EU-Ratspräsidentschaft und EU-Krise

Nationalismus ist keine Antwort auf die tiefe Krise der EU.
Moritz Bauer

Seit 1. Juli hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft. Damit hat die Regierung ein halbes Jahr den Vorsitz über eine EU, die mit heftigen Turbulenzen zu kämpfen hat. Das Voranstellen des Migrationsthemas durch Kurz und andere RechtspopulistInnen ist ein Versuch, diese Krise zu überdecken, aber nicht die Hauptursache dafür.

Weitaus wichtiger für die Krise sind die Konflikte mit Russland, China bzw. den USA. Aus den unterschiedlich starken Handelsbeziehungen resultiert die unterschiedliche Herangehensweise zu Konflikten mit diesen Ländern. Finnland, das die zweitmeisten Importe aus Russland (11%) bekommt, hat eine andere Position im Ukrainekonflikt als Deutschland, dessen zweitwichtigster Import-Lieferant China (10%) ist. Auch im Handelskonflikt mit den USA zeigen sich Unterschiede: auf Irland (26% der Exporte in die USA) haben die Strafzölle stärkere Auswirkungen als auf Österreich (7% der Exporte in die USA).

Auch zwischen den EU-Staaten brodelt es. Dies liegt daran, dass das nationale Kapital widersprüchliche Interessen hat und sich unterschiedlich entwickelt hat. Im Kapitalismus ist es für so unterschiedliche Staaten unmöglich, längerfristig in einem Wirtschaftsbündnis zu sein. Seit Beginn der Wirtschaftskrise treten diese Widersprüche immer weiter hervor. Der Euro treibt die Staaten zusätzlich auseinander: das verschuldete Italien leidet unter dem starken Euro, der es erschwert, Schulden zurückzuzahlen, aber Staaten wie Deutschland, die Kapital anziehen wollen, brauchen den starken Euro.

Die Ablehnung der EU durch weite Teile der Bevölkerung ist ein weiteres dieser Probleme. Die EU war nie eine Sozialunion, sondern immer ein Wirtschaftsprojekt der Banken und Konzerne. Vor allem in Süd- und Westeuropa stellten sich in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen gegen die von der EU befohlenen brutalen Spar- und Kürzungsmaßnahmen. Auch in den nördlichen Ländern ist trotz Wirtschaftswachstums keine Verbesserung der Lebensstandards in Sicht. Warum? Weil klar ist, dass die nächste Krise kommen wird. Darum sollen die Beschäftigten mit 12-Stunden-Tag & co. weiter ausgepresst werden.

Zu Recht fürchten die Herrschenden die Instabilität, nicht zuletzt auf der politischen Ebene. Neugefärbte VertreterInnen der etablierten Politik wie Kurz oder Macron versuchen, dieselbe neoliberale Politik besser zu verkaufen. Auch wenn sie an der Macht sind, versuchen sie am Anti-Establishment-Image festzuhalten. Angesichts der EU-Wahlen 2019 versuchen sie das v.a. mit einer Zunahme der Hetze gegen Flüchtlinge. Mit dem Migrationsthema wird Wahlkampf geführt – gegen andere Parteien wie andere Länder. Sie bereiten damit, wie in Italien, rechtspopulistischen Kräften den Weg, deren Loyalität nicht beim international orientierten, sondern beim national orientierten Kapital liegt. Das verstärkt die Bruchlinien weiter. Das Schönwetterprogramm EU ist vorbei. Die Union als „Global Player“ gegen andere imperialistische Mächte zu erhalten, gleichzeitig die nationalen Kapitalfraktionen zu befriedigen und auf Stimmenfang zu gehen – all das erweist sich als unvereinbar.

Das wissen auch die Spitzen der EU. Doch während schon vorsichtige linke Versuche, die Sparpolitik zu beenden, mit allen Mitteln bekämpft werden, werden rechte Parteien, die mit der Union brechen, sanft behandelt. In Griechenland wurde Syriza durch brutale Erpressung dazu gebracht, sich dem Diktat zu unterwerfen. Gegenüber der rechten polnischen Regierung, die mehrfach gegen Beitrittskriterien verstieß, wurde dagegen lediglich ein Beschluss des Rats der EU (ohne weitere Konsequenzen) angekündigt. Lieber lassen sie Europa in die rassistische Barbarei stürzen, als die Profite des Kapitals zu gefährden. Sie tolerieren das Massensterben im Mittelmeer, aber keine Einschränkung der Macht der Banken und Konzerne.

Die Aufgabe von Linken ist es nicht, die EU zu retten. Sie darf nicht den Fehler machen, aus einer Opposition gegen Rechte heraus das Establishment zu verteidigen. In ganz Europa gibt es immer stärkere Proteste, z.B. die Streiks in Slowenien für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen oder in Frankreich, wo die EisenbahnerInnen seit Monaten wiederholt gegen Macrons Reformen streikten. Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist getragen von dem Wunsch, mit dem Kürzungsdiktat zu brechen – und stellt eine reale Gefahr für den spanischen Staat, eine der Stützen der EU, dar. Somit wird auch klar, was mit dem verstärkten Aufgreifen von „Sicherheit“ während der Ratspräsidentschaft tatsächlich gemeint ist: Die Sicherheit der Profite. Viel wichtiger für die Mehrheit der Menschen ist aber soziale Sicherheit. Kürzungen, Arbeits- und Wohnungslosigkeit etc. bringen immer mehr Menschen in Bedrängnis, während Banken und Konzerne weiter Profite einstreichen. Nationale Alleingänge ändern an der kapitalistischen Profitlogik nichts. Unsere Verbündeten sind nicht unsere Chefs mit dem gleichen Pass – sondern die ArbeiterInnen und Armen Europas, mit denen wir mehr gemeinsam haben als die Staatsbürgerschaft. Daher müssen wir gemeinsam die Parole „Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!“ vorantreiben.

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