Iran: StudentInnen gegen den Staat

Paul Rheza-Klein

Die größten Demonstrationen und Gegendemonstrationen seit der „Revolution“ vor 20 Jahren erschüttern den Iran. Um den tagelangen Unruhen im ganzen Lande (Massendemonstrationen mit Ausschreitungen in allen großen Städten, z.B.: Isfahan, Rascht, Hamedan...) die durch die StudentInnen-Proteste in Teheran ausgelöst wurden ein Ende zu setzen, organisierte das Ajatollah-Regime Mitte Juli eine Massenkundgebung mit ca. 100.000 Beteiligten.
„Gründliche Säuberungen“ wurden von den „Hardlinern“ angekündigt. Vor allem die Tatsache, daß alle Leute die auf regimekritischen Demonstrationen festgenommen wurden, wegen „Verrat an der Revolution“ angeklagt werden sollen, hängt wie ein Damoklesschwert über der StudentInnenbewegung. Eine Verurteilung nach diesem Paragraphen bedeutet nämlich die Todesstrafe.
Die Proteste der StudentInnen wurden durch das Verbot der Zeitung Salam ausgelöst, einer „liberalen“ Zeitung die durch einen der führenden Reformer geleitet wurde. Die Forderungen der Bewegung verbreiterten sich schnell: Abschaffung von Zensur und Polizeistaat und den dafür stehenden Polizeichef Lotfian. Nicht gefordert wurde allerdings der Sturz des Regimes.
Welche Auswirkungen die Demonstrationen auf die Zukunft des Irans haben werden ist noch nicht klar. In den meisten westlichen Medien wird nur von einem Machtkampf zwischen Reformern und Hardlinern gesprochen, in dem die Bevölkerung nur eine Statistenrolle spielt. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Das Modell des „Gottesstaates“ steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 25 %. Die Hälfte der Bevölkerung sind Jugendliche: Sie haben den Schah, sowie die Revolution (und ihre positiven, antiimperialistischen Elemente) 1979 nicht bewußt miterlebt und sieht in der derzeitigen Situation keine Perspektive. Die sogenannten Reformer haben auch nichts anzubieten: Die Wahl von Khatami zum Präsidenten wurde im Westen als Meilenstein in Richtung Demokratie gefeiert. Doch Khatami hat sich von den jetzigen Protesten distanziert. Darüber hinaus steht er – wie alle führenden Reformer – bloß für einen moderateren Gottesstaat, der vor allem seinen Markt für den Westen öffnet und mit dem Imperialismus kooperiert. Nicht zuletzt deshalb werden die „Reformer“ von Teilen der Bevölkerung auch für die katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation verantwortlich gemacht. Genau auf diese Elemente versuchen die „Hardliner“ bei ihren Gegenmobilisierungen zurück zu greifen. Ein einfaches „Zurück“ zum stabilen „Gottesstaat“ gibt es allerdings nicht: Ein völlig isolierter und geschlossener Iran, verknüpft mit den Erfahrungen, die Teile der Bevölkerung in den Bewegungen jetzt erleben, könnte zu einer regelrechten Explosion führen. Doch auch eine völlige Machtübernahme der Reformer würde durch Privatisierungen und Marktöffnung das Elend der Massen und damit die Instabilität weiter steigern. Es würde so schnell an seine Grenzen geraten und wieder zur Repression greifen um Unruhen zu unterdrücken.
Was im Iran fehlt ist die, sowohl vom prowestlichen Schahregime vor der Revolution, wie vom „Gottesstaat“ unterdrückte, exilierte und ermordete sozialistische Alternative.

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