Brasilien in Aufruhr

Vom Wirtschaftswunder zum Protestzentrum Lateinamerikas
Brettros

Im Sommer 2013 hat Brasilien sich wieder in die 1. Liga der sozialen Kämpfe gebracht. Was in Sao Paolo als kleiner Protest gegen Buspreiserhöhungen begann, breitete sich schnell auf das ganze Land aus. Rasch wurde eine massive Opposition gegen neoliberale Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse daraus. Sie haben die riesige Kluft zwischen Arm und Reich sichtbar gemacht. Was als Vorzeigewirtschaft der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) galt, hat sich in einen kapitalistischen Albtraum verkehrt. Für beinahe ein Jahrzehnt war Brasilien, die siebtgrößte Wirtschaft der Welt,  mit mehr als 5 % jährlichem BIP-Wachstum eine der am schnellsten wachsenden überhaupt. Während des hohen Wachstums wurden viele Kämpfe von den Hoffnungen der Menschen, dass sie auch vom Boom profitieren könnten, gebremst.

Die „Arbeiterpartei“ PT, einst tatsächlich eine starke ArbeiterInnenpartei, nun eine normale neoliberale Partei, hat diese Illusionen gefördert. Als die PT 2002 erstmals an die Macht kam, führte sie einige Sozialprogramme ein, die einer Schicht aus der Armut half. Aber seitdem ist sie nach rechts gegangen und hat viele ihrer einstigen UnterstützerInnen betrogen. Sie hat Verbindungen zum Großkapital aufgebaut und Brasilien Auslandsinvestitionen als gute Anlagemöglichkeit präsentiert – um sich die Weltmeisterschaft 2014 und Olympia 2016 zu sichern.

Nun gab es große Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse und Armen. Tausende wurden aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für Bauprojekte zu machen. Öffentliche Gelder, die den öffentlichen Verkehr verbessern hätten sollen, sind stattdessen in den Stadionbau geflossen. Militaristische „Befriedungscamps“ der Polizei haben vor allem schwarze Stadtviertel terrorisiert. Die Korruption blüht. Mit der globalen Krise und fallenden Investitionen hat sich das BIP-Wachstum zu einem Kriechen verlangsamt und zerstört den ohnehin bescheidenen Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse. In den Favelas/Slums rund um die urbanen Zentren leben Millionen unter prekären Bedingungen. 35 % der Bevölkerung haben weniger als 2 US-Dollar am Tag, in den städtischen Gebieten sind es 51 %. Die schlimmen sozialen Bedingungen haben zu vielen Streiks und Bewegungen geführt.

Viele dieser Kämpfe haben nach der Protestwelle im Juni 2013 stattgefunden, bzw. waren von ihr inspiriert. Sie hat den gleichzeitig stattfindenden Confederations Cup – der als Test für die WM 2014 galt – völlig überschattet. Eine große Blamage für die herrschende Klasse Brasiliens. Nachdem auch Polizeirepression die Proteste nicht einschüchtern konnte, hat die Politik die Taktik geändert und begonnen, Zugeständnisse anzubieten. Während die Bewegung wieder abgeebbt ist, ist die dahinterliegende Wut aber weiter gewachsen. Seit letztem Juni gab es eine Welle von Landbesetzungen sowie Studierenden- und Jugendmobilisierungen in den Städten für gratis Öffis. Im Juli und August gab es zwei bundesweite 24-Stunden-Aktionstage, die Streiks und Blockaden von größeren Straßen mit einschlossen. Alleine in Rio hat ein Lehrerstreik für höhere Löhne und bessere Bedingungen zwei Monate 80 % der Schulen paralysiert. ÖlarbeiterInnen haben gegen Privatisierungen gestreikt.

Die Situation in Brasilien bleibt instabil. Die Stagnation der Weltwirtschaft und die Verlangsamung in China wird die wirtschaftliche und soziale Situation in Brasilien nicht verbessern. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass es im Vorfeld der WM im Juni wieder zu Protesten kommen wird.

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