beschneiden die Profite und damit die Rentabilität des Kapitals. Faktoren, die wiederum Ursachen und Auslöser für Krisen sind, und diese nicht verhindern können.
Sozialistischer Plan ist einzige Alternative zu kapitalistischem Desaster
Es ist nicht egal, wem die Banken gehören. Anstelle einer Verstaatlichung der faulen Kredite und ausstehenden Forderungen des Finanzkapitals sollen die Banken und Finanzinstitutionen (Versicherungen, Hedgefonds etc.) verstaatlicht und mit demokratischer Planung unter der Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten weitergeführt werden. Entschädigungen für KleinaktionärInnen und KontoinhaberInnen sollten nur im Falle nachgewiesener Bedürftigkeit gezahlt werden.  
Das wirft natürlich die Frage nach dem Eigentum und der Kontrolle weiterer Teile der Wirtschaft und die Notwendigkeit einer demokratischen Planung auf: Betriebe, die geschlossen werden sollen oder Leute entlassen, sollten durch die öffentliche Hand übernommen werden. Und zwar unter Kontrolle jener, die den Reichtum schaffen - der Beschäftigten.
Die Produktion sollte insgesamt die Bedürfnisse der Gesellschaft und nicht die Profitinteressen einiger weniger befriedigen. Darum geht es auch nicht nur um einige wenige Unternehmen, sondern letztlich um die Frage der gesamten Wirtschaft. Statt des Chaos des Marktes treten wir für eine demokratisch geplante Wirtschaft ist ein. Der einzige Ausweg aus der Katastrophe Kapitalismus ist die Überwindung dieses Systems. Wir wollen keine Verstaatlichung von Verlusten, sondern eine Vergesellschaftung der Schüsselbetriebe unter Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, um nach den Bedürfnissen der Mehrheit zu produzieren und nicht für die Profite einer Minderheit.

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