Nach den Wahlen in Irland: Linke gestärkt

Interview mit der sozialistischen Abgeordneten Ruth Coppinger

Drei Mitglieder der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland) sind als KandidatInnen des Antikürzungsbündnisses „Anti-Austerity Alliance“ (AAA) ins irische Parlament gewählt worden. Bei den Parlamentswahlen vom 26. Februar sind die konservative Partei Fine Gael und die ehemals sozialdemokratische Labour Party, die zusammen die bisherige Regierungskoalition gestellt haben, vernichtend geschlagen worden. In der Regierung hatten sie seit 2011 rücksichtslos Austeritätsmaßnahmen durchgesetzt. Ruth Coppinger, die im Wahlkreis Dublin West wiedergewählt wurde, sprach mit „The Socialist“, der Wochenzeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England & Wales).

Was zeigen die Ergebnisse, vor allem mit Blick auf die bisherigen Regierungsparteien?

Insgesamt zeigen die Wahlergebnisse, dass das „Zweieinhalb-Parteien-System“, mit dem wir es in Irland schon seit mehreren Jahrzehnten zu tun haben, weithin abgelehnt wird. Die beiden großen Parteien des Kapitalismus, Fine Gael und Fianna Fail, kommen zusammen nicht einmal mehr auf fünfzig Prozent der abgegebenen Stimmen.

In der Vergangenheit lag Fianna Fail allein schon bei rund vierzig Prozent Stimmanteil. Jetzt kommt die Partei auf weniger als 25 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit Fine Gael. Es haben sogar einige ehemalige Minister der Partei in ihren Wahlkreisen verloren, weil niemand an die Slogans glaubte, mit der sie Wahlkampf machten: „Keep the recovery going“ (dt.: „Die wirtschaftliche Wiederbelebung in Gang halten“) oder die Gegenüberstellung „Stabilität oder Chaos“. Die Menschen haben einfach nicht in dem Maß von der viel gepriesenen „wirtschaftlichen Erholung“ profitiert, wie Fine Gael und Labour zu meinen glaubten.

Das ist auch der Grund, weshalb die Darstellung nicht gegriffen hat, wonach man die Wahl zwischen „Stabilität und Chaos“ habe. Das Chaos haben wir schon jetzt, zum Beispiel in Form einer umfassenden Krise auf dem städtischen Wohnungsmarkt. Dies gilt zuerst und vor allem für Dublin. Der Plan zur Einführung der Wassergebühren wird ebenso weiterverfolgt wie der einer neuen Grundsteuer und anderer Austeritätsmaßnahmen. Alles geht zurück auf die Zeit der Bankenrettungen.

Darüber hinaus haben wir es mit einer Auflösung unserer öffentlichen Daseinsversorgung zu tun. Betroffen sind der Bildungs- und der Gesundheitsbereich. So wurden seit Beginn der Bankenrettungen im Jahr 2008 im Gesundheitssektor rund vier Milliarden Euro gestrichen.

Ein wesentlicher Aspekt dieser Wahlen ist die weiter voranschreitende Dezimierung der Labour Party. Für ihre Rolle, die sie in der bisherigen Austeritätsregierung eingenommen hat, ist sie hart abgestraft worden. Der Grund dafür, dass eine derartige Wut auf Labour herrscht, ist in erster Linie auf die Wasser-Abgabe zurückzuführen. Denkt man an den Wahlkampf der Labour-Partei von vor fünf Jahren, so stellte sich die Partei damals noch gegen die Wassergebühren. Als man schließlich in die Regierung eintrat, führte man sie dann aber trotzdem ein.

Im Wahlkreis Dublin-West lag ich bei der Wahl vor Joan Burton, der Kandidatin der Labour Party (die auch stellv. Premierministerin war und den Vorsitz der irischen Sozialdemokratie innehat; Erg. d. Übers.). Sie lief Gefahr, ihren Sitz im Parlament zu verlieren, errang am Ende noch ganz knapp den letzten Sitz, den es in diesem Wahlkreis zu holen gab. Labour hat lediglich sieben Parlamentssitze erreicht.

Gleichzeitig hat der linke Block, den die „Anti-Austerity Alliance“ (AAA) anlässlich der Wahl mit einer anderen linken Gruppierung namens „People Before Profit“ (PBP) gebildet hat, sechs Sitze errungen. Wir konnten die Anzahl unserer Sitze verdoppeln und sind damit fast gleich stark wie die „Labour Party“ vertreten.

Wie sieht es bei Sinn Fein aus?

Sinn Fein war eigentlich ein viel besseres Ergebnis prophezeit worden als am Ende zu verzeichnen war. Das beste Umfrageergebnis hatte die Partei noch bei zwanzig Prozent gesehen. Nun liegt Sinn Fein bei unter vierzehn Prozent.

Den gesamten Wahlkampf über hat Sinn Fein einen „susteritätskritischen“ Standpunkt eingenommen. Viel von dem, was sie erzählt haben, hätte auch von uns stammen können. So wollten sie die Wasser-Abgabe und die Grundsteuer wieder zurücknehmen, in den öffentlichen Dienst investieren etc.

Die Vorschläge, die Sinn Fein während des Wahlkampfs gemacht hat, waren allerdings nicht besonders weitreichend. So forderten sie, den Mindestlohn um fünfzig Cent anzuheben, was wirklich nicht sehr viel ist. Eine ganze Reihe von Punkten, die sie anlässlich der Wohnungskrise vorbrachten, hätten das Problem nicht wirklich gelöst. Im Gegensatz dazu hatten wir als AAA das Motto „real change not spare change“ auf unseren Wahlplakaten stehen (dt.: „Echte Veränderung, nicht spärliche Veränderung“, wobei „spare change“ gleichzeitig „Kleingeld“ bedeutet).

Fine Gael, Fianna Fail, Labour“und leider auch Sinn Fein – sie alle haben die Haltung akzeptiert, dass man „den Finanzrahmen“ einhalten müsse. Es geht dabei um eine geringe Summe an Geld, die für den öffentlichen Dienst überhaupt zur Verfügung steht. Die Rede ist von acht bis zehn Milliarden Euro in den kommenden Jahren. Diese Position lehnen wir rundherum ab. Wir zeigen mit dem Finger auf den immensen Reichtum, der in der Gesellschaft vorhanden ist.

Fünf Gewerkschaften haben sich der Initiative „Right to Change“ (dt.: „Das Recht auf Veränderung“) angeschlossen, die aus der Kampagne „Right to Water“ (dt.: „Recht auf Wasser“) hervorgegangen ist. Mit den Grundsätzen, die sich diese Bewegung gegeben hat, haben wir zwar übereingestimmt. Und es stimmt, dass man die Bitte an uns herangetragen hat, uns im Vorfeld auf eine „progressive“ Regierung zusammen mit Sinn Fein und einer Reihe anderer Gruppen festzulegen.

Das wollten wir aber nicht. Demgegenüber haben wir Sinn Fein aufgefordert, gleich zu Beginn des Wahlkampfes die Möglichkeit auszuschließen, in irgendeine Koalition mit Parteien der politischen Rechten (z.B. Fianna Fail oder Labour) einzutreten. Darauf wollte sich wiederum Sinn Fein nicht vorab festlegen. Sie blieben bei der Position, im Falle, dass sie die stärkste Partei sein würden, auch offen für eine Koalition mit Fianna Fail oder Labour zu bleiben, dass sie diese nur nicht unterstützen würden (was nach irischem Wahlrecht durch einen Aufruf zur Zweitstimme für eine andere Partei möglich ist, A.d.Ü.)

Was ist nun am wahrscheinlichsten?

Nun ja, im Moment ist es noch zu früh für eine endgültige Aussage. Es gibt den Druck auf Fianna Fail und Fine Gael, eine Koalition zu bilden, was es noch nie gegeben hat. Damit wären die beiden Parteien des Kapitalismus gezwungen zusammenzugehen, was in Wirklichkeit ein Zeichen der Schwäche ist, weil das System und das Establishment es natürlich besser fänden, sozusagen mit zwei Mannschaften anzutreten.

Von daher ist man sehr zögerlich, eine solche „Große Koalition“ einzugehen. Man will einfach die Illusion aufrechterhalten, dass es irgendwelche größeren Unterschiede zwischen den beiden gibt. Abgesehen davon fürchtet man das Erstarken der Linken, sollte es zu einem solchen Szenario kommen.

Am Ende könnte es aber tatsächlich auf diese besondere irische Form einer „Großen Koalition“ hinauslaufen. Oder man kommt mit einer größeren Gruppe von parteilosen Abgeordneten bzw. mit der Labour Party zu einer Vereinbarung über eine Minderheitsregierung. All dies bleibt abzuwarten.

Wie hat die AAA landesweit abgeschnitten?

Insgesamt haben wir sehr gute Ergebnisse eingefahren. Die AAA ist mit dreizehn KandidatInnen angetreten, und PBP kam auf weitere achtzehn KandidatInnen. Zusammengenommen hatten wir also 31 KandidatInnen. In vielen Fällen hat es sich um Leute gehandelt, die zum ersten Mal in ihrem Leben bei Wahlen angetreten sind. Außerdem sind wir auch in Wahlkreisen angetreten, in denen wir zuvor nicht präsent waren. Dort haben wir vor allem Flagge zeigen und das Spektrum wählbarer Alternativen vergrößern wollen.

Neben der Tatsache, dass wir im Wahlkreis Dublin-West meinen und in Dublin-South West den Sitz von Paul Murphy verteidigen konnten, konnte die AAA zudem mit Mick Barry in Cork einen weiteren Sitz hinzugewinnen. Damit sind wir nun über die Landeshauptstadt hinaus vertreten, was große Bedeutung hat.

Ferner hat die AAA in Limerick mit Cian Prendiville einen exzellenten und sehr erfolgreichen Wahlkampf geführt. Am Ende sind wir dort bis auf wenige hundert Stimmen an Labour herangekommen. In nicht allzu ferner Zukunft werden wir auch dort definitiv einen Sitz bekommen. Ebenfalls sehr gut ist, dass wir in drei oder vier Wahlkreisen auf 2000 oder mehr Stimmen gekommen sind.

Das Verlangen nach Veränderung ist zwar groß. Es spiegelt sich aber noch nicht wirklich in den Wahlergebnissen wider. Wir brauchen eine neue Partei, eine echte linke Partei, die Labour ersetzt.

Es werden sich mehr Menschen am Prozess des Aufbaus einer solchen Partei beteiligen, weil immer mehr Menschen politisch aktiv werden. Das ist es, wovon wir die Leute überzeugen müssen: Es reicht nicht, von seinem passiven Stimmrecht Gebrauch zu machen. Wir müssen uns selbst an Kampagnen beteiligen.

Was waren für die AAA die Hauptthemen?

Das Thema, das die AAA am stärksten in den Fokus genommen hat, war das Problem der Wassergebühren. In der entsprechenden Bewegung haben wir eine führende Rolle gespielt und das Thema ins Parlament getragen. Besondere Bedeutung hatte, dass wir damit zwei Nachwahlen im letzten Jahr für uns entscheiden konnten (bei der einen hatte der Genosse Paul Murphy, bei der anderen hatte ich einen Parlamentssitz holen können). Das war als der Kampf gegen die Wassergebühren gerade angefangen hatte.

Möglicherweise kann jede Regierung, die am Ende dabei herauskommen wird, in die Richtung gedrängt werden, die Wassergebühren wieder zurücknehmen. Schließlich sind außer Fine Gael alle anderen Parteien gezwungen gewesen zu sagen, sie würden „Irish Water“ – das Unternehmen, das eigentlich die Wassergebühren einziehen und verwalten soll – wieder auflösen. Natürlich haben sie sich in dieser Frage alle sehr zurückgehalten und gesagt, man zöge in Erwägung, die Wasser-Abgabe auf Eis zu legen oder für ein Moratorium zu sorgen.

Egal, welche Regierungskonstellation am Ende herauskommen wird: Die Frage der Wassergebühren wird das wichtigste Thema bleiben. Für den Fall, dass eine neue Regierung die Abschaffung der Wassergebühren ablehnen sollte, könnte ich mir vorstellen, dass es zu neuen Protesten kommen und der Premier zu entsprechendem Handeln gezwungen wird.

Die landesweite Debatte zum Thema Wohnen haben wir nicht nur angestoßen, sondern auch beherrscht. In den vergangenen Jahren hat der irische Staat den Bau öffentlichen Wohnraums vollkommen zurückgefahren. Das Ergebnis ist, dass mittlerweile 130.000 Familien auf der Warteliste für eine Sozialwohnung stehen. Die Zahl der Obdachlosen in Dublin und einigen anderen Städten ist gestiegen. In Dublin-West war dies ein brennendes Thema. Vierzig Prozent der obdachlosen Bevölkerung von Dublin stammen aus diesem Wahlkreis. Man kann also sagen, dass die AAA prädestiniert ist, sich zu diesem Problem zu äußern.

Ein weiterer Aspekt, den wir in die Debatte eingebracht haben, war die Kampagne zur Abschaffung des achten Verfassungszusatzes, der Abtreibung für illegal erklärt. Interessanterweise war dies definitiv ein bestimmendes Thema im Wahlkampf. Fakt ist, dass die Leute uns wirklich nach unserer Meinung dazu gefragt haben, möglicherweise zum ersten Mal. Die AAA hat sich verpflichtet, das Problem ins Parlament zu tragen. Wir werden dies mit der Idee verbinden, eine weitere Eingabe zu machen, um dazu ein entsprechendes Referendum zu erreichen.

Aus Sicht des Establishments war die Agenda während des gesamten Wahlkampfs extrem eng gesteckt. Alles drehte sich nur um die vier großen Parteien, wie sie am System herumdoktern anstatt sich einmal mit der Frage zu befassen, wie man es verändern kann.

Wir waren die einzige Kraft, die auf den Reichtum hingewiesen hat, der weltweit vorhanden ist, und wie dieser sich in Irland verteilt, wo das reichste eine Prozent seinen Reichtum während der Rezession enorm vergrößern konnte. So besitzen beispielsweise die reichsten 300 Personen zusammengenommen 84 Milliarden Euro.

Von Unternehmen wie Apple wird das Land gemeinhin als Steueroase genutzt. Am Anfang des Wahlkampfes kam heraus, dass Apple dem irischen Staat noch neunzehn Milliarden Euro an Steuerrückständen schuldig ist. Die AAA hat dieses Beispiel herausgegriffen, um zu zeigen, wo die Ressourcen sind, mit denen wir die Wohnungen bauen können, die wir brauchen, oder mit denen wir unser Gesundheitssystem wieder auf die Beine bringen oder die Kürzungen durch die Austerität wieder zurücknehmen können.