Für Sozialismus - aber welchen?

Sonja Grusch, Caracas

Heute ist der letzte Tag des Festivals. In den vergangenen beiden Tagen fand ein Antiimperialistisches Tribunal statt, in dem eine Reihe der Verbrechen des Imperialismus aufgezeigt wurden - Vietnam- und Irakkrieg, Hunger und Elend, Repression und Demokratieabbau. Tausende Jugendliche im Saal und viele Menschen mehr auf den Bildschirmen verfolgten die abschließende Rede von Hugo Chavez (die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde). Neben einer Reihe historischer Bezüge auf Bolivar, Sandino, Miranda u.a. und Empfehlungen von Büchern zitierte Chavez auch Rosa Luxemburgs bekannten Ausspruch "Sozialismus oder Barbarei". Die Begeisterung, mit der "Sozialismus" als Alternative gesehen wird, ist eine relativ neue Entwicklung.

Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger Jahre wurde "Sozialismus" zum Un-Wort, galt als schlecht, alt und überhohlt. 1992 erschien das Buch „Das Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama, einem Neoliberalen. Er meinte damit den endgueltigen Sieg des Kapitalismus. Nun, dieses Ende der Geschichte hat nicht lange gedauert. 

Spätestens seit Mitte der 90er Jahre begann mit der "Antiglobalisierungsbewegung" (die sich gegen die Auswirkungen der "Globalisierung", der schrankenlosen und immer intensiveren Ausbeutung der Menschen weltweit richtete) die erneute Suche nach Alternativen. Dies kanalisierte sich im Ausspruch "eine andere Welt ist möglich". Was aber "anders" bedeutet war sehr schwammig.

Seither hat sich viel getan. Die ArbeiterInnenbewegung ist erneut aktiv geworden, in einer Reihe von Ländern gab es Streiks und Generalstreiks. Es gab Aufstände und revolutionäre Erhebungen die Präsidenten stürzten - in Asien, Afrika und Lateinamerika, aber auch den ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Die Diskussion um die Frage einer "anderen Welt" hat sich weiter entwickelt. Das ist auf diesen Weltfestspielen überdeutlich geworden.

1997, bei den Weltjugendfestspielen in Kuba, war "Sozialismus" als Alternative weniger präsent, weniger akzeptiert, weniger gefordert. 2005 in Caracas ist der Konsens für Sozialismus als Alternative überragend. Dies zeigt sich in T-Shirts, Transparenten und den typisch lateinamerikanischen Sprechgesängen, die vor und während der Diskussionen losbrechen (ein bisschen von dieser Dynamik würde österreichischen Demos auch nicht schaden). Auch der Händler neben mir am Stand, der Chavez- und Festival-"Devotonalien" (Fanartikeln) verkauft, erklärt, er ist Sozialist.

Der Applaus war am lautesten, die Begeisterung am größten wenn Chavez (und andere RednerInnen) auf Sozialismus Bezug nahmen. Friedrich Engels hat einmal sinngemäß geschrieben, dass erst mit dem Sozialismus die Geschichte der Menschheit beginnt - insofern stehen wir also erst vor dem Beginn der Geschichte.

Aber was bedeutet nun Sozialismus? Was versteht Chavez unter dem von ihm proklamierten Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Was verstehen die TeilnehmerInnen des Festivals, was die venezuelanische Bevölkerung darunter? Klar ist, das es um mehr Gerechtigkeit, um eine bessere Verteilung des Reichtums, um eine Ausrottung von Hunger geht. Aber viel genauer sind die Vorstellungen nicht. Fuer LateinamerikanerInnen kommt aufgrund der Erfahrungen meist noch die Komponente der nationalen Unabhängigkeit, der Abgrenzung vom Imperialismus dazu. Alle diese Punkte sind wichtig, reichen aber für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft leider nicht aus. Der gute Wille allein errichtet keinen Sozialismus, das hat die Geschichte bewiesen. Auch Chavez ist alles andere als deutlich, wenn es darum geht, seinen "Sozialismus den 21. Jahrhunderts" zu umreißen. Er sieht Castro (in dessen Kuba es keine ArbeiterInnendemokratie gibt) ebenso als Partner wie Lula (dessen Regierung in Brasilien gerade von einem Korruptionsskandal erschüttert wird und der sich Massenprotesten wegen seiner neoliberalen Politik gegenübersieht). Es gibt positive Bezuege zu Putin (der massiven Demokratieabbau betreibt und eine Krieg in Tschetschenien führt) und die Errichtung einer lateinamerikanischen Freihandelszone ALBA. Die Idee, die lateinamerikanische Wirtschaft zu stärken und Unabhänigiger von den USA zu machen ist aber weder neu, noch sozialistisch solange sie im Rahmen kapitalistischer Spielregeln bleibt.

Chavez, der unter dem Druck der Massen nach links gegangen ist, hat kein klares sozialistisches Programm. Für eine Entwicklung zum Sozialismus ist aber ein solches notwendig. Die Frage von ArbeiterInnenkontrolle und -verwaltung, von Vergesellschaftung der Wirtschaft und Enteignung der Kapitalisten, von antiimperialistischer Zusammenarbeit mit der internationalen ArbeiterInnenklasse und nicht mit den Präsidenten anderer Staaten und die Verteidigung gegen Angriffe von Imperialismus und heimischer Reaktion durch die ArbeiterInnenklasse, die Jugend und die arme Bevölkerung sind zentral. Eine automatische Entwicklung zum Sozialismus ist nicht möglich. Es ist entweder ein bewusster revolutionärer Schritt zum Sozialismus mit dem aktiven Sturz des Kapitalismus oder es besteht die Gefahr, dass der Prozess scheitert und es eine Rückkehr zu neoliberaler Politik (oder weniger wahrscheinlich eines Regimes wie in Kuba, gestützt durch die Öleinnahmen) gibt.

Ein solches Programm zu entwickeln und auf einen solchen, bewussten Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer demokratischen, sozialistischen Gesellschaft hinzuarbeiten, darin besteht die Aufgabe von revolutionären SozialistInnen heute. Das ist die Aufgabe von Mitgliedern und SympathisantInnen des CWI in Venezuela und international während und nach dem Festival.

Der Applaus war nicht nur bei der Erwähung von "Sozialismus" groß, sondern auch bei "revolutionär". Das zeigt die Bereitschaft von v.a. Jugendlichen, Teil dieses Prozesses zu sein. Darauf gilt es aufzubauen. Ein Spruch hier ist "eine andere Welt ist möglich, wenn es eine sozialistische ist" - dem ist nichts hinzuzufügen.

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