Trotzkismus ist revolutionäre Selbstorganisation

Lohnabhängige Menschen können sich nur selber befreien. Deshalb brauchen sie ihre eigene unabhängige, revolutionäre Organisation
Christian Bunke

Zwei Tage nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch die Cops riefen die Täter*innen bei der Betreibergesellschaft der dortigen öffentlichen Buslinien an. Die Polizei verlangte zwei Busse für ihre Truppen, um die Proteste niederzuschlagen. Doch die Busfahrer*innen weigerten sich und leisteten so einen effektiven Beitrag zum Widerstand gegen staatliche Repression. Den Anstoß dafür gab der Busfahrer Adam Burch – Mitglied unserer US-Schwesterorganisation Socialist Alternative.

 

Ein kleines Beispiel, und doch so wichtig. Denn hier zeigt sich praktisch ein zentraler Aspekt trotzkistischer Denkrichtung: Es sind die Lohnabhängigen, die alles am Laufen halten. Es sind die Lohnabhängigen, die das kapitalistische Getriebe stoppen können. Es sind deshalb auch die Lohnabhängigen, welche die zentrale Rolle in jeder revolutionären Bewegung unserer heutigen Zeit spielen müssen.

 

In den letzten Jahren sind verschiedene Formen linker Stellvertreter*innenpolitik groß geworden und gescheitert. Prominente Beispiele sind die Linkspolitiker Jeremy Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in den USA. Sie versuchten, in den Parlamenten etwas „für“ die Menschen zu erreichen, wagten aber nicht, „mit“ den Menschen in Betrieben und auf der Straße die geforderten Veränderungen zu erkämpfen.

 

Ja, es gab in beiden Fällen Ansätze echter Massenorganisation. Diese waren in den Augen beider Politiker als Flugblattverteiler*innen und Kulisse von Großkundgebungen durchaus nützlich. Doch wenn aus diesen Initiativen Versuche gestartet wurden, bürgerliche Kräfte bei den US-Demokrat*innen oder der Labour-Partei zurückzudrängen, erhielten sie von Corbyn und Sanders kaum konkrete Unterstützung. Beide suchten stattdessen wiederholt den Kompromiss mit dem bürgerlichen Lager, bis zum bitteren Ende.

 

Trotzkist*innen sind für lebende, atmende und dynamische Arbeiter*innenorganisationen. Sie stellen deshalb immer die demokratische Entscheidungsfindung und Selbstaktivität der Lohnabhängigen in den Mittelpunkt. Die immer noch andauernde Corona-Pandemie war und ist ein großer Test für diese Methode. Egal ob in Belgien, Großbritannien oder Österreich: Überall fordern Trotzkist*innen, dass die Beschäftigten selber darüber entscheiden können müssen, ob ein Betrieb weitergeführt werden kann, ob er zeitweise geschlossen werden kann und welche Sicherheitsmaßnahmen nötig sind. Hier kann es kein Vertrauen in die Organe eines Staates geben, der letztendlich nur den Profiten einiger weniger Menschen verpflichtet ist.

 

Ein Beispiel solcher Selbstorganisation gab es vor kurzem in Seattle. Im Rahmen der Black Lives Matter Bewegung organisierte Socialist Alternative eine spontane Demonstration, welche in der kurzfristigen Besetzung des Rathauses mündete. Das funktionierte, weil Socialist Alternative-Mitglied Kshama Sawant als Stadträtin den nötigen Türschlüssel hat. Das war eine für sie als Trotzkistin selbstverständliche Hilfestellung für die Bewegung, die dort über Strukturen, Programm und den Weg zum Erfolg diskutieren konnte.

 

Ähnliches tat unsere englische Schwesterorganisation nach der katastrophalen Wahlniederlage von Labour im Dezember 2019. Auf demokratischen Konferenzen wurden Antirassist*innen, Gewerkschafter*innen, Leute aus der Klimabewegung sowie Menschen aus den Nachbarschaften zusammengebracht, um Forderungen und das weitere Vorgehen zu diskutieren.

 

Trotzkist*innen verbinden solche Forderungsdiskussionen immer mit der Notwendigkeit eines sozialistischen Programms zur Überwindung der kapitalistischen Profitwirtschaft. Solche Programme helfen ihrerseits bei der Organisation lohnabhängiger Menschen in eine kämpferische, systemüberwindende und sozialistische Organisation.

 

Über den Charakter einer solchen Organisation schreiben unsere englischen Genoss*innen: „Sie muss konsequent für Lohnerhöhungen, ein Ende prekärer Arbeitsverhältnisse und freie Bildung als Teil eines sozialistischen Programms kämpfen. Sie muss aktiver Teil der Klimastreiks und der Black Lives Matter Bewegungen sein. Sie muss streikende Arbeiter*innen nicht nur besuchen, sondern Teil der Mobilisierung für den Erfolg solcher Streiks sein. Sie muss eine Massenorganisation sein, welche sich der größtmöglichen Mobilisierung der Menschen in ihren Rängen verschrieben hat. Und zwar nicht nur im Wahlkampf, sondern Woche für Woche, in allen wichtigen Bewegungen.“

 

Das ist es, was wir meinen, wenn wir von revolutionären Parteien als aktive Selbstorganisation von lohnabhängigen Menschen zum Sturz des Kapitalismus sprechen. Das ganze Handeln und Denken Leo Trotzkis war dieser Idee gewidmet. Wir machen es heute als International Socialist Alternative genauso.

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