Präsidentschaftswahlen in Bolivien

Wie weit geht der Linksruck in Südamerika?
Nora Brandes

Mit 51,1% hat Morales, Kandidat der MAS (Bewegung zum Sozialismus) und Führer der Kokabauern die Präsidentschaftswahlen in Bolivien am 18. 12. 2005 gewonnen und ist nun der erste indigene Präsident. Sein Hauptgegner, der neoliberale ehem. Präsident Quiroga, erreichte 28,6%. Dies ist Ausdruck für die Radikalisierung der Bevölkerung.

Zentrale Forderungen von Morales

Die zentralen Wahlkampfforderungen von Morales waren die Verstaatlichung der Erdgasvorkommen und die Legalisierung des Kokaanbaus. Beide Forderungen spielen eine zentrale Rolle in Bolivien. Bolivien besitzt die 2.-größten Erdgasvorkommen Südamerikas und ist zugleich das ärmste Land des Kontinents. Dieser Widerspruch ist auf die imperialistische Ausbeutung des Landes durch das internationale Kapital zurückzuführen. Die Erdgasvorkommen sind v. a in der Hand von US-Konzernen, die 90% davon exportieren, da dies profitabler ist. Dadurch gibt es in Bolivien eine sehr schlechte Gasversorgung – Über 70% der Bevölkerung hat keinen Gasanschluss – und hohe Benzinpreise.
Dies, aber auch die von den USA unterstützte Anti-Drogenpolitik der Regierung, die den Bauern den Kokaanbau verbot, da aus Koka u. a. Kokain hergestellt wird, waren – neben der Privatisierung der Wasserversorgung – die Hauptauslöser der Unruhen der letzten Jahre. Mit dem Kokaanbauverbot entzog die Regierung den Bauern ihre Lebensgrundlage, für die es zum Kokaanbau derzeit keine Alternative gibt. Das grundlegende Problem der Kokafrage ist, dass der Protektionismus der “Erste-Welt-Staaten” die landwirtschaftlichen Produkte der neokolonialen Staaten aus dem Markt drängt. Das Problem ist daher nicht durch ein Verbot lösbar.

Starke ArbeiterInnenbewegung

Die ArbeiterInnenbewegung in Bolivien greift auf eine lange Tradition zurück. Die ArbeiterInnen der Zinnminenindustrie legten die Basis für eine radikale Gewerkschaftsbewegung. Anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern, hat Bolivien keine Tradition von Guerillabewegungen, sondern von Massenbewegungen.
Die Privatisierung der Wasserversorgung, die eine explosionsartige Preiserhöhung zur Folge hatte – Arme Familien mussten bis zu einem Drittel ihres Einkommens für Wasser zahlen! – löste gewaltige Proteste aus. In Cochabamba kam es 2000 zum “Wasserkrieg”: Es bildete sich ein Zusammenschluss von ArbeiterInnen, Bauern und StudentInnen, der den dortigen Bechtel-Konzern in die Knie zwang und die demokratische Kontrolle der Bevölkerung über die Wasserversorgung verlangte.
Im Oktober 2003 kam es zu einem Volksaufstand gegen den Ausverkauf der Erdgasvorkommen an US-Konzerne. Dies stellte nur einen Höhepunkt der Proteste gegen die vom IWF diktierten Sparmaßnahmen dar. Der damalige Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada, ein korrupter Minenbesitzer und Milliardär, ging hart gegen die DemonstrantInnen vor und es gab viele Tote und hunderte Verletzte. Letztendlich musste er aber ins Exil in die USA fliehen.
   Unter seinem Nachfolger, dem Vizepräsident Mesa gab es erneute Proteste, weil es der franz. Konzern Suez seit Jahren unterlassen hatte, die ärmsten Teile von El Alto mit Wasser zu versorgen und 200 000 Menschen keinen Wasseranschluss hatten. Als Mesa weder die versprochene Neuverhandlung des Vertrages mit dem Suez-Konzern, noch die Besteuerung von Erdgasförderung von Konzernen im versprochenen Ausmaß durchsetzte, musste er auf Druck der Massen zurücktreten. Proteste verhinderten den (verfassungsgemäßen) Amtsantritt der konservativen Senatspräsidenten Hornando Vaca Díez. Stattdessen übernahm Rodríguez, der Präsident des obersten Gerichts, die Übergangspräsidentschaft bis zu den Neuwahlen vom 18. 12. 2005.

Wer ist Evo Morales?

Morales, der sich selbst als “Albtraum für die USA” bezeichnet, trat bereits zu den Präsidentschaftswahlen 2002 an, bei denen er auf dem 2. Platz landete. Angesichts seines Erfolges sagte er: “Mit den Wahlen wird das bolivianische Volk Schluss machen mit dem kolonialen Staat und dem neoliberalen Wirtschaftsmodell. Beides hat uns Diskriminierung, Erniedrigung und außerdem die Plünderung der natürlichen Ressourcen gebracht. Aber der Staat muss frei über seine natürlichen Rohstoffe verfügen können. Sie dürfen sich nicht in privaten oder ausländischen Händen befinden.”
   Morales schwankt in seiner Haltung zwischen radikaler Wortwahl und relativierenden Aussagen. So lässt er zum Beispiel offen, was er mit der Verstaatlichung der Energieressourcen tatsächlich meint: “Wir verstehen und wissen ganz genau, dass unser Land Partner braucht. Wir reden nicht davon, Firmengüter zu konfiszieren oder zu enteignen, denn wir respektieren die Firmen.” Mittlerweile versucht Morales die Erwartungen der Bevölkerung zu dämpfen und lehnt die sofortige Verstaatlichung der Erdgasvorkommen ab. “Wir werden für alle regieren, auch für die Unternehmer”, begründet er seine Mäßigung.

Die Rolle von Morales und MAS

In der Vergangenheit verwendete Morales seine Autorität um die Bewegung zu bremsen: Zur Zeit des “Gaskrieges” 2003 schloss sich Morales dem Vorschlag Mesas an, ein Referendum über das Erdgas abzuhalten. MAS und die Gewerkschaft COB ermöglichten die reibungslose Machtübergabe, obwohl in der Bewegung damals schon radikalere Forderungen verbreitet waren bis hin zu der nach einer ArbeiterInnen- und Bauernregierung. In El Alto bildete sich eine Föderation von Nachbarschaftskomitees (FEJUVE), die eine Art Arbeiterrat war. Beim Referendum erreichte Morales, dass sich die Mehrheit für hohe Steuern für Erdgasförderung aussprach statt für die vom Großteil der Bewegung geforderte Verstaatlichung. Doch Mesa brach sein Versprechen und das Parlament beschloss ein Gesetz, das nicht einmal die, im Referendum beschlossenen Steuern für Erdgasförderung vorsah. COB und FEJUVE organisierten Streiks und Straßenblockaden. Die MAS sah sich unter dem Druck ihrer Basis gezwungen, sich zu beteiligen, nachdem sie vorherige Proteste gegen Mesa als reaktionär beschimpft hatte. Die damals angenommene Forderung der MAS nach einer Verstaatlichung der Erdgasressourcen war ein Resultat des Drucks der Bewegung.

Druck auf Morales

Welchen Weg Bolivien einschlagen wird, ist noch nicht absehbar. Entscheidend für die Weiterentwicklung wird das Kräfteverhältnis zwischen KapitalistInnen und ArbeiterInnen sein. Klar ist jedoch, dass Morales unter enormem Druck der Massen steht. Die ArbeiterInnenklasse hat durch ihre lange Tradition von Kämpfen die Erfahrung gemacht, dass sie für ihre Rechte kämpfen muss.
Der mächtige Gewerkschaftsdachverband COB hat der neuen Regierung bereits ein Ultimatum gestellt, dass sie 3 Monate Zeit hat um ihr Wahlprogramm umzusetzen – andernfalls werden die Straßenproteste wieder beginnen. Die Gewerkschaft der LehrerInnen droht mit Streiks, falls die Regierung nicht innerhalb von 2 Monaten die Löhne um 20% anhebt und einen Mindestlohn von 700 Euros einführt. Der Generalsekretär des Bündnisses der Bauern warnte bereits: “Wenn die Regierung nichts verändert, wird sie ebenfalls gehen müssen – das kann auch Evo passieren.”

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