ÖGB-Krise: Kurswechsel und Demokratisierung sind dringend nötig!

Sonja Grusch

“Der ÖGB ist in seiner schwierigsten Situation seit Bestehen.” Diese Worte fand am 18. April Ex-Metaller-Chef Nürnberger anlässlich seines Rücktrittes. Tatsächlich ist die Krise des ÖGB tief. Aber sie hat ihre Ursache keineswegs nur im Bawag-Skandal, denn die Mitgliederzahlen sinken seit Jahren. Viele, die (noch) dabei sind, fühlen sich angesichts von Privatisierungen, Jobabbau und Prekärisierung, Pensionsreform und Sozialabbau schon länger vom ÖGB im Stich gelassen. Den GewerkschaftsfeindInnen in Regierung, Parlament und Chefetagen ist ein geschwächter ÖGB durchaus recht. Aber vor dem Hintergrund kommender Angriffe auf den Lebensstandard und die Rechte von
ArbeitnehmerInnen sind Gewerkschaften wichtiger denn je. Die Frage ist: Wie muss der ÖGB verändert werden, um eine
Kampforganisation für die Interessen von ArbeitnehmerInnen und Jugendliche zu werden?

Gewerkschaften sind Kampforganisationen gegen neoliberale Angriffe: Schluss mit Kuschelkurs!

  • Die durchschnittliche Arbeitszeit ist in Österreich 44,1 Stunden/Woche
  • Zur Zeit sind mindestens 300.000 Menschen arbeitslos, tatsächlich ist die Zahl weit höher
  • Fast die Hälfte der 100.000 SozialhilfebezieherInnen in Österreich hat einen oder zwei Jobs, verdient dabei aber zum Leben zuwenig

Die Situation für alle jene, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, also nicht über Großgrundbesitz, Firmen, Aktienpakete oder fette Konten verfügen, verschärft sich. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich ständig, die Löhne/Gehälter decken kaum noch die laufenden Kosten. Das ist den Unternehmen aber noch nicht genug - sie fordern weitere Flexibilisierungen. Ihr Ziel: WEG MIT DEM KOLLEKTIVVERTRAG. Sie wollen Beschäftigte ohne Kündigungsschutz, die jederzeit entlassen werden können; Beschäftigte, die auf Abruf jederzeit auch Nachts und an Sonn- und Feiertagen ohne Zuschläge zur Verfügung stehen.  Die Angriffe von Regierung und Unternehmen auf ArbeitnehmerInnen in den letzten Jahren zeigen, dass keine Verbesserung im Rahmen des Kapitalismus von Dauer ist. Viele Verbesserungen, die hart erkämpft wurden, sind wieder zurückgenommen worden. Die Gewerkschaften sind entstanden, um die ArbeiterInnen, die als Einzelne in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber den Unternehmen sind, zusammenzuschließen und gemeinsam Verbesserungen erreichen zu können. Dafür brauchen wir Gewerkschaften in Zukunft sehr dringend.

Wo ist der ÖGB?

Der ÖGB ist 1945 durch einen Akt “von Oben” gegründet worden. Seither spielen die demokratischen Rechte und die Mitbestimmung der Gewerkschaftsmitglieder praktisch keine Rolle in den Gewerkschaftsstrukturen. Das Selbstverständnis als “Sozialpartner” und als “Stütze und Bestandteil des österreichischen Staates” ist Grundpfeiler der ÖGB-Führung. In diesem Sinne wurde der Kapitalismus auch nie in Frage gestellt. Man meinte, einen “österreichischen”, einen “sozialen” Kapitalismus (manchmal auch “soziale Marktwirtschaft” genannt) schaffen zu können. Diese Illusion konnte aufrecht erhalten bleiben, solange der Kapitalismus weltweit in einer Aufschwungperiode war. Als der Kuchen groß war, fiel auch etwas für die ArbeiterInnen ab. Aber spätestens seit den 80er Jahren gibt es diese Spielräume für Zugeständnisse von Seiten der Unternehmen nicht mehr. Die internationale Konkurrenz nimmt zu, es wird immer schwerer, Profite zu machen - da wurden die sozialen Rüschen des österreichischen Kapitalismus lästig und zu teuer. Der Neoliberalismus hielt Einzug in die Wirtschaftspolitik. Der ÖGB sah dieser Entwicklung eher hilflos zu. Der Widerstand gegen die Privatisierungspolitik seit den 80er Jahren und gegen die Sparpakete seit den 90er Jahren war - wenn überhaupt - zahnlos. Die Argumente von Regierung und Unternehmen (“Wir müssen doch sparen”) wurden sogar teilweise übernommen. Pensionskürzungen, Bildungsabbau und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wurden in der Folge stillschweigend mitgetragen oder zumindest hingenommen. Das zweite Sparpaket Mitte der 90er Jahre hatte der ÖGB abgelehnt, um dann ein eigenes vorzulegen - das seinerseits massiven Sozialabbau brachte und von der SPÖVP-Regierung auch prompt umgesetzt wurde. Die “Notwendigkeit” die Arbeitskosten zu senken um international konkurrenzfähig zu bleiben, ist von einem Standpunkt, der sich auf dem Boden des Kapitalismus bewegt, nicht unlogisch. Der ÖGB hat dieser Politik nichts entgegen zu setzen. Die ÖGB-Führung hat die Sozialpartnerschaft zur Ideologie erhoben. Sie hat den Werbeslogan der Regierung “Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut” um Jahrzehnte vorweg genommen und versucht, ihn umzusetzen.

Bawag-Skandal: Symptomatisch

Der Bawag-Skandal zeigt exemplarisch die negativen Folgen dieser politischen Ausrichtung; einer Doppelrolle als Interessensvertretung der ArbeiterInnenklasse und gleichzeitig eines “Sozialpartner” im Kapitalismus, welcher das bestehende System - angeblich “zum Wohle aller” - mitgestalten will. Die Frage lautet hier: Welche Interessen vertritt der ÖGB letztlich - die seiner Mitglieder oder die der Kapitalseite. Vom Standpunkt eines Bankers aus, war die Entscheidung von Verzetntitsch im Jahr 2000, den ÖGB-Streikfonds als Sicherheit für die Bawag zur Verfügung zu stellen, möglicherweise richtig. Vom Standpunkt eines Gewerkschaftschefs, der die Interessen von 1.300.000 Millionen Mitgliedern vertritt, war sie geradezu kriminell. Warum eine Gewerkschaft ihre Finanzen nicht spekulativ anlegen darf, liegt selbst für die Gegenseite auf der Hand: “Der ÖGB braucht einen großen Streikfonds, sonst ist er ein Papiertiger. Dieser Fonds muss so veranlagt sein, dass die Gewerkschaft einen schnellen Zugriff hat und nicht von Aktienentwicklungen abhängig ist.” (Andreas Khol, ÖVP). Ebenso falsch ist es allerdings, das “Erbe”, welches mit BAWAG und den anderen Unternehmen nun einmal besteht, nun - noch dazu nach wahltaktischen Zurufen aus der SPÖ-Zentrale - auf Teufel komm raus zu verscherbeln. Notwendig wäre eine Neuausrichtung des gesamten ÖGB nach einer breiten demokratischen Diskussion an deren Ende auch die Neuordnung (und selbstverständlich auch Neuorientierung) gewerkschaftseigener Unternehmen stehen muss. In diesem Sinne treten wir klar gegen die überfallsartigen Beschlüsse der ÖGB-Spitzengremien ein, die BAWAG über den Kopf der Mitglieder und MitarbeiterInnen hinweg zu verkaufen. 
Kampforganisation statt Sanierungspartnerschaft notwendig
Die negativen Seiten der Sozialpartnerschaft traten bereits vor einigen Jahren offen zu Tage: Beschäftigte und ÖGB haben keine Erfahrung mit Arbeitskämpfen, die UnternehmerInnenseite hat keine Angst mehr vor dem zahnlosen Papiertiger. In der Praxis hat das etwa bedeutet, dass bei den AUA-Streiks oder beim ÖBB-Streik 2003, der damalige ÖGB-Vorsitzende Verzetnitsch seine Rolle als die eines Vermittlers zwischen Streikenden und Geschäftsführung definierte. Selbst jene, die meinen, die Sozialpartnerschaft hätte mehr Vor- als Nachteile gehabt, müssen inzwischen einsehen, dass sie heute in der Praxis tot ist. Daran ändern auch gemeinsame Pressekonferenzen zwischen den Präsidenten von ÖGB und Wirtschaftskammer nichts. Sozialpartnerschaft bedeutet heute Sanierungspartnerschaft: die Gewerkschaft gibt ihren Sanktus zu Verschlechterungen und weist darauf hin, dass ohne ihr Mittun sonst alles “noch schlimmer” gekommen wäre. Das ist allerdings eine Perspektive, die sich die meisten einfach nicht mehr leisten können. Wenn am Ende des Geldes noch viel Monat übrig und die Zukunft düster ist, dann nützt uns ein “es hätte noch schlimmer kommen können” herzlich wenig. Die Gewerkschaften brauchen daher einen Kurswechsel. Sie müssen Kampforganisationen werden und ihre Politik an den Bedürfnissen und Interessen der ArbeitnehmerInnen, der Arbeitslosen und der sozial Schwachen orientieren. Die Bewegung in Frankreich gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes für junge Menschen (CPE) hat gezeigt, dass wir uns nicht mit einem “es hätte noch schlimmer kommen können” abfinden müssen. Der Sieg der Bewegung und die Rücknahme des CPE stellen eine neue Entwicklung dar. Die KollegInnen in Frankreich haben gezeigt: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und wer kämpft, kann auch gewinnen!

BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen müssen über die künftige Ausrichtung des ÖGB und die künftige Führung entscheiden: Abhaltung des für 19. Juni geplanten ÖGB-Kongresses

“Alle Gewerkschaftsvorsitzenden sind sich einig, dass wir aus der Krise lernen müssen. Wir müssen raschest alles angehen, was wir in den vergangenen 15, 20 Jahren an Hausaufgaben nicht ausreichend gemacht haben. Daher wurde der Kongress im Juni 2006 abgesagt. Bis Herbst 2007 wollen wir uns bemühen, den ÖGB so zu strukturieren, dass er für viele Bevölkerungsgruppen wieder attraktiv wird.” (Hundstorfer im Standard-Interview am 6.4.2006)
Das Vorgehen der ÖGB-Spitze zeigt, dass hier nichts gelernt wurde. Im Gegenteil: Alles ist beim Alten. Nachdem bekannt wurde, dass sich die Bawag in Karibikgeschäften verspekuliert hatte (News spricht sogar von Verlusten bis zu 2 Milliarden Euro) überschlugen sich die Ereignisse. Am 27. März folgte der Rücktritt des ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch. Sein Vize, der bisherige GdG-Vorsitzende Hundstorfer, wurde zum Interimsvorsitzenden gekürt und ein außerordentlicher Gewerkschaftstag für 19. Juni angekündigt. Es folgte die Nachricht, dass sich der ÖGB von der Bawag trennen werde. Dann einigten sich die Spitzen der SPÖ und der ÖVP-Fraktionen im ÖGB (FSG und FCG) darauf, den außerordentlichen Gewerkschaftstag abzublasen und Hundstorfer zum ÖGB-Präsident bis 2007 zu ernennen. Das wurde dann in einem ÖGB-Bundesvorstand noch brav abgesegnet (nur die VertreterInnen der Grünen- und der KP-Fraktionen stimmten dagegen).
WIEDER wurde über die Köpfe der Mitgliedschaft entschieden. WIEDER sucht man die Lösung im Postenschacher auf Spitzenebene und denkt nicht einmal über Kurskorrekturen nach. Pro Jahr verlässt ca. 1 % der Mitgliedschaft die Gewerkschaft. Der Bawag-Skandal (rund 12.000 Austritte in der ersten Woche werden kolportiert) hat diese Tendenz beschleunigt, aber nicht erzeugt. Die “Veränderungen in der Arbeitswelt” sind vor allem eine Ausrede der ÖGB-Führung, ihre Maßnahmen “mehr Service” sind wirkungslos. Die Mitglieder gehen, weil sie zurecht das Gefühl haben, dass die Gewerkschaft nichts tut.

Wo ist die Gewerkschaftslinke?

Die Wut über die Politik und die undemokratische Vorgehensweise der Gewerkschaftsführung ist berechtigt. Das Problem ist: was kann der/die Einzelne tun? An der Gewerkschaftsspitze gibt es offensichtlich keine Alternativen. Die Führung hat praktisch geschlossen der Absage des außerordentlichen Kongresses zugestimmt. (Die Vertreter der ÖVP- und BZÖ-Fraktionen übrigens auch). Kein Vorsitzender einer Einzelgewerkschaft steht hier für einen anderen Kurs - obwohl interessanterweise jene, die in den Medien als “kämpferisch” dargestellt werden, noch über die besten Umfragewerte verfügen . Das eigentliche Signal an die Mitgliedschaft ist deutlich: Business as usual - Euch brauchen wir nur als BeitragszahlerInnen.
Aber auch die Opposition im ÖGB-Vorstand bietet keine Alternative. Die ÖVP-Gewerkschafter (FCG) versuchen selbst ihre Positionen zu sichern und befinden sich real auf Regierungskurs. Die beiden kleinen Fraktionen im ÖGB die über eine gewisse Basis verfügen, der der KPÖ nahestehende GLB und die den Grünen nahestehende UG, setzen auf Fraktionsarbeit und nicht auf Mitgliedermobilisierung. Bei der ÖGB-MitarbeiterInnenversammlung und bei der Bawag-MitarbeiterInnenversammlung (jeweils rund 1000 TeilnehmerInnen) waren es leider ausschließlich SLP-Mitglieder und VertreterInnen der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften, die Flugblätter an die Belegschaften verteilten, auf denen gefordert wurde: “1.300.000 Mitglieder müssen entscheiden”. Wenigstens bei der Sitzung des Bundesvorstandes am 6. April nahmen MitarbeiterInnen von GLB und UG an der von der SLP initiierten Protestversammlung teil. FSG-Zorn, ein Zusammenschluss linker FSG'lerInnen, war bisher bei keiner Protestaktion. An einer gemeinsamen breiten linken Initiative für einen ÖGB-Neu, die die SLP angeregt hat, gibt es bisher leider kein wirkliches Interesse. Das bedeutet aber in der Praxis, den frustrierten Mitglieder nichts anbieten zu können; diese werden in Folge den ÖGB verlassen, anstatt sich einer kämpferischen Opposition anzuschließen.
Die Argumente reichen von “Zeitmangel” bis “das ist Gewerkschaftssache”. Insbesondere die Unabhängigen GewerkschafterInnen (UG, zu denen u.a. die KIV bei der GdG und die AUGE bei der GPA gehören) fordern eine “Unvereinbarkeit zwischen einem parteipolitischen Mandat in einer gesetzgebenden Körperschaft und einer Spitzenfunktion im überparteilichen Gewerkschaftsbund”. Das bedeutet nichts anderes, als eine weitere Entpolitisierung der Gewerkschaften. Eine Gewerkschaft ist aber nichts Unpolitisches, soll und kann sich letztlich nicht nur um “gewerkschaftliche” Themen kümmern. Das hat z.B. die Pensionsreform gezeigt - und das ist auch der Grund für die lange, enge und ursprünglich positive Bindung zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaft. Aber heute ist die SPÖ keine ArbeiterInnenpartei mehr. Das Problem ist nicht, dass GewerkschaftsfunktionärInnen MandatarInnen einer Partei sind, sondern WELCHER Partei, bzw. vor allem welcher politischen Linie sie sich verpflichtet fühlen. Für unvereinbar halten wir es, wenn z.B. Sozialabbauer bzw. Gewerkschaftsfeinde wie Khol (ÖVP) oder Haider (BZÖ) Gewerkschaftsmitglieder sind. Wir glauben demgegenüber auch, dass viele FSGler heute - zurrecht - das Naheverhältnis ihrer Fraktion zur SPÖ hinterfragen, weil dieses einer kämpferischen Neuorientierung der Gewerkschaften entgegensteht. Wir gehen hier allerdings zugegebenermaßen noch einen Schritt weiter: Heute braucht die ArbeiterInnenklasse unserer Meinung nach eine neue Partei. In Deutschland haben FunktionärInnen u.a. aus der IG-Metall die Konsequenz aus der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie gezogen und eine neue Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche gegründet - die WASG. Eine solche Entwicklung ist auch in Österreich notwendig und hängt v.a. davon ab, ob es im ÖGB einen kämpferischen Kurswechsel bzw. eine starke kämpferische Opposition gibt. Aus einer solchen Entwicklung würde sich unvermeidlich auch die Frage nach neuen politischen Organisationsformen stellen, die sowohl bei allgemeinen Wahlen antritt, aber vor allem in den Bewegungen und Kämpfen von ArbeiterInnen und Jugendlichen die Frage nach Alternativen zum Kapitalismus aufwerfen - und hoffentlich beantworten - kann.

ÖGB-Neu ist notwendig

Um die derzeitige Krise zu überwinden, braucht es eine deutliche Veränderung. Ein Zeichen dafür hätte der Gewerkschaftskongress am 19. Juni sein können. Das Argument von Hundstorfer, dass eine Verschiebung notwendig sei, um Zeit für notwendige Reformen zu haben, ist unakzeptabel. Es geht ihm nicht um eine Demokratisierung, sondern darum, die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Machtblöcken im ÖGB zu klären. Konkret geht es darum, wie die schwindenden Mitgliedsbeiträge (der ÖGB machte allein 2005 rund 42 Millionen Euro Verlust) künftig aufgeteilt werden können. Es ist ein Konflikt ums Geld und nicht um die politische Ausrichtung. Die Mitgliedschaft wird weiter vor vollendete Tatsachen gestellt.
Wenn der ÖGB die Interessen der ArbeitnehmerInnen in Zukunft wirkungsvoll vertreten soll, dann geht das nicht ohne die aktive Einbeziehung der Mitglieder. Dazu braucht es grundlegend andere Strukturen. Heute ist der ÖGB von oben nach unten strukturiert. Die Mitglieder haben wenig bis gar keine Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die FunktionärInnen bleiben als Delegierte auf den Gewerkschaftstagen weitgehend unter sich. So kann es dann auch passieren, dass auf den Gewerkschaftskongressen Beschlüsse gefällt, diese aber niemals umgesetzt werden. Die Strukturen des ÖGB machen den Streik einer Fachgewerkschaft auch von der Zustimmung der ÖGB-Spitze abhängig - was in der Praxis eine Verhinderung von notwendigen Arbeitskämpfen bedeutet. Nach dem heutigen Statut kann einE PräsidentIn des ÖGB nur jemand werden, der seit vielen Jahren Teil der Spitzen der ÖGB-Bürokratie ist. Das zementiert die Abgehobenheit der Führung ein. Wir meinen, dass ein kommender Gewerkschaftstag auch neue Strukturen bringen muss: BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und GewerkschaftsaktivistInnen, die täglich “an der Front” stehen und die Nöte und Bedürfnisse der Basis wirklich kennen, müssen über einen neuen politischen Kurs und als Konsequenz davon auch über eine neue Führung aus ihren Reihen abstimmen. Die Politik der Gewerkschaftsführung (das gilt auf allen Ebenen) muss ständig einer Kontrolle durch die Mitgliedschaft unterworfen sein. Das bedeutet auch, dass diese - wenn die Mitgliedschaft mit ihnen unzufrieden ist - wieder abgewählt werden können. Und zwar nicht nur auf dem jeweils nächsten Kongress, sondern auch dazwischen.
Eine breite, linke und fraktionsübergreifende Kampagne von GewerkschaftsaktivistInnen wäre JETZT die Möglichkeit, eine reale Basis für einen ÖGB-Neu zu legen und die alte Unart der Stellvertreterpolitik und des hinter-verschlossenen-Türen-den-langen-Weg-durch-die-Institutionen endlich zu überwinden.

Niemand soll mehr verdienen als jene, die er/sie vertritt: Einkommensdeckelung für Funktionäre!

  • Die Vorstände der Bawag erhielten 2004 3,3% vom Gewinn und waren damit Spitzenreiter in der österreichischen Bankenlandschaft
  • Der Präsident der Arbeiterkammer verdient mehr als der Präsident der Wirtschaftskammer
  • Verzetnitsch geht mit einer Pension von ca. 11.000 - das entspricht etwa dem 10fachen der österreichischen Durchschnittspension

Marx schrieb den bekannten Satz “Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.” WIE wahr dieser ist, zeigt die heutige ÖGB-Führung. Das Umfeld eines Menschen prägt seine Sichtweise und seine politische Einstellung. Wenn ein ÖGB-Präsident in einer Luxuswohnung wohnt, wie soll er verstehen, wie hart die steigenden Heizkosten NiedrigverdienerInnen treffen und warum die Lohnabschlüsse, die angeblich “über” der Inflation liegen in Wirklichkeit Reallohnverluste bedeuten, weil Wohnen und Heizung für Viele bereits bis zu 50% ihres Einkommens ausmachen? Wenn ÖGB-FunktionärInnen auf Du-und-Du mit Wirtschafts- und RegierungsvertreterInnen sind, dann ist es nicht verwunderliche, wenn sie deren Argumente von Standortlogik und Wettbewerbsnachteil übernehmen.
Wir schlagen nicht vor, dass GewerkschaftsfunktionärInnen am Hungertuch nagen müssen; ebenso wenig wie andere ArbeitnehmerInnen. Wir meinen aber, dass ihr Einkommen nicht über dem jener Menschen liegen soll, die sie vertreten sollen.
Würde sich dann niemand mehr finden der/die bereit ist, dass zu machen? Auf Menschen, die eine solche Funktion nur wegen des Geldes übernehmen, sollte die Gewerkschaftsbewegung verzichten. Und die vielen ehrenamtlichen GewerkschafterInnen beweisen, dass es keinen Mangel an Menschen gibt, denen die Sache wichtig genug ist.
Würden wir dann nur zweitklassige KandidatInnen bekommen, weil die “guten” in der Privatwirtschaft besser bezahlt würden? Wer die Privatwirtschaft vorzieht, soll dorthin gehen! Und dass hohe Einkommen keine Garantie für Kompetenz sind, beweisen die Regierungsmitglieder genauso wie die GewerkschaftsfunktionärInnen und die Bawag-Aufsichtsräte. Schlechter als Letztere kann wohl niemand seine/ihre “Aufsichtspflicht” erfüllen.
Haben die GewerkschafterInnen ein Recht auf höheres Einkommen, weil sie mehr arbeiten? Ein schlichtes Rechenbeispiel: der Tag hat 24 Stunden. Mindestens acht davon werden im Regelfall für Schlafen, Duschen etc. draufgehen. Selbst wenn jemand also 16 Stunden am Tag arbeitet rechtfertigt das kein Einkommen das fünf-, sieben oder zehnmal so hoch ist wie das von “normalen” Beschäftigten. Und: niemand ist unersetzlich. Es ist besser, Arbeit auf mehrere aufzuteilen, dann wird sie besser gemacht, als wenn eine Person 16 Stunden pro Tag in drei verschiedenen Funktionen arbeitet.
Die Spitzeneinkommen der ÖGB-FunktionärInnen sind nicht nur unmoralisch, sondern tatsächlich ein Hindernis für kämpferische Gewerkschaftsarbeit.

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