Irak - Der Krieg nach dem Krieg hat erst begonnen

Massenaufstände gegen die Besatzung
Franz Breier jun.

Anfang April bombardierten US-Besatzungstruppen die Stadt Falluja. Aus Apache-Hubschraubern wurde auf Moscheen und Armenviertel gefeuert. BBC-News schätzt über 470 bis 600 tote ZivilistInnen. “Als die Amerikaner kamen, gab es hier ungefähr 50 Guerillakämpfer - am Ende dieser Woche waren es ein paar Tausend”, fasst ein Einwohner die Stimmung gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters zusammen. In Folge der Bombardierung und des Massenmordes in Falluja sind bedeutende Teile der “Irakischen Sicherheitskräfte” desertiert und zu den Aufständischen übergelaufen. Die Besatzungstruppen wurden aus der Stadt gedrängt. Die stärkste Militärmacht der Weltgeschichte hat in Folge einen zeitweiligen Waffenstillstand in Falluja akzeptieren müssen.

Eine zweite Front

Der Aufschrei über die Attacken auf Falluja war im ganzen Land gewaltig. Es wird berichtet, dass auch in den schiitisch bewohnten Vierteln Bagdads viele Menschen Blut für das mehrheitlich sunnitische Falluja spendeten. Ebenso findet sich unter sunnitischen IrakerInnen Sympathie für den radikalen Schiiten-Führer al-Sadr. Neben dem militärischen Widerstand aus mehrheitlich sunnitisch bewohnten Gegenden, bricht nun eine zweite Front auf: die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten, bisher noch relativ ruhig gehalten, kämpft ebenso offen gegen die Besatzung. Die britische Zeitung “The Guardian” beschreibt die Anhänger al-Sadrs als “die Ärmsten der Armen”. Tatsächlich tritt al-Sadr mit radikalen Standpunkten an. Doch seine Stärke ergibt sich aus dem Widerstand Hunderttausender gegen die Besatzung sowie die katastrophale soziale Situation. Vieles ist durch Krieg und Besatzung schlimmer als selbst unter der Hussein-Diktatur: 50 % sind arbeitslos, 60 % haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Al-Sadr ist jedoch ein reaktionärer Fundamentalist. Er und ähnliche Politiker wie er, werden  früher oder später versuchen, entlang religiöser und ethnischer Linien zu spalten, um ihre Macht zu sichern.

Neue Strategie Bushs?

Die Kriegstreiber sind nervös: Der britische Außenminister Straw gab kürzlich bekannt, dass er nie gedacht hätte, dass sich die Dinge derart entwickeln würden. Diese Entwicklungen zwingen die US-Regierung zu einer Neuausrichtung ihrer Strategie. Die für Juni angekündigten ”freien Wahlen” werden relativ bedeutungslos bleiben. US-Kriegsminister Rumsfeld betont, dass ein “souveräner Irak” auf in der Mehrzahl US-Truppen (dauerhaft etwa 100.000) gestützt werden soll. Angesichts wachsender Opposition zur Besatzung in den USA selbst könnte Bush gezwungen sein, vor den Wahlen im November einen scheinbaren oder Teil-Abzug durchzuführen – wahrscheinlich durch weitergehende Einbindung der UNO und multinationale NATO-Truppen. Doch auch die UNO hat unter den Irakis einen negativen Ruf. Sie hat mit den Sanktionen der 90er hunderttausende Tote zu verantworten.

Perspektiven für den Widerstand

Selbst wenn die US- und britischen Truppen zu einem vollen Abzug gezwungen sein würden, wären nicht alle Probleme damit gelöst. Es könnten darüber hinaus ethnische und religiöse Spannungen aufbrechen und das Land auseinanderreissen; erst recht, wenn die soziale Misere fortbesteht. Jene Kräfte, die den Irak einen könnten, müssen die Führung des Befreiungskampfes übernehmen. Eine solche Einheit gegen den Imperialismus kann nicht von islamistischen Führern erreicht werden, sondern von ArbeiterInnen und der armen Bevölkerung. Für den Kampf gegen die Besatzung wäre die Entstehung ethnisch gemischter und demokratischer Milizen die beste Grundlage. Solche Milizen und darüber hinaus demokratische Komitees in allen Regionen müssten die Verwaltung des Landes übernehmen. Die gewaltigen (Öl-)Ressourcen könnten genutzt werden, um das Sozial-, Gesundheits-, Transport- und Bildungssystem wiederaufzubauen. Allen Privatisierungen muss mit Massenmobilisierungen entgegengewirkt werden. Entgegen den Bestrebungen der fundamentalistischer und reaktionärer Clan-Führer muss ein freier Irak allen Minderheiten volles Selbstbestimmungsrecht zugestehen. Ein wirklich freier Irak braucht keine Besatzung und auch keine Marionettenregierung – sondern Selbstbestimmung und Sozialismus. Der Abzug aller Besatzungstruppen ist eine Grundvoraussetzung für eine solche Entwicklung!

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