Austromarxismus: Eine Alternative?

Leon Neureiter

Noch heute wird oft wehmütig auf die scheinbar glorreiche Vergangenheit der Sozialdemokratie geblickt. Dabei wird, etwa in Materialien der Sozialistischen Jugend, deren damaliges ideologisches Vehikel, der „Austromarxismus“, als scheinbare Alternative zu revolutionärem Marxismus und opportunistischem Reformismus verklärt.

Dabei gab und gibt es „den“ Austromarxismus nicht. Der Austromarxismus war keine einheitliche marxistische Strömung. Tatsächlich gab es ein weites Spektrum von Ansätzen, von Experimenten mit Rätedemokratie bis zu Sozialismusvorstellungen, die nicht einmal eine Umwälzung der Produktionsweise einschlossen. Dieses Spektrum stellte die stellte die Spannweite der Reaktionen der Parteibürokratie auf eine Situation sozialer Spannungen dar. Denn die Sozialdemokratie wollte einerseits eine Revolution verhindern, was auch ihr Kopf Otto Bauer nie leugnete. Andererseits wollte sie aber auch das Gespenst der Revolution am Leben erhalten, um Verhandlungsgewicht mit bürgerlichen Kräften zu haben und die ArbeiterInnen an sich zu binden. Theorie diente der nachträglichen Rechtfertigung der Aktionen der Sozialdemokratie – ein Beispiel hierfür ist Otto Bauers Theorie des »Gleichgewichts der Klassenkräfte«, die von ihm nachträglich aufgestellt wurde, um die reformistischen Reaktionen der sozialdemokratischen Parteiführung auf die durchaus revolutionäre Situation zu rechtfertigen.

Was die austromarxistischen DenkerInnen jedoch gemeinsam hatten, war, dass sie den Sturz des bürgerlichen Staates klar ablehnten – ihr rechter Flügel rund um Karl Renner leugnete sogar von Anfang an den Klassencharakter des bürgerlichen Staats. Doch auch der linke Flügel rund um Max Adler, der rätedemokratische Elemente befürwortete, wollte diese lediglich mit dem bürgerlichen Staat verbinden. Wenn es nach Otto Bauer ging, würde »der Sozialismus selbst aus der Tatsache der Demokratie kommen, denn die Demokratie […] schlägt von selbst zum Sozialismus um.« Dies ist eine vollständige Verklärung des Klassencharakters des bürgerlichen Staates. Es wird suggeriert, dass Wahlen in diesem Rahmen seinen eigenen Rahmen sprengen und letztendlich die Macht des Bürgertums brechen könnten. Ein fataler Irrtum, denn zur Not greifen die KapitalistInnen selbst auf undemokratische und diktatorische Mittel zurück – genau das mussten die AustromarxistInnen im Februar 1934 selbst miterleben. Der gescheiterte Februaraufstand stellte gleichzeitig den Höhepunkt des Verrats durch den „Austromarxismus“ sowie dessen komplettes Scheitern dar.

 


Zum Weiterlesen:

Sozialistische LinksPartei (Hrsg.): „Wir gehen nicht zurück“ – 80 Jahre Februaraufstand

Die Broschüre beinhaltet eine Analyse des Austromarxismus und dem Text von Leo Trotzki: „Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus“