Trudeau: Der Lack ist ab

Rückschlag für Justin Trudeau, den ehemaligen Liebling der Liberalen auf der ganzen Welt
Bill Hopwood, Socialist Alternative (Kanada)

Bei den Wahlen 2015 versprach Trudeau "sonnige Wege" - inklusive Wahlreform, Bekämpfung des Klimawandels, Verringerung der Ungleichheit, Verbesserungen für Frauen und die indigene Bevölkerung und mehr. Seine Liberale Partei (LP) gewann, er wurde Premierminister und die bis dahin regierende sozialdemokratische NDP verlor mehr als die Hälfte ihrer Sitze. In den ersten Monaten seiner Amtszeit polierte Trudeau sein Image als Fortschrittlicher weiter auf, mit der Ernennung eines Kabinetts mit 50% Frauen, mit der Ankündigung am Pariser Klimagipfel, dass "Kanada zurück ist", sowie dem Versprechen, die Rechte der Indigenen Bevölkerung zu respektieren. Trumps Wahl im November 2016 bestärkte Trudeaus Image als progressiver Kontrast.

Doch seither verblasst dieser Glanz. Die versprochene Wahlreform hat er aufgegeben. Unter seiner Regierung wurde für 4,5 Milliarden Dollar eine Pipeline angeschafft um verdünntes Bitumen (ein Kohlenwasserstoffgemisch, Anm.) nach Vancouver zu transportieren. Für 15 Milliarden Dollar wurden Waffen nach Saudi-Arabien verkauft. Im Frühjahr 2019 folgte ein Bericht, dass der Premierminister und sein Büro Druck auf die Generalstaatsanwaltschaft ausgeübt hatten, um die Strafverfolgung korrupter Machenschaften des Großkonzerns SNC-Lavalin einzustellen. Der Skandal offenbarte die schmutzigen Verbindungen der Regierung zum Großkapital. Keine Überraschung für Marxist*innen, aber schmerzhaft für Liberale. Leah McLaren schrieb über den SNC-Lavalin-Skandal: „Es war, als würde man zusehen, wie ein Einhorn von einem Lastwagen zerquetscht wird". Für viele Kanadier*innen bestätigte sich, dass die Liberale Partei wie alle anderen auch im Wahlkampf Veränderung verspricht und wenn sie gewählt ist, im Sinne der großen Konzerne regiert.

Zum Absturz Trudeaus trug im September die Veröffentlichung einiger Fotos von ihm mit „Blackfacing“ Make-up bei. Obwohl das die öffentliche Meinung kaum beeinflusste, verstärkte es den Zynismus gegenüber Politiker*innen – dass sie alle heucheln. Das Wahlergebnis ist aber nicht nur das Ergebnis der jüngsten Skandale, sondern der letzten Jahre, in denen der Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit deutlich wurde. Die LP blieb mit 157 Sitzen hinter den nötigen 170 zurück und wird als Minderheitsregierung nach Bündnispartnern suchen müssen.

Doch auch die frühere Regierungspartei NDP verlor weiter. Sie versprachen zwar im Wahlkampf, die Subventionen von jährlich drei Milliarden an die Öl- und Gasindustrie einzustellen, den öffentlichen Verkehr und das Gesundheitssystem auszubauen und 300.000 neue, gute Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Gegenüber den weitgehend unbeliebten konservativen Tories sind und den stark angeschlagenen Liberalen, wäre das ein guter Boden für die NDP gewesen. Doch nach der Wahlniederlage von 2015 war die Partei für mehrere Jahre weitgehend unsichtbar. Im Gegensatz zu Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Britannien hat sie keine neue Basis mit einer mutigen Politik aufgebaut. Sie beschränkt sich auf den Glauben, sie könne den Kapitalismus besser managen. Wahlgewinner waren folglich die Konservativen und der Bloc Québécois, der sich auf die französische Identität und die Souveränität von Quebec konzentrierte, während die rassistisch/nationalistische Partei von Maxime Bernier weniger als 2 Prozent erhielt.

Trudeau konnte bisher noch von einer relativ guten wirtschaftlichen Lage profitieren. Doch die Wolken am Himmel der Weltwirtschaft werfen auch auf Kanada ihren Schatten. Die meisten Kanadier*innen sind bis zum Hals verschuldet. Vor allem in Toronto und Vancouver droht die enorme Immobilienblase zu platzen. Die hohe Exportquote macht die kanadische Wirtschaft und die kanadischen Beschäftigten stark abhängig von der Entwicklung der Weltwirtschaft. Gleichzeitig zeigt ein Bericht der Statistics Canada, dass kanadische Unternehmen unglaubliche 353 Milliarden Dollar in Steueroasen geparkt haben. Was könnte mit diesem Geld für Jobs, Soziales, leistbares Wohnen, öffentlichen Verkehr und die Umwelt geschaffen werden, wenn es aus dem Privatbesitz in die öffentliche Hand und unter Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innenklasse gestellt würde!

Eine Umfrage von Ipsos zeigte auf, dass 67% meinen, dass die Wirtschaft zugunsten der Reichen und Mächtigen funktioniert und 61% sagen, dass die traditionellen Parteien sich nicht um Menschen wie sie selbst kümmern. Gleichzeitig gibt es Raum für eine selbstbewusste und kampagnenorientierte linke Partei, was sich u.a. darin zeigt, dass 58% der Kanadier*innen eine positive Meinung von „Sozialismus“ haben.

Kanada steht eine instabile Minderheitsregierung ins Haus. Die sich ankündigende Rezession wurde im Wahlkampf völlig ausgeblendet. Doch Wirtschaftskrisen und das ökologische Desaster basieren nicht auf Managementfehlern, sondern sind das Ergebnis des Kapitalismus selbst. Die heraufziehende Wirtschaftskrise und das ökologische Desaster machen einmal mehr deutlich, dass das „managen“ des Kapitalismus keine adäquate Antwort ist.


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