Interview mit einem israelischen Sozialisten:

“Wir brauchen eine soziale Intifada”

Die politische Lage im Nahen Osten ist nach wie vor weit von einem Frieden entfernt. Im Rahmen von “Sozialismus 2002” in Schweden führte Vorwärts ein Interview mit Yuval Gal von Maavak Sozialisti, der israelischen Schwesterorganisation der SLP.

Vorwärts: Wo steht die Friedensbewegung heute?

Yaval: Es gibt Demonstrationen, bei denen es v.a. darum geht, den Unmut über die Situation zu zeigen. Nicht erklärt wird, warum es soweit kommen konnte und welche Lösungen es gibt. Schon vor der Intifada war die Situation schlimm, aber jetzt hat sie in den besetzten Gebieten den Punkt erreicht, dass es einen wirklichen Mangel an Lebensmitteln und anderen Basisgütern gibt. Wir haben uns auch an Demonstrationen beteiligt, bei denen LKWs mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern zu den Straßenblockaden begleitet wurden und gefordert wurde, diese durchzulassen. Das ist auch eine der wenigen Gelegenheiten, wo es Proteste von Israelis und PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten gemeinsam gibt. Wir stehen auf beiden Seiten der Straßensperren und protestieren.

Vorwärts: Wie ist die soziale Lage in Israel?

Y: Auch in Israel verschlechtert sich die soziale Situation. Der Aufschwung in der NT-Branche ist vorbei. Die Arbeitslosigkeit steigt, der Druck auf die Arbeitslosen steigt, nach 50 Tagen Arbeitslosengeld gibt’s nur mehr Almosen. V.a. Jugendliche sehen einfach keine Zukunft. Israel hat sich in den letzten 3 Jahren extrem verändert. Die Perspektivenlosigkeit drückt sich z.B. auch in der Drogenproblematik aus, die zu einem riesigen Problem geworden ist. Es gibt keine Sicherheit – und ständig werden Leistungen gekürzt und Steuern erhöht. Behinderte sind in einer extremen Situation – da gibt es auch viele Proteste, z.B. gegen das letzte Budget aber auch von Behinderten. In Tel Aviv kostet die Miete für eine Wohnung mehr als die Unterstützung, die Behinderte vom Staat kriegen.

Vorwärts: Welche Rolle spielt der Histraduth, der israelische Gewerkschaftsbund?

Y: Er wird heute von einer Koalition aus fast allen Parteien – außer der KP – kontrolliert. Es gibt eine ArbeiterInnenliste, die bei den letzten Wahlen gewonnen hat.
Es wird deutlich, dass sich Druck von unten aufbaut, damit der Histraduth eine klassenkämpferische Position einnimmt, es hat in den letzten Jahren auch eine Reihe von Kämpfen und Streiks gegeben. Aber sie sagen nichts zum Krieg, die Politik des Vorsitzenden ist, dass der Krieg Sache der Regierung sei und er sich “nur um soziale Fragen” kümmert.
Viele israelische PalästinenserInnen stimmen für die KP, aber die rechten PalästinenserInnen machen gemeinsame Sache mit der Koalition, die den Histraduth regiert und unterstützen damit letztlich den Likud.

Vorwärts: Gibt’s bei sozialen Fragen gemeinsame Aktivitäten von Israelis und PalästinenserInnen?

Y: Wenn Du als ArbeiterIn angegriffen wirst, ist es egal, welche Religion du hast. Hier gibt es immer wieder Zusammenarbeit. Z.B. auch beim Kampf der Obdachlosen in Java etc. Aber auch auf der anderen Seite: wenn es um Profite geht, ist den Kapitalisten die Religion egal. Es gab bei Jediot Achonot, einer der wichtigsten israelischen Zeitungen, einen Streik. Also wurde sie in Palästina gedruckt, um den Streik zu brechen. Oder das Beispiel von Gas-Bor, eine israelischen Firma, die in den besetzten Gebieten Monopolstellung hat. Der Grund dafür ist, dass einige der PLO-Führer Aktien der Firma haben.

Vorwärts: Wie wird die Regierung gesehen?

Y: Es gibt im Bewußtsein Unterschiede bezüglich der sozialen und nationalen Frage. Gegen den Sozialabbau gibt’s Proteste. Aber nicht von der “Opposition”, weil die Arbeitspartei hat sich de facto im Likud aufgelöst. Die Stimmung ist bei vielen, dass sie meinen, Sharon kann keine Sicherheit bringen, aber was ist die Alternative? Aber das ist keine wirkliche Unterstützung. Wenn wir eine “soziale Intifada” fordern, gibt’s gute Reaktionen darauf.
Auch die Hoffnungen in die Autonomiebehörden sind dahin – diese hatte z.B. einen LehrerInnstreik verboten. Bei einem Feuer in der Westbank sind in einer Fabrik 7 ArbeiterInnen gestorben – wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen, die das Ergebnis der Korruption sind.
Als gegen Korruption protestiert wurde, kam es von Seiten der PalästinenserInnenbehörde zu Verhaftungen und dann wurde Israel mitgeteilt, man/frau würde gegen TerroristInnen vorgehen!

Vorwärts:: Wie wird es weitergehen?

Y: Die Illusionen in den Oslo-Vertrag sind endgültig dahin und es ist deutlich, worum es darin ging: billigere palästinensische KollegInnen einzusetzen, um das Lohnniveau zu drücken.
Die Situation ist extrem instabil und kann jederzeit explodieren. Wenn es zu Diskussionen darüber kommt, PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten nach Jordanien und Syrien abzuschieben, dann wird die Situation weiter angeheizt.
Kaum jemand in Israel glaubt noch, dass es im Kapitalismus eine friedliche Lösung der nationalen Frage geben wird.

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