Demokratie & Kapitalismus: Von Etappen und Permanenz

Lukas Kastner

Bereits vor rund 100 Jahren machte der russische Revolutionär Leo Trotzki in seiner „Theorie der Permanenten Revolution“ klar, dass in den Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung die Lösung der „demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur (=Herrschaft, nicht Diktatur im heutigen Wortsinn, Anm.) des Proletariats.“ Noch 2019 wurden im Democracy Index des Economist lediglich 22 Länder als „vollständige Demokratien“ eingestuft – gemeint ist die ohnehin beschränkte bürgerliche Demokratie! In den neokolonialen Ländern ist dies die Konsequenz der verzögerten Entwicklung des Kapitalismus. Stellte die parlamentarische Demokratie zu Beginn der internationalen Entwicklung des Kapitalismus in z.B. Frankreich und Britannien für das Bürgertum einen Weg zur Durchsetzung seiner Interessen dar, waren in den Kolonien und neokolonialen Staaten autoritäre Systeme notwendig, um die wirtschaftliche Macht des Kapitals zu festigen. An z.B. einer Landreform haben die Herrschenden, oft Kapitalist*innen UND Großgrundbesitzer*innen, kein Interesse.

Die arabischen Staaten stellen hierfür ein eindrucksvolles Beispiel dar. Vor dem Hintergrund von deren wirtschaftlicher Abhängigkeit wurde die Besetzung von Staatsposten zur Grundlage von Bereicherung und Beschaffung von Kapital. So konnte in Ägypten die oberste Schicht der Militärs durch Rüstungsgeschäfte ein Vermögen anhäufen, mit welchem sie über den Bausektor, das verarbeitende Gewerbe und den Tourismus 30-40% der Wirtschaft kontrolliert. Die Frau von Tunesiens Ex-Diktator, Ben Ali, bunkerte 45 Milliarden Dollar auf Auslandskonten. Diktatorische Regime dienen auch zur Absicherung dieser Staatsposten. Dabei wird auch nicht vor Massenmord, Krieg und religiöser bzw. ethnischer Spaltung zurückgeschreckt. Multinationale Konzerne und imperialistische Regierungen stützen die lokalen Machthaber*innen für den Zugang zu Rohstoffen und geostrategische Interessen.

Selbst eine bürgerliche Demokratie würde hingegen für die herrschende Klasse eine Bedrohung darstellen: Die Arbeiter*innenklasse (und die städtischen und ländlichen Armen) hätten „zu viel“ Einfluss und der Verlust von Staatsposten würde den Herrschenden die Grundlage ihrer Akkumulation von Reichtum und Kapital erschweren. Dies stellt ein grundlegendes Merkmal des Kapitalismus in der Region dar. Die Überwindung diktatorischer Regime macht somit die Verbindung demokratischer Forderungen mit einer Umwälzung der sozialen Verhältnisse durch die Arbeiter*innenklasse unter ihrer eigenen Führung unerlässlich. Nur die Arbeiter*innenklasse, im Bündnis mit den armen Massen, hat sowohl das Interesse, als auch die Kampfkraft, um Al Sisi, Assad & Co. den Kampf anzusagen. Die ungleiche Entwicklung des Kapitalismus erzeugt weltweit autoritäre Regime und Diktaturen. Die Antwort darauf kann nur sozialistische Demokratie – nicht nur im arabischen Raum, sondern auch in Nigeria, Belarus, oder Berg-Karabach – sein. 

 Buchtipp: Leo Trotzki, Die Permanente Revolution, 1929.

 

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