Für einen Feminismus der 99%!

Jede Frauenbewegung, ihre Forderungen und Methoden drücken das gesellschaftliche Bewusstsein aus.
Sonja Grusch

Der 8. März 2017 wird mehr und kämpferischere Frauenproteste sehen als seit Jahren. Sogar zu einem „Frauenstreik“ wird international aufgerufen. Ein Feminismus der 99% braucht ein Programm und muss aus den Erfahrungen der bisherigen Frauenbewegung lernen.

Wir lassen uns das Selbstbestimmungsrecht über unseren Körper nicht nehmen! Bekleidungsvorschriften, Abtreibungsverbote und Magerwahn zeigen, dass der weibliche Körper immer noch nicht der jeweiligen Besitzerin allein „gehört“. Die Angriffe auf mühsam Erkämpftes stehen bei vielen Frauen am Anfang ihrer Politisierung. Die Frauenbewegung in den 1960er/70er Jahren hat aufgezeigt, dass auch das Private politisch ist. Das alte „mein Bauch gehört mir“ wird angesichts der rassistischen Hetze gegen Muslimas um ein „mein Kopf gehört mir“ ergänzt. Das Kopftuch ist kein Symbol des Fortschritts. Doch ein aufgezwungenes Kopftuchverbot schadet der Frauenbefreiung! Wieder wird über den Kopf der Trägerin bestimmt, was für sie das Beste ist. Frauenbefreiung ist auch 2017 v.a. eine soziale Frage: freier Zugang zum Arbeitsmarkt, ein Mindestlohn von 1.700 sowie kostenlose Verhütung, Abtreibung sowie Kinderbetreuung sind im Gegensatz zu einem Kopftuchverbot Forderungen, die wirklich einen Fortschritt für Frauen darstellen würden!

Wohnen, Jobs und Soziales sind Frauenthemen! Heute sieht eine ganze Generation wie versucht wird, durch die Hintertür der sozialen Kürzungsmaßnahmen ein konservatives Frauenbild durchzusetzen. Diese Generation geht auf die Barrikaden. JungärztInnen in Britannien, Pflegepersonal in Deutschland, SozialarbeiterInnen in Österreich, LehrerInnen in den USA. Ein großer Teil davon und oft an der Spitze sind Frauen.

Letztlich gibt es keine reine „Frauenbewegung“, weil es keine reinen „Frauenthemen“ sind. Gewalt gegen Frauen ist nicht nur die Tat eines einzelnen Täters, sondern wird erzeugt und ergänzt um die Gewalt, die durch das kapitalistische System erzeugt wird. Abtreibung oder Verhütung sind soziale Fragen, da der Zugang zu beidem v.a. eine Geldfrage ist. Vergewaltigung wird als Asylgrund häufig nicht anerkannt. Frauen müssen bei gewalttätigen Partnern bleiben, weil es zu wenig Frauenhäuser gibt und Wohnen teuer ist. Es sind also keine individuellen, sondern gesellschaftliche Probleme. Beim Kampf um das Frauenwahlrecht im 19. und 20. Jahrhundert ging es den bürgerlichen Teilen der Bewegung v.a. um das Wahlrecht an sich, während die SozialistInnen für demokratische UND soziale Rechte kämpften. Die Sozialistin Clara Zetkin trat schon 1899 für die „freie Berufstätigkeit ..(als) Grundlage für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau“ ein.

Wir geben uns nicht mehr mit Symbolen zufrieden! „Für Frauenrechte“ ist fast jedeR, v.a. Vertreterinnen von SPÖ und Grünen. Doch in Landtagen und Parlamenten stimmen sie für Kürzungen, die Frauen besonders hart treffen. Ob das entsprechende Gesetz in den Formulierungen „-Innen“ schreibt, ist für die negativen Folgen herzlich egal.

Auch in Teilen der Linken wurde auf Symbolik statt echte Veränderung gesetzt. In der 68er Bewegung klafften v.a. in der stalinistischen/maoistischen Linken Anspruch und Wirklichkeit stark auseinander. In ewigen Plenas debattierten v.a. Männer über die Befreiung der kolonialen Völker, während „ihre“ Frauen Hausarbeit und Kindererziehung zu erledigen hatten. Freie Liebe wurde propagiert und gelebt, die Risiken trugen aber weiterhin Frauen. Die Bevormundung der stalinistischen Linken gegenüber nationalen Befreiungsbewegungen (wie z.B. der französischen KP bezüglich Vietnam) oder gegenüber MigrantInnen (durch eine Überbetonung der „eigenen“ Nation) setzte sich gegenüber Frauen fort (Frauenunterdrückung wurde als „Nebenwiderspruch“ verharmlost - ein Begriff, den es im Marxismus nicht gibt). Die berechtigte Wut darüber führte zur Organisierung von Frauen in eigenen, separaten Organisationen. Auf der theoretischen Ebene wurde als Gegenreaktion auf stalinistische sowie bürgerliche Verharmlosung Frauenunterdrückung als eigenständige Unterdrückung „entdeckt“.

Der Mainstream im Feminismus folgte dem gesellschaftlichen Mainstream, der sich seit den 1980er/90er Jahren in der Postmoderne in eine Individualisierung von Ursachen und Lösungen verwickelt. Das ist nichts anderes als „jedeR ist seines/ihres Glückes eigener Schmied“. Seinen bisherigen Höhepunkt erreichte das mit den „Identity Politics“ und dem Aufruf, die jeweils eigenen „Pivilegien“ zu checken. Hier wird zwar korrekterweise beim jeweiligen persönlichen Erleben und Erleiden angesetzt. Doch dabei bleibt man dann auch schon stecken, da gesellschaftliche Verantwortungen und insbesondere Klassenzusammenhänge bestenfalls hintangestellt oder ganz ignoriert werden.

Auch wenn sozialistische Feministinnen versuchten, die organische Verbindung von Klassengesellschaft und Frauenunterdrückung stärker ins Bewusstsein zu rücken, so dominierten vor dem Hintergrund der Schwäche der Linken ab den 1980er Jahren (klein)bürgerliche Zugänge, die den Kampf um Frauenbefreiung vom Kampf gegen den Kapitalismus zu trennen versuchten. Das Ergebnis ist der Versuch, Verbesserungen für Frauen v.a. auch auf der sozialen Ebene durch symbolische Verbesserungen zu ersetzen. Doch immer mehr Frauen pfeifen auf diese Symbole und wollen Taten sehen.

Lasst uns kämpfen statt Bitten! International und auch in Österreich gab und gibt es unzählige Unterschriftenlisten, Petitionen und sogar Gesetze, die die Gleichstellung von Frauen fordern. 1997 fand in Österreich das Frauenvolksbegehren mit prominenter Unterstützung statt. 644.665 Menschen haben unterschrieben, davon ca. ¾ Frauen. Doch bis heute ist keine der Forderungen wirklich umgesetzt!

Unterschriftenlisten etc. können Ergänzung, aber nicht Ersatz für Massenmobilisierungen und Massenproteste sein. Schon der Kampf um das Frauenwahlrecht wurde nicht durch Überzeugungsarbeit bei den Herrschenden gewonnen. Vor allem waren es Massenbewegungen wie die revolutionäre Welle in Europa nach der russischen Revolution.

Wenn heute zum „Frauenstreik“ aufgefordert wird, zeigt das, dass die Politik des Empowerments der letzten Jahrzehnte als erfolglos bilanziert wird. Diese Taktik hat in den letzten 20 Jahren Forderungen nach Quoten in Führungsetagen und mehr Bildungschancen ins Zentrum gerückt. Doch Thatcher, Merkel, Ederer, Mikl-Leitner & Co. haben gezeigt, dass Frauen in staatlichen und kapitalistischen Führungspositionen nichts anders machen.

Wenn heute von einem Feminismus der 99% gesprochen wird, dann drückt das den Anfang vom Ende dieses postmodernen Feminismus aus. Und das ist gut so, denn die wirklichen Erfolge der Frauenbewegung gab es stets, wenn sie nicht als Widerspruch, sondern als Teil von Massenbewegungen und Klassenkämpfen geführt wurden.

Es gab nie „die Frauenbewegung“, sondern stets unterschiedliche Strömungen, die auch Ausdruck der Klasseninteressen waren und sind, aus denen ihre Mitglieder und AktivistInnen kommen. Es waren die radikalen Methoden der sozialistischen bzw. kommunistischen ArbeiterInnenbewegung, die zentrale Forderungen auch der bürgerlichen Frauenbewegung umsetzten.

 

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