Wahlen in Frankreich: Sieg der Rechten?! Eine Schockwelle schwappt über Europa!

Robert Bechert

Das politische Erdbeben in Frankreich bedeutet eine Schockwelle für ganz Europa. Der Erfolg Le Pens und die vernichtende Niederlage Jospins verängstigt die Spitzen der europäischen Politik und hat ArbeiterInnen und Jugendliche in eine Art Alarmzustand versetzt. Sofort sind zehntausende Menschen in ganz Frankreich auf die Straße gegangen.  Sie stellen ihre Entschlossenheit unter Beweis, Le Pen ­ den sie als offenen Faschisten erkennen ­ den Weg zu versperren.  Die Proteste wurden fortgesetzt durch Streiks und Demonstrationen von tausenden SchülerInnen und StudentInnen.

Diese spontane Reaktion war kein Zufall. Wir haben ähnliche Proteste in Österreich nach Haiders Wahlsieg vor nur zwei Jahren erlebt. Die damaligen Ereignisse stellten eine bedeutende Entwicklung für Österreich dar. Aber in Frankreich existieren stärkere und frischere Traditionen des Kampfes der ArbeiterInnenbewegung. Deshalb kann Le Pens Erfolg einen gewaltigen Gegenschlag hervorrufen, der das Land in seinen Fundamenten erschüttert.

1. Mai: Kampftag der ArbeiterInnenklasse

Le Pen hat für einen starken nationalistischen ersten Mai aufgerufen. Eine massive Mobilisierung von ArbeiterInnen, MigrantInnen und Jugendlichen ist die notwendige Antwort am ersten Mai. Es geht darum, gleichzeitig das wahre Kräfteverhältnis in Frankreich unter Beweis zu stellen, sowie die Bereitschaft zu zeigen, alle Angriffe zurückzuschlagen ­ egal woher sie kommen. Der erste Mai muss zum Meilenstein werden auf dem Weg zu weiteren Mobilisierungen, inklusive einem eintägigen Generalstreik gegen alle Angriffe, die eine künftige Regierung wagen könnte.

Krise des Establishment und Polarisierung

Diese Wahlen waren eine Absage an jene Parteien, die Frankreich regierten, seitdem De Gaulle 1958 die Fünfte Republik ausgerufen hat. Die beiden Hauptparteien ­ die RPR von Chirac und die “Sozialisten” erhielten 36,06 Prozent der Stimmen, während 28,4 Prozent zu Hause blieben ­ die höchste Wahlenthaltung in der Geschichte. Weniger als 14 Prozent aller Wahlberechtigten stimmten für Chirac. Das ist für einen amtierenden Präsidenten das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Die Bedeutung liegt auf der Hand:  Egal wie hoch sein Sieg in der zweiten Runde ausfällt - ein wiedergewählter Chirac wird von Beginn an als geschwächte Figur erscheinen.  Es darf gleichzeitig nicht übersehen werden, dass es abgesehen von Le Pens Einzug in die zweite entscheidende Runde am 5. Mai, auch einen sehr starken Linksruck bei dieser Wahl gab. Das vereinigte Ergebnis der drei trotzkistischen KandidatInnen machte 2.973.600 Stimmen, 10.44 Prozent aus ­ verglichen mit 1.616.540 und 5.3 Prozent bei den letzen Wahlen. Die Kombination der wachsenden Unzufriedenheit in der Gesellschaft und der Politik der Führung der offiziellen ArbeiterInnenbewegung hat eine Situation hervorgerufen, in der es sowohl eine Polarisierung nach Links und den Versuch der extremen Rechten gibt, mit ihren populistischen, rassistischen und nationalistischen Slogans diese Stimmung auszunutzen.

Wie gross ist Le Pens Erfolg?

Le Pens Erfolg ist eine Warnung, aber er bedeutet noch nicht, dass die französische ArbeiterInnenbewegung  unmittelbar in eine vernichtende Niederlage schlittert. Die extreme Rechte konnte die Anzahl von WählerInnenstimmen um weniger als 900.000 erhöhen. 1997 erhielt Le Pen 4.573.200 Stimmen (15 Prozent), dieses Jahr waren es 4.805.300 (16.86 Prozent).  Gleichzeitig müssen die 667.120 Stimmen (2.34 Prozent), welche die von Megret geführte Abspaltung von der Front National (NF) erhielt, zum Gesamtergebnis der extremen Rechten hinzugefügt werden. Die WählerInnenstromanalysen zeigen, dass ­ verglichen mit der letzen Wahl ­ Le Pens Unterstützung bei jungen Menschen von 18 auf 12 Prozent gesunken ist, während PensionistInnen (von 9 auf 19 Prozent), Selbständige und Kleinunternehmer (13 auf 30 Prozent) ihn verstärkt wählten.

Der Verlierer heißt Jospin

Ein Schlüsselfaktor für die Niederlage Jospins war der Anstieg der NichtwählerInnenrate von 21.63 Prozent auf 28.4 Prozent. Fast zwei Millionen Menschen weniger nahmen im Vergleich zu den letzten Wahlen an diesem Urnengang teil. Die Anzahl der ungültigen Stimmen blieb mit 995.550 (888.810) ungefähr gleich. Sofort nach der Wahl wurden Stimmen laut, die für Le Pens Ergebnis die Zersplitterung der linken Stimmen verantwortlich machten. Tatsächlich war Jospins Niederlage ein Ergebnis seiner eignen dramatischen Stimmenverluste. Jospin wurde 1997 nach der großartigen Bewegung gegen die Politik von Präsident Chirac,  zum Premierminister gewählt. Nach dieser Wahl setzte Jospin eine klare kapitalistische Politik um. Mit dem Ergebnis, dass jetzt das Abschneiden der “Sozialistischen” Partei ­ trotz einer Periode des wirtschaftlichen Wachstums ­ in der ersten Runde von 7.101.990 auf 4.610.740 zurückfiel. Wenn man zu den letzten Präsidentenwahlen zurückblickt, so standen damals ebenfalls andere linke KandidatInnen zur Wahl ­ Kommunisten, Grüne, TrotzkistInnen. Ihr Antreten erklärt also nicht, dass Jospin jetzt soviel Unterstützung verloren hat. Grundsätzlich hat Jospins Regierung der “Pluralistischen Linken” die gleiche unternehmerfreundliche Politik wie die Blair-Regierung in Britannien betrieben ­ abgesehen von einigen kosmetischen Maßnahmen. In den letzten beiden Wochen vor der Wahl hat Frankreichs Regierung ihre Privatisierungspolitik weiter fortgesetzt. Weiters wurden Anteile von Renault, Thomson Multimedia und  alle  “Autoroutes du Sud de la France” veräußert. Dieser Schlussverkauf wurde unter einem sogenannten “kommunistischen” Verkehrsminister eingeleitet!  Auch die begrenzten Reformen hatten einen sehr zweideutigen Charakter. Ein Autor der Los Angeles Times hat Jospins zentrale Maßnahme ­ die 35 Stundenwoche ­ folgendermaßen kommentiert: “Große Konzerne haben die Maßnahmen als nützlich befunden, ermutigend um eine generelle Neubewertung von Arbeitszeit und Arbeitspraxis zu beginnen”.

”Pluralistische Linke” hat mit rechter Politik versagt

Ansätze, wie sie jetzt z.B. vom altlinken Labour Party Veteran Tony Benn eingebracht werden, nämlich dass eine linke Einheit hinter Jospin, statt “sich mit dem big business ins Bett zu legen”, sowohl Le Pen wie Chirac besiegt hätten, sind absurd.  Absurd deshalb, weil Jospins Politik grundsätzlich aus dem bestand, was das “big business” verlangt hat. Von Beginn an betonte Jospin in seiner Kampagne, dass er nicht als “Sozialist” antritt und viele meinten sogar, dass es nicht viele Unterschiede zwischen seinem und Chiracs Wahlkampf gab. Das, gemeinsam mit dem schlechten Zeugnis der französischen SP in der Regierung, waren die wesentlichen Gründe der Niederlage.  Das Gleiche gilt für die Kommunistische Partei (PCF), welche in Jospins Regierung sitzt und der es noch schlechter in diesen Wahlen erging. Die PCF wurde praktisch vernichtet: Von 2.634.180 Stimmen fiel sie auf 960.750. Nur 3.37 Prozent bedeuten den niedrigsten Prozentsatz in der Geschichte, nur 1924 und 1932 erhielt sie eine geringere Anzahl an Wählerstimmen. Der Gegensatz zwischen dem Niedergang der Unterstützung für die PCF und das mehr als dreimal höhere Ergebnis der trotzkistischen RepräsentantInnen bedeutet eine historische Niederlage für eine Partei, deren Führung ein Hauptakteur der internationalen stalinistischen Bewegung war. Die PCF tritt jetzt in eine große, vielleicht endgültige Krise ein.

Gegen “die da oben”

Insgesamt zeigen die Wahlen tiefe Feindschaft und Hass gegen die führenden Parteien. Das ist der Grund  warum abgesehen von den  2.973.640 (10.44%) trotzkistischen Stimmen, die Grünen von 1.011.370 auf 1.495.900 Stimmen (5.25%) wuchsen und der frühere SP Minister Chevènements mit seiner “links/republikanischen” Bewegung 1,518,900 (5.33%) der Stimmen erhielt.  Dieses Ergebnis drückt eine umfassende Entfremdung von der “politischen Klasse”, der Kaste der führenden Karrieristen und Politiker, aus.  Mehrere Tage vor den Wahlen sagte ein französischer Kommentator, dass die FranzösInnen “weniger die Politik an sich, aber die Themen die sie aufwirft und das Benehmen der politischen Klasse ablehnen. Sie fühlen nicht,  dass Politiker ihre Sprache sprechen und ihre Sorgen teilen.” Das zeigt sich vor allem im Zusammenhang mit der wachsenden Opposition gegen jeden Ansatz von neoliberaler Politik und der kapitalistischen Globalisierung. Lange vor der Wahl schrieb die Financial Times: “11 von 14 AnwärterInnen auf das Präsidentenamt, sowohl rechte wie linke, stehen gegen Globalisierung und setzen auf eine antikapitalistische Sprache.”  Le Pen war bemüht, diese Situation für sich zu nutzen. Seine Kampagne wurde zusammen geflickt aus der Thematisierung eines allgemein wachsenden Gefühls von Unsicherheit, der Entfremdung vom Establishment, der Ablehnung der weit verbreitenden Korruption und der steigenden Angst vor Kriminalität. Zur gleichen Zeit unternahm er den Versuch, der populären Opposition zur kapitalistischen Globalisierung, der EU und der US-Politik einen nationalistischen Charakter überzustülpen. Mit Appellen an die “kleinen Leute, die ausgeschlossene Basis” wollte sich Le Pen als Ersatz für die Linke und Alternative zur herrschenden Elite darstellen. Le Pens Erfolg ist zweierlei: Eine Warnung und auch ein Symptom  der Polarisierung. Doch dieser Angriff der Reaktion kann die Bewegung anspornen. Die Proteste auf den Strassen haben sofort eingesetzt, doch das muss mit dem Aufbau einer politischen Alternative verknüpft werden. Um in der Lage zu sein, sowohl Le Pens Bewegung jetzt, wie auch in der Zukunft zu stoppen, muss die ArbeiterInnenbwegung beweisen, dass sie wirklich für eine alternative Gesellschaft kämpft.  Die fast drei Millionen Stimmen für den “Trotzkismus” haben seinen Organisationen, vor allem der LO und der LCR, eine große Verantwortung übertragen.  Unter Jugendlichen war die LCR die zweitgrößte Partei: Mit mehr als 13.9 Prozent erhielt sie hier mehr Stimmen als Le Pen und nur ein paar Stimmen weniger als Chirac. Die LO schnitt zwar schlecht bei Jugendlichen ab, erhielt aber 10 Prozent aller ArbeiterInnenstimmen. Jetzt haben beide Organisationen die Verpflichtung, ernsthafte Initiativen zu egreifen: Ihre Ergebnisse bedeuten die Chance, die Gründung einer neuen Massenpartei der französischen ArbeiterInnenklasse voran zu treiben. LO, LCR und die Linke der PCF müssen sofort mit allen, die dazu bereit sind, zusammenkommen, um gemeinsam zu kämpfen, auf lokaler und nationaler Ebene, und die nächsten Schritte in jener Protestbewegung zu setzen, die sich bereits entwickelt. Dieser Kampf wird keinesfalls nur über die Wahlzelle ausgetragen. Trotzdem können die nächsten Parlamentswahlen natürlich einen wichtigen Mobilisierungspunkt bedeuten. Es gilt jetzt, Schritte zu unternehmen, um eine gemeinsame Linkskandidatur auf die Beine zu stellen, die gegen kapitalistische Politik kämpft. Die Parlamentswahlen im Juni könnten so zur Niederlage für Le Pen werden ­ vor allem, wenn mehr Menschen wählen gehen.  Es ist wahrscheinlich, dass Chirac die zweite Runde gewinnt. Das politische Establishment hat aufgerufen, Le Pen zu besiegen. Zweifellos werden Teile der ArbeiterInnenklasse, MigrantInnen und Jugendliche Chirac wählen, um Le Pen zu stoppen, der allgemein als Faschist betrachtet wird. Bereits jetzt haben Jugendliche mit Plakaten demonstriert: “Wählt den Gauner, nicht den Faschisten”. Das ist absolut nachvollziehbar, aber ein “cordon sanitaire” kann vielleicht Le Pen im Mai schlagen. Doch es war und ist die kapitalistische “co-habitations”-Politik von Chirac, Jospin und dem Rest der herrschenden Elite, die Le Pen Tür und Tor öffnete. Gleichzeitig wird es Teile der ArbeiterInnenklasse und Jugend geben, die weiß oder ungültig wählen werden. Ein hoher Anteil von Wahlzetteln, die zeigen, dass sie sowohl Chirac, wie Le Pen ablehnen, wäre auch eine Signal der Opposition gegen die kapitalistische Politik, für die beide stehen. Zweifellos werden die kommenden Tage von einer gewaltigen Kampagne gegen Le Pen geprägt sein. Ein Element dieser Kampagne wird allerdings auch der Versuch sein, die Linke zu unterminieren und die Menschen so zu verschrecken, dass sie für die Parteien des Establishments stimmen.

Neue Periode

Frankreich ist in eine neue Periode eingetreten. Das ganze Land befindet sich im Aufruhr. Die Kämpfe, die begonnen haben, können auf einer gewissen Stufe zu einem neuen Mai 1968 führen ­ zu einer offenen Infragstellung des gesamten kapitalistischen Systems. Wenn diese Wahlen irgendetwas unter Beweis gestellt haben, dann vor allem, dass die bestehende Ordnung der Gesellschaft nur von einer Minderheit unterstützt wird. Die entscheidende Frage ist: Wo liegt die Alternative? Die neuen Kämpfe werden von einer Debatte in der ArbeiterInnenbewegung begleitet werden, welche Lehren aus der Jospin-Regierung zu ziehen sind. Wie kam es zur Niederlage und welche Schritte sind die nächsten? ­ in dieser Diskussion wird Gauche  Révolutionnaire (die französische Sektion des CWI) nicht nur für den Aufbau einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnenklasse eintreten, sondern auch, dass diese für eine ArbeiterInnenregierung und die Umsetzung eines wirklichen sozialistischen Programms kämpfen sollte.

Erscheint in Zeitungsausgabe: