Europäisches Sozialforum:

Gegen Krieg & Ausbeutung, aber wofür?
Wolfgang Fischer

Ablehnung imperialistischer Kriegspolitik, Kampf gegen Privatisierung von Gesundheits- und Bildungssystem als auch gewerkschaftlicher Widerstand gegen Jobverlust und Deregulierung der Arbeit standen beim ersten European Social Forum (ESF) in Florenz im Mittelpunkt. Der hier begonnene Brückenschlag zwischen antikapitalistischer, Antikriegs- und gewerkschaftlicher Bewegung reflektiert das steigende Bewusstsein der Menschen, zeigt aber auch die Notwendigkeit einer klaren programmatischen Ausrichtung und Strategie für die Zukunft.
Die rechte Berlusconis Regierung versuchte die Veranstaltung des ESF und der Anti-Kriegs-Demonstration mit allen Mitteln zu verhindern: doch weder scharfe Grenzkontrollen, noch Kriminalisierungsversuche im Vorfeld noch mediale Hetze zeigten "Erfolg". Mehr als 60.000 Menschen aus Europa und anderen Teilen der Welt strömten nach Florenz, um vom 7. bis zum 10. November an zahlreichen Veranstaltungen, Workshops und politischen Diskussionen teilzunehmen.
Die begonnene Radikalisierung hunderttausender, vorwiegend junger Menschen zeigt vor allem die Ablehnung des politischen und ökonomischen Establishments sowie deren arroganter und korrupter Politik auf. Die Zusammenhänge zwischen Kriegstreiberei, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Armut, ökonomischen Krisen, Rassismus oder Frauenunterdrückung werden von immer mehr Menschen als integraler Bestandteil des kapitalistischen Systems erkannt, Widerstand dagegen beginnt sich zu formieren.
In Barcelona, London oder Genua ebenso wie in Seattle oder Washington gab es in den letzten Jahren Massenproteste gegen die Politik der multinationalen Banken und Konzerne sowie deren "Handlanger" NATO, WB, WTO, IMF...
Nicht nur die überwältigende Zahl an TeilnehmerInnen beim ESF, sondern auch der beginnende Differenzierungsprozess innerhalb der antikapitalistischen Bewegung markieren dabei den Beginn einer neuen Phase.Globalisierung, Kampf gegen Neoliberalismus und Kriegspolitik wurde vier Tage lang ebenso diskutiert wie etwa der Inhalt und Form sozialer Projekte in Europa. Aber auch die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung und den Organisationsformen der Protestbewegung sowie die Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung mit den Gewerkschaften wurde in einigen Debatten angerissen.
Während jedoch eine Vielzahl unterschiedlichster sozialer Bewegungen und Vereine die großen Diskussionen leiteten, waren politische Parteien als Initiatoren und Organisatoren weitgehend ausgeschlossen. Leider zeigt sich darin nicht nur die notwendige Distanz gegenüber den "etablierten" - neoliberalen Parteien, sondern auch eine gewisse Orientierungslosigkeit der Bewegung in vielen Fragen. "Ein anderes Europa ist möglich" - so lautete das Motto des ESF, wie jedoch dieses "andere" Europa aussehen sollte, darüber herrschte auch nach den 4 Tagen keine Klarheit. Was am ESF fehlte, war vor allem eine lebendige Debatte über ein antikapitalistisches (sozialistisches) Programm sowie ein Konzept für den Aufbau der Bewegung. Eine der größten Debatten mit tausenden TeilnehmerInnen war zur Frage "Parteien in Bewegung", bei der Bertinotti, Vorsitzender der RC (Rifondazione Communista) einer der Hauptredner war. Dieser betonte allerdings lediglich, dass in der "Pluralität" die Stärke der Bewegung liege. Das CWI denkt demgegenüber, dass es notwendig ist offensiv für revolutionär-sozialistische Ideen zu kämpfen sowie den Aufbau von neuen politischen Parteien der ArbeiterInnenbewegung in den Mittelpunkt solcher Diskussionen zu stellen.
Das fortgeschrittene Bewusstsein der italienischen ArbeiterInnenklasse, die ihre Kampfbereitschaft in diesem Jahr schon mit zwei mächtigen Generalstreiks gegen die Berlusconi-Regierung unter Beweis gestellt hat, prägte auch die gesamte Stimmung am ESF.
Diskussionen über Flexibilisierung, Aushöhlung von Arbeitsrechten (Angriff auf den Kündigungsschutz - Artikel 18) sowie der notwendigen Verbindung von Demonstrationen und gewerkschaftlichen Kämpfen gegen Massenkündigungen und soziale Verschlechterungen standen in den von CGIL, COBAS und anderen Basisgewerkschaften geleiteten Diskussionen im Vordergrund.
Dieses wachsende Bewusstsein zeigte sich dann auch am Samstag, den 9. November bei einer Massendemonstration von über 1 Million Menschen, zu der italienische, aber auch französische Gewerkschaften mobilisiert hatten. Eine neue Qualität stellt hier die Verknüpfung zwischen dem bevorstehenden imperialistischen Krieg, den neoliberalen Attacken der Berlusconi-Regierung und dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit dar. Ein Meer von roten Fahnen, kämpferische Reden und Parolen sowie die Solidarisierung großer Teile der Einwohner Florenz' signalisierten ein wachsendes, kollektives Selbstbewusstsein der Klasse.
Proteste richteten sich nicht nur gegen die Kriegstreiber Politik von Bush, Blair und Berlusconi, sondern auch der Wut über die Vernichtung tausender Arbeitsplätze beim angeschlagenen Autokonzern FIAT durch Schließung, Rationalisierung und Teilverkauf an GM wurde lautstark Ausdruck verliehen. Die Situation bei FIAT beleuchtet die schwelende Krise der kapitalistischen Wirtschaft: Überproduktion, Überakkumulation an Kapital und einbrechender Marktabsatz von Massenprodukten heißt die eine Seite der Medaille, Massenarbeitslosigkeit und Verarmung die Andere. Gerade hier zeigt sich auch die Notwendigkeit des Aufbaus einer sozialistischen ArbeiterInnenpartei, die für eine Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle der ArbeiterInnen konsequent kämpft. Der Kampf für eine sozialistische Welt kann aber nur dann Erfolg haben, wenn beim Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei die fortgeschrittensten Teile der ArbeiterInnenklasse und der radikalen Jugend für sozialistische Ideen gewonnen werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: