Wien, die Wahlen und die Linke

Die SLP wird bei den Wien-Wahlen antreten, um eine linke Alternative zum Einheitsbrei aus Kürzungslogik und Rassismus aufzuzeigen. Warum und wie, wollen wir in dieser Stellungnahme erläutern.
SLP-Stellungnahme

Die Ausganssituation

Die kommenden Wien-Wahlen werden kein Zuckerschlecken. Sie werden vor dem Hintergrund der fortgesetzten Wirtschaftskrise, der scheinbar ausweglosen Euro-Krise und der sich verschärfenden sozialen Krise in Österreich ausgetragen werden. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen ist der Weg der Wiener und Österreichischen Politik bereits vorauszusehen: Beschleunigung des Sozialabbaus, Ausweitung der Kürzungspolitik und Lohndruck, kombiniert mit immer salonfähigerer rechter Hetze. Der Grund dafür liegt auf der Hand – im Parlament, wie auch im Wiener Gemeinderat sitzen ausschließlich Parteien, die die kapitalistische Logik als Naturgesetz akzeptieren. In der Krise müssen wir alle den Gürtel enger schnallen, heißt es, Sozialstaat und Lohnniveau seien nicht mehr finanzierbar usw. Dabei wird bewusst ignoriert, dass es genug Geld gibt, um Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern sogar massiv auszubauen. Das Geld liegt eben in den Händen des reichsten Prozents der österreichischen Bevölkerung, welches etwa 470 Milliarden Euro besitzt. Erhalt und Ausbau sozialer Errungenschaften, höhere Löhne und niedrigere Mieten wären absolut durchsetzbar: durch radikale Umverteilung von oben nach unten, ein breit angelegtes soziales Wohnbauprogramm, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und ähnlichen Maßnahmen. Doch von keiner der etablierten Parteien ist eine solche Politik zu erwarten. Im Gegenteil: der Aufstieg der FPÖ stellt für viele Menschen in Wien eine reale Bedrohung dar. Auch wenn ein Bürgermeister Strache bei diesen Wahlen noch nicht in unmittelbarer Reichweite sein mag – eine weitere Stärkung der FPÖ gefährdet Jobs, Sozialleistungen und sogar Menschenleben.

 

Rot? Grün?

Die SPÖ ist schon lange keine ArbeiterInnenpartei mehr – sie hat die Lager gewechselt und ist nun eine der konsequentesten Verfechterinnen neoliberaler Kürzungspolitik, wie wir in der Steiermark sehen können. Auch in Wien werden schon seit Jahren Errungenschaften ausgehöhlt, Gemeindeeigentum ausgelagert oder direkt privatisiert. Die Wohlfühl-Propaganda der Wiener SPÖ hat immer weniger mit der Lebensrealität der meisten WienerInnen zu tun: Während die Stadt sich selbst auf Plakaten mit leeren Worthülsen beweihräuchert, steigt die Jugendarbeitslosigkeit unbeeindruckt an. Die Mieten steigen, und daran werden die versprochenen symbolischen Dosen an neuen Gemeindewohnungen nichts ändern.

Die SPÖ stellt sich, besonders in Wien, gerne als „Bollwerk gegen die FPÖ“ dar. So sollen die Stimmen enttäuschter WählerInnen gehalten werden, die eigentlich aufgrund von Sozialabbau, Korruption und politischem Ausverkauf nichts mehr von der SPÖ wissen wollen. Wir haben schon lange argumentiert, dass es erst die Politik der SPÖ in den letzten 25 Jahren war, die den Aufstieg der FPÖ überhaupt möglich gemacht hat: Der Verrat „sozialdemokratischer Grundwerte“, die Wandlung zu einer bürgerlichen Partei wie alle anderen auch, stieß langjährige UnterstützerInnen, v.a. ArbeiterInnen und Jugendliche, völlig zurecht ab – zu viele landeten jedoch, mangels einer linken Alternative, bei den rechten Hetzern. Doch die Ereignisse im Burgenland haben uns noch einmal glasklar vor Augen geführt, dass die SPÖ kein Bollwerk gegen, sondern ein ausgerollter roter Teppich für die FPÖ ist. Auch wenn die Wiener SPÖ hundert Mal betont, keine Koalition mit der FPÖ einzugehen, so ist es doch ihre Politik, die den Boden für den Erfolg der FPÖ bereitet. Die Rot-Blaue Koalition im Burgenland ist nur der nächste logische Schritt des kontinuierlichen Rechtsrucks der Sozialdemokratie, die somit zur Wahlhelferin der FPÖ wird. Wer die FPÖ wirklich und langfristig stoppen will, muss mit der SPÖ brechen.

Auch die Grünen hatten außerhalb Wiens durch Regierungsbeteiligungen wie in Oberösterreich oder in Graz ihre Unschuld verloren, wo sie Kürzungspolitik mitgetragen haben. Nun bewiesen sie auch in Wien, dass sie im Wesentlichen eine Partei wie alle anderen sind: Nulllohnrunden im öffentlichen Dienst, als „Spitalsreform“ geplante Gesundheitskürzungen, Gebührenlawine... so sieht die „Realpolitik“ der Grünen aus. Wer solchen Sozialabbau betreibt, ist auch als Gegner der FPÖ unglaubwürdig. Mit Appellen an „große Herzen“ „Liebe“ und ähnlich hochtrabend moralischen Phrasen wird die FPÖ nicht zu stoppen sein. Ein großes Herz muss man sich, genauso wie den Bio-Lifestyle, nämlich erst leisten können. Die Grünen werfen den Leuten ihre Angst vor – doch Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit ist real und berechtigt, und die Aufgabe der Linken muss es sein, echte antirassistische Antworten auf diese Probleme zu geben anstatt sie zu ignorieren!

 

Was notwendig wäre

Seit langem unterstreicht die SLP die Notwendigkeit einer echten neuen ArbeiterInnenpartei und setzt sich aktiv für den Aufbau einer solchen ein. Die Reichen haben viele Parteien in den unterschiedlichsten Schattierungen – ArbeiterInnen, Jugendliche, Frauen, MigrantInnen haben keine. Eine Partei, die sich auf soziale Kämpfe, antirassistische Bewegungen, kämpferische GewerkschafterInnen usw. stützt und diese verstärkt. Eine Partei, die mit der kapitalistischen Logik bricht und konsequent gegen die Macht der Banken und Konzerne kämpft. Eine Partei, die sich als Bündnispartner der kämpfenden Bevölkerung in Griechenland, Spanien, Irland usw. sieht – eine solche sozialistische Partei brauchen wir. Doch es gibt sie nicht, und es wird sie auch bei den Wien-Wahlen nicht geben. Eine solche Partei kann und muss aus den kommenden Kämpfen gegen die immer härteren Sparmaßnahmen, die Angriffe auf erkämpfte Rechte und die rechte Hetze aufgebaut werden. Ansätze dafür sehen wir bereits heute: Der Widerstand und die Selbstorganisation im Sozial- und Gesundheitsbereich wie bei CAREvolution, der Unmut in den Fachgewerkschaften, der Widerstand gegen Abschiebungen und nicht zuletzt der Frust der letzten verbliebenen Linken in der Sozialdemokratie: Viele haben in den letzten Wochen der SPÖ den Rücken gekehrt, jedoch leider auf individueller Basis. Dies verstärkt die Gefahr eines Rückzugs aus der Aktivität ins Private. Es muss als verpasste Chance gewertet werden, dass es nicht gelungen ist, in den hitzigen Wochen rund um die Wahlen im Burgenland und in der Steiermark eine Plattform aufzubauen, die Linke in und außerhalb der Sozialdemokratie zusammenbringt und Schritte in Richtung eines Linksprojekts setzt, aus dem sich eine echte neue ArbeiterInnenpartei entwickeln kann.

In Abwesenheit einer neuen ArbeiterInnenpartei können Kandidaturen bei Wahlen eine solche Partei nicht ersetzen, sie können jedoch dazu beitragen, den Blick auf das Notwendige zu schärfen und eine AktivistInnenbasis für kommende Kämpfe und Projekte aufbauen. Sie können im Kleinen zeigen, was im Großen notwendig und möglich ist: nämlich ein aktiver Wahlkampf, der sich nicht an den Normen traditioneller Politik orientiert und versucht, die Kampagnen und die Rhetorik der etablierten Parteien zu kopieren, sondern stattdessen auf die Organisation von Widerstand auf der Straße, in Betrieben und Ausbildungseinrichtungen setzt. Ein Wahlkampf, der nicht nur um Stimmen wirbt, sondern in erster Linie die Notwendigkeit, selbst aktiv zu werden, betont und darauf abzielt, Menschen aktiv miteinzubinden. Ein Wahlkampf, der die „soziale Frage“ unmissverständlich stellt und beantwortet, die brennenden sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Mietwucher und Armut ausmacht und darauf linke Antworten gibt. Mangels eines tatsächlich neuen Projekts kann auch eine Allianz bestehender Kräfte, wenn sie sich an diesen Linien orientiert, einen Beitrag zur Formation einer so dringend gebrauchten ArbeiterInnenpartei leisten. Deswegen ist die SLP in den letzten Jahren auch immer wieder Wahlbündnisse eingegangen.

 

Wien Anders? Wie Anders?

Mit „Wien Anders“ („Andas“) tritt ein Bündnis rund um KPÖ und Jungpiraten an, welches für ein „Wien mit gleichen Rechten und Chancen für alle, eine Stadt, in der es möglich ist, ohne Angst verschieden sein zu können“ eintritt. Programm, Ausrichtung und Auftritt des Bündnisses sind nach unserer Einschätzung nicht primär darauf ausgelegt, die am stärksten von dieser Politik Betroffenen anzusprechen, zu organisieren und in Kämpfe einzubinden – sondern eher darauf, die Stimmen von sich bereits in links-akademischen Zusammenhängen bewegende Einzelpersonen oder enttäuschter GrünwählerInnen zu bekommen. Wir glauben nicht, dass dies der Weg ist, eine starke, neue Linke in Wien und Österreich aufzubauen. Dass die KandidatInnen beschlossen wurden, bevor das Programm stand, ist ein Hinweis dafür, dass die vereinende Komponente in erster Linie der Wunsch nach Mandaten ist. Eine solche Ausrichtung auf Mandate, besonders in einer Situation, in welcher diese nicht oder kaum in Reichweite sind, kann dafür sogar hinderlich sein, weil das Element des Aufbaus von Bewegungen vernachlässigt wird – Wir erinnern uns an die Erfahrungen mit dem Vorläufer „Europa Anders“, der sich an so manchen Protesten, wie der Konfrontation des ersten Aufmarsches der rechtsextremen „Identitären“, mit der Argumentation „Wir sind im Wahlkampf“ nicht beteiligte. Zusätzlich ist völlig unklar, ob diese Mandate dann tatsächlich an die Ablehnung jeglicher Kürzungspolitik gebunden sind – oder ob man sich nicht doch wieder zu „verantwortungsvollen Kompromissen“ breitschlagen lässt.

Die Forderungen von „Andas“ sind in vielerlei Hinsicht beliebig, bzw. setzen nicht an der aktuellen Situation und den dringendsten Notwendigkeiten der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung an. Das Programm wirkt eher wie ein Sammelsurium aus Einzelinteressen. Bei den Forderungen wird nicht gewichtet - die Forderung nach niedrigeren Mieten steht gleichwertig neben dem Verbot der Gatterjagd im Lainzer Tiergarten. Dies zeigt auch, dass die Forderungen mehr den Charakter von Wünschen haben. Nirgends wird erklärt, wie die – teilweise korrekten – Programmpunkte umgesetzt werden sollen. Mit ein paar Mandaten im Gemeinderat? Wir erkennen darin eine Fortsetzung der StellvertreterInnenpolitik, die im Wesentlichen auf „Vertretungsarbeit“ in Gremien setzt, als auf aktiven Widerstand jenseits von Bezirksämtern und Rathaus.

Besonders in Krisenzeiten wie diesen ist der Spielraum selbst für gemäßigte Reformen, wie sie „Andas“ vorschlägt, extrem beschränkt. Forderungen, die in den 70er Jahren noch als moderat und leicht umsetzbar galten, sind heute im Rahmen dieses Systems kaum umsetzbar. Eine linke Kandidatur hat die Verantwortung, diese Problematik aufzuzeigen und das Kind beim Namen zu nennen: Wir brauchen eine Alternative zum Kapitalismus, nicht nur in Wien, sondern weltweit. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur auf Gremienarbeit zu setzen, sondern aktiv Widerstand zu organisieren – und eine systemüberwindende Perspektive in diesen hineinzutragen. Die SLP steht auch im Wien-Wahlkampf für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft – weil wir diesen nur als kleinen Teil unseres gesamten Kampfes sehen, den wir gemeinsam mit Schwesterorganisationen des Committee for a Workers International in über 40 Ländern führen.

Aus dem obigen ergibt sich für uns, dass wir eine eigene Kandidatur im 20. Bezirk anstreben. Dies bedeutet nicht, dass wir nicht durchaus positive Ansätze bei „Andas“ erkennen. Die Forderung nach einer 30-Stundenwoche unterstützen wir mit aller Kraft und rufen „Andas“ dazu auf, sich, gemeinsam mit uns und anderen, die dafür kämpfen wollen in diesem Punkt für eine kämpferische Kampagne zusammenzuschließen. Dasselbe gilt für den Kampf gegen die FPÖ, die Solidarität mit der griechischen Bevölkerung usw. Linke Einheit ist nicht in erster Linie eine Frage von Wahlabsprachen, sondern wird in der Praxis erreicht. Zum aktuellen Zeitpunkt ist es aus unserer Sicht noch nicht eindeutig, welche Wahlempfehlung für die anderen Bezirke Wiens am ratsamsten ist. Wo es eine Alternative links von Grünen und SPÖ gibt, ist es besser, diese zu wählen als es nicht zu tun – vorausgesetzt die KandidatInnen haben sich als ehrliche und konsequente KämpferInnen gegen Kürzungspolitik und Rassismus erwiesen und schielen nicht nur auf Posten.

 

Die SLP tritt an – in der Brigittenau

Die SLP ist seit vielen Jahren im 20. Bezirk aktiv, vor allem gegen die FPÖ und ihre Marionetten der islamfeindlichen „Bürgerinitiative Dammstraße“. In der Brigittenau verdichten sich die sozialen Probleme wie kaum in einem anderen Bezirk: Sie ist einer der ärmsten Bezirke Wiens. Die Lebenslage vor allem der migrantischen Bevölkerung ist katastrophal – gleichzeitig gibt es die konstante Gefahr einer besonders widerlichen FPÖ-Bezirkspartei. Diese hat bereits in der Vergangenheit die rassistischen Mobilisierungen der BI Dammstraße unterstützt, bei denen Neonazis aufmarschierten und MigrantInnen terrorisierten. Wir haben alleine in diesem Jahr zahlreiche Aktionen gegen Rassismus und Sexismus und Proteste für höhere Löhne und niedrigere Mieten organisiert und werden dies auch im Wahlkampf verstärkt tun. Wir sehen den Antritt nicht als Akt der Abgrenzung von der Diskussion um eine neue Linke – im Gegenteil wollen wir mit unserer Wahlkampagne in der Praxis zeigen, wie ein kämpferischer, aktivistischer Wahlkampf und ein antikapitalistisches Programm aussehen können und damit einen Beitrag zur Debatte um die Formierung größerer Projekte liefern. Entsprechend unserer Analyse der derzeitigen Situation macht es die (Schein-)Polarisierung zwischen SPÖ und FPÖ sowie die Abwesenheit einer starken Linken sehr schwer für kleine linke Kandidaturen. Nun gilt es vor allem, Klarheit in Fragen des Programms und des Zugangs zu gewinnen und eine AktivistInnenbasis aufzubauen, welche in kommenden Kämpfen entscheidende Anstöße für eine neue ArbeiterInnenpartei liefern kann. Wir werden gemeinsam mit kämpferischen PflegerInnen, antirassistischen AktivistInnen und allen, die gegen die Kürzungspolitik und die rechte Hetze aktiv werden wollen, im 20. Bezirk einen lautstarken, aktivistischen Wahlkampf organisieren. Im Sommer werden wir einen Schwerpunkt auf die Benachteiligung von Frauen legen. Durch eine Reihe von Aktionen werden wir unserer Forderung nach gratis Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbruch in jedem öffentlichen Krankenhaus Nachdruck verleihen. Anfang Herbst planen wir gemeinsam mit kämpferischen Beschäftigten aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich Proteste für 30% mehr Gehalt und 30% mehr Personal. In den letzten Wochen vor der Wahl wird es wichtig sein, sich mit aller Kraft gegen die FPÖ zu engagieren. Wir werden dafür zahlreiche kleinere und größere Demonstrationen organisieren und unterstützen. Wir laden dich herzlich dazu ein, bei diesen Kampagnen mitzuarbeiten. Das wichtigste, was es bei diesen Wien-Wahlen zu tun gilt, ist nicht das Kreuzchen am 12. Oktober zu setzen, sondern bis dahin und darüber hinaus Widerstand auf allen Ebenen aufzubauen. Dieser Aufgabe hat sich die SLP verschrieben, und dafür brauchen wir so viele Köpfe und Hände wie möglich. Hierbei achten wir nicht auf StaatsbürgerInnenschaft oder Hauptmeldeadresse oder Mindestalter– wenn du mit der SLP in ihrem Wahlprogramm übereinstimmst, werde mit uns aktiv, egal ob du uns wählen kannst oder nicht!