Wer kämpft in der EU wofür?

Nein zu nationalistischen Einzelgängen oder Illusionen in eine Demokratisierung der EU
Stefan Brandl

Mit der EU sind richtigerweise viele unzufrieden. Der Fortschritt beim Impfen stockt, die Verteilung der Impfstoffe erfolgt ungleich je nach wirtschaftlicher Kraft der einzelnen Mitgliedstaaten. Beim Klimaschutz werden keine (ausreichenden) Maßnahmen getroffen, die Lüge vom “Friedensprojekt” hält längst nicht mehr. Lösungsstrategien werden vor allem entlang von “raus aus der EU” oder “EU demokratisieren” formuliert.

Der Austritt wird in Österreich vor allem von rechts propagiert, die FPÖ bringt den Rückzug auf den Nationalstaat in Kombination mit dem Austritt aus der EU ein. Aber auch von linker Seite sprechen zum Beispiel die PdA und Teile der KPÖ von einem Austritt aus der Europäischen Union - wenn auch aus anderen Gründen. Doch ein kapitalistisches Österreich außerhalb der EU (und dem Schengen Abkommen) wäre keinen Deut besser als ein kapitalistisches Österreich innerhalb der EU. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten bleiben im kapitalistischen Rahmen im Wesentlichen die selben: Ob das Druckmittel für Kürzungen Maastricht-Kriterien oder Bonität am Kreditmarkt ist, ändert am Ergebnis nichts.

In der Wahrnehmung vieler - vor allem junger - Menschen stellt die EU einen Fortschritt dar, weil sie dem internationalistischen Gefühl besser entspricht als nationale Einzelgänge. Hier setzten die Sozialdemokratie und Grünen an, die europäische “Werte” und eine angebliche (nie existierende) “Sozialunion” in den Vordergrund rücken, um die EU damit zu verteidigen. Also wird eine Demokratisierung propagiert und von einer “EU der Bürger*innen” geredet. Der Imageschaden der EU soll so gering wie möglich gehalten werden. Die “Konferenz zur Zukunft Europas”, von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen im Mai 2021 gestartet, lädt EU-Bürger*innen zur Diskussion ein. Wie viel tatsächlich auf EU-Bürger*innen gehört wird, sehen wir bei den Klima-Bewegungen der letzten Jahre am besten.

Wenn in Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn LGBTQ+ Personen oder Frauenrechte angegriffen werden, macht die EU real nicht viel. Und wenn doch Sanktionen verhängt werden, dann in erster Linie, um die dortigen Regierungen wirtschaftlich in der EU zu halten und nicht für die Verteidigung “europäischer Werte”. Im Anbetracht dessen, dass die EU Gelder an Erdogan - auch kein Freund dieser Werte - zahlt und mit ihm Flüchtlingsabkommen aushandelt, ist klar, um welche Art von (finanziellen) Werten es hier geht. Die polnische PiS oder die Orbán-Regierung in Ungarn setzen sich selbstbewusst über diese “Werte” hinweg, während linke Projekte defensiv und verhalten agieren. Von PiS oder Orbán geht keine Gefahr für das kapitalistische Europa aus, als aber die Gefahr bestand, dass Griechenland unter Syriza auch nur Elemente dieser ausbeuterischen Logik in Frage stellte, ging die EU bzw. die Troika mit voller Härte vor. Auch gegen den Brexit geht die EU mit aller Härte vor, um eine Vorbildwirkung zu verhindern und so die EU zusammenzuhalten.

Die herrschende Klasse wird weder in Österreich noch sonst ein Projekt wie die EU demokratisieren: Ein wirkliches gemeinsames internationales Projekt widerspricht der nationalstaatlichen Beschränkung des Kapitalismus und damit den Profitinteressen der einzelnen Mitgliedstaaten. Und in Krisensituationen ist mehr Demokratie aus Sicht des Kapitals sogar hinderlich - der Kurs geht Richtung hartem Durchgreifen und damit verbundenem Demokratieabbau.

Die einzige Kraft, die für ein demokratisches, soziales, ökologisches und geeintes Europa eintreten kann und will, sind Arbeiter*innen in und außerhalb der EU, die bereits jetzt in Arbeitskämpfen, Streiks oder Bewegungen für Klima, Demokratie und Menschenrechte involviert sind. Allein in den letzten 5 Jahren gab es unzählige Anzeichen für Schritte in diese Richtung. 2017 demonstrierten in Rumänien 300.000 trotz eisigem Wetter im Winter gegen eine Lockerung des Korruptionsgesetzes, im Oktober 2019 streiken in Kroatien Lehrer*innen mehrere Wochen für bessere Löhne, in Slowenien haben 2018 öffentlich Bedienstete gestreikt - einer der Slogans war bezeichnenderweise “Slowenien ist in der EU, unsere Gehälter sind es nicht”. Bereits vor Corona gab es eine Welle an Protesten im Gesundheits- und Sozialbereich, der bedeutendste davon vermutlich in der Berliner Charité, in Frankreich erfassten die Gelbwesten um die Jahreswende 2018/19 das ganze Land, seit 2019 gibt es europaweite Klima-Proteste und Schulstreiks, und das sind nur wenige der unzähligen Beispiele. Diese noch sehr limitierten Proteste und Demonstrationen zeigen die Gemeinsamkeiten und werfen zunehmend die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Kapitalismus auf. Sie bleiben nicht an Ländergrenzen stehen, sondern zeigen die Basis für eine die nationalen Grenzen sprengende Solidarität.

Im Gegensatz zu Ablenkungen wie EU-Austritten auf kapitalistischer Basis oder Illusionen in eine Demokratisierung der EU sind sie eine echte Alternative. Sie haben das Potential, die EU als kapitalistischen Wirtschaftsblock, mit allen inner-europäischen Machtkämpfen und nationalstaatlichen Plänkeleien, zu stürzen und durch ein vereinigtes sozialistisches Europa zu ersetzen.

 

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