Zur Rolle der Arbeitsmigration in Österreich

In den 1960ern bis in die 1980er wurden Menschen zur Arbeit nach Österreich geholt. Jetzt sollen sie ihre Schuldigkeit getan haben.
Margarita Döller, Franz Breier jun. und Ken Horvath

Wanderungsbewegungen hat es im Kapitalismus immer schon gegeben. Die Formen der Migration haben sich dabei parallel zu den jeweiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert. In den 1960ern führte die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften dazu, dass von wirtschaftlicher und staatlicher Seite Migration aktiv gefördert wurde. Heute, in wirtschaftlichen Krisenzeiten bei gleichzeitig politisch geschwächter ArbeiterInnenbewegung, steht die Hetze gegen Menschen, die aufgrund wirtschaftlicher Not und kriegerischer Auseinandersetzungen zur Flucht gezwungen werden, im Vordergrund.

MigrantInnen als Reservearmee

Menschen, die von einem Staat in den anderen wandern, sind leicht zu erpressen, weil ihr Aufenthalt potenziell jederzeit von staatlicher Seite beendet werden kann. Fundamentale Rechte demokratischer und sozialer Natur werden ihnen abgesprochen. Ihr sozialer und rechtlicher Sonderstatus macht MigrantInnen für die Wirtschaft interessant. Sie können als besonders billige flexible Arbeitskräfte eingesetzt werden und erfüllen damit die Funktion einer Reservearmee. Typisch trat dieses Muster in Österreich am Phänomen der Gastarbeit zutage. Der Mangel an Arbeitskräften - Ergebnis des Wirtschaftsaufschwungs und des Ausbaus von Bildungs- und Pensionssystem - drückte in Verbindung mit dem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad die Profitraten. In dieser Situation sollte die gezielte Anwerbung von türkischen und jugoslawischen Arbeitskräften, vor allem für Hilfstätigkeiten, Abhilfe schaffen. Ab 1965 wurden über eigene Anwerbestellen in den jeweiligen Ländern zehntausende ArbeiterInnen rekrutiert. In Österreich erwarteten sie miserable Löhne, schlechte Unterkünfte und Rechtlosigkeit.

Die seltsame Rolle des ÖGB

Während die österreichische Migrationspolitik in den (nach 1965) folgenden Jahren beachtliche Entwicklungen durchmachte, hat der ÖGB seine Politik seit der Zeit der Gastarbeit kaum verändert. Angeblich zur Verhinderung von Lohn- und Arbeitsplatzverlusten tritt der ÖGB für eine restriktive AusländerInnenpolitik ein. Nach anfänglichem Zögern ließ er in den 1960ern die Anwerbung von Arbeitskräften aus volkswirtschaftlichen Gründen zu. Als Argument führten die Gewerkschaften die Inflationsbekämpfung an. In einem Schulungsmaterial des ÖGB heißt es dazu:
Der Mangel an Arbeitskräften führte in vielen Branchen zu einer Bezahlung weit über dem Tariflohn, was sich auf die Preisentwicklung ungünstig auswirkte. Der ÖGB verfuhr daher sehr großzügig bei der Festsetzung von Gastarbeiterkontingenten, sodass Ende 1972 schon mehr als 200.000 ausländische Arbeitskräfte in Österreich tätig waren. (Lackinger 2002: 25)
Der ÖGB stimmte also in seiner Argumentation der Arbeitsmigration zu, um Löhne niedrig zu halten! Mit seiner beharrlichen Politik, den MigrantInnen einen (schlechteren) Sonderstatus zuzuschreiben, hat der ÖGB der Wirtschaft einen großen Dienst erwiesen. Er schuf praktisch die Voraussetzungen für die Ausbeutung von MigrantInnen mit. Wäre es tatsächlich darum gegangen, Lohndruck zu verhindern, hätte der ÖGB auf eine andere Politik setzen müssen: gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen für alle hier arbeitenden Menschen, volle gewerkschaftliche Unterstützung für GastarbeiterInnen.

Die Menschen, die sie riefen …

Der Nutzen ausländischer Arbeitskraft für die Wirtschaft ist offensichtlich. Warum wurden dann aber in den letzten Jahren die Einwanderungs- und Aufenthaltsbedingungen so sehr verschärft? Es lassen sich zwei Gründe für die zunehmende Repression nennen. Erstens drohen in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Kosten der Einwanderung deren Nutzen zu übersteigen. Dauerhafte Ansiedlung kann teuer werden, wenn den überproportional von Jobverlust bedrohten MigantInnen Arbeitslosengeld bezahlt oder den nachgereisten Kindern der Schulbesuch finanziert werden muss. Die anfangs von den Sozialpartnern kontrollierte Migration hatte im Lauf der Jahre an Eigendynamik gewonnen. Nun galt es, den aus staatlicher und wirtschaftlicher Sicht zu hohen Grad an Selbstbestimmung der EinwandererInnen wieder einzudämmen. Der zweite (Hinter)Grund ist subtiler. Ausländische Arbeitskräfte waren und sind ja “offiziell” – durch die “Gesetzeslage” – zu Menschen 2. Klasse gestempelt worden. Genau der Umstand – Zuwanderung bei gleichzeitiger Diskriminierung – steht einer langfristigen Integration tatsächlich entgegen. Von dieser grundsätzlichen Konstellation - hier “Einheimische”, da “Fremde” in ein und derselben Gesellschaft - haben rechtsextreme und populistische Kräfte wie die FPÖ letztlich profitieren können: Zu Beginn der 1990er kam es in vielen Staaten, so auch in Deutschland und Österreich, zu einer Welle an Ausländerfeindlichkeit. Fremde wurden und werden hier nicht nur als die zentrale Ursache für wachsende Probleme der Gesellschaft dargestellt (ob Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Kriminalität, Drogenproblematik und Bildungsnotstand); Durch immer schärfere Bestimmungen gegen sie soll die Spaltung in In- und AusländerInnen weiter vertieft werden.

Integration? Verschärfte Diskriminierung!

Das seit Jahren bestimmende Motto der Migrationspolitik “Integration vor Neuzuzug” unterstellt, dass Menschen in Österreich eine dauerhafte Existenz ermöglicht wird. Dass genau das Gegenteil passiert, zeigt die letzte Novelle des Fremdengesetzes. Sie brachte für dauerhaft hier lebende Personen verschärfte Aufenthaltsbestimmungen, z.B. in Form der verpflichtenden “Deutsch-Integrationskurse” - deren Kosten die MigrantInnen zumindest zur Hälfte selber tragen müssen. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit, Saisoniers zu beschäftigen, auf alle Branchen ausgeweitet. Damit wird die Beschäftigung von Personen gefördert, die ohne jede rechtliche Absicherung oder Aufenthaltsperspektive auskommen müssen. Die erste politische Partei, die diesen “Saisonierstatus” übrigens forderte, war die FPÖ ...

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