Das Verwelken der Sonnenblume

Eine Bilanz der deutschen Grünen Partei
Kim Opgenoorth, CWI-Köln

Lärmend und mit lautem Getöse hatte er sie einst betreten - mit gedämpften Ton und staatstragendem Blick verließ er sie, die politische Bühne des deutschen Bundestags. Der Rücktritt von Joschka Fischer war perfekt organisiert. Für das Amt des Außenministers hätte er in dem unwahrscheinlichen Fall einer Regierungsbeteiligung noch zur Verfügung gestanden. Zurück in die Opposition aber, war für den weit gereisten Staatspolitiker, den die ganze Welt kennt, doch all zu profan. Er sieht sich zu Höherem berufen und hält den Blick fest gerichtet auf Posten in der EU oder der UNO. Im Bundestag hat Fischer sein Ziel erreicht: Dem deutschen Kapital zu beweisen, dass auch die Grünen in der Lage sind bürgerliche Interessenspolitik zu betreiben. Über die Bilanz von 7 Jahren Rot-Grüner Bundesregierung schwärmt er: „Deutschland ist in dieser Zeit ein anderes Land geworden. Offener, beispielsweise durch das neue Staatsbürgerschaftsrecht und das Zuwanderungsgesetz. Ökologischer, trotz des Wehklagens der Wirtschaft und zum Vorteil eben dieser. Freier. Es ist uns heute klarer, wer wir Deutschen eigentlich sind. Außenpolitisch zum Beispiel, eingebettet in Europa und den Westen, eine selbstbestimmte Nation. Auf all das können wir Rotgrünen stolz sein.“

Er hat Recht: Deutschland ist ein anderes Land geworden. Die außenpolitische Zurückhaltung ist Vergangenheit. Imperialistische Machtansprüche werden wieder selbstbewusst formuliert. An zwei Kriegen hat Deutschland teilgenommen, Soldaten stehen wieder in aller Welt. Der SPD-Verteidigungsminister Struck konnte ohne Widerspruch erklären, dass deutsche Interessen am Hindukusch verteidigt werden. Viel Lob bekam Fischer in der bürgerlichen Presse. Nur mit ihm sei diese Entpazifizierung in Deutschland gelungen. Nur er konnte den Weg freiboxen und das Tabu seit dem 2. Weltkrieg brechen, indem er die Frage stellte: „Was lehrt uns Auschwitz? Vielleicht, dass auch Soldaten rechtzeitig eingesetzt werden müssen?“

Die bürgerliche EU-Politik wurde von den deutschen Grünen kritiklos mitgetragen. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sah das „doppelte Nein“ von Frankreich und den Niederlanden gegen die EU-Verfassung als „eine bittere Enttäuschung“: „Es gibt keine Alternative zu einem demokratischeren und transparenteren und handlungsfähigeren Europa. Alle Politiker Europas, denen das Projekt am Herzen liegt, müssen jetzt verstärkt für die EU-Verfassung werben. ... Ich bin fest überzeugt, dass diese Verfassung ein Gewinn für die weitere Einigung Europas ist."

Rassismus

Offener sei das Land geworden. Die Antiterrorgesetze von SPD-Innenminister Otto Schily wurden von den Grünen genauso mitgetragen, wie verschärfte Abschiebungen. Das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft wurde wegen einer Hetzkampagne der Konservativen auf eine Light-Version begrenzt. Seine Zuwanderungspolitik sah Fischer in Kontinuität zu der, der vorigen Regierungen, von Kohl, Genscher und Kinkel, „denen er nichts vorzuwerfen hätte“. Das neue Zuwanderungsgesetz teilt AusländerInnen je nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit in Kategorien ein.

Rassistische Einstellungen haben sich auch in der Grünen-Mitgliedschaft breit gemacht. In einem Interview musste der neue Fraktionsvorsitzende Kuhn zugeben: „Bei der Frage, wie wir eine multikulturelle Demokratie verstehen, müssen wir ehrlicher werden. Auch viele Grüne melden ihre Kinder in anderen Bezirken an der Schule an, um dem hohen Ausländeranteil im Wohnbezirk zu entgehen.“

Umwelt

Es gibt mehr Biomärkte und mehr Windräder in Deutschland. Ökologie ist zu einem profitträchtigen Industriezweig geworden. Windkraft und Solarenergie sind stark subventionierte Boom-Branchen, mit denen sich gute Gewinne machen lassen. Das Label Bio ist zum Marketing-Vorteil geworden. Das heißt aber nur, dass auf mehr Packungen Bio drauf, aber nicht unbedingt drin sein muss.

Obwohl sich die rot-grüne Bundesregierung in Europa gerne als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz präsentierte, sehen die realen Ergebnisse kläglich aus. In einer Studie des WWF (World Wide Fund For Nature) wurde nachgewiesen, dass die Kohlekraftwerke in Deutschland extrem umweltschädlich sind. Unter den europaweit dreißig ökologisch bedenklichsten und ineffizientesten Kraftwerken stehen neun in Deutschland, fünf davon auf den Plätzen der Top Ten. Ein Kraftwerk belegt Platz zwei und kommt damit direkt hinter einem griechischen AKW.

Aus der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie in ein bis zwei Jahren sind zwanzig bis dreißig Jahre geworden. Dies war de facto eine Laufzeitgarantie für teilweise unrentable und veraltete Kraftwerke. Der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung in Deutschland liegt nach wie vor bei 30 Prozent. Die Macht der Stromwirtschaft ist in keinster Weise in Frage gestellt worden. Vier Großunternehmen haben den Markt unter sich aufgeteilt und verhindern durch ihre Monopolstellung längst fällige Preissenkungen. Die grüne Wahlkampf-Parole „Weg vom Öl“ konnte von der Industrie mitgetragen werden, da sie mehr Unabhängigkeit verspricht.

Soziales

In Bezug auf die soziale Situation ist Deutschland wahrhaftig ein anderes Land geworden. Es hat ein rasanter Umbau stattgefunden. Das System der Sozialpartnerschaft ist beendet. Ein verschärfter Klassenkampf von oben hat begonnen. Die Interessen der Arbeitgeber wurden von Rot-grün umgesetzt. Lag der Spitzensteuersatz 1998 noch bei 53 Prozent, senkte Rot-Grün ihn erst auf 45 Prozent und 2005 auf 42 Prozent. Damit sparte ein Einkommensmillionär über 100.000 Euro zusätzlich im Jahr. Gleichzeitig wurden die letzten Groschen der Arbeitslosen eingezogen. Arbeitnehmer verloren in rasantem Tempo Ansprüche auf Gehalt, Urlaub, betriebliche Sonderleistungen und demokratische Rechte. Billigjobs und außertarifliche Verträge verdrängten gesicherte Arbeitsverträge. Der Sozialstaat ist ausgehöhlt, die Vorbereitungen für den weiteren Kahlschlag von Rente, Gesundheit und Bildungssystem sind getroffen worden. Die öffentlichen Kassen in den Kommunen sind ausgeplündert worden. Schulen wurden nicht renoviert. Armut ist auf den Straßen wieder sichtbar.

Die Grünen haben bei dieser Entwicklung nicht nur zugesehen, sondern eine treibende Kraft gespielt. Sie sahen sich als Reformmotor und die SPD als Partei mit großen Strukturproblem, die der Arbeiterklasse zu sehr nachgibt. Hartz IV wurde von Claudia Roth bis zuletzt „bis auf einige Korrekturen“ verteidigt. Es hätte bei diesem Thema „starke Promotion-Probleme“ der Bundesregierung gegeben, mit „Killerbegriffen wie Hartz IV und Ein-Euro-Jobs“ ließe sich kein Vertrauen herstellen. Schröders Ankündigung von Neuwahlen im Frühjahr haben die Grünen missbilligt. Ihnen wäre ein forsches Durchgreifen lieber gewesen. Zu der verlorenen Wahl sagte Fischer: „Wir haben die schwierige gesellschaftliche Erneuerung eingeleitet, die unter der Kohl-Regierung in den neunziger Jahren verschlafen worden ist. Aber wir konnten im Bereich des Arbeitsmarktes bis zur Wahl keine ausreichend positiven Ergebnisse vorweisen. Wir hatten nicht den notwendigen konjunkturellen Rückenwind bekommen.“

Demokratie

Aus den radikaldemokratischen Forderungen der einst rebellischen Partei ist nicht viel mehr als die Forderung nach regelmäßigen Volksentscheiden übrig geblieben.

Innerparteilich hatten sich die Basisdemokraten zu einer Partei entwickelt, wo der nach oben kam, der dem heimlichen Vorsitzenden genehm war. Die Frauenquote gibt es noch. Wenn es ernst wurde galt jedoch die One-Man-Show. Knifflige Regierungsbeschlüsse traf Fischer mit Schröder alleine. Im Wahlkampf wurde mit „Ja! zu Joschka“-Plakaten auf der „Joschka-Tour“ um die „Joschka-Stimme“ geworben.

Es gibt keine andere Partei, in der sich die Führung so dreist über die Beschlüsse der Basis hinweggesetzt hat wie den Grünen. Der Beschluss der Delegierten auf einem Parteitag gegen die Lieferung von zwanzig Fuchs-Panzern und achtzig weiteren LKW an die irakische Übergangsregierung wurde keine zwei Tage später vom Vorstand für nichtig erklärt. Die Regierungsgrünen müsse sich daran nicht halten, da es sich bei dieser Lieferung nicht um klassischen Rüstungsexport, sondern um „Ausrüstungsunterstützung“ handele. „Die irakischen Polizisten und Soldaten der Übergangsregierung werden ständig durch Attentate und Anschläge bedroht, niedergeschossen und weggebombt. Kann man dann die Bitte ihrer Regierung um geschützte Fahrzeuge ablehnen?“, war die vorwurfsvolle Frage der Parteivorsitzenden Claudia Roth.

Was ist links?

Rhetorisch geübt wanden sich grüne Spitzenpolitiker immer wieder die Wirklichkeit zurecht. Der Afghanistan-Krieg ist kein Krieg, sondern eine Befreiungsschlacht gegen die Unterdrückung der Frau gewesen. Privatisierung stand für Selbstverantwortung und Freiheit. Hartz IV war gerecht, weil anderes, zum Beispiel die Erhöhung der Rentenbeiträge, ungerecht wäre. Alternativen außerhalb der bestehenden Machtverhältnisse wurden gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Fischer wies in einem Buch darauf hin, dass es eine Notwendigkeit gäbe, sich den Zwängen der Globalisierung anzupassen und dass dies entscheidende Grundwerte der demokratischen Linken erschüttere. Dies führte aber nicht zu der offenen Feststellung jetzt rechte Politik zu machen. Links wurde einfach umdefiniert in: „modern links“. Je größer der Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, desto wortgewaltiger wurden die Erklärungen: „Moderne linke Partei heißt, die Gesellschaft von heute so zu begreifen, wie sie sich darstellt, und das ist nicht mehr die alte Arbeits-und Klassengesellschaft. Trotzdem müssen die linken Grundthemen wie soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit im Zentrum unserer Politik stehen, aber neu definiert. Als Verteilungsgerechtigkeit, als Zugangsgerechtigkeit, als Generationengerechtigkeit....“

Warum gewählt?

Die Grünen waren immer schlimmer als ihr Ruf. Das ganze Ausmaß des Rechtsrucks ist beim Wähler nie zeitnah angekommen. Ihre Entstehungsgeschichte lässt sie linker erscheinen, als sie sind. Begeisterung gibt es für diese Partei jedoch schon seit langem nicht mehr. Zum 25-jährigen Geburtstag wurde in der Grün-nahen taz müde die Frage gestellt: Warum wird Grün noch gewählt? Obwohl der typische Grünenwähler eigentlich ein bewusster Überzeugungswähler sei, könne er nicht erklären, warum er die Grünen wählen würde. In der taz wurde eine neue Kategorie gefunden: „Der Kulturwähler“. Der Grünwähler wählt das, wo er sich kulturell und gefühlsmäßig am wohlsten fühlt. Überzeugt sein kann er nicht mehr. Im letzten Bundestagswahlkampf gab es noch mal einen Schub für die Grünen. Statt bei den befürchteten 6 Prozent landeten sie bei knapp über 8 Prozent. Dies ist aber nur vor dem Hintergrund zu sehen, dass viele WählerInnen Grüne wählten, um eine CDU/CSU/FDP-Regierung oder eine Große Koalition zu verhindern. Der Politologe Elmar Altvater erklärte das Abschneiden von Rot-Grün damit, dass sie „einen Oppositionswahlkampf gegen ihre eigene Politik betrieben“ haben.

Fehlendes Programm

Sonnenblumen, selbstgestrickte Pullis und radelnde Politiker sind längst passé. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gysi fand den treffenden Ausdruck: “Die Grünen sind verwelkt.” In ihrer Entstehungszeit hatten sie zwar viele linke Forderungen und viele in ihren Reihen, die sich als Sozialisten sahen, ihnen fehlte jedoch eine marxistische Gesellschaftsanalyse, ein klarer Klassenstandpunkt und ein zusammenhängendes sozialistisches Programm. Einzel-Forderungen aber, die nicht in ein sozialistisches Programm eingebettet sind, drehen sich wie ein Fähnlein im Wind. Sie sind nichts als fromme Wünsche und werden bei Konfrontation mit der kapitalistischen Krise teilweise in ihr direktes Gegenteil verkehrt.

Die Produktion der wirtschaftlichen Güter könnte und sollte ökologisch einwandfrei sein. Sie darf weder am Arbeitsplatz schädlich sein, noch für den Verbraucher. Die Bedürfnisse der Bevölkerung müssen der Maßstab sein. Gesunde Ernährung darf kein Luxus sein. Frische Luft, sauberes Wasser und der schonende Umgang mit natürlichen Bedürfnissen sind Grundrechte der Menschheit. Sie werden überall auf der Welt von der kapitalistischen Wirtschaft mit Füßen getreten. Wer die Umwelt retten will, muss bereit sein, den Profitinteressen des Unternehmertums den Kampf anzusagen. Gerade in Umweltfragen wird deutlich, dass nur eine geplante Wirtschaft, die nach den Bedürfnissen der Bevölkerung produziert und demokratisch organisiert ist, in der Lage wäre, die Zerstörung des Planeten zu stoppen und eine Regeneration in Angriff zu nehmen. Individuelle Veränderungen in der persönlichen Lebensgestaltung oder private Boykott-Aktionen bekämpfen das schlechte Gewissen, nicht aber den massiven Raubbau an der Natur. Statt Diskussionen über Müllvermeidung jedes einzelnen sollte Verpackungsmüll gar nicht erst produziert werden. Statt Appelle zum Energiesparen sollten Verkehrsmittel hergestellt werden, die sparsam im Verbrauch sind. Die Organisation eines leistungsstarken und attraktiven Systems des öffentlichen Nahverkehrs muss geplant und finanziert werden. Demokratie und Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung ist dabei unerlässlich. Dies hat die Entwicklung der stalinistischen Regime in den Ostblockstaaten gezeigt. Da die stalinistische Bürokratie nur an der Sicherung ihrer eigenen Privilegien interessiert war, wurde die Umwelt ohne Rücksicht auf Verluste massiv verpestet.

Ökosozialisten

Einer sozialistischen Alternative standen viele Grünen skeptisch gegenüber, selbst beim „sozialistischen Flügel“ innerhalb der Grünen wurde der klassische Marxismus bekämpft. Seine positive Einstellung zu Fortschritt, Wachstum und Technik wurde als Bedrohung für die Umwelt eingestuft. Die Produktivkräfte wurden als zerstörerisch angesehen, nicht die Art wie sie eingesetzt wurden. „Die Hauptzielscheibe des ökosozialistischen Revisionismus war der naive Glaube des Marxismus an den objektiven, neutralen und emanzipatorischen Charakter von Wissenschaft, Technik und Produktion“ schrieben die radikalen „Ökosozialisten“ Trampert und Ebermann in den 80ern. Ihrer Vorstellung nach müsse eine neue Gesellschaft aufgebaut werden, in der Verzicht und Einschränkung die Hauptrichtung darstellt. Klein-Betriebe sollten die große Industrie ersetzen, das Fahrrad und der Fußmarsch wurden dem Reisen per Auto oder Flugzeug vorgezogen. Statt Forschung und Wissenschaft zu revolutionieren und ökologisch auszurichten, sollte auf technische Errungenschaften verzichtet werden. Diese rückwärts gerichtete Sichtweise, die die Industrialisierung verdammt und das Mittelalter verherrlicht, konnte keine Perspektive und keine realistische Lösung der Probleme anbieten.

Fehlender Klassenstandpunkt

Diese weltfremde Einstellung hatte zur Folge, dass die Kluft zur arbeitenden Bevölkerung noch vergrößert wurde. Der Arbeiter, der mit dem Auto zur Arbeit fuhr wurde als dumm und konsumfixiert eingestuft. Die Arbeiterklasse wurde statt als Verbündeter als Gegner angesehen. Die Mitgliedschaft der frühen Grünen war zusammengewürfelt aus den Lebens- Natur- und Umweltschutzverbänden, den Bürgerinitiativen, der Friedens- und Menschenrechts-, der Frauen- und der dritten Weltbewegung. Linke Idealisten saßen neben rechten Reaktionären. Einig waren sie in ihrer Sorge um die Natur. Diese Frage sahen sie losgelöst von Klassenkonflikten als übergeordnete Gattungsfrage. Der Niedergang der Grünen ist der Beweis dafür, dass Umweltfragen Klassenfragen sind. Das kapitalistische System, in welchem nur die Profitmaximierung und seine private Aneignung zählt, empfindet Gesetze, die den Umgang mit giftigen Chemikalien einschränken oder die Verunreinigung der Flüsse vorsehen als massive Störung in seinem Zwang Gewinne machen zu müssen. Umweltauflagen und Arbeitsschutzbedingungen sind nur durch die Arbeiterbewegung oder massive Mobilisierungen der Bevölkerung durchgesetzt worden. Ohne den Klassenstandpunkt einzunehmen lässt sich kein Umweltproblem in den Griff bekommen. Die Kontrolle der Bevölkerung und der Arbeiter in der Produktion ist notwendig. Die Rettung der natürlichen Ressourcen kann nicht den freien Kräften des Marktes überlassen werden. Appelle an die Vernunft der Verursacher haben gar nichts bewirkt, denn Aufklärung gab es in Deutschland genug.

Die Zeitung Voran (Vorläufer der Solidarität, Zeitung der Sozialistischen Alternative) schrieb 1978: „Der berechtigten Protestbewegung der ‚Grünen‘, die hauptsächlich durch Aktivisten aus den Mittelschichten und dem Kleinbürgertum getragen wird, wird es unmöglich sein, zwischen den beiden großen gesellschaftlichen Klassen zu stehen. Sie wird sich entscheiden müssen: Mit der Arbeiterbewegung oder mit dem Kapital.“ Die Entwicklung hat die damalige Prognose bestätigt. Aus einer kleinbürgerlichen Partei wurde eine Partei, die sich dem Großkapital anbiedert.

Partei der Bestverdiener

Je mehr Regierungsbeteiligung, je mehr bürgerliche Positionen die Grünen ihren Mitgliedern zumuteten, desto mehr begann die Mitgliedschaft zu verbürgerlichen. Ralf Fücks, Chef der grünen Böll-Stiftung beschreibt die soziale Zusammensetzung: „Auf dem linken Flügel hat es eine Erosion gegeben. Hinzu gekommen sind dagegen Selbständige und Informationsarbeiter. Die Grünen repräsentieren heute das innovative Milieu der Gesellschaft...“. Sie seien nicht unbedingt besser bezahlt, aber sicherlich gut qualifiziert. Statistiken belegen jedoch, der Grünen-Wähler von heute ist auch besser bezahlt. 1982 lag das geringste Haushaltsnettoeinkommen unter den Wählern aller Parteien noch bei den Grünen. In den neunziger Jahren überholte das grüne Einkommen die CDU- und SPD-Wähler deutlich. Im Jahr 2002 wurde festgestellt, dass der durchschnittliche Grünen-Wähler ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1750 und 2000 Euro habe und jeder vierte über mindestens 3000 Euro netto verfüge. Damit haben sie das Wähler-Einkommen der FDP, der „Partei der Besserverdiener“ übertrumpft.

Perspektive Schwarz-Grün

In der taz wurden die Grünen denn auch mit der FDP verglichen: „Sie eint mit der FDP die polit-praktisch gewordene Hochnäsigkeit allen proletarischen Gründen gegenüber. Sie sind die Gymnasiasten der bürgerlichen Politszene seit Jahrzehnten - weil am coolsten ... Die Differenz ist die von Geschwistern, die die gleiche gute Wolle tragen - aber von unterschiedlichen Labels.“ Das ist auch der Hauptgrund dafür, warum sie sich so spinnefeind sind. Nicht etwa die politischen Programme. „Die Grünen teilen mit Traditionsliberalen und Unionschristen mehr als mit allen Roten. Sie würden endlich in jener Bürgerlichkeit ankommen, die sie habituell bereits verkörpern.“

Die kurzzeitigen Spekulationen nach der Wahl über eine Jamaika-Koalition (Schwarz-Grün-Gelb) wurden von den Grünen abgelehnt. Dies sei, so Roth, „in unserer Partei und in unserem Klientel nicht vermittelbar“. Wahrscheinlich meinte sie, noch nicht vermittelbar. Ein wenig Zeit und ein wenig Rhetorik ist schon noch vonnöten. Dabei ist Schwarz-Grün kein Neuland. Auf lokaler Ebene hat Schwarz-Grün schon in einigen Städten prächtig miteinander kooperiert. In Köln wurde zum Beispiel von einer schwarz-grünen Regierung das größte Sparpaket in der Nachkriegsgeschichte geschnürt. Es gab Kürzungen im kulturellen und sozialen Bereich und massive Einschnitte für Frauen und MigrantInnen. Führende Funktionäre der Grünen empfehlen, als nächsten Schritt Schwarz-Grün auf Landesebene. Eine Möglichkeit würde sich schon im nächsten Frühjahr bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg bieten.

Ralf Fücks, Chef der grünen Böll-Stiftung ist wie viele anderen froh aus dem engen Korsett Rot-Grün aussteigen zu können. “Rot-Grün war für uns wichtig, um regierungsfähig zu werden und die ökologische Modernisierung anzuschieben. Programmatisch hat es den Grünen nicht gut getan. ... Wir stehen für einen anderen Entwurf sozialer Gerechtigkeit als die SPD. Grün ist die Verbindung von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Solidarität. Soziale Teilhabe entscheidet sich beim Zugang zu öffentlichen Gütern wie Bildung und Kultur. Sozialdemokraten sind stärker auf soziale Transferleistungen fixiert.”

Fischer visionierte für die Zukunft seiner Partei: „ ...die Öffnung nach beiden Seiten, ohne dabei zum Weltkind in der Mitte zu werden. Das ist wichtig für die programmatische Erneuerung der Partei. Wir müssen die Wähler aus der klassischen Linken genauso ansprechen wie die bürgerliche Klientel.“ Dass der bayerische CSU-Spitzenmann Stoiber erklärt hat „man müsse sich daran gewöhnen, dass man auch mit Jürgen Trittin zusammen regieren kann“ sah Fischer als „kulturellen Fortschritt“.

Warnung

Die Kandidatur der WASG auf den Listen der Linkspartei hat den Grünen die Stimmen von den Wählern geraubt, die sie bisher als kleinstes Übel angesehen haben. Im letzten Bundestagswahlkampf haben sie fast eine viertel Million Stimmen an die Linkspartei verloren. Eine Positionierung in der neuen Parteienlandschaft ist nötig. Dieser wird – in Übereinstimmung ihrer sozialen Basis – weiter nach rechts gehen.

Grüne Themen sind breit in der Gesellschaft verankert. Ökologische Forderungen sind mittlerweile in allen Parteiprogrammen vorhanden. Das hat die Massenbewegung geschafft, die in den siebziger und achtziger Jahren große Teile der Bevölkerung mobilisiert hat. Die Partei, die von dieser Bewegung an die Macht gespült wurde, hat das Gegenteil ihres Ziels erreicht. Statt grüne Forderungen durchzusetzen, hat sie es geschafft ihre früheren UnterstützerInnen zu entmutigen und zu entpolitisieren.

Der traurige Ausverkauf der Grünen und ihrer Ideale ist eine Warnung für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei. Je weniger das Programm das kapitalistische System angreift, desto weniger hat sie Chancen auch nur kleinste Verbesserung durchzusetzen. Ohne massive gesellschaftliche Mobilisierungen hat eine linke Partei keine Chance im bürgerlichen Parlament. In der neuen Linkspartei schielen die neuen Führer schon zu den Regierungsbänken. Das Schicksal der Grünen zeigt: Die Beteiligung einer linken Partei an einer bürgerlichen Regierung führt nicht zu einer Linkswende der Regierungspolitik, sondern zu einer Verbürgerlichung dieser Partei.

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