LehrerInnenstreik in Hessen

Interview mit Simon Aulepp, GEW-Vorsitzender Kassel-Stadt

Für den 17.11. sind in Hessen die Lehrerinnen und Lehrer zum Streik aufgerufen. Worum geht es?

Im Frühjahr diesen Jahres wurde durch einen erfolgreichen Arbeitskampf der angestellten Landesbeschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung erkämpft. Diese entspricht der Mehrarbeit, die uns Ministerpräsident Koch 2003 mit dem Programm düstere Zukunft beschert hatte. Diese Arbeitszeitverkürzung ist jedoch nicht auf den Beamtenbereich übertragen worden. Das ist ein klarer Bruch mit dem üblichen Gewohnheitsrecht - Beamtenrecht folgt Tarifrecht - und damit eine schreiende Ungerechtigkeit.

Ich habe mit anderen KollegInnen schon im Frühjahr betont, wie wichtig es sei, auch die Beamten mit rauszuholen. Damals konnten wir uns leider nicht durchsetzen - nach dieser Unverschämtheit nach Gutsherrenart seitens den Landes Hessen ist der Beamtenstreik nun aber absolut notwendig geworden.

Wir fordern die Reduzierung der Pflichtstunden für Lehrerinnen und Lehrer um eine Unterrichtsstunde, 10000 Deputatsstunden (frei verfügbare Stunden, die die Schulen selbst, je nach Belastung der KollegInnen, verteilen), die Wiedereinführung der Altersteilzeit sowie die Besetzung der frei werdenden Stellen durch arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer.

Die Beamtinnen und Beamten sind auch aufgerufen. Ist das das erste Mal?

Nein. Schon oft haben wir in den vergangenen Jahrzehnten die verbeamteten KollegInnen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. In Hessen geschah dies in den Jahren 1979, 1986, 1989, 1995, 1997 und 2003. Oft war diese Maßnahme auch von Erfolg gekrönt. Wir erleben im Moment in vielen Kollegien einen Generationswechsel. Wichtig ist, dass jetzt auch die jüngeren KollegInnen erkennen, dass Streik ein normales Mittel der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung ist - eben auch für LehrerInnen.

Fürchtet Ihr keine Repressionen, wenn Beamtinnen und Beamte streiken?

Immer noch wird in der deutschen Rechtsprechung der Streik von Beamten als unzulässig angesehen. Daher ist eine Sanktion in der ein oder anderen Form nicht auszuschließen oder sogar wahrscheinlich. In der Regel gibt es den Gehaltsabzug für die nicht geleisteten Unterrichtsstunden (wie in jedem Streik) und eine dienstrechtliche Missbilligung, also ein Eintrag in die Personalakte, der jedoch nach drei Jahren wieder entfernt wird. Welche disziplinarrechtlichen Maßnahmen erfolgen ist jedoch nicht sicher, 2003 gab z.B. es keinerlei Sanktionen!

Entscheidend für das Ausmaß der Sanktionen ist in erster Linie die Höhe der Beteiligung. Je mehr KollegInnen streiken, sei es auf Landesebene oder in den einzelnen Schulen, desto geringer ist der Handlungsspielraum der Arbeitgeber. Auch hier gilt: Einigkeit macht stark!

Interessant in diesem Zusammenhang sind auch zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus diesem und dem letzten Jahr. Nach dessen Meinung verstößt ein generelles Streikverbot für Beamte gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und ist damit rechtswidrig. Die GEW wird bei Sanktionen in Musterverfahren bis auf die europäische Ebene gehen, um hier die "hergebrachten Grundsätze des Beamtentums" überprüfen zu lassen.

Wie steht die GEW in Kassel zu den Protesten der SchülerInnen und Studierenden? Werden Streikdemonstrationen am 17.1., der ja auch der Bildungsstreiktag ist, gemeinsam stattfinden?

Wir haben uns seit Beginn der Proteste der SchülerInnen und Studierenden mit deren Bewegung solidarisiert und die Demonstrationen und Kundgebungen vor Ort aktiv unterstützt. Der gemeinsame Termin am 17. November ist eine großartige Gelegenheit, gemeinsam mit allen zu demonstrieren, die von der derzeitigen Bildungsmisere betroffen sind. Wir werden in unseren Bussen zur Kundgebung in Wiesbaden möglichst viele Schülerinnen und Studierende mitnehmen. Dazu stehen wir im Kontakt mit dem Bildungsbündnis "Bildungsblockaden einreißen" und dem AStA Kassel.

Was ist Deiner Meinung nach nötig, damit die Forderungen von LehrerInnen, SchülerInnen und Studierenden erfüllt werden?

Für die Durchsetzung der Arbeitszeitverkürzung ist eine machtvolle Kundgebung von Lehrerinnen und Lehrern sowie Studierenden und Schülern ein deutliches Zeichen an die Landesregierung und somit ein wichtiger Schritt zum Erfolg. Unsere Forderungen gehen aber über die derzeitige konkrete Auseinandersetzung um die Arbeitszeit hinaus. Wir brauchen eine gemeinsame Schule für alle, viel kleinere Lerngruppen, flächendeckende Ganztagsschulen - die Abschaffung des "learning to the test" und des Leistungsdrucks durch Noten. Die Lehrerausbildung im Bachelor- und Mastersystem an den Unis zeigt sich immer mehr als ungeeignet und gehört abgeschafft.

Um diese Forderungen durchzusetzen, ist der gemeinsame Kampf der Betroffenen im Bildungssystem ein notwendiger erster Schritt. Ein gemeinsamer Streik im Bildungssystem kann jedoch nicht den ökonomischen und politischen Druck entfalten, der zur Durchsetzung dieser Forderungen notwendig ist. Meiner Meinung nach sollten wir in den DGB-Gewerkschaften gemeinsam eine Strategie entwickeln, wie unsere Forderungen umzusetzen sind. Die Wirtschaftskrise schafft in allen gesellschaftlichen Bereichen die Notwendigkeit, sich gegen Entlassungen, Kürzungen im öffentlichen Bereich und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Notwendig scheint mir hier ein gemeinsamer Kampf aller gesellschaftlichen Bereiche - bis hin zum gemeinsamen Streik.

Das Gespräch führte Sascha Stanicic, CWI-Deutschland