Russland: Unabhängige Bewegung nötig

Ein Milliardär ist keine Alternative: Jugendliche kämpfen für Demokratie und soziale Veränderungen!
Chris Melt und Franz Neuhold Sozialistische Alternative in Russland: www.socialist.news – FB/socaltrus/ - instagram.com/socialist.news/

Unter Slogans wie „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, „Putin ist ein Dieb“ und „Nieder mit dem Zaren - Für ein neues 1917“ zogen am 23. Jänner Menschen durch mehr als 100 Städte. Auch wenn der Protest in Moskau in Zahlen wahrscheinlich kleiner war als die Bolotny-Proteste 2012, waren sie dynamischer und jugendlicher. Das wesentliche Merkmal ist, dass trotz enormer Einschüchterungsversuche und staatlicher Gewalt die Bewegung vom fernsten Osten bis zur Schwarzmeerküste reicht. Vor allem reicht der Protest weit über die Person Nawalny und seine bürgerlichen Ansichten hinaus.
Zu dem Protest aufgerufen hatte der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der allem Anschein nach von Agenten des Kreml mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden war. Ihm droht eine langjährige Gefängnisstrafe. Seine Veröffentlichung eines langen Films führte zig Millionen die Korruption des Putin-Clans vor Augen, inklusive Luxus-Palast!
Keineswegs darf man Nawalnys eigene Laufbahn als extrem rechter Geschäftsmann und Wirtschaftsliberaler vergessen. Er nahm 2012 am rechtsextremen „Russischen Marsch“ gegen die Bolotny-Proteste 2012 teil. Mittlerweile vollzog er jedoch eine Wende weg von rassistischen Positionen hin zum Thema Korruption der herrschenden Eliten. Das spiegelt verändertes Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung wider, v.a. bei Arbeiter*innen und Jugendlichen: Man hat die Nase voll von hohen Bildungskosten, prekären Löhnen und der allgemeinen stagnierenden und reaktionären politischen Haltung des Putin-Regimes und ihrer „System-Parteien“ (inkl. der „Kommunistischen Partei“). Nawalnys populistische Unterstützungserklärung des linken US-Politikers Bernie Sanders schockte sogar sein eigenes Milieu der sogenannten liberalen Opposition.
Es fällt auf, dass gerade diese liberalen pro-kapitalistischen Gruppen bei den Protesten keine bedeutende Rolle spielen. Ebenso gibt es jedoch noch keine ausreichend starke sozialistische Kraft, die in der Lage wäre, der Bewegung eine radikale Führung zu geben.
Unsere russische Schwesterorganisation (Sotsialisticheskaya Alternativa) schreibt: „Obwohl viele bewusst protestieren und die Freilassung von Alexej Nawalny und anderen politischen Gefangenen fordern, und es eindeutig eine Stimmung gegen das gegenwärtige Regime und die Korruption gibt, zeigen die Proteste bisher eine immer stärkere Stimmung für den Wunsch nach Veränderungen, ohne ein Verständnis dafür zu zeigen, welche Veränderungen genau notwendig sind. … Auch wenn Nawalny sich 'nach links' entwickelt hat, bleibt er ein liberaler, im Wesentlichen pro-kapitalistischer Politiker. Er hat kein wirkliches Programm zur Lösung der Probleme der russischen Gesellschaft anzubieten. Einen 'ehrlichen Kapitalismus' vorzuschlagen, wird die Probleme des Autoritarismus und der Korruption nicht lösen, da sie vom Kapitalismus selbst verursacht werden. Es ist die klare Verantwortung der Linken, eine klare Alternative dazu anzubieten.“
Die Illusion unter so manchen Linken im Westen, dass Putin irgendeine fortschrittliche Rolle spielen würde, ist absurd und gefährlich. Putin ist einer der energischsten Vertreter des Kapitalismus in einer besonders autoritären bis hin zu militärischen Form.
„Nur ein Kampf gegen den Kapitalismus kann einen Weg nach vorne bieten. Deshalb ist es notwendig, dass die Sozialist*innen mit einem klaren Programm energisch in diese Bewegung eingreifen. … Wir argumentieren, dass wir zunächst eine feste Basis für diese Bewegung schaffen müssen, indem wir Aktionskomitees gründen, die über die Strategie und die Forderungen der Bewegung entscheiden können. Obwohl die Hauptunterstützung für diese Bewegung derzeit von Schüler*innen und Jugendlichen an den Universitäten und in prekären Arbeitsverhältnissen kommt, ist es notwendig, eine feste Verbindung mit der breiteren Arbeiterklasse herzustellen - unsere Forderung nach 300 Rubel pro Stunde und nach kostenloser Gesundheitsversorgung und Bildung wird hier von entscheidender Bedeutung sein - und natürlich treten wir für eine konstituierende Versammlung ein, in der alle Schichten der Arbeiter*innenklasse vertreten sind, damit wir die vollständige Demontage des Putin-Regimes und seine Ersetzung durch eine wirklich freie und demokratische sozialistische Gesellschaft sicherstellen können.“
UPDATE: Bei einem Protest in Kazan (Wolga) wurden Aktivist*innen verhaftet, nachdem den bürgerlich-liberalen Organisatoren unser Transparent nicht gefiel, auf dem "Gegen das Regime, die Unterdrückung und die Armut" stand und zu einem zweistündigen Streik anlässlich des Internationalen Frauentags aufgerufen wurde. Es wird berichtet: „Aufgrund ihrer Beschwerden wurden unsere Unterstützer*innen beim Verlassen der Veranstaltung von der Polizei angegriffen und neun von ihnen verhaftet. Sechs wurden später ohne Anklage freigelassen, zwei wurden zu einer Geldstrafe verurteilt und Dzhavid wurde für sieben Tage ins Gefängnis gesteckt.“ Landesweit lag die Zahl der Gefangenen zum Redaktionsschluss bei über 2600.

 

 

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