Kapitalismus funktioniert nicht! Gibt es eine Alternative?

Jan Rybak

Bereits vor der Wirtschaftskrise hat der Kapitalismus tagtäglich bewiesen, dass er nicht funktioniert. Er war und ist unfähig allen Menschen ein Leben in Würde und ohne Not zu garantieren. Die Krise hat vielen Menschen aufs Neue bewiesen, dass der Kapitalismus - zumindest so, wie er besteht - nicht funktioniert. Aber was ist die Alternative?

Kapitalismus - abgelehnt

Aus einer internationalen Studie im Auftrag der BBC geht hervor, dass eine überwältigende Mehrheit den bestehenden Kapitalismus ablehnt. In Frankreich sind über 40% der Meinung, der Kapitalismus habe “total versagt, und ein anderes Wirtschaftsystem ist notwendig”. Selbst in den USA sind nur mehr ca. 25% der Meinung, der Kapitalismus würde “sehr gut funktionieren”.

Die Forderung nach “besseren Regeln” und “mehr Kontrolle” im Kapitalismus gehören mittlerweile zum politischen Mainstream. Selbst jene PolitikerInnen, die uns jahrzehntelang erklärt haben, dass “privat besser als Staat” und Kontrollen über die Finanzmärkte entweder nicht notwendig oder bolschewistisches Teufelswerk (je nach Belieben) seien, stellen diese jetzt auf. Der überwiegende Teil der Menschen in den meisten Ländern der genannten BBC-Studie ist der Meinung, dass der “Kapitalismus Probleme hat, die durch Regulierungen und Reformen in den Griff zu kriegen sind”. Grundsätzliches Misstrauen aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre mischt sich hier mit Hoffnungen, dass System doch noch ohne allzu große Schmerzen wieder flott zu bekommen. Freilich existieren inzwischen auch viele andere Beispiele: In zahlreichen sozialen Bewegungen Lateinamerikas haben Menschen zu Mitteln der politischen Selbstorganisation und ökonomischen Selbstverwaltung in den Betrieben gegriffen.

Mehr Kontrolle oder andere Gesellschaft notwendig?

InvestorInnen stecken ihr Geld nicht deshalb in Börsen-Blasen, weil sie so gierig oder ignorant wären, sondern weil in diesen Bereichen, zumindest kurzfristig mehr Profit zu machen ist, als bei Investitionen in die sogenannte “Realwirtschaft”. ÖGB, Attac, etc. machen Finanzspekulationen als das eigentliche Übel für die Krise verantwortlich. Dabei übersehen sie jedoch, dass Spekulationen seit Beginn des Kapitalismus ein integraler Bestandteil der Wirtschaft sind. Stets haben KapitalistInnen in der Hoffnung auf mehr Profit an der Börse spekuliert. Notwendigerweise führte das in regelmäßigen Abständen zu Krisen (zum ersten Mal in der Tulpenkrise in den Niederlanden 1637). Die “Realwirtschaft” steckt in Europa und den USA seit gut zwei Jahrzehnten in der Krise; erst dadurch kam aus zur Aufblähung der Spekulationsbluse. Unsere Alternativen sind deshalb nicht ein “dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus” (Christian Felber) mit real nur neuen Spielregeln für den Finanzbereich, sondern eine grundsätzlich anderes gestaltete Wirtschaftsordnung, beginnend bei der Organisierung der Produktion.

Schärfere Regeln und strengere Kontrollen wären natürlich trotzdem zu befürworten. Aber wer soll sie einführen und sich um deren Einhaltung kümmern? Die Antwort von Attac und ÖGB-Führung meinen “der Staat” sei dafür verantwortlich. Dabei ignorieren sie den Charakter des Staates im Kapitalismus, sehen ihn losgelöst von den existierenden politischen und wirtschaftlichen Realitäten. Die Politik der etablierten Parteien orientiert sich ausschließlich an den Profitinteressen von Banken und Konzernen und nicht an den Bedürfnissen der breiten Masse der Bevölkerung. Das Verhalten der Regierungen weltweit hat nach den Börsencrashs 2008 ff. bewiesen, dass sie trotz Sonntagsreden gegen den “Raubtierkapitalismus” nicht bereit sind etwas zu ändern (trotz der “guten Argumente” von Gewerkschaften, Attac und Co.). Im Gegenteil. Den Banken wurden international Billionen zugeschoben. Die meisten davon waren nicht einmal existenzbedroht sondern nutzten die großzügig ausgezahlten Steuergelder um das Spekulationswerk am Laufen zu halten. Arbeiten also bewusst auf die nächste Krise hin.

Von diesen Staaten ist nicht zu erwarten, dass sie von einem Tag auf den anderen oder auf Grund von Argumenten, seien sie auch noch so gut und rational, ihre Politik ändern. Und selbst wenn sich eine Regierung, z.B. durch eine Massenbewegung, gezwungen fühlen würde bei Banken und Konzernen Einschnitte vorzunehmen, wer würde uns garantieren, dass sie eingehalten werden? Können wir den Prölls, Faymanns und Merkels dieser Welt die “Kontrolle” von FinanzspekulatorInnen überlassen? Die Antwort auf Vorstellungen dieser Art kann nicht eine “andere” Regierung (also die Gleiche Politik in anderer Farbkonstellation) sein, sondern eine grundlegend andere Gesellschaft. Private Profitwirtschaft, Aktienspekualtionen, Lohndruck und Arbeitslosigkeit sind keine Naturgesetze. Sie werden auch nicht durch eine “klügere” Regierungspolitik überwunden werden sondern nur durch die Überwindung der ihnen zugrundeliegenden Wirtschaftsordnung, sprich des Kapitalismus.

Isolation oder Widerstand?

Es ist verständlich, wenn Menschen sagen, sie wollen den kapitalistischen Irrsinn nicht länger mitmachen und versuchen (zumindest scheinbar) unabhängige Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Tauschkreise (z.B. Talente-Tauschkreis in Vorarlberg), Alternativgeld (Waldviertler, Chiemgauer, etc.), aber auch Konsum- oder Produktionsgenossenschaften gewinnen (zumindest in der Form von Reißbrettkonzepten) wieder an Bedeutung. Gemein haben diese Konzepte, dass sie eine scheinbar heile Welt im kapitalistischen Unheil aufbauen wollen. Zweifelsohne mögen solche Projekte eine gewisse Zeit lang das Leben der Beteiligten bereichern und lokal eine gewisse Unabhängigkeit von Staat und Kapital ermöglichen. Mittelfristig gesehen führen solche Konzepte aber nicht zum Aushebeln der Profitlogik und daher nicht zu der (notwendigen) Veränderung der Gesellschaft. Auch genossenschaftlich organisierte Betriebe, oder Betriebe unter ArbeiterInnenmanagement sind in einer kapitalistischen Gesamtwirtschaft von “normalen” privatkapitalistischen Firmen abhängig (Zulieferer, GroßkundInnen, etc.). Diese sitzen jedoch, gegenüber den selbstverwalteten (klein)Betrieben oder Strukturen am längeren Ast, können Preise diktieren, etc. Kleine, auch selbstverwaltete Wirtschaftsstrukturen sind nach wie vor den “Spielregeln” des Kapitalismus unterworfen, stellen also im Kern keine Alternative dar. Genossenschaften, Tauschkreise, etc. können eine wichtige Ergänzung zum Kampf für eine grundsätzlich andere Gesellschaft darstellen. Sind sie aber nicht eingebettet in eine entsprechende Gesamtstrategie der sozialistischen Gesellschaftsveränderung, können sie aber - aufgrund ihrer regionalen oder nationalen Beschränktheit - ein Einfallstor für rechtes und reaktionäres Gedankengut darstellten. So verbindet etwa die bundesdeutsche NPD ihre Forderung nach Abschottung der deutschen Volkswirtschaft mit Ideen welche ebenfalls die Geldwirtschaft ausschalten möchte.

“Die Bedeutung des utopischen Sozialismus steht im umgekehrten Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung. … Sie [die Utopisten] träumen noch immer die versuchsweise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien...”

(Marx, Engels; Manifest der Kommunistischen Partei)

Schon seit Jahrtausenden träumen Menschen von der “perfekten” Gesellschaft. Das reicht von antiken griechischen Philosophen, wie Phaleas von Chalkedon (ca. 400 v.u.Z.) über religiös-sozialistische Vorstellungen im Mittelalter bis zu Henri de Saint-Simon und Charles Fourier an der Wende des 18. auf 19. Jahrhundert. Gemein ist ihnen die Annahme, dass alle Menschen gleich sind und daher auch der gesellschaftliche Reichtum gleich auf alle verteilt werden müsse. Jedoch bewegten sich sämtliche Vorstellungen dieser Art auf der Grundlage idealistischer Vorstellungen einer perfekten, harmonischen Gesellschaft. Für uns ist demgegenüber der Sozialismus nicht einfach nur ein schönes Projekt, sondern eine historische Notwendigkeit. Und zwar in dem Sinn, dass das Nichtüberwinden des Kapitalismus inzwischen die Alternative “Barbarei” bedeutet. In diesem Sinne hat sich bereits die deutsch-polnische Sozialistin Rosa Luxemburg geäußert (“Sozialismus oder Barbarei”).

Die Utopisten - damals wie heute - sehen demgegenüber das Ideal einer neuen Gesellschaft losgelöst von den realen Verhältnissen. Sie ignorieren die grundsätzlichen Widersprüche zwischen den Klassen. Das führt notwendigerweise zu dem wohl wenig erfolgversprechenden Versuch eine bessere Gesellschaft durch Appelle und Fürbitten (an die Reichen und Mächtigen, an Gott, etc.) errichten zu wollen. Auch der Anarchismus denkt nicht an kollektive Organisationsformen oder ökonomische Machtverhältnisse, sondern stilisiert den Staat als das alleinige Böse, welchen er - je nachdem - durch die individuelle “Propaganda der Tat” oder die plötzliche Einsicht aller beseitigen möchte.

Eine bessere Gesellschaft fällt aber nicht vom Himmel oder wird errichtet, wenn alle von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt sind. Tatsächlich besteht eben ein ganz konkreter Interessenswiderspruch zwischen ArbeiterInnen, Jugendlichen, PensionistInnen, etc. auf der einen und den KapitalistInnen auf der anderen Seite. Noch nie haben die Reichen und Mächtigen irgendetwas freiwillig oder auf Grund “guter Argumente” abgegeben. Und noch nie haben “die Armen” - also die, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen - im Kapitalismus gesiegt, wenn sie nicht organisiert waren.

Selbst die grundlegendsten demokratischen und sozialen Errungenschaften (allgemeines Wahlrecht, 8-Stunden-Tag, etc.) wurden von der ArbeiterInnenbewegung erkämpft, immer gegen den erbitterten Widerstand der Herrschenden. Das gilt umso mehr für die Frage einer neuen Gesellschaft und den damit verbundenen Verlusten von Macht und Reichtum für die kleine Schicht jener die vom Kapitalismus profitiert. Das Konzept der sozialdemokratischen und später auch vieler kommunistischer Parteien, nämlich den Sozialismus “sanft und langsam” über Reformen einzuführen hat sich als zum Scheitern verurteilt herausgestellt. Bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder bei anderen politischen Verhältnissen können in der Vergangenheit hart erkämpfte Maßnahmen schnell wieder rückgängig gemacht werden. So besteht der 8-Stunden-Tag in Österreich nur noch auf dem Papier. Tatsächlich arbeitet einE ÖsterreicherIn durchschnittlich 42,3 Stunden pro Woche, mehr als in allen anderen EU-Ländern. Darum ist eine grundsätzliche revolutionäre Veränderung der Gesellschaft notwendig. Nur so kann eine gemeinsame demokratische Organisierung der Gesellschaft und ein kontinuierlicher Fortschritt sichergestellt werden.

Wirtschaft: rückschrittliche Utopie vs. Fortschrittliche Realität

Jene Vorstellungen von Idealgesellschaften, die grob als “utopische Sozialismen” zusammengefasst werden können haben gemein, dass sie als wirtschaftliche Grundlage bäuerliche Subsistenzwirtschaften sehen. Das mag in den agrarisch geprägten Wirtschaften bis ins 17./18. Jahrhundert eine gewisse historische Berechtigung gehabt haben. Dass sie in der Folge allerdings durch moderne ArbeiterInnenbewegungen, Protestformen (Streik) und den wissenschaftlichen Sozialismus überwunden wurden, hatte einen guten Grund. Den Anforderungen, die die neue Industrie, die komplizierten Marktmechanismen des Kapitalismus stellen konnten sie sämtlich nicht gerecht werden. Es ist schlicht nicht möglich auf Basis von “freiem Austausch” oder “freier Produktion” von Individuen eine moderne Gesellschaft zu organisieren. Dafür braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftsplan, der demokratisch entwickelt und beschlossen und umgesetzt wird. Voraussetzung dafür ist aber, dass die entscheidenden Bereiche der Wirtschaft nicht mehr in den Händen von Privatpersonen liegen, die zwangläufig profitorientiert wirtschaften (müssen) sondern in Gemeineigentum übergehen. Denn nur was die Gesellschaft besitzt kann sie auch zu ihren Gunsten organisieren.

Unsere Alternative: Demokratische Planwirtschaft

Das bedeutet eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft. Gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln, also Maschinen, Rohstoffe, etc. bietet die Möglichkeit im Interesse von Beschäftigten, KonsumentInnen und der Umwelt zu wirtschaften. Die arbeitenden Menschen sind gleichzeitig ProduzentInnen und KonsumentInnen, sie sind die eigentlichen Experten für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten auf beiden Seiten des Wirtschaftsprozesses. Sie können am besten gemeinsam planen, wie die Wirtschaft organisiert sein muss. Gesamtgesellschaftliche Planung verhindert auch Über- oder Unterproduktion in einzelnen Bereichen und stellt sicher, dass die Bedürfnisse aller befriedigt werden können. Die notwendige Arbeit würde gerecht auf alle verteilt werden. Damit würde der aktuelle Irrsinn überwunden werden, dass auf der einen Seite eine Rekordzahl von Menschen arbeitslos ist, und gleichzeitig Beschäftigte reihenweise Überstunden leisten müssen. Die Einführung neuer Maschinen bedeutet, dass für die Herstellung eines Produktes weniger Zeit aufgewandt werden muss. Im Kapitalismus führt das zu Entlassungen, da ja weniger Arbeitskräfte notwendig sind. In einer sozialistischen Gesellschaft würde das zu einer Erleichterung der Arbeit und einer Reduzierung der Arbeitszeit führen. Das Konkurrenzprinzip, die Grundlage des Kapitalismus, wird aufgehoben. An ihre Stelle treten die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt. Die Wirtschaft wird von allen Beteiligten gemeinsam und auf internationaler Ebene geplant. Diese Gesellschaft nennen wir Sozialismus.

Funktioniert das?

“Eine nette Idee, aber das funktioniert ja nicht.” So oder so ähnlich lautet die Reaktion Vieler auf das Konzept einer sozialistischen Gesellschaft. Im Zuge des Scheiterns der stalinistischen Diktaturen setzte eine beispiellose Kampagne ein, die den Menschen als individualistisches, faules, Wesen darstellt, das sein/ihr Glück am besten auf eigene Faust erreicht anstatt kollektiv mit anderen gemeinsam. Tatsächlich ist die menschliche Natur aber genau umgekehrt. Profitwirtschaft, Arbeits- und Lohndruck, Mangel, sprich erst der Kapitalismus machen uns zu “egoistischen” Personen. Der britische Schriftsteller und Sozialist George Orwell formulierte das so: “Wir sind wirtschaftlich egoistisch, weil wir alle in Schrecken vor der Armut leben. Aber wenn eine Ware nicht knapp ist, versucht niemand sich mehr anzueignen als ihm zusteht. … In diesem Land sind wir nicht von Wassermangel geplagt … Die Folge davon ist, dass Wasser kaum in unser Bewusstsein dringt. Aber was für Eifersüchteleien, was für Hassgefühle, was für entsetzliche Verbrechen doch der Mangel an Wasser in verdorrten Ländern wie Nordafrika verursachen kann! Dasselbe gilt auch für jede andere Art von Gütern. Wenn man es so einrichten könnte, dass es sie im Überfluss gäbe, was man sehr leicht tun könnte…”

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