Karneval statt Kampf dem Kapital?

Der Karneval ist alles andere als unpolitisch. Und er ist weltweit Teil der modernen Zivilisation.
Pablo Hörtner

Während das restliche Jahr hierzulande das Vermummungsverbot gilt und Demozüge eher rar sind, können wir im Fasching bzw. in der Fastnacht "ungestraft" kostümiert herumlaufen und unseren Unmut mit dem Status quo kundtun. Einmal im Jahr dürfen wir statt der Heiligen dem Teufel huldigen und unseren Trieben freien Lauf lassen. Soweit der Mythos!

In Wirklichkeit müssen wir weiter brav schuften, um Profite für die Reichen zu lukrieren. Obwohl der Fasching am 11.11. um 11:11 beginnt (bzw. je nach Region erst am Dreikönigstag), findet das heitere Treiben meist nur im Februar statt, damit die Gesellschaft den Rest der Zeit "einwandfrei funktioniert". Auf die lusterfüllte Narrenzeit, das "Dampfablassen" folgt mit Trauern und Fastenzeit die Rückkehr zum Bravsein. Doch die „heidnische“ Tradition des lustigen Verkleidens, des heiteren Herumziehens und des unbarmherzigen Scherzens über Obrigkeit, Politik und Gesellschaft ist weit älter als Aschermittwoch und bigotte Osterzeit.

Der Fasching war eine reale Chance für "das Volk", den Herrschenden die Meinung zu sagen und alternative Gesellschafts- und Lebensmodelle zu entwerfen, und hatte mit spießigem Wiener Opernball und kommerzbehaftetem Villacher Fasching wenig zu tun. So regierten in der "Weiberfastnacht" die Frauen die Welt. Ebenfalls ein Ventil, um die Unterdrückung an den restlichen 364 Tagen zu ertragen. Neben Lebensfreude spiegelt der Karneval auch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, der eigenen Rolle in der Gesellschaft wider. Endlich darf ich ungeniert "wer anderer sein": eine Prinzessin, das andere Geschlecht, der Böse. Natürlich ist auch "das Böse" eine Frage des Standpunktes; so zählen Sozialismus, Hedonismus, Tanz und Gesang in gewissen Kreisen auch heute noch zum Reich des Bösen. Auch beim Perchtenlauf fallen die bösen Geister und Teufel, die Schiachperchten, stärker auf als die "guten" Schönperchten. Denn das Spiel mit "dem Bösen", das Abtasten der Grenzen – Andersdenken, Non-Konformisums, Widerstand und Protest – gelten ansonsten als verpönt.

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