Revolutionen im Nahen Osten geben Hoffnung

Der Nächste bitte. Massenbewegungen stürzen Diktaturen
Franz Neuhold

Weder imperialistische Kriege noch Diplomatie bringen Demokratie im Nahen Osten. Es sind die betroffenen Menschen selbst, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Fortschrittliche Bewegungen auf der ganzen Welt können und müssen davon lernen. Gleichzeitig gibt es eine Verpflichtung zur Solidarität. Diese besteht auch darin, sich der Grundlagen und Möglichkeiten dieser neuen Ära bewusst zu werden.

Was als Verzweiflungstat eines Straßenhändlers Ende 2010 in Tunesien beginnt, gibt den Anstoß zu Veränderungen in einer der Brennpunkt-Regionen. Revolutionäre Massenbewegungen in zumindest zehn Ländern stürzen Diktatoren oder bringen ihre Regimes zumindest ins Wanken.

Die Gründe dafür liegen in der Armut und steigenden Lebensmittelpreisen, dem Mangel an Demokratie und Freiheitsrechten, der Korruption und Polizeigewalt, mitunter ethnischer Unterdrückung. All dies wird durchwoben von der Demütigung durch die imperalistische Politik, deren Juniorpartner in der Region an den Machthebeln und Geldhähnen sitzen. 40 % der ÄgypterInnen müssen von weniger als $ 2 pro Tag leben. Ein Drittel der Bevölkerung im Jemen ist erwerbsarbeitslos; etwa derselbe Anteil der Bevölkerung Libyens lebt unter der Armutsgrenze.

Es waren Arbeitskämpfe, die den Boden für den Aufstand gegen Mubarak in Ägypten vorbereitet haben. Ausländische Investitionen stiegen im letzten Jahrzehnt rasant. Damit einher gingen Angriffe auf die Beschäftigten. Die Betroffenen begannen, sich zu wehren: Seit 2004 wurden 3000 Streiks und Aktionen gezählt. Zwei Millionen nahmen insgesamt daran teil. 2007 führte ein Arbeitskampf in der Textilfabrik Ghazl al-Mahalla zu einer unabhängigen Gewerkschaft. In diesen Auseinandersetzungen lernten unzählige ArbeiterInnen, im Kampf gegen die Staatsmacht zu bestehen.

Heuchelei der bürgerlichen Politik

Viele bürgerliche PolitikerInnen und KommentatorInnen waren und sind von den Ereignissen "überrascht". Manche äußern "Besorgnis". Gemeint ist damit die Angst, weitere Bewegungen könnten am wirtschaftlichen Fundament des Kapitalismus sägen.

Im Falle Bahrains halten sich Obama und Clinton mit Kritik zurück, handelt es sich doch um einen wichtigen Bündnispartner in der Öl-Region. Italiens Berlusconi und ex-FPÖ-Chef Haider sind bzw. waren bekanntermaßen gute Freunde des Gaddafi-Clans. Überhaupt hat die FPÖ gute Verbindungen zu den diversen Diktatoren der Region. Der ehemalige britische Premier Blair genoss einst das Urlaubsdomizil Mubaraks am Roten Meer. Die Herrschenden im "Westen" sowie in Israel haben jahrzentelang mitgeholfen, damit diese autoritären und diktatorischen Regimes im Amt bleiben konnten.

Gescheiterter Fundamentalismus

Die Tatsache, dass nicht Al-Kaida oder die Moslembruderschaft den Diktaturen ein Ende setzte, wird sich tief in das Bewusstsein eingraben. Im Jemen wünschten die islamistischen Führer die DemonstrantInnen ursprünglich "zur Hölle". Teile der Moslembruderschaft haben in Ägypten kurz vor der Flucht Mubaraks diesem noch Unterstützung zugesichert. Dass sie an den Erfolgen der Bewegungen mitzunaschen versuchen, überrascht nicht. Diese Organisationen sind nicht homogen. Manche in ihnen werden von der positiven Dynamik der revolutionären Bewegung mitgerissen werden. Dies kann reaktionäres Gedankengut zurückdrängen. Der Fundamentalismus bleibt nichtsdestotrotz eine potentielle Gefahr für jede politische und soziale Errungenschaft.

ArbeiterInnenkomitees jetzt!

Der beste Schutz ist eine von kapitalistischen Kräften unabhängige sowie internationalistisch ausgerichtete Gewerkschafts- und ArbeiterInnen-Bewegung. Diese könnte in Verbindung mit einem System von demokratisch geleiteten Komitees in den Betrieben, Stadtvierteln und ebenso in den unteren Rängen der Armee ihren Einfluss ausbauen.

Die Stahlarbeiter von Helwan forderten am Tahrir-Platz in Kairo u.a.: "Formierung von Arbeiter-Komitees in allen Betrieben, um Produktion, Preise, Verteilung und Löhne zu überprüfen" und sind „für eine Vergesellschaftung aller Betriebe des Öffentlichen Dienstes (einschließlich geschlossener und privatisierter) sowie deren Verwaltung durch die Beschäftigten“. Um dies durchzusetzen, wird ein Bruch mit dem System aus Kapitalismus und (Halb-)Feudalismus notwendig sein. Die Revolution in Ägypten wird sich auch gegen die oberen Rängen des Militärs verteidigen müssen. Bedeutende Teile der Armeeführung haben unmittelbar Besitz und Einfluss in den führenden Bereichen der Wirtschaft. Sie werden ihre Privilegien bis aufs Blut verteidigen.

Unmittelbar muss die Verschleppung echter demokratischer Reformen verhindert werden. Die kapitalistischen Regierungen bzw. Organisationen wollen die Beibehaltung der Wirtschaftsordnung ergänzt um demokratische Versatzstücke. Dagegen kann nun in Ägypten der Ruf nach einer von den revolutionären Kräften getragenen verfassungsgebenden Versammlung zu einer der zentralen Forderungen werden. Wem traut man zu, die richtigen Schritte zu setzen? Die ArbeiterInnenklasse hat gerade nach diesem Jahreswechsel ein historisches Recht darauf! Und nicht Politiker wie El-Baradei oder Minister, die schon unter Mubarak die Hand aufhielten. Die Forderung nach einer Regierung der ArbeiterInnen, KleinbäuerInnen und Armen sowie die Idee einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens wird unter diesen Bedingungen greifbarer.

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