Die Oktober-Revolution als die verratene Revolution

Moritz Erkl

Die Russische Revolution 1917 begeisterte ArbeiterInnen auf der ganzen Welt. An den Fronten des 1. Weltkrieges verbrüderten sich die Soldaten. Nur durch Massenerschießungen konnte der Krieg weitergeführt werden. Erstmals war es gelungen, Kapitalismus und Großgrundbesitz zu stürzen. Grund und Boden, die Fabriken und anderen Produktionsmittel wurden unter demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen und BäuerInnen gestellt. Nicht die provisorische bürgerliche Regierung der Februar-Revolution, sondern erst die Bolschewiki in der Oktober-Revolution erfüllten die Forderungen nach Land, Frieden und Brot. Wie aber konnte aus dem revolutionären Russland die Sowjetunion des Stillstands, des Mangels und der Diktatur werden?

1917 stand es für die führenden Bolschewiki außer Zweifel, dass es auf sich alleine gestellt keine Perspektive für das revolutionäre Russland geben könne. Die Revolution konnte nur international abgesichert werden. 1918 bis 1921 erschütterte vor allem Europa eine revolutionäre Welle. Sie konnte aber durch die Hilfe der Sozialdemokratie niedergeschlagen werden. Das rückständige Russland blieb isoliert und sah sich mit einem Angriff von Truppen aus 21 Ländern konfrontiert. Das revolutionäre Russland siegte zwar, aber Land und Industrie waren fast gänzlich zerstört. Bürokratische Tendenzen machten sich im jungen Sowjetrussland breit. Überall dort, wo Mangel herrscht, muss dieser auch „verwaltet“ werden. Das ist sozialer Nährboden für die Entstehung einer Bürokratie. Die führende Kraft der Revolution, die Bolschewistische Partei, vollzog Schritt für Schritt einen Schwenk nach rechts. Nach dem Tod Lenins brach Stalin offen mit einem der wichtigsten marxistischen Prinzipien – dem Internationalismus – und stellte seine Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ vor. Zwar war die UdSSR aufgrund der vergesellschafteten Produktionsmittel noch kein kapitalistischer Staat, aber es entstand eine neue Kaste in Form der Bürokratie. Stalintreue und BürokratInnen erhielten vielfache Vergünstigungen. Trotzki schrieb dazu: „Die Bürokratie hat weder Aktien noch Obligationen. Sie rekrutiert, ergänzt, erneuert sich kraft einer administrativen Hierarchie, ohne Rücksicht auf irgendwelche besonderen, ihr eigenen Besitzverhältnisse.“ (Verratene Revolution, 1936)

Es ist das historische Verdienst von Leo Trotzki, das - gemeinsam mit Lenin - als erster erkannt, bekämpft und beschrieben zu haben. Trotzkis Stalinismus-Analyse hält am Bolschewismus fest. Im Gegensatz zu vielen kleinbürgerlichen HistorikerInnen zeigt er, dass der Stalinismus keine logische Konsequenz des Bolschewismus ist. Ganz im Gegenteil, der Stalinismus ist eine Sackgasse, die durch eine politische Revolution überwunden werden muss.

Heute ist es die Aufgabe von MarxistInnen, die Lehren aus der Geschichte der UdSSR zu ziehen und sich gegen eine derartige Bürokratisierung zu wappnen. Die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von VertreterInnen sowie ein Durchschnittsgehalt für FunktionärInnen sind konkrete Maßnahmen dafür. Der Stalinismus hat, wie die kapitalistische Restauration des Ostblocks zeigt, keine Zukunft. Die Zukunft liegt in den Händen der ArbeiterInnenklasse. In diesem Sinne „Alle macht den Räten!“

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