Lula da Silva: Das kleinere Übel

Nico Rastelli

“Bolsonaro muss gehen”, hört man am Wahltag auf Brasiliens Straßen. Als Lulas Wahlsieg bekannt wird, brechen die Massen in Freudenschreie aus. Ihre Freude gilt aber nicht dem zukünftigen Präsidenten – die meisten feiern nicht den Beginn der Lula-Präsidentschaft, sondern das Ende der Bolsonaro-Zeit. Lula ist kein gefeierter Held, sondern schlicht und einfach das kleinere Übel.

Bolsonaros Amtszeit war geprägt von der beschleunigten Zerstörung der Regenwälder, Angriffen auf verschiedenste Rechte, neoliberaler Politik, einem katastrophalen Umgang mit der Covid-Pandemie, Armut und Hunger: 29% der Bevölkerung kann sich nicht genügend ernähren. Jedoch ist Lula keine wirkliche Alternative – um sich dem brasilianischen Kapital anzubiedern, verbündet er sich mit Rechten, um Bolsonaro-Wähler*innen anzusprechen, äußert er sich gegen Abtreibungsrechte. Seine Geschichte zeigt, wohin es führt, wenn Linke innerhalb der kapitalistischen Logik und mit den Institutionen des bürgerlichen Staates agieren, anstatt auf Widerstand und Organisierung von unten zu bauen, um echte große Veränderungen anzustreben.

Während Brasiliens Militärdiktatur (1964-85) war Lula im Widerstand tätig und wurde Teil der Arbeitspartei, die ihn 2003 als Präsidentschaftskandidat aufstellte. Zu seiner Amtszeit führte er einige Sozialreformen ein, die sich positiv auswirkten. 2008 verschärfte sich jedoch die wirtschaftliche Lage: Durch die Krise wurde es unmöglich, Reformen für die arme und arbeitende Bevölkerung zu machen, ohne die Besitzverhältnisse in Frage zu stellen. So mussten statt den Reichen die Arbeiter*innen und Armen den Preis für die Krise zahlen. Dazu kamen zahlreiche Korruptionsskandale. Auch heute steht Brasilien vor einer wirtschaftlichen Katastrophe, deren Kommen durch Covid, den Ukrainekrieg und reaktionäre Angriffe auf die arbeitende Klasse nur beschleunigt wurde.

Nun ist es an Lula, mit der Krise umzugehen. Er hat schon deutlich gemacht, dass er den Interessen des brasilianischen Kapitals treu bleibt, wird also kaum was von Bolsonaros Verschlechterungen zurücknehmen und hat kaum Raum für echte Verbesserungen. Deshalb ist eine unabhängige Massenbewegung der Arbeiter*innen nötig, um ihn dazu zu zwingen, gegen Armut, Hunger, Imperialismus, Femizide, Diskriminierung und Zerstörung der Umwelt vorzugehen.

Der Kampf gegen Bolsonarismus

Bolsonaro wurde in dieser Wahl knapp besiegt. Doch er und seine Anhänger*innen weigern sich, das Ergebnis anzuerkennen, manche hoffen auf einen Militärputsch. Trotz Lulas Sieg hat Bolsonaro sich eine große Basis an Unterstützern aufgebaut. Die teilweise rechtsextreme und gewalttätige Gefolgschaft von Bolsonaro ist eine ernste Gefahr. Wie die brasilianische Sektion der ISA (LSR - Liberdade, Socialismo e Revolução) anlässlich rechter Strassenblockaden schreibt, wäre es falsch, sich hier nur auf den bürgerlichen Staats zu verlassen: „alle sozialen Bewegungen [und] Gewerkschaften (…) sollten zu Mobilisierung aufrufen, um Stärke zu demonstrieren, die Freigabe der Straßen zu fordern und die Amtseinführung des neuen Präsidenten zu garantieren“. LSR betont auch die Notwendigkeit einer unabhängigen Partei der Arbeiter*innenklasse, die ihre Wurzeln in den aktuellen Kämpfen mit einem sozialistischen Programm verbindet. 

Genau das kann auch Lula dazu zwingen, seine Wahlversprechen einzuhalten, anstatt Politik für die Reichen zu machen. Doch an diesem Punkt bedeuten alle großen Zugeständnisse für ihn zwangsläufig einen Konflikt mit Kapital oder Imperialismus. Eine breite Arbeiter*innenbewegung wäre nicht nur in der Lage, Rechtsextremismus zu bekämpfen, sondern Lula tatsächlich voranzutreiben und gegen Femizide, für kostenlose und sichere Abtreibungen, für Klimasicherheit und Schutz der indigenen Bevölkerung sowie für riesige Investitionen in den Sozialsektor und Sozialwohnungen zu kämpfen, die dringend benötigt werden.

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