Aufschwung nur für Reiche?

Nicht mit uns!
Sonja Grusch

PolitikerInnen und “Wirtschaftskapitäne” jubeln über Wachstum und Aufschwung. Doch warum merkt die Bevölkerung so wenig davon?!

Sinkt die Arbeitslosigkeit tatsächlich?

Wirtschaftsminister Bartenstein verkündet stolz den Rückgang der Arbeitslosigkeit. Ende Juni waren nur mehr 183.644 Menschen arbeitslos gemeldet, plus 50.373 Personen in Schulungen. Es ist bereits zynisch, eine knappe Viertelmillion Arbeitslose als Erfolg zu präsentieren! Bei näherer Betrachtung erweisen sich trotzdem – selbst hier – Jubelmeldungen als Mogelpackung. Am stärksten gesunken ist die Zahl der Arbeitslosen in der Industrie. Genau dort ist gleichzeitig die Zahl der Zeitarbeitskräfte am stärksten gestiegen (+47%). Knapp 40% aller ZeitarbeiterInnen sind inzwischen Facharbeitskräfte. Der Trend, gut bezahlte Vollzeitjobs in schlecht dotierte prekäre Beschäftungsverhältnisse aufzuteilen, hält an.

Mindestlohn: ein  Fortschritt?

"Mit der heutigen Vereinbarung zwischen ÖGB und WKÖ wird künftig niemand, der in Österreich Vollzeit arbeitet, unter 1.000 Euro verdienen", erklärte ÖGB-Präsident Hundstorfer am 2. Juli. Diese Vereinbarung gilt voraussichtlich ab 2009. Circa 30.000 ArbeitnehmerInnen werden davon profitieren (und dann ganze 820,- netto verdienen). Für zehntausende atypisch Beschäftigte (Freie DienstnehmerInnen, WerkvertragsnehmerInnen, Scheinselbständige), Beschäftigte der "freien Berufe", die nicht in der Wirtschaftskammer vertreten sind (Menschen, die bei ÄrtztInnen, RechtsanwältInnen, NotarInnen arbeiten) sowie PraktikantInnen (immer häufigere Beschäftigungsform von AkademikerInnen) gilt die Vereinbarung NICHT. Und die Beschäftigten in diesen Bereichen werden immer mehr. Das gilt übrigens nicht zuletzt auch für Buchingers Pflegemodell mit selbstständigen PflegerInnen, die ebenfalls diesen Mindestlohn nicht beanspruchen werden können. An die Unternehmen in diesen Bereichen wird appelliert, sich anzuschließen. Lehrlinge, die gerade in den Niedriglohnbranchen erbärmlich wenig verdienen, profitieren nicht. Ihre "Lehrlingsentschädigung" wird nicht einmal anteilsmäßig angehoben. Der Mindestlohn soll übrigens auch per Branchen-KV eingeführt werden, um auf die branchen-spezifischen Bedürfnisse reagieren zu können. Das bedeutet in der Praxis, dass sich die Wirtschaft den Mindestlohn durch Verschlechterungen in anderen Bereichen (Arbeitszeit …) teuer abkaufen lassen will. Hat der ÖGB hier schon vorgebaut und ggf. Kampfmaßnahmen geplant?! Bisher ist selbst Insidern noch nichts bekannt ...

Gegensteuern - zum Schutz des Systems?

Selbst eingefleischte VertreterInnen von neoliberalen Konzepten erkennen, dass die bestehende Optik schief ist. Dass zwar die Gewinne steigen, aber nicht die Löhne, dass die ArbeitnehmerInnen vom "Aufschwung" nicht profitieren. Fakt ist: Die Reallöhne werden 2007 um magere 0,1% steigen. Zwischen 1997 und 2005 sind die Gewinne doppelt so stark gestiegen wie Löhne und Gehälter. Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen (die "Lohnquote") ist von 80% im Jahr 1976 auf 65,4 % im Jahr 2007 abgesunken.
Wohl nicht, weil sie plötzlich ihr soziales Gewissen entdeckt haben, sondern um die "Akzeptanz der Arbeitnehmer für das System zu erhalten", zum "Schutz des Systems" (beides O-Ton Böhler-Chef Raidl) fordern nun selbst WirtschaftsvertreterInnen Maßnahmen, um die Einkommen der Beschäftigten zu erhöhen und die schreiende Ungerechtigkeit notdürftig zu kaschieren. Sie treffen sich auf dieser Argumentationslinie mit GewerkschafterInnen, die für (moderate) Lohnerhöhungen argumentieren, um "die Kaufkraft zu erhöhen". In schlechter alter sozialpartnerschaftlicher Manier orientieren sie sich daran, was gut für "die Wirtschaft" ist und nicht daran, was gut, gerechter und eigentlich auch durchsetzbar für die Beschäftigten wäre.

Wir wollen mehr. Nämlich eine echte Trendwende!

JETZT gibt es gute Möglichkeiten, Arbeitszeitverkürzungen und höhere Löhne durchzusetzen. Der "Aufschwung" wird nicht lange anhalten, seine Basis ist mehr als schwach und ExpertInnen rechnen bereits 2008 mit einer "Verlangsamung". Die WirtschaftsvertreterInnen sind jetzt in einer Defensivposition. Aber wird die Gewerkschaft diese Chance nutzen? Vertreter der Metaller-Gewerkschaft (die eröffnet traditionell die Herbstlohnrunden) haben angekündigt: "Im Herbst wird über die Produktivität (die um mehr als 5% gestiegen ist, Anm.) verhandelt". Das wäre auch notwendig. Die Erfahrungen der letzten faulen Deals lassen allerdings keine großen Hoffnungen aufkommen.
Es kann gut sein, dass die Beschäftigten die Ankündigungen der Gewerkschaft ernst nehmen und diese, wenn die Gewerkschaft wieder kleinbei gibt, selbst umzusetzen versuchen. Wir schlagen dafür folgende Hauptforderungen vor:

  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn auf 30 Stunden pro Woche
  • Mindestlohn von 1.100,– netto

Um diese Verbesserungen umzusetzen, braucht es eine Kampagne in- und außerhalb der Gewerkschaften, in den Betrieben und unter AktivistInnen, die sich nicht von den BürokratInnen im ÖGB bremsen lässt.

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