Irland: Das “Nein” zum Reformvertrag von Lissabon ist ein enormer Schock für das politische und wirtschaftliche Establishment

Privatisierung und ArbeiterInnenrechte waren zentrale Themen in der Kampagne vor dem Referendum
Kevin McLoughlin, CWI-Ireland

Am letzten Donnerstag wurde der Reformvertrag von Lissabon (die umbenannte EU-Verfassung) in Irland bei einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung von 53,1% deutlich mit 53,4% abgelehnt, bei nur 46,6% Pro-Stimmen. Da die „Nein“-Seite in allen Umfragen bis letzte Woche zurücklag war das Ergebnis ein enormer Schock für das politische und wirtschaftliche Establishment in Irland.

Das Lager der Befürworter war groß und gemeinsam nutzten sie ihre enormen Ressourcen um für ein „Ja“ aufzurufen: Die Regierung mit dem neuen Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen, der größte Teil der parlamentarischen Opposition, darunter auch Labour, die Organisationen der Unternehmer sowie der Bauern, der Großteil der Gewerkschaftsführung, die Kirchen, die Medien und jeder andere Teil des Establishments. Sie sind nun angesichts der Niederlage im Referendum fassungslos.

Das ist auch ein wichtiger Rückschlag für die Interessen der Wirtschaft und der politischen Elite die die EU kontrollieren. "Trotz allem Respekt für die irische Abstimmen können wir doch nicht zulassen, dass die überwältigende Mehrheit von Europa von der Minderheit einer Minderheit einer Minderheit übertölpelt wird”, erklärte Axel Schäfer, der europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Manche KommentatorInnen fordern, dass Irland, ein Land das weniger als 1% der europäischen Bevölkerung beheimatet, nicht erlaubt werden darf, ganz Europa „aufzuhalten“. Aber die Wahrheit ist, dass – wenn die EU demokratisch wäre – der Reformvertrag von Lissabon in allen EU-Ländern zur Abstimmung gestellt worden wäre. Und auf der Basis der Ablehnung in Irland und der vorhergegangen Ablehnungen der EU-Verfassung wäre der Vertrag von ArbeiterInnen in vielen Ländern abgelehnt worden. Die eigentliche Minderheit, die das Leben von Millionen in Europa dominiert ist die winzigkleine herrschende Klasse.

Die Socialist Party (CWI in Irland) war ein wichtiger Teil in der “Nein”-Kampagne. Wir haben eigene, unabhängige Aktivitäten gesetzt und uns an der breiten, lose organisierten Kampagne - Campaign Against the EU Constitution (CAEUC- Kampagne gegen die EU-Verfassung) – beteiligt, an der sich 13 andere Parteien und Gruppen sowie einzelne AktivistInnen beteiligten und die fortschrittliche und linke Positionen vertritt. Sinn Fein, die einzige im Parlament vertretene Partei die gegen den Reformvertrag ist, war zwar prominent in den Medien vertreten aber ihre zentrale Forderung, dass der Vertrag neu verhandelt werden könne und solle war eine schwache Position und vielleicht auch darauf angelegt, um in der Zukunft, wenn sie in eine Regierung eintritt, ähnliche Verträge zu unterstützen.

Die entscheidende Rolle von Joe Higgins

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass der Vertreter der Socialist Party, Joe Higgins, eine absolut zentrale Rolle im Zuge der Kampagne spielte. Joe war der fähigste Vertreter der “Nein”-Seite: er hat die Argumente der alterwürdigen Vertreter des politischen und wirtschaftlichen Establishments aufgegriffen und bloßgestellt. Das wird auch allgemein so gesehen. In der gestrigen Ausgabe des Evening Herald führte die Medienanalystin und Beraterin Terry Prone ihre zehn Gründe, warum der Lissabon-Vertrag abgelehnt wurde, an und Joe Higgins war einer der zehn. "Sie haben nicht erkannt, welchen Einfluss Außenseiter wie Joe Higgins haben. Joe Higgins ist eine Institution. Er ist mehr als ein Kuriosum. Leute, an denen nichts Linkes ist identifizieren sich mit ihm weil sie ihn geradlinig und engagiert und geistreich finden. Als er sagte, dass das Gesundheitswesen privatisiert wird, hat sie das gewurmt.“

Während der Kampagne für das Referendum hat die “Ja”-Seite argumentiert, im Lissabon-Vertrag ging es v.a. um die “Modernisierung” der EU und darum, die Strukturen der EU zu verändern, damit eine größere EU effizienter arbeiten könne. Sie versuchten die wichtigen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte, die dieses lange und praktisch unlesbare Dokument des Lissabon–Vertrages enthält, unter den Teppich zu kehren.

Die Socialist Party befasste sich beim letzten Referendum umfassend mit dem Militarismus im Vertrag, konzentrierte sich aber diesmal darauf, wie der Vertrag die Privatisierung von lebensnotwendigen öffentlichen Leistungen, wie Gesundheitswesen und Bildung, fördert und inwiefern der Vertrag Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen und die Rechte von ArbeiterInnen bedeutet.

Der Vertrag wurde absichtlich in einer Form geschrieben, inklusive Protokollen etc, dass es schwieriger ist, seinen neoliberalen und gegen die ArbeiterInnenklasse gerichteten Inhalt festzumachen. Er beinhaltet eine so genannte Grundrechtscharta, die zwar keinerlei neue Rechte für ArbeiterInnen bedeutete, aber von der Führung der ArbeiterInnenorganisationen und Gewerkschaften genutzt wurde, um in der Kampagne für eine Ja aufzurufen.

Im Gegensatz zur letzten Abstimmung, als das Establishment erfolgreich für eine Ja-Stimme aufgerufen hatte und als Mantra “verweigert nicht zehn osteuropäischen Ländern das Recht der EU beizutreten” hatten, konnten sie diesmal keine starken Argumente aufbauen, um die sie ihre Kampagne aufbauen konnten. Die Ja-Seite wollte die Details des Lissabon-Vertrages vermeiden und betonten stattdessen die Idee, das Europa gut für Irland gewesen sei – das ignorierte allerdings die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die ArbeiterInnen in Irland erleben.

Der Artikel 188c des Vertrages beseitigt das Recht von Staaten gegen Handelsabschlüsse ein Veto einzulegen, bei denen es um Gesundheit oder Bildung geht. Damit wäre finanziellen Spekulanten Tür und Tor geöffnet, die nun das Recht hätten, diesen Markt zu betreten und sich die profitablen Gustostückchen aus Gesundheits- und Bildungswesen herauszupicken. Diese kapitalistischen Geier würden neue Gebühren einführen und lebenswichtige Teile des öffentlichen Sektors aushöhlen.

Der Lissabon-Vertrag hat die Politik fortgesetzt bei der das Recht, Handel zu betreiben oder “Geschäfte zu machen” – also das Recht Profite zu machen und Auszubeuten - ins Zentrum der EU gestellt wird und wichtiger bewertet wird als die Rechte von ArbeiterInnen und eine ordentliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus erhält der Europäische Gerichtshof mehr Möglichkeiten, grundlegende Entscheidungen zu fällen die Wirtschaftsinteressen vor jene der ArbeiterInnen setzen.

Privatisierung und ArbeiterInnenrechte als zentrale Punkte der Auseinandersetzung

Die Fragen von Privatisierung und ArbeiterInnenrechten waren zentrale Punkte der Auseinandersetzung in der Kampagne. Die Socialist Party, v.a. auch durch die Intervention von Joe Higgins, half dabei, dass diese Themen auf der Tagesordnung standen. Auch unsere großen Plakate zu diesen Themen, die in den wichtigen Städten zu sehen waren, taten das ihre. Zwei Plakate der Socialist Party sagten: „Nein zur Privatisierung von Gesundheit und Bildung – Nein zu Lissabon“ und „Löhne und Arbeitsbedingungen verteidigen – Nein zu Lissabon“. Im Gegensatz zu praktisch allen anderen Plakaten, die farblose, bedeutungsleere Slogans hatten, hatten unsere eine klare Aussage zu den zentralen Themen und haben wirklich etwas bewegt. In einer Radiodebatte beschwerte sich die Gesundheitsministerin Mary Harney bitter, dass Joe Higgins und die Socialist Party im ganzen Land Plakate aufgehängt haben, wo sie behaupten, dass das Gesundheitswesen privatisiert wird. Eine Frau schrieb in einem Email, an die Socialist Party: “Ich muss wirklich sagen, ich war hin und hergerissen, bevor ich Eure Plakate sah. Als ich sah, dass SF (Sinn Fein) als einzige Partei für eine Nein-Stimme aufrief, wollte ich mit Ja stimmen, weil ich kein Fan von SF bin. Aber ich bin seit langem ein Fan von Euch, allen Euren Ideen und Eure Plakate, die zu einer Nein-Stimme aufrufen haben mir bei der Entscheidung geholfen”.

Täglich warf die Ja-Seite, inklusive der Labour Party und der Gewerkschaften, der Socialist Party und der Nein-Seite unverblümt “Panikmache” vor und behaupteten, dass der Öffentliche Dienst und ArbeiterInnenrechte durch eine Ja-Stimme geschützt würden. Gerade vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, dass der Vertrag explizit von wichtigen Teilen der ArbeiterInnenklasse abgelehnt wurde.

Während der Kampagne unterstützten die Medien die Ja-Seite indem sie versuchten den Argumente, die von der Nein-Seite kamen, das Wasser abzugraben. Für manche sah es wohl nach einer Pattsituation aus, bei der jede Behauptung von einer Seite durch eine Gegenbehauptung der anderen Seite gekontert wurde. Eine wichtige Frage, die so aufkam ist  ob Leute dem politischen und wirtschaftlichen Establishment glauben, was sie über den Vertrag sagen! Und es ist offensichtlich dass die Instinkte von wichtigen Teilen der ArbeiterInnenklasse zeigten, dass sie den Eliten nicht vertrauten!

15 Jahre Wirtschaftsaufschwung in Irland in Kombination mit dem Fehlen einer politischen Alternativen und dem Fehlen von Massenkämpfen der ArbeiterInnen haben Auswirkungen auf die Stimmung der Menschen, auf Bewusstsein und Einstellungen gehabt. Aber die Ablehnung des Vertrags von Lissabon war ein deutliches Statement der ArbeiterInnenklasse. Auch KommentatorInnen haben offen akzeptiert, dass die Wahlbeteiligung beim Referendum gezeigt hat, dass die Beteiligung der ArbeiterInnenklasse höher war als jene der Mittelschicht und in wohlhabenderen Gegenden, wo die Beteiligung durchschnittlich war.

Es gab auf der Nein-Seite auch einige reaktionäre Elemente wie „Libertas“, eine Struktur die vom neo-liberalen irischen Milliardär Declan Ganley aufgestellt worden war. Coir war eine Dachorganisation die verstreute religiöse Gruppen und reaktionäre AbtreibungsgegnerInnen zusammenbrachte. Diese Gruppen erhielten unverhältnismässig viel Aufmerksamkeit, insbesondere in den letzten Wochen der Kampagne, in dem Versuch Menschen einzuschüchtern damit sie mit Ja stimmen. Aber die Themen, die deren Kampagnen betonten wie die Gefahr höherer Unternehmenssteuern, die Frage von Abtreibung etc. spielten in der Kampagne keine wirkliche Rolle.

Medien und Regierung versuchen einen Sieg der Nein-Seite zu verhindern

Am Vorabend der Abstimmungen versuchten die Medien und die Regierung die Gründe, warum Menschen mit Nein stimmen wollen zu verdrehen. Aber eine Frau machte es in einem Email an die Socialist Party klar: "Ich bin wütend über unsere politischen Repräsentanten. Ich habe das Gefühl, sie tun die Gründe der Nein-Stimmen ab und sprechen der Nein-Kampagne und den irischen WählerInnen die Intelligenz ab. Aber ihr habt sehr deutliche meine Meinung zu Europa, zu Globalisierung, Privatisierung und dem Abbau von Demokratie ausgedrückt. Bedenken, von denen ich weiß, dass sie viele teilen. Sie benützen Abtreibung und Wehrdienst als Buhmann um die Nein-Stimme zu erklären und abzulenken. Das Bestätigt die Tatsache, dass sie sich von der Realität der Mehrheit der irischen ArbeiterInnen weit entfernt haben.“

Was geschieht nun? Diese Abstimmung bedeutet nicht, dass der Reformvertrag von Lissabon Geschichte ist. Die Wahrheit ist, dass das EU-Establishment zwar vielleicht nicht genau weiß, was sie tun sollen, aber dass sie die Absicht haben, weiter zu gehen. Für sie ist es lebensnotwendig, die EU auf einen verstärkten Wettbewerb mit den USA und China, auf das Gedränge um Märkte, Ressourcen und Einfluss, vorzubereiten. Wenn nach dieser Abstimmung die Ratifizierung des Vertrages durch die jeweiligen Regierungen weitergeführt wird, ist es wahrscheinlich, dass sie einen Weg finden werden, wie sie es machen können. Sie werden vielleicht Druck auf Irland ausüben, noch einmal abzustimmen oder den IrInnen drohen, dass sie den Anschluss verlieren werden!

Obwohl einige der Oppositionsparteien, die den Vertrag unterstützt haben, klar gemacht haben, dass sie eine Wiederholung des Referendums ablehnen und eine neuerliche Abstimmung eine ernsthafte Gefahr für das Establishment in Irland bedeuten kann, hat die Regierung in Dublin diese Möglichkeit sehr bewusst nicht ausgeschlossen.

Klar ist, dass die beste Weiterführung dieses Sieges eine aktive Antwort der ArbeiterInnen wäre bei der die Menschen an ihren Arbeitsplätzen, in ihren Stadtteilen, Schulen und Universitäten aktiv werden um eine Opposition zur kapitalistischen neoliberalen Politik aufzubauen. Die Socialist Party wird alles in ihrer Macht stehende tun, um beim Aufbau solcher Kampagnen und Bewegungen zu helfen. Es ist äußerst wichtig zu sehen, dass die Abstimmung den tiefen Graben zwischen den ArbeiterInnen und dem Establishment, inklusive der Führung der Labour Party und der Gewerkschaften, aufzeigt. Das bringt die dringende Notwendigkeit einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnen erneut aufs Tapet.

Die Socialist Party hat eine dynamische Nein-Kampagne durchgeführt, über die in den Medien berichtet wurde, bei der massenhaft Plakate aufgehängt wurden, zehntausende Flugblätter verteilt wurden, Informationsstände in vielen Städten abgehalten wurden, wo von Haustür zu Haustür gegangen wurde und wo eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen und Debatten organisiert wurden. Unsere Kampagne hat ein deutliches Zeichen gesetzt und hat das landesweite Profil der Socialist Party weiter entwickelt.

Die Debatten mit führenden VertreterInnen der Ja-Kampagne die wir in Cork, Limerick und Dublin organisiert haben waren die größten öffentlichen Debatten zu diesen Themen in diesen Städten und waren sehr wichtig. Es nahmen daran 170, 200 bzw. 100 Leute teil.

Die Socialist Party organisiert in der kommende Woche eine Reihe von Veranstaltungen in mehreren Städten und wir sind zuversichtlich, das uns aufgrund der Rolle, die die Socialist Party bei diesem wichtigen Sieg gespielt hat, und aufgrund unserer klaren sozialistischen Alternative zum neoliberalen Kapitalismus, neue Leute beitreten werden.

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