Wie die venezolanische Revolution vorangebracht werden kann

Sozialismus steht wieder auf der Tagesordnung
Karl Debbaut, Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI)

Den führenden Philosophen, bürgerlichen Kommentatoren und kapitalistischen Politikern konnte es vor noch nicht einmal 15 Jahren gar nicht schnell genug gehen, als die Bürokratien der ex-UdSSR und Osteuropas begraben wurden. Sie standen förmlich auf den Gräbern des Stalinismus und erklärten in merkwürdiger Eintracht mit den eben erst entmachteten Bürokraten, dass der Sozialismus nun für immer tot sei. Der Kapitalismus mit seinem freien Markt würde statt dessen eine neue Weltordnung errichten, die von Frieden und Wohlstand gekennzeichnet sein werde. In einer Art Wachstums-Rausch würden sogar die unterentwickelten Länder von einem enormen Aufschwung profitieren. Niemals wieder würden die verarmten Massen – auch die Arbeiterklasse sollte wohl in diese Kategorie gehören – nach Alternativen zum Markt suchen müssen. Genuin sozialistische Ansätze, wie etwa die Kontrolle über das durch eigene Arbeit Erwirtschaftete, würden nicht mehr nötig sein.

Doch stellen wir uns nur einmal vor, der Sozialismus wäre eine Person. – Er oder sie würde vielleicht Mark Twain heranziehen, der es in diesem Zusammenhang einmal so formulierte: „Es ging das Gerücht, dass ich ernsthaft krank sei – sie meinten aber jemand anderes. Dass ich sterben würde – es ging um jemand anderes. Dass ich tot sei – schon wieder jemand anderes.“ Die Ereignisse in Lateinamerika zeigen es: Die Gerüchte über den Tod des Sozialismus sind außerordentlich übertrieben worden!

Lateinamerika hat große Umwälzungen erlebt, Massen-Bewegungen ebenso wie offene Revolten in Bolivien gegen die Erfahrungen des Neoliberalismus. Der Kontinent erlebt flächendeckend das Entstehen eines antikapitalistischen  Bewusstseins. In Venezuela, wo breite Schichten auf den Sozialismus hoffen, um die Revolution zu verteidigen und zu festigen, geht dies alles noch einige Schritte weiter. Etliche Ereignisse und gemeinsame Erfahrungen als Arbeiterklasse haben sozialistische Ideen wieder aufleben lassen – als eine mächtige Kraft  innerhalb der Arbeiterklasse. Dies ist die Vorwegnahme eines Prozesses, der seine weitere Entwicklung in den anderen Staaten Lateinamerikas und weltweit nehmen wird. Was momentan in Venezuela geschieht, ist enorm wichtig für jedeN GewerkschafterIn, SozialistIn und RevolutionärIn sowohl in den so genannten Entwicklungsländern wie auch und nicht zuletzt in Europa und Nordamerika.

Dass die Bevölkerung Venezuelas darüber diskutiert, wie der revolutionäre Prozess vorankommen kann und wie die grundlegenden Schwierigkeiten bei der Lebensmittel- und Wasserversorgung, im Bildungswesen oder das Wohnungselend gelöst werden können – all das resultiert aus den Erfahrungen um die seit sieben Jahren bestehende Regierung Chavez. In dieser Zeit sind die Erfolge der „bolivarischen“ Regierung gegen die Drohungen von Imperialismus und Reaktion verteidigt worden. Eine Meinungsumfrage, die zwischen Mai und Juni diesen Jahres durchgeführt wurde, gibt dazu konkret Aufschluss: 48% der Befragten gaben darin an, eine sozialistische Regierung vorzuziehen, wenn sie die Wahl hätten. Nur 29% erklärten ihre Vorliebe für eine kapitalistische Regierung.

Die Reformen unter Chavez

Das radikal populistische Regime von Hugo Chavez – gewählt, verteidigt und wiedergewählt durch die venezolanische Bevölkerung – hat viele wichtige Sozialreformen eingeführt. Chavez schloss seine Rede vor der 60. Generalversammlung der UN, indem er aufzählte, welche Leistungen seine Regierung nach sieben Jahren vorweisen kann. Um ihm direkt zuzustimmen: 1,4 Mio. VenezolanerInnen waren zuvor wegen ihrer Armut von Bildung vollkommen abgeschnitten und sind seit Chavez´ Amtsantritt Teil des Bildungssystems geworden. 70 Prozent der Bevölkerung haben seither Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem und mehr als 1,7 Millionen Tonnen Lebensmittel konnten 12 Millionen VenezolanerInnen zu reduzierten Preisen zur Verfügung gestellt werden.

Diese Beispiele beweisen, welche Verbesserungen selbst innerhalb des Kapitalismus möglich sind, wenn nur eine Regierung den Willen hat, Reformen gegen den Imperialismus und die korrupten Eliten des eigenen Landes durchzusetzen. Und diese Beispiele stehen zugleich in direktem Gegensatz zur neoliberalen Politik, die in weiten Teilen Lateinamerikas während derselben Zeitspanne betrieben wurde. Doch während solch wichtigen Reformen, gestützt vom Öl-Reichtum und den Massenbewegungen, verteidigt werden müssen, ist es unsere Pflicht die Arbeiterklasse und die Armen zu warnen, dass diese Reformen  auf der Basis des Kapitalismus nicht von Dauer sein können.

Zur Zeit wird Venezuela von US-Repräsentanten als die größte Gefahr ihrer Vormachtstellung in der gesamten Region kategorisiert. Immer wieder ist die Regierung Chavez vom Imperialismus und ihren  Kollaborateuren vor Ort attackiert worden. Die ganze Welt weiß Bescheid über die von den USA gesponsorten Putschversuche, die Aussperrung von Arbeitern und das Rücktritts-Referendum, mit dem Chavez gestürzt werden sollte. In allen Fällen wurden der venezolanische Präsident und seine Regierung durch die Mobilisierung von Arbeiterklasse und Armen aus Stadt und Land geschützt. Einer merkwürdigen Regel folgend, versuchte Chavez, sofort nachdem er aus den Händen der Bevölkerung den Sieg entgegennehmen konnte, seine Gegner unter dem Motto der „nationalen Einheit“ mit einzubinden. Doch bei jeder Wendung haben die Massen ihre gewaltige Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht.

Sozialismus im 21. Jahrhundert

Die Niederlage, die den Putschversuchen durch die Bevölkerung beigebracht wurde, gab dem revolutionären Prozess einen starken Auftrieb. Dies war ausschlaggebend für das, was jede revolutionäre Bewegung ausmacht: Die Massen betreten die Bühne der Geschichte und gehen auf die Straße, um „Politik“ zu machen; das ist der Kampf um die Frage, welche Klasse die Gesellschaft kontrolliert.

Die Mobilisierung insgesamt und speziell der Zulauf für Chavez während des Rücktritts-Referendums im August letzten Jahres haben den Präsidenten und Teile seiner Regierung nach links gedrückt. Ein Ergebnis davon ist beispielsweise die Verstaatlichung von Unternehmen wie Venepal (mittlerweile wieder umbenannt in Invepal), einer der wichtigsten Papierproduzenten in Venezuela. Chavez erklärte auch, dass sein vormals gehegter Glaube, man müsse nicht zwangsläufig zwischen Kapitalismus und Sozialismus wählen, sondern könne auch einen dritten Weg gehen, sich als Farce herausgestellt hat. Die einzige Alternative zum Kapitalismus ist nun auch für ihn das sozialistische System. Diese Debatte um die Entwicklung des Sozialismus als notwendige Alternative zum Kapitalismus ist entscheidend für die Entwicklung der venezolanischen Revolution.

In seiner Rede zum 1. Mai diesen Jahres erklärte Chavez, dass seine Regierung in der Tat eine Arbeiterregierung sei. Und bei der Eröffnungskundgebung zu den Weltjugendfestspielen in Caracas vor zwei Monaten wurden die Delegationen mit einem Banner begrüßt, auf dem Folgendes zu lesen war: „Welcome to the Socialist Bolivarian Republic of Venezuela“.

Obgleich die Radikalisierung der bolivarischen Revolution von den AktivistInnen, GewerkschafterInnen und VertreterInnen aus den Armenvierteln begrüßt wird und sich deren persönliche Unterstützung für Hugo Chavez auf einem Allzeit-Hoch befindet, sorgen sich viele um die Zukunft. Sie sehen begierig auf Chavez, dass er endlich drastischere Maßnahmen durchführt, wie es auch eine wirkliche Arbeiterregierung tatsächlich tun würde. Eine Arbeiterregierung würde sehr schnell die notwendigen Schritte einleiten, um mit dem Kapitalismus und dem Großgrundbesitz zu brechen. Dazu gehören auch die Verstaatlichung der Öl- und Gas-Industrien, der Banken und Finanzinstitute sowie der führenden privaten Unternehmen unter einer demokratischen Führung der ArbeiterInnen selbst. Chavez´ Ankündigung von Anfang September, wonach die Regierung privaten in- oder ausländischen Bergbau-Unternehmen keine weiteren Abbaurechte zugestehen, sondern statt dessen ein staatseigenes Unternehmen zur Übernahme aller Bergbau-Projekte gründen will ist ein Schritt in die richtige Richtung. Momentan ist allerdings noch nicht ersichtlich, ob Chavez auch die von seiner Vorgänger-Regierung bereits bewilligten Konzessionen an amerikanische Multis aufheben wird. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie nationale Unternehmen gegründet werden, die ganz oder teilweise in Staatsbesitz sind – sie stehen weiterhin im Wettbewerb mit dem privaten Sektor.

Solch eine Politik, finanziert durch Petro-Dollars, ist kein Rezept gegen den Kapitalismus. Vor einigen Wochen hat Chavez dann in Aussicht gestellt, dass Regierungsbeauftragte in die Vorstandsetagen der Privatbanken entsandt werden, um deren Aktivitäten zu überwachen. So etwas macht die Bourgeoisie zwar rasend, auch ist es auf diese Weise möglich, die Finanzinstitute von Steuerbetrug und sonstiger Kriminalität abzuhalten. Eine wirkliche Einflussnahme geschweige denn Kontrolle über das Finanzkapital findet jedoch nicht statt. Möglicherweise wird Chavez am Ende nur mit zwei unzufriedenen Klassen dastehen: Einer schnaubenden, außer sich wütenden Bourgeoisie und gleichzeitig einer Arbeiterklasse, die wegen einer nicht weiterkommenden Revolution vollkommen frustriert. Dies ist der typologische Fehler eines „radikalen“ Reformismus, der den Kapitalismus zu allererst verwunden will. Ihm die Zähne, einen nach dem anderen zu ziehen bringt aber so lange wenig, wie ihm immer noch die Herrschaft über die Produktivkräfte (Fabriken, Rohstoffe, Ausbeutung von ArbeiterInnen) bleibt und entscheidende Einflussmöglichkeiten seines Apparates zur Verfügung stehen.

Wirtschaftswachstum

Die venezolanische Wirtschaft wuchs  2004 rapide und die Aussichten für 2005 sind weiterhin rosig. Laut venezolanischer Zentralbank gab es 2004 ein Wirtschaftswachstum von 17,3 Prozent. Angemerkt werden muss dabei natürlich, dass ein Teil dieses Wachstums auf die ökonomische Erholung nach der Aussperrung von Arbeitern Ende 2002/Anfang 2003 zurückzuführen ist. Für 2005 wird ein Wachstum von 7,9 Prozent erwartet. Öl und der Öl-Export spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die Öl-Industrie trägt 80 Prozent zu den gesamten Ausfuhren bei und Venezuela hat somit enorm von den Preissteigerungen auf dem Weltmarkt profitiert. So stieg der Preis eines barrel venezolanischen Rohöls von 20,21US-Dollar im Jahr 2001 auf 42,25 US-Dollar in diesem Jahr (es handelt sich um die jeweiligen Jahresdurchschnitts-Preise). Dies bedeutet zusätzliche Kapitaleinnahmen für die venezolanische Wirtschaft. Im ersten Quartal 2005 nahm das staatliche Ölunternehmen 7,6 Milliarden US-Dollar an direkten Verkaufserlösen ein. Auf das Jahr hochgerechnet sind also insgesamt 30,4 Milliarden US-Dollar zu erwarten.

Die Umorganisierung des staatlichen Ölunternehmens PDVSA unter der Kontrolle der Chavez-Regierung bedeutet, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein immenser Teil der Öl-Profite in die inländische Wirtschaft zurückfließt. Diese kam übrigens zustande, als die damaligen PDVSA-Manager eine zentrale Rolle bei der Aussperrungskampagne der Bosses pielten und die Regierung sich zum Einschreiten gezwungen sah. Seither investierte die PDVSA nach eigenen Angaben 2,84 Milliarden US-Dollar in den Fondspa, einen durch Öl-Einnahmen finanzierten Fonds für Entwicklungsprojekte. Zur gleichen Zeit überwies sich das (nun staatliche) Unternehmens-Management einen Weihnachtsbonus für 2004 von 231 Millionen Bolivares (= 122.500 US-Dollar) für jeden einzelnen der 12 Vorstandsmitglieder.

Allein die Öl-Industrie erlebte ein Wachstum von 8,7 Prozent. Die höchste Zuwachsrate überhaupt seit die Zentralbank das Bruttoinlandsprodukt berechnet. Das hat es der Regierung 2004 erlaubt, die Staatsquote zu steigern und in andere Wirtschaftssektoren zu investieren: Bauwesen (+32,1 Prozent), Finanz- und Versicherungswesen (26,6 Prozent), Transport und Logistik (26,4 Prozent), Handel und Instandhaltung (25,5 Prozent), (weiterverarbeitende) Industrie (25,4 Prozent). Der private Sektor erzielte durchschnittlich ein Wachstum von 18,6 Prozent und der öffentliche bzw. staatliche Sektor ein Wachstum von 11 Prozent.

Solche Wachstumsraten verdeutlichen, warum Teile der venezolanischen Bourgeoisie eine Art Separatfrieden mit Chavez geschlossen haben. Es lässt sich schließlich eine Menge herausholen aus Venezuelas 14,6 Milliarden US-Dollar Überschuss (Anstieg seit 2003: über 3 Milliarden US-Dollar) wenn die Regierung eine Investitionstätigkeit in ein Großbauprojekt, das Transportwesen oder den Bildungssektor vorbereitet. Privatunternehmer gehen über Leichen um an Regierungsverträge zu gelangen. Es gibt Belege dafür, dass die Lage der  Arbeiterklasse und die verarmten Schichten in den letzten Jahren nicht gut war. Die Inflationsrate lag 2004 bei durchweg 25 Prozent, was sich entsprechend auf die Kosten für Lebensmittel, Transport und Mieten niederschlug. Die Arbeiterklasse hat auch am meisten unter den Folgen des zweimonatigen Öl-Streiks zwischen Dezember 2002 und Februar 2003 gelitten, der 7,7 Prozent des Wirtschaftswachstums schwinden ließ. Da nur 53 Prozent der arbeitsfähigen VenezolanerInnen in Erwerbsarbeit sind, kann darüber hinaus mit Fug und Recht behauptet werden, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht direkt vom Wirtschaftsaufschwung profitiert.

Die Öl-Einnahmen haben es Präsident Chavez erlaubt das wertvollste aller politischen Güter zu kaufen: die Zeit. Steigende öffentliche Ausgaben und Verbesserungen im Alltag der Bevölkerung sind Gründe dafür, dass Chavez nun schon sieben Jahre an der Macht ist und sich die Unterstützung für ihn verbreitert. José Cerritelli, lateinamerikanischer Ökonom beim New York Finanzanalysten Bear Stearns, drückte es so aus: „Es gibt da ein positives Moment, nicht nur beim Öl, das auf andere Wirtschaftssektoren herunter tröpfelt [...] Das alles wäre nicht geschehen, wenn der Ölpreis nicht auf diesem hohen Stand wäre, der es der Regierung ermöglicht, die Staatsausgaben anzuheben.“ Wenn nun aber der Ölpreis in Folge der Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus wieder sinkt, wird das den umgekehrten Effekt auf die venezolanische Wirtschaft haben. Unmittelbar und sehr direkt wird sich das dann auf die Beschäftigungssituation, die Staatseinnahmen und die Lebensverhältnisse der venezolanischen Arbeiterklasse auswirken.

Wie es der Chavez-Regierung durch eine Politik beschränkter staatlicher Eingriffe und Regulierungen bereits jetzt möglich ist, in öffentliche Versorgung, Infrastruktur und Bildung zu investieren, lässt erahnen, was erst auf der Basis einer demokratisch geplanten Wirtschaft erreichbar wird. Durch eine Arbeiterverwaltung unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Stärken ist es möglich, wirtschaftlichen wie sozialen Fortschritt planvoll zu gestalten. Der weitaus größte Teil des Ölreichtums würde die Lebensverhältnisse durchschnittlicher VenezolanerInnen verbessern helfen statt weiterhin die Taschen privater Unternehmer zu füllen. Eine demokratisch geplante Wirtschaft könnte endlich damit beginnen, die venezolanische Gesellschaft und die Leben von Millionen ArbeiterInnen und Armen radikal, also von der Wurzel an zu verändern. Ein solches Vorgehen hätte einen elektrisierenden Effekt auf gesamt Lateinamerika und würde eine neue Sprache vom Sozialismus verbreiten. Eine von sozialem und wirtschaftlichem Fortschritt gekennzeichnete Sprache, die sich in der Anzahl neu errichteter Wohnungen, in Tonnen verteilter Lebensmittel, in neuen Arbeitsplätzen und damit auch in gesicherten, demokratischen Verhältnissen ausdrücken würde. Das ist dann der Garant für eine Verteidigung der venezolanischen Revolution im Inland wie auch im Ausland.

Verstaatlichung und Co-Management

In diesem Sommer kündigte Chavez die Verstaatlichung von 700 Unternehmen an und veröffentlichte eine Liste weiterer 1400 Firmen, bei denen zur Zeit eine Enteignung erwogen wird. Unglücklicher Weise folgen diese Maßnahmen der bolivarischen Schablone. Die aufgezählten Firmen sind alle längst von den Arbeitgebern geschlossen worden und die Liste mit den unter Beobachtung stehenden Unternehmen besteht aus solchen, die bereits jetzt 50 Prozent unter ihren Kapazitäten produzieren. Die venezolanische Bourgeoisie hat sich einer enormen Fahrlässigkeit und wirtschaftlicher Sabotage schuldig gemacht. Laut Gutachten der Arbeiterorganisation Conindustria produzierten die meisten Unternehmen im zweiten Quartal 2005 nur 56,7 Prozent ihrer Kapazitäten. Trotzdem erklärte Chavez, dass Enteignung nur als letztes Mittel angewandt wird. Desweiteren ersucht er um Zusammenarbeit der lokalen Autoritäten und Gouverneure. Die Botschaft an die Konzernbesitzer war, dass sie nicht enteignet werden, wenn sie den ArbeiterInnen Mitbestimmung gewähren. In diesem Fall könnten sie – falls bereits enteignet – ihren Besitz sogar zurück erhalten und sich für staatliche Subventionen bewerben.

Eine erste Schicht von ArbeiterInnen kommt allmählich zu dem Ergebnis, dass die Regierung – um es in der Sprache der BaseballspielerInnen zu sagen – weder am Ball ist, noch alle Bases besetzt hält. Ein Aktivist erzählte uns wie häufig sie Staatsbedienstete bearbeiten mussten, damit endlich was geschah. In einem Fall griff die Regierung erst ein und verstaatlichte ihren Arbeitsplatz, als die ArbeiterInnen die Fabrik bereits zwei Jahre lang besetzt hatten. Außerdem ist die Vorstellung von Mitbestimmung  der bolivarischen Regierung meilenweit entfernt von dem was Arbeiterkontrolle und Arbeiterverwaltung ausmacht. In einigen Fällen, wie beim Aluminiumhersteller Alcasa, haben ArbeiterInnen unter der Führung des Gewerkschaft UNT wichtige Elemente von Arbeiterkontrolle eingeführt. Bei Alcasa ist es die Belegschaft, die die Werksleitung wählt. diese sind abwählbar und erhalten ihren vormaligen Lohn. Carlos Lanz, der jüngst berufene Präsident von Alcasa sagte, dass die Ergebnisse bereits sichtbar sind. In einem auf der BBC-Website veröffentlichten Interview (17/08/2005) wird er so zitiert: „Demokratische Planung ist so ein starker Hebel, dass wir sogar mit unseren veralterten Maschinen die Produktion um 11 Prozent steigern konnten.“

Doch Alcasa ist die Ausnahme. In den meisten Fällen kommt es zu Beschwerden über das Mitbestimmungs-System. ArbeiterInnen werden aufgemischt zwischen den Interessen der Chavista-Bürokratie auf der einen und denen der ehemaligen Manager auf der anderen Seite. Manchmal werden sie auch noch Opfer der gesonderten Interessen von Gewerkschaftsbürokraten. Bei Invepal, einer Papiermühle, entschieden sich die Gewerkschaftsführer die eigene Gewerkschaft zu zerlegen. Sie hoffen, dem Staat die Fabrik abzukaufen, um am Ende Alleinbesitzer werden zu können. Im Staatsbetrieb CADAFE (Elektrobranche) wollte die Verwaltung die Mitbestimmung auf zweitrangige Fragen der Produktion begrenzen. Die Manager erklärten, dass „es keine Teilnahme von ArbeiterInnen in strategischen Branchen geben kann“.

Dies sind nur einige Beipiele, die die Beschränktheit der Mitbestimmung zeigen sollen. In Zusammenarbeit mit dem Teil des Staatapparats, der seinen Frieden mit Chavez schon gemacht hat, unterstützt die bolivarische Regierung die Mitbestimmung als Kern einer neuen sozialistischen Form, die die venezolanische Wirtschaft in privat, staatseigen und sozial (wie etwa bei Arbeiter- und Bauern-Kooperativen) aufteilt. Momentan soll dieser Mix wohl gemeint sein, wenn die bolivarische Regierung vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ spricht und damit auch der radikalen Rethorik Chavez´ nicht widerspricht. Wie dem auch sei, die Idee, dass das Venezuela des 21. Jahrhunderts sozialistisch sein muss. resultiert für die Massen aus ihrer praktischen Erfahrung, der zwingenden Aufgabe, die alltäglichen Probleme zu lösen und die Kontrolle über die Landesresourcen zu übernehmen. Aus Sicht der Arbeiterklasse ist die Koexistenz von verstaatlichter Industrie, Co-Management und Kooperativen der Anfang einer Debatte um die Notwendigkeit des sozialistischen Systems. Die Überzeugung ist, dass wir Sozialismus brauchen, weil die bisherigen Maßnahmen zwar richtig aber nicht ausreichend sind. Im Gegensatz  dazu stellen diese Maßnahmen für die Chavez-Regierung und die Staatsbediensteten schon eine neue Art von Sozialismus dar.

Tatsächlich ist die venezolanische Ökonomie weiterhin kapitalistisch. Das soll nicht heißen, dass die Ansätze von Arbeiterkontrolle falsch sind. Die Gewerkschaften und alle anderen Kampforganisationen der Arbeiterklasse müssen in den einzelnen Bereichen für Arbeiterkontrolle kämpfen, um eine Ausweitung auf alle Branchen zu erreichen. Arbeiterkontrolle muss die ArbeiterInnen dazu befähigen, die täglichen Arbeitsabläufe und über Einstellungen bzw. Entlassungen zu bestimmen. ArbeiterInnen müssen durch ihre Betriebsversammlunngen und Räte am Arbeitsplatz vollen Einblick in die Geschäftsbücher und andere „Geheimnisse“ der Unternehmen bekommen – nicht nur in der Industrie, sondern in der gesamten Wirtschaft. So können die ArbeiterInnen damit beginnen, den aktuellen Anteil aus der Wirtschaft zu errechnen, den sich einzelne Kapitaleigner, Kartelle und Ausbeuter insgesamt aneignen. Ohne Arbeiterkontrolle kann kein grundlegender Plan inländischer Produktion aus Sicht der Ausgebeuteten erstellt werden. Alle offenen und verdeckten Tricks kapitalistischer Wirtschaftslehre müssen enthüllt werden. In diesem Zusammenhang ist Arbeiterkontrolle selbst unter kapitalistischen Vorzeichen eine gute Schule für Arbeiterverwaltung und demokratisch geplantes Wirtschaften. Es ist die Basis, von der aus ArbeiterInnen die Verwaltung der bereits verstaatlichten Industrien übernehmen können.

Die Arbeiterklasse braucht ihre eigenen unabhängigen Organisationen

Für die Arbeiterklasse, für die Armen aus Stadt und Land, für alle Ausgebeuteten des Kapitalismus wird die Notwendigkeit eigener und unabhängiger Organisationen immer stärker. Die dringlichste Aufgabe ist es dabei, unabhängige revolutionäre Massenorganisationen der Arbeiterklasse aufzubauen, die mit dem Programm der sozialistischen Revolution bewaffnet sind.

Dabei liegt es dann bei der revolutionären Partei, die Bevölkerung mit klaren Vorstellungen und einem Programm auszurüsten. Die entscheidenden Schlüsse aus den kollektiv gemachten Erfahrungen der Klassenkämpfe und Revolutionen der Vergangenheit müssen gezogen werden. – Gemeint sind im besonderen die russischen Revolutionen von 1905 und 1917 mit dem Niedergang in den Stalinismus wie natürlich auch die jüngeren lateinamerikanischen Erfahrungen um die revolutionären Kämpfe in Kuba, Chile und Nicaragua. Wenn eine revolutionäre Partei ihr entsprechendes Programm anwenden würde, stiege das Bewusstsein der Arbeiterklasse über ihre eigene Rolle und ihr gesellschaftliches Gewicht im revolutionären Prozess. Eine revolutionäre Partei würde die Energie der Arbeiterklasse Richtung eines bewussten Sturzes des Kapitalismus kanalisieren hin zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.

Eine Revolution kann nicht von oben verordnet werden. Die ersten Voraussetzungen sind immer bewusste Organisation und Aktivität der Arbeiterklasse, die ihr eigenes Programm zum Sturz des Kapitalismus anwendet und dabei überprüft. Erste GewerkschafterInnen beginnen bereits mit einem Resümee der größten Partei in Chavez´ Koalition, die MVR (Bewegung für die fünfte Republik), dass sie eben keine Arbeiterpartei sondern im Gegenteil eine Karriereleiter für Staatsbedienstete ist. Diese  Staatsbediensteten, die direkt für die Regierung oder als Teil des Staatsapparates arbeiten sind dabei, ihren Frieden mit dem Kapitalismus zu machen und an Einfluss zu gewinnen. AktivistInnen des barrio 23 de enero, eines der ärmsten und dichtest besiedelten Teile von Caracas, beschwerten sich, dass die MVR an bürokratischen Schikanen beteiligt war, mit denen ihre Teilnahme an den örtlichen Wahlen verhindert wurde.

Die Kommunalwahlen vom 7. August waren gekennzeichnet durch eine niedrige Wahlbeteiligung und den Beginn eines politischen Differenzierungsprozesses. 70 Prozent der Bevölkerung blieben der Wahl fern; in vielen Fällen kann dies als Protest gegen die pro-Chavez-Parteien gewertet werden. Bauern eines Dorfes nahe Caracas erklärten, sie würden nicht für die Regierung stimmen, weil ihre Kooperative trotz offizieller Anerkennung durch die Regierung vor anderthalb Jahren bis heute auf die erste Subvention warte, um mit  mit der Produktion beginnen zu können. Ein Teil der Wahlberechtigten geht davon aus, dass die Bourgeoisie momentan keine Bedrohung für sie darstellt und straft die Regierung mit Wahlenthaltung.

Gleichzeitig legen Parteien wie die Tupamaru und die Kommunistische Partei zu. Sie gehören dem linken Flügel der Chavez-Koalition an und klagen Korruption und Bürokratismus offen an. In den Wochen nach der Wahl berichteten bürgerliche Zeitungen von Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der MVR und lokalen AktivistInnen der Tupamaru und der venezolanischen Kommunistischen Partei. Die Tupamaru organisierten einen Marsch zum Sitz der Wahlkommission, um gegen den Wahlbetrug von MVR und weiteren chavistischen Parteien zu protestieren. Anklagen wegen Wahlbetrugs kamen in der letzten Zeit sehr häufig von der bürgerlichen Opposition. Die Schlammschlacht der Bourgeoisie hatte natürlich nur ein Ziel: Die Welt sollte glauben, dass Chavez ein Diktator sei, um den Boden für einen Putsch gegen ihn zu bereiten. Bürgerlicher Opposition und US-Imperialismus gelang es jedoch nicht, auch nur ein Indiz und schon gar keinen Beweis für ihre Anschuldigungen vorzubringen.

Dass nun aber die Linke zu Demonstrationen aufruft, zeigt, wie über die Neuentwicklungen reflektiert wird. Die Wut der ArbeiterInnen und AktivistInnen in den Armenvierteln über das Vorgehen der MVR-Offiziellen wie -KandidatInnen kommt darin zum Ausdruck. Mitglieder des bolivarischen Zirkels in Coche, einem weiteren barrio in Caracas, berichten von Missmut unter den lokalen AktivistInnen bezüglich der Wahlen vom August. Es mag sein, dass solche Kritik eher zweitrangige Fragen betrifft (zum Beispiel das Einsammeln von Wahlurnen durch übereifrige Wahlhelfer, noch bevor alle die Chance zur Stimmabgabe hatten). Mag auch sein, dass solche Dinge zu einer Periode wie dieser einfach dazu gehören. Sie kollidieren jedenfalls mit dem allmählichen Auseinanderdriften von Basis-AktivistInnen und den VertreterInnen der Regierung und ihrer Parteien. Die Bürokratisierung wirkt dabei verstärkend. Die meisten Mitglieder dieser aufkommenden Bürokratie konvertierten erst kürzlich zu Chavez-AnhängerInnen. Eine Frau, die an Protesten gegen ein Regierungsmitglied im Staat Anzoategui teilnahm, zählte die Gefühle auf, die viele venezolanische AktivistInnen mittlerweile hegen: „Präsident, öffne deine Augen [...] viele, die an deiner Seite stehen, täuschen dich. Hör´ auf die Stimme des Volkes!“

Eine revolutionäre Arbeiterpartei würde die Forderungen nach Demokratie und Kritik an der Repräsentation der Bevölkerung aufgreifen. Sie würde die örtlich gewählten FunktionsträgerInnen ausbilden und sie miteinander in Austausch treten lassen. Staatsbedienstete und auch gewählte VolksvertreterInnen ersetzen nicht das Volk, sie sollen seine Bedürfnisse koordinieren und ihnen nachkommen. Besondere Maßnahmen müssen zum Beispiel getroffen werden, um zu gewährleisten, dass jedeR ArbeiterIn, jede Gruppe von ArbeiterInnen, der/die bei Wahlen eigenständig kandidieren will, die Möglichkeit dazu bekommt; finanzielle Hilfe muss zur Verfügung gestellt werden und sich an der Größe der Unterstützung in der Bevölkerung orientieren. Außer einem bewaffneten Vorgehen gegen eine Arbeiterregierung sollte jede politische Äußerung und Aktivität erlaubt bleiben. Es wäre äußerst motivierend für die Massen der ArbeiterInnen, wenn sie mit allen demokratischen Rechten voll am revolutionären Prozess teilhaben könnten.

Viele haben sich über die sogenannten Morachas bzw. Wahlvereinbarungen beschwert. Es handelt sich hierbei um Abmachungen, die vor der Wahl in erster Linie zwischen den Regierungsparteien getroffen wurden, um Mehrheiten zu sichern und „die Beute“ am Ende untereinander aufzuteilen. Verlierer waren dabei vor allem wieder lokale AktivistInnen, denen von den Parteien, die in den entsprechenden Gegenden nicht aktiv waren, sichere Listenplätze in Aussicht gestellt wurden. Die ArbeiterInnen lehnen die Morachas allgemein ab, da sie die Interessen der politischen Eliten sichern und die Teilhabe von Basis-AktivistInnen verhindern sollen.

Echte Arbeiterdemokratie kann nur durch Teilhabe der Massen am politischen Entwicklungsprozess erreicht werden. Und dahin muss die Reise gehen: Es müssen rasch Instrumente eingeführt werden, um die Wirtschaft und die Rohstoffe zu kontrollieren, sie zu verwalten und zu planvoll zu gestalten.

An jedem Arbeitsplatz, in jeder Uni und in den einzelnen Stadtbezirken müssen Komitees geschaffen werden, die aus wähl- und abwählbaren Delegierten bestehen. Falls ihnen eine finanzielle Vergütung zukommt, darf diese einen durchschnittlichen Facharbeiterohn nicht übersteigen. Von der Ebene aus müssen dann Treffen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene organisiert werden.

Unglücklicherweise sind die bolivarischen Zirkel und die Wahlkampf-Einheiten (UBEs), die von Chavez vor Zeiten einberufen wurden und sich wie beschrieben hätten entwickeln können, fast vollkommen verschwunden. Als sich der Kampf gegen die pro-imperialistische Opposition auf einem Höhepunkt befand, wurden die bolivarischen Zirkel zuerst als lokale Treffen kreiert. Sie spielten eine entscheidende Rolle gegen den Putschversuch. Und die UBEs mobilisierten Gruppen von Menschen, um Chavez vor und während der Misstrauensabstimung zu unterstützen.

Im benachbarten Bolivien verfasste der Gewerkschaftsverband COB (Confederation Obrera de Bolivia) einen Appell zur Einrichtung einer revolutionären Volksversammlung, um GewerkschafterInnen, die Volksbewegungen und die Studierendenorganisationen zusammenzubringen. Ziel ist es, eine Strategie zur Machtübernahme durch die Arbeiterklasse, die arme Landbevölkerung und die verarmende Mittelschicht auszuarbeiten. Natürlich muss dieser Appell in Aktionen und konkrete Initiativmaßnahmen umgesetzt werden. Die kämpferische venezolanische Gewerkschaft UNT, die in den letzten Jahren massiv angewachsen ist, sollte das Beispiel ihrer GenossInnen in Bolivien aufgreifen und eigene ArbeiterInnen- und Armen-Komitees in den Fabriken und barrios gründen.

Die Gewerkschaften

Die UNT, die nationale venezolanische Arbeitergewerkschaft, ist noch eine sehr junge Organisation. Seit ihrer Gründung im Mai 2003 haben sie die ArbeiterInnen als willkommene Alternative zum alten und korrupten Gewerkschaftsbund CTV gesehen. Die Führung des CTV arbeitete beim Reform- und Privatisierungsprogramm der Regierung Caldera Mitte der 1990er mit und wurde völlig zurecht als Handlanger von Bourgeoisie und Imperialismus gesehen. Belege dafür zu finden, dass die UNT schon die gewerkschaftliche Vormachtstellung von der CTV übernommen hat, ist nicht so einfach. Laut Arbeitsministerium wurden 2003/04 76,5 Prozent der Tarifabkommen mit Gewerkschaften geschlossen, die der UNT nahe stehen und nur 20,2 Prozent mit solchen, die sich noch der CTV zugehörig fühlen. Dies liegt sicherlich auch daran, dass die UNT die Oberhand im öffentlichen Sektor hat, was von offizieller Seite auch nicht ganz ungewollt ist. Trotzdem repräsentierte die UNT auch im privaten Bereich 2003/04 schon 50,3 Prozent aller Tarifverträge und die CTV nur noch 45,2 Prozent.

Die UNT ist wie gesagt eine sehr junge Gewerkschaft und steht an vorderster Linie bei der Einflussnahme der Arbeiterklasse auf die bolivarische Revolution. Die Entwicklung in den Fabriken und Wohnbezirken ist sehr dynamisch. ArbeiterInnen ergreifen die Initiative, um UNT-Gruppen am Arbeitsplatz zu gründen, junge ArbeiterführerInnen werden bekannt und die Erfahrungen im Kampf – besonders die Begrenztheit der bolivarischen Revolution bisher – bringt sie zu weitreichenden Schlussfolgerungen. FührerInnen einer 2000 Mitglieder starken regionalen Gewerkschaft in Carabobo verteilten zum Beispiel das CWI-Flugblatt bei ihrem Vorstandstreffen und stellten es zur Abstimmung. Sie waren beeindruckt von unserem politischen Programm, unserem Aufruf kein Vertrauen in die kapitalistischen Repräsentanten zu haben und unserem Beharren auf unabhängigen Organisationen der Arbeiterklasse. Ein Betriebsrat der Bauarbeitergewerkschaft in einer Diskussion mit uns: „der MVR ist keine Organisation der Arbeiterklasse“.

Generell kann gesagt werden, dass die UNT-GewerkschafterInnen nicht nur AktivistInnen am Arbeitsplatz sind. Sie nehmen auch an allen anderen Bereichen der bolivarischen Revolution in den Wohnbezirken und Kooperativen teil. Ein Vorstandsmitglied der Bauarbeitergewerkschaft erklärte uns, wie in einem ihrer eigenen barrios mehr als 50 Kooperativen arbeiten und alle Güter des täglichen Bedarfs bereit stellen. Tausende von Geschichten kann mensch von ihnen hören, was für eine  großartige und selbstlose Arbeit von den EinwohnerInnen und AktivistInnen getan wird. Allerdings können sie auch hunderte Beispiele dafür geben, die zeigen, wie dieser Prozess durch die Langsamkeit von Regierung und Staatsbediensteten und eine offene Sabotage seitens staatlicher Bürokratie und bürgerlicher Opposition begrenzt wird.

Diejenigen, die bewusst hinsehen, können Woche für Woche etliche Beispiele eines Arbeiterkampfs gegen Teile der Staatsmacht und Regierungsbürokratie sehen. In den ersten Septemberwochen überraschte zum Beispiel eine Gruppe ArbeiterInnen aus einem Betrieb der PDVSA-Anaco die Öffentlichkeit mit einer dreitägigen Protestaktion vor Mina Flores, dem Präsidentenpalast. Als sie dann im Morgengrauen vertrieben wurden, entschieden sie sich zum Parlamentsgebäude zu ziehen, wo sich einige von ihnen mit Glasscherben Arme und Oberkörper zerschnitten. Mit ihrem blutigen Protest gegen unfaire Entlassungen wurden die 500 DemonstrantInnen vor weniger als zwei Jahren zu HeldInnen. Daraufhin wurden sie im PDVSA-Magazin für ihren heldenhaften Widerstand gegen die Aussperrung der Bosse gewürdigt.

Andere Proteste finden gegen ungerechte Entlassungen, die Verzögerung von Lohnzahlungen und weitere Unregelmäßigkeiten statt. Meist sind diese Auseinandersetzungen Teil eines hin und her zwischen sich organisierenden ArbeiterInnen, die die Verhältnisse in den Fabriken ändern wollen und Unternehmen der privaten Wirtschaft, die oft ungezügelt antworten. Einige dieser Unternehmer haben dann sehr gute Beziehungen zu Teilen des Staatsapparats, Bürgermeistern, Gouverneuren etc.

Die Aufgabe der UNT muss es sein, die Interessen der ArbeiterInnen im Klassenkampf zu verteidigen und Klassenunabhängigkeit zu gewährleisten. Das Vorgehen der UNT darf sich nicht an die Politik der Regierung anlehnen und sie darf sich selbst auch nicht als Hilfstrupp im revolutionären Prozess betrachten. Wenn die Gewerkschaft die positiven Seiten der Regierungspolitik selbstverständlich in Worten und Taten unterstützen muss, so muss sie erst recht Kritik äußern und kämpfen, wenn etwas  gegen die Interessen der ArbeiterInnen und die Bevölkerung insgesamt geschieht. Die Aufgabe der UNT muss es sein, eine lebendige Vorstellung vom Kampf zu geben, der von den ausgebeuteten Massen getragen wird. Wenn dies gelingt, kann die UNT ihre historische Rolle erfüllen und das Organisationszentrum der revolutionären Massen im Kampf für revolutionären Sozialismus sein.

Landreform

Seth DeLong, Mitarbeiter der rechtslastigen US-amerikanischen Stiftung COHA (Council on Hemispheric Affairs), beschreibt in einem Aufsatz die enorme Ungleichheit auf dem Land und in den Städten Venezuelas anhand eines Vergleichs: „Stellen Sie sich vor, in diesem Land (USA) besäße eine Hand voll Familien den gesamten Bundesstaat Kalifornien. Die kalifornische Küstenbehörde existierte nicht, Begrenzungen für den Landerwerb würden ebenso wenig bestehen wie Gebietsverordnungen oder eine Oberhoheit durch eine Landesregierung. Das würde keinen Durchschnittsbürger stören, weil Kalifornien ja eine Ansammlung von großen Gebieten in Privatbesitz wäre und von den meisten US-Einwohnern sowieso nie zu Gesicht zu bekommen wäre (ausgenommen einige Handelsvertreter). Mit anderen Worten stelle man sich einen der schönsten Staaten der USA als ein riesiges abgegrenztes Gebiet vor. Inzwischen wäre das meiste Land von den Oligarchen aufgekauft und wiederum davon das meiste würde brach liegen, weil lieber darauf spekuliert wird, dass die Bodenpreise steigen als in landwirtschaftlichen Anbau zu investieren.“

In Venezuela gehören 75 bis 80 Prozent des Privatbesitzes an Boden nur 5 Prozent Grundbesitzern. Die Aufteilung von Farmland ist noch unverhältnismäßiger. Lediglich 2 Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent des gesamten anbaufähigen Bodens. Weil die Großgrundbesitzer es vorziehen, es sich auf dem Land gemütlich zu machen und es unbewirtschaftet lassen, um „engordar el toreno" (die Kuh fett werden zu lassen), ist Venezuela der einzige Netto-Importeur landwirtschaftlicher Güter in ganz Lateinamerika. Konkret ist das Land somit gezwungen, mehr als zwei drittel seiner Nahrungsmittel im Ausland zu kaufen. Dass Venezuelas Agrarsektor nur 6 Prozent zum Inlandsprodukt beiträgt, ist ein vernichtendes Urteil gegen das unwirtschaftliche System des Großgrundbesitzes.

Mit dem Gesetz „über Boden und Landwirtschaft“ hat die Regierung Chavez 2001 die Pläne für eine Landreform erklärt. Ziele des Gesetzes waren eine Begrenzung von Grundbesitz, die Besteuerung ungenutzter Fläche, die Verteilung ungenutzten, in erster Linie in Staatsbesitz befindlichen Bodens an BäuerInnen und Kooperativen sowie schließlich die Enteignung unbebauter und brach liegender Flächen der großen Privatbesitztümer. Letzteres sollte mit einer Entschädigung zu aktuellen Marktpreisen ausgeglichen werden. Bisher hat die Regierung gut 2,2 Millionen Hektar staatseigenen Landes neu an 130.000 BäuerInnen und Kooperativen verteilt. Wegen einer eventuellen  Enteignung von Privatbesitz war bis vor wenigen Monaten allerdings noch kein Quadratmeter diesen Bodens zu haben.

Es entstehen gerade Spannungen vornehmlich in einigen Regionen, in denen BäuerInnen – manchmal mit Hilfe von Regierung oder Armee – begonnen haben, Privatbesitz zu besetzen. In Folge dessen sputete sich die Chavez-Regierung nicht nur mit Enteignungen und Neuverteilung von Landbesitz, sondern auch von Firmen. In Großbritannien wurde das Beispiel der Vestey-Höfe bekannt, deren Besitzer vormals noch Lord Vestey gewesen war. Schätzungsweise 5 Prozent des venezolanischen Rindfleischs kommen aus den Beständen dieses Betriebes.

Mit dem Gesetz über die Landreform versucht die Regierung Fehler aus früheren Versuchen zu vermeiden. 1960 wurde einmal Land an 150.000 Bauernfamilien verteilt. Wegen mangelnder Nachfrage nach den produzierten Lebensmitteln und der fehlenden fachlichen Ausbildung der BäuerInnen, zogen die meisten wieder fort und verkauften das Land an die alten Besitzer. Darüber hinaus wurde jene Reform damals nicht durchgeführt, um die finanzielle und politische Macht der Großgrundbesitzer zu brechen. Chavez versucht nun mit Hilfe der Kooperativen und subventionierten Lebensmittelprogrammen einen Markt für Kleinbetriebe zu schaffen. Zweitens soll der Großteil des Landes in Staatsbesitz bleiben, um den Rückkauf durch Großbesitzer zu vermeiden.

Es ist logisch, dass diese Strategie nur funktioniert, wenn entscheidende Kontrolle über die großen Familien(be)sitze ausgeübt wird, bis hin zu deren Enteignung. Die Tatsache, dass gerade von der ländlichen Oligarchie ein Krieg gegen die BauernführerInnen angezettelt und die Saat für einen Bürgerkrieg ausgesät wird, spricht eine deutliche Sprache. In fast allen lateinamerikanischen Ländern begann die Konterrevolution um die landbesitzende Bourgeoisie. Sie haben immer wieder ihre Kräfte vereint, um ihre Spielregeln durch grauenhafte Kampagnen mit Folter und Mord durchzusetzen.

Eine 6000 TeilnehmerInnen große Demonstration von BäuerInnen zog Anfang Juli durch Caracas´ Straßen, um das Elend der Bauernführer und der Forderung nach Bestrafung für die Verantwortlichen von 130 Morden Ausdruck zu verleihen. Seit das Gesetz über die Landreform das Parlament 2001 passiert hat, kam es in Konflikten zwischen BäuerInnen und Großbesitzern zu wenigstens 150 Morden an BäuerInnen. Nach dem erneuten Schub durch Chavez für diese Sache in diesem Jahr eskalierte die Gewalt noch. Claudia Jardim, eine Journalistin, die die Entwicklungen auf dem Land verfolgt, erklärte, dass die Rate politischer Morde auf dem Land seit Januar schätzungsweise bei einem ermordeten Bauernführer pro Woche liege.

Eine sozialistische Regierung würde die großen Güter enteignen und mit einem Mix aus Landverteilung und Aufbau von Kooperativen die BäuerInnen und Armen einladen, sich zusammen mit den kleinen GrundbesitzerInnen einen landwirtschaftlichen Plan auszuarbeiten. Eine solche Arbeiterregierung würde nicht nur ein radikales Programm von Agrarreformen vorschlagen, sondern die Bauerninitiativen ermuntern, das Land zu bewirtschaften und Verteidigungseinheiten in den Communities zu errichten, die sie vor den Todesschwadronen der Großgrundbesitzer schützen.

Internationale Auswirkungen

Die Bush-Administration und damit die US-amerikanischen Eliten sorgen sich immer mehr um die Auswirkungen von Venezuelas Außenpolitik und die Auswirkungen auf die Region. Vertreter der  US-Administration haben schon mehrmals angedeutet, dass Venezuela versuche, die benachbarten Regierungen, besonders Ecuador und Bolivien zu destabilisieren. Der US-Imperialismus sieht sich zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg einer Regierung gegenüber, die sich einer sozialistischen Rhetorik bedient und sich bei den Massen in Lateinamerika großer Beliebtheit erfreut. Chavez wünscht sich eine antiimperialistische bolivarische Allianz lateinamerikanischer Staaten und wetteifert dabei mit dem lateinamerikanischen Freiheitshelden Simon Bolivar. Der neue US-amerikanische Botschafter in Spanien, Eduardo Aguirre, erklärte in einem jüngst gegebenen Interview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia die Politik von Präsident Chavez für „besorgniserregend, weil er das Interesse an einem Export seiner Revolution in andere lateinamerikanische Staaten ausdrückt.“

Mögen US-Kommentatoren noch so besorgt sein, Chavez´ Strategie ist es weniger die Revolution, als vielmehr das Öl zu exportieren. Seit 2002 endeten 57 Prozent aller venezolanischen Öl- und ölhaltigen Produkte in Nordamerika. Die USA sind mit 15 Prozent ihrer Importe von Venezuela abhängig und weil offizielle Vertreter derweil davon sprechen, dass sich an diesen Zahlen vorläufig auch nichts ändern wird, spricht dies eine ganz andere Sprache. In den letzten zwei Jahren sind die durchschnittlichen Ölexporte von Venezuela in die USA um 24,5 Prozent gesunken während 2004 die venezolanischen Ölverkäufe in lateinamerikanische staaten um 25 Prozent auf 41 Prozent stiegen. Die Abkommen von 2005 zwischen Venezuela und etwa Brasilien, Argentinien, Kuba, Jamaika, Spanien, Indien und China deuten auf eine noch deutlichere Verschiebung der Daten in diesem Jahr hin. Venezuela gewährt den lateinamerikanischen Staaten günstigere Zahlungsbedingungen als irgend ein anderer potentieller Öllieferant. Die Unterzeichner von Petrocaribe, einem Vertrag zwischen Venezuela und den karibischen Staaten, genießen eine Klausel, nach der Venezuela 50 Prozent der Ölverkäufe vorstreckt und der Rest in den kommenden 25 Jahren abzuzahlen ist.

Diese Allianzen mit bürgerlichen Regierungen anderer lateinamerikanischer Staaten wie Lulas Brasilien, dem neuen Liebling des IWF auf dem Kontinent, haben den Effekt, dass die Klassenunterschiede verwischt werden. Viele dieser lateinamerikanischen Regierungen sind überglücklich, dass sie sich das Mäntelchen radikaler Staatslenker umhängen können, weil sie doch mit einem Revolutionär wie Chavez Verträge schließen. In Wirklichkeit nutzen sie die äußerst günstigen Verträge nur, um weiterhin einen Kurs gegen die ArbeiterInnen und Armen zu fahren. Leider hat es Chavez sogar unterlassen auf die Korruption in Lulas PT („Arbeiterpartei“) hinzuweisen, als er Brasilien während des Korruptionsskandals besuchte.. Er ignorierte nicht nur die Lawine von Dokumenten und Beweisen, die zum Rücktritt etlicher Regierungs- und PT-Führer führten, Chavez äußerte gar, dass der  Korruptionsskandal „eine Erfindung der rechten Parteien ist, die Lulas Regierung verleumden wollen“. Mit keiner Silbe hat Chavez P-SOL unterstützt, die Partei für Sozialismus und Freiheit, die in Brasilien als Reaktion auf die neoliberale Politik Lulas entstanden ist.

In der letzten Augustwoche ernannte die ecuadorianische Regierung zwei ihrer Öl produzierenden Provinzen am Amazonas, Sucumbíos und Orellana, zu Notstandsgebieten. Der Grund für dies scharfe Durchgreifen war ein sehr wichtiger Streik der örtlichen Ölarbeiter und Nachbarschafts-AktivistInnen für die Ausweisung der nordamerikanischen Ölunternehmen. Der Streik entwickelte sich zu einem Generalstreik in den beiden Provinzen mit lokalen Wohnbezirken, die die Forderung nach Zwangsinvestitionen der Öl-Unternehmen in die hiesige Infrastruktur und Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit stellten. Die ecuadorianische Ölindustrie wurde komplett lahmgelegt. Und als die Regierung die Verhaftung der Streikführung anordnete, brach ein Aufstand einiger Wohnbezirke gegen die Pipelines, Militäreinrichtungen und die Wohnhäuser von Soldaten in der Region los. Daraufhin wurde ein neuer Verteidigungsminister, der bereits pensionierte General Oswaldo Jarrin, ernannt, der das Militär sofort aufrief „wenn nötig maximale Härte einzusetzen“, um die Kontrolle über die rebellierenden Provinzen zurück zu erlangen. Die ecuadorianische Regierung, die  während der Aussperrung der Ölarbeiter Öl an Venezuela geliefert hatte, forderte nun von Venezuela wiederum, Öl zu liefern, um die totale Lahmlegung der Industrie im Land zu beenden. Unfassbarerweise stimmte Chavez einer kostenlosen Leihgabe von Rohöl an Ecuador zu. In seinem Programm Aló Presidente erklärte Chavez dann: „Venezuela deckt die Verpflichtungen ab, die die ecuadorianische Regierung zur Zeit nicht zu erfüllen im Stande ist. Sie braucht keinen Cent dafür zu zahlen“. Ecuador ist nach Venezuela der zweitgrößte Öllieferant Südamerikas an die USA.

Unglücklicherweise ist es eben nicht Chavez´ Plan, eine sozialistische Revolution in andere Länder Lateinamerikas auszubreiten. Im Falle Ecuadors trägt die bolivarische Strategie des Suchens nach  Allianzen mit anderen bürgerlichen Staaten Lateinamerikas zur Entgleisung der Arbeiterbewegung bei. Ziehen wir die Irrungen und wirtschaftlichen Krisenzustände in Betracht, die noch vor uns liegen mögen, so wird die Strategie der bolivarischen Regierung gewiss zu einer Wiederholung solcher Zwischenfälle führen. Natürlich muss auch eine Arbeiterregierung (zeitlich begrenzte) Übereinkünfte mit bürgerlichen Regierungen schließen – besonders, wenn diese Arbeiterregierung isoliert dasteht. Sie kann dazu gezwungen sein, um die Revolution als Ganzes zu schützen. Aber dann würde gleichzeitig versucht, die Revolution auch in andere Länder zu tragen und die Wahrheit zu verbreiten: in Richtung der Arbeiterklasse und verarmten Massen im eigenen Land wie auch in Richtung der Arbeiterklasse und verarmten Massen im anderen Land. Die Arbeiterregierung würde um jeden Preis versuchen zu vermeiden, dass der Klassenkampf im anderen Land ins Stocken gerate. Auf keinen Fall würde sie Verbündeter der herrschenden Klasse des anderen Landes gegen die Arbeiterklasse desselben.

Fataler Weise haben einige in den Führungen der Arbeiterorganisationen Illusionen in die Idee des Aufbaus sogenannter bolivarischer Allianzen. Orlando Chirino, Mitglied im nationalen Koordinierungskomitee der UNT erklärte dazu in einem kürzlich gegebenen Interview: „ Für Venezuela ist es wichtig, politische Allianzen in Lateinamerika zu knüpfen. Es gibt einen starken Rückhalt unter den Völkern Lateinamerikas für die bolivarische Revolution [...]. Zu großer Sorge geben die wie auch immer gearteten Bedrohungen gegen Lulas Regierung in Brasilien Anlass. Wir müssen Lula verteidigen und die Arbeit für eine starke Allianz Chavez-Kirchner-Lula-Tabare in Südamerika fortsetzen“.

Die Verbindungen, die das Chavez-Regime mit Kuba geknüpft hat, werden allgemein von der venezolanischen Arbeiteklasse und den Armen sehr gewürdigt. Über 20.000 kubanische Ärzte arbeiten in den armen barrios und bieten den VenezolanerInnen freie Gesundheitsdienste. Und tatsächlich können solche Beziehungen den gegenseitigen Vorteil für die ArbeiterInnen und Armen zweier Länder bringen. Trotzdem darf Kritik an Kuba dadurch nicht verschleiert werden. Ist es die Pflicht eineR jeden RevolutionärIn, die Verbesserungen durch die kubanische Revolution zu verteidigen, so sollten die Beziehungen begleitend auch ein Programm zur Errichtung einer echten Arbeiterdemokratie, zur Förderung von Organisationsfreiheit, einer freien Arbeiterpresse und Maßnahmen gegen den Bürokratismus beinhalten. Die Verbindung zwischen Kuba und Venezuela kann ein erster Schritt sein, um frischen Wind in die kubanische Revolution zu bringen und den Sozialismus auf den gesamten Kontinent zu tragen. Es gibt ein aufrichtiges Gefühl der Bewunderung für die kubanische Revolution in der venezolanischen Arbeiterklasse und unter den armen Schichten. Aber ebenso erkennen die meisten, dass Kuba von einer bürokratischen Kaste regiert wird. Unter einigen Schichten in Venezuela besteht das Bewusstsein darüber, dass Kuba zwar ein guter Alliierter im Kampf gegen den Imperialismus, aber ein schlechtes Vorbild für ein sozialistisches Venezuela ist.

Ein sozialistisches Programm ist nötig

Die Entwicklungen in Venezuela sind von weltweiter Wichtigkeit. Das Chavez-Regime für die Massen Lateinamerikas dient als Beispiel für eine Alternative zu den gewissenlosen neoliberalen Regimen, die im Rest des Kontinents regieren. Das Wiederaufleben eines sozialistischen Bewusstseins ist der Vorlauf für die Entwicklungen in den anderen Ländern in den kommenden Jahren. Ereignisse und die darin gesammelten gemeinsame Erfahrungen führen die Massen zu weitreichenden Schlussfolgerungen. Im kollektiven Kampf um die Verbesserung der individuellen Lebensverhältnisse entsteht so die Notwendigkeit für eine breite Arbeiterpartei, die mit einem revolutionären sozialistischen Programm bewaffnet ist. Obgleich das Chavez-Regime wie eine radikale Macht auftritt und Chavez selbst eine landesweite Debatte um Sozialismus ausgelöst hat, halten die bisher vorgenommenen Maßnahmen seiner Regierung noch keinem zeitlichen Vergleich mit ähnlichen Entwicklungen in den 1970er Jahren wie in Chile oder Portugal stand. Ebenso wenig gilt dies für den Grad an Selbstorganisierung der Arbeiterklasse oder die generelle Entwicklung des Bewusstseins, das zu damaliger Zeit schon auf einem höheren Level war. Trotzdem: Wir sehen heute in Venezuela den Beweis dafür, dass sozialistische Ideen zurück auf der Tagesordnung sind.

Das CWI baut seine Kräfte in Venezuela auf. Wir sind überzeugt, dass wir auf der Grundlage eines kämpferischen Programms für revolutionären Sozialismus und der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse in der Lage sein können, eine wichtige Rolle bei der Förderung der Arbeiterinteressen und des Sozialismus auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu spielen.

London,  6. Oktober 2005

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