Krieg? Frieden!

Philipp Fleischmann

Seit Wochen gehen Spekulationen über einen möglichen Angriff der USA auf den Irak durch die Medien. Tageszeitungen drucken Pläne des Iraks mit kleinen Pfeilchen und Flugzeugen, die ganze Heere symbolisieren sollen. JedeR LeserIn kann sich selbst überlegen: Was ist für die US-Armee vielversprechender? Szenario 1, 2 oder 3?
Die Phase seit dem Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa ist geprägt von der Vormachtstellung der USA - eine Vormachtstellung eines imperialistischen Landes, die es in diesem Umfang nie zuvor gegeben hat. Die US-Wirtschaft macht ein Drittel der Weltwirtschaft aus, das Bruttonationalprodukt der Vereinigten Staaten beträgt 10 Billionen US-Dollar. Noch deutlicher sind die Zahlen des Verteidigungsbudgets: Das US-Verteidigungsbudget ist größer als das der folgenden 15 Militärmächte zusammen.
Anfang der 90er Jahre erklärten bürgerliche HistorikerInnen und PolitologInnen, dass diese Dominanz einer Weltmacht zu mehr Stabilität führen würde. Das Gegenteil war der Fall: Die USA führten in den 90er Jahren 27 Militärinterventionen durch. Zum Vergleich: In den vier Jahrzehnten des Kalten Krieges waren die USA 12 Mal Kriegspartei (siehe Vorwärts Nr. 93).

Warum gibt es Krieg im Kapitalismus?

Die Idee einer stabilen Weltordnung war davon genährt, dass nur die Existenz der Systemalternative (Stalinismus), die Auseinandersetzung mit dem Feind auf ideologischer und militärischer Ebene, zu Krieg geführt hätte. Aber Kriege sind genauso wie ökonomische Krisen ein Wesenszug des kapitalistischen Systems. Die Kapitalisten sind gezwungen, um ihre Profite möglichst hoch zu halten, immer weiter zu expandieren und immer mehr zu produzieren. Daraus ergibt sich das Problem der ständigen Suche nach neuen Absatzmärkten. Die Bourgeoisien der stärkeren Industrienationen versuchen diese neuen Absatzmärkte durch die Forderung nach Freihandel durchzusetzen. Wesentliche Instrumente dafür sind auf regionaler Ebene die Freihandelszonen wie NAFTA (Nordamerika) und die Wirtschaftsblöcke (z.B. EU). Auf globaler Ebene spielen diese Rolle Institutionen des globalen Kapitalismus, allen voran die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Die von IWF und Weltbank geführte Politik der Strukturanpassungsprogramme (SAP) zwingt Länder, die (wie die gesamte neokoloniale Welt) auf die Kredite dieser Institutionen angewiesen sind, ihre Märkte dem ausländischen Kapital zu verschreiben, Privatisierungen durchzuführen, Zölle und andere sogenannte Handelsbarrieren abzuschaffen. In wessen Sinn das ist, zeigt sich schon allein am Entscheidungsprozess innerhalb des IWF. Dort herrscht das sogenannte “One-Dollar-One-Vote”-Prinzip. Die USA hat dadurch alleine 17% der Stimmen, Deutschland hat mehr Stimmen als ganz Afrika zusammen.
Der Kapitalismus steckt jedoch in einem Widerspruch: Die Kapitalisten, die am Weltmarkt schwerer oder nicht konkurrieren können, stellen sich gegen diese Entwicklung. Daraus entsteht die Strömung im Kapital, die dem Freihandel diametral entgegengesetzt ist und mit der Krise zunimmt: der Protektionismus. Prominentestes Beispiel dafür aus der jüngsten Zeit sind die Strafzölle (30%) auf Stahlimporte in die USA. Offensichtlich kann die US-Stahlindustrie auf dem freien Markt mit den europäischen und insbesondere den russisch/asiatischen Produzenten nicht konkurrieren. Dieses Match zwischen den Kapitalisten, zwischen fressen und gefressen werden, ist die Grundlage für die Kriegstendenzen im Kapitalismus.
US-Interventionspolitik in den letzten Jahren
Die US-Interventionspolitik der letzten Jahre diente vor allem der Erhaltung und Expansion von US-Einflusssphären in Hinblick auf die Verschärfung der internationalen Konkurrenz sowie der politischen und ökonomischen Instabilität, die durch „Globalisierung“ und „Freihandel“ verschärft wurden. Keiner der drei großen imperialistischen Wirtschaftsblöcke (USA, EU, Japan) hatte im letzten Jahrzehnt nicht mit wirtschaftlichen Turbulenzen zu kämpfen. Potentielle Gegen- bzw. Mitspieler sind derzeit noch zu schwach, um sich militärisch gegen den US-Koloss zu profilieren. Im Golfkrieg 1991 fragte die USA noch im Sicherheitsrat der UNO, dem Gremium, das in der Zeit von 1945 bis 1991 das “Gleichgewicht des Schreckens” des Kalten Kriegs verwaltete, um Zustimmung. Im Kosovo-Krieg 1999 wurden über die NATO und die “Partnerschaft für den Frieden” Bündnisse gesucht. Den Afghanistan-Krieg vollzog die USA mit Britannien praktisch im Alleingang - die Bündnispartner wurden nicht gefragt, sondern bedingungsloser Gehorsam eingemahnt.
Der Kampf um die Neuaufteilung von geopolitischen Einflusszonen, Rohstofflagern, Kapital- und Absatzmärkten hat ein neues Wettrüsten mit sich gebracht. Tendenzen zum Aufbau militärischer Macht sind nicht nur in den USA erkennbar. Die EU verfolgt das Eurofighter-Projekt, welches auch die österreichische Regierung generös unterstützt. Europäische Staaten streben danach, nicht nur (wie Britannien) im Kielwasser der USA Weltpolitik zu betreiben. In Deutschland macht die “rot-grüne” Regierung Kriegspolitik. Javier Solana spricht diesen Weltführungsanspruch offen aus: “Bis 2003 wollen wir (EU, Anm.) die Nummer 1 beim Krisenmanagement sein“. Deutschland soll “sich zu seiner Weltmachtrolle bekennen“ (meinte schon Kohl 1991), “ein drittes Mal probieren, woran wir zweimal zuvor in diesem Jahrhundert gescheitert sind“ (FDP-Kinkel, 1993), “eine sanfte Hegemonie über Europa anstreben“ (Grün-Politiker Fischer, 1995).

Der innere Krieg

Der Druck in Richtung verstärkter Kriegstätigkeit (sowohl der USA wie auch in Indien und Pakistan) rührt auch aus der jeweiligen innenpolitischen Situation. Der Abschnitt über die Biographie von Bush auf der Homepage des Weißen Hauses schwärmt zwar über die 68.6% der Stimmen, mit denen er damals in Texas zum zweiten Mal Gouverneur wurde, schweigt aber elegant über seine Präsidentschaftswahl, wo Bush bekanntlich weniger Stimmen hatte als sein Gegenkandidat und nur durch das verrückte Wahlsystem und nach mehrmaligem Nachzählen per Gerichtsbeschluss Präsident wurde. Der 11. September und der folgende “Krieg gegen den Terror” gaben Bush die Chance, sich als der starke Mann vor der US-WählerInnenschaft zu profilieren, bei der er eine akzeptable Unterstützung hält. Außerdem nützte die US-Regierung, genauso wie viele andere Regierungen, die Kriegssituation, um repressive Bestimmungen und Gesetze, die in jeder noch so „demokratischen“ bürgerlichen Verfassung enthalten sind, massiv auszubauen. Über tausend Menschen sollen zur Zeit in den USA nach diesen Gesetzen ohne Gerichtsverfahren, ohne Anklage und ohne Angabe über Dauer und Ort ihrer Anhaltung inhaftiert sein. Spitze des Eisbergs ist dabei das Gefangenenlager in Guantanamo Bay auf Kuba. Als ein US-Regierungsvertreter befragt wurde, ob dort die Menschenrechte eingehalten werden, antwortete er: “But they are not nice men!” (Aber das sind keine netten Männer!).
Diese innere Aufrüstung ist neben dem Abstecken der Einflusssphären ein zweites Element der Vorbereitungen der imperialistischen Kräfte auf die Verschärfung der Krise. Es schafft Instrumente, Widerstand im Land niederzuhalten. Diese innenpolitischen Wirkungen des “Krieges gegen den Terror” führen zu der eher ungewöhnlichen Situation, dass in der momentanen Debatte um die Intervention im Irak vor allem Politiker dafür Partei ergreifen, während (ehemalige) Militärs (z.B. Powell) eher skeptisch sind (siehe Artikel auf dieser Seite). Kapitalisten versprechen sich auf diesen beiden Ebenen etwas vom Krieg: Ausdehnung ihrer Wirtschaftsmacht gegenüber anderen Kapitalisten, sowie Niederhalten der Wut von der Krise betroffener ArbeiterInnen und Jugendlicher.
Der Imperialismus versucht uns einzureden, der imperialistische Krieg wäre die beste Waffe gegen den Krieg. Diese Idee vom letzten Krieg, der Frieden und Stabilität schaffen würde, ist mindestens so alt wie der Imperialismus selbst. Sie hat sich stets als Rechtfertigung für neue Vernichtung erwiesen. Auch heute heißt es, dass durch Bomben und Annexion internationale Störenfriede entfernt werden sollen. Doch sowohl die Taliban als auch Saddam sind mit Unterstützung der USA gegen frühere Regimes eingesetzt worden. Heute unterstützt die USA den Militärdiktator Musharraf in Pakistan und nennt ihn “Präsident”. Auch Hamid Karzai regiert in Kabul mit Hilfe einer Besatzungsmacht, die immer noch um ganze Landstriche kämpft. Die Scharia bleibt aufrecht. Der “humanitäre Fortschritt” in Afghanistan besteht darin, dass für Steinigungen jetzt kleinere Steine benutzt werden.

Wie gegen Krieg kämpfen?

All das zeigt die Unfähigkeit des Imperialismus, Krisen dauerhaft zu beseitigen. Wesentlich für die Kriegsperspektive ist die Reaktion der betroffenen Bevölkerung, im speziellen der ArbeiterInnen, der Jugendlichen und SoldatInnen. “Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin” - so versuchen PazifistInnen das Problem durch einen Appell an die Moral des Einzelnen zu lösen. “Stell dir vor, es ist Krieg und alle Waffen richten sich gegen jene, die davon profitieren” wäre ein Spruch, der eine erfolgversprechende Strategie auf den Punkt bringt. Wenn ArbeiterInnen in den Waffenfabriken streiken, wenn SoldatInnen sich mit ihnen gegen die Kriegstreiber im eigenen Land verbünden, dann ist das nicht nur die beste Waffe gegen den Krieg, sondern auch gegen seine Ursachen: den Kapitalismus, der für seine Profite alles tun muss. Die Idee, dass kollektive Aktionen der ArbeiterInnenklasse die entscheidende Rolle spielen können, ist in den 90er Jahren zurückgeworfen worden. In den kommenden Auseinandersetzungen wird diese Frage aber zunehmend wieder im Mittelpunkt stehen. Widerstand gegen den Kapitalismus und seine Auswirkungen regt sich auf verschiedenen Seiten: Erst das Vakuum auf der Linken erlaubte es Rechtsextremen, den Nationalisten und dem religiösen Fundamentalismus mit anti-imperialistischer Rhetorik zu punkten. Alternative Ansatzpunkte sind sichtbar: die globale Protestbewegung einerseits, die zunehmenden Kämpfe der ArbeiterInnenklasse in den Industrieländern (Generalstreiks in Italien, Grichenland und Spanien, Streiks nicht zuletzt auch in Österreich). Das Selbstbewusstsein zur Verteidigung sozialer Rechte wächst wieder.
In einer Kriegssituation kann dieser Widerstand durch die unmittelbare Betroffenheit von Soldatenfamilien verstärkt werden: Die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung wurde stark, als die Zahl der gefallenen US-Soldaten stieg; in Europa bezüglich des Einsatzes von ABC-Waffen, nach der Erfahrung mit Tschernobyl und der Anti-Atom-Bewegungen. Dass die US-Streitkräfte an der Entwicklung von sogenannten “Mini-Atomwaffen” arbeiten, zeigt die momentane Weltlage recht deutlich: Der US-Imperialismus ist gestärkt; er überlegt, wieder Atomwaffen einsetzen. Aber er kann durch den Protest der Massen gestoppt werden:;aus Angst davor sollen sie fürs erste nur “mini” sein.

Bewegungen verbinden!

Hier ist es wichtig, möglichst viel Gewicht auf die richtige Seite dieser Entwicklung zu legen und den Rechtsextremen und Fundamentalisten keinen Platz zu überlassen. Mit einer sozialistischen Analyse der Weltlage kann man den Zusammenhang von Wirtschafts- und Militärpolitik erklären. Die globale Protestbewegung richtet sich gegen IWF und Weltbank, die Bewegungen der ArbeiterInnenklasse gegen die Kürzungspolitik. Neoliberale Kürzungspolitik und imperialistische Kriegstreiberei sind beides Ausdruck der selben Krise des Kapitalismus. Die beiden Bewegungen müssen verbunden werden. Das schafft die Grundlage, Krise und Profitwirtschaft zu beseitigen und durch eine demokratisch geplante Wirtschaft und Gesellschaft zu ersetzen.

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