Die Linie wird vorgegeben

Der ehemalige Polizist Franz Witzmann im Interview zu den Demoeinsätzen am 1. Mai in Linz und den Entwicklungen im Sicherheitsapparat.

VORWÄRTS: Franz Witzmann, wie entsteht eine Situation die bedeutet, dass bei einer Demonstration – wie am 1. Mai in Linz – massive Polizeigewalt angewendet wird? Erfolgt das in der Regel auf zentralen Befehl, oder rutscht da irgendjemanden vor Ort einfach nur der Gummiknüppel aus?

Franz Witzmann: Der Rahmen für die Polizeiaktion vom 1.Mai wurde von der Einsatzleitung vorgegeben. Der Befehl zum “Einkesseln” der Demonstration und zur Identitätsfeststellung der Demoteilnehmer kam ebenfalls von dieser Seite. Diese vorgegebene, offizielle Linie und die offensichtlich in die Demo eingeschleusten “Agent Provocateurs” bildeten die Basis für das brutale Vorgehen einzelner Polizisten. Der Einsatz der “mindergefährlichen Waffe”, des Gummiknüppels, wurde vermutlich nicht extra angeordnet. Diese Gewaltausbrüche (wie auf Videoaufnahmen dokumentiert wurde) sind selbstständige Aktionen einzelner Polizisten, die im Schutz der Anonymität ihre Aggressionen ausleben.

VORWÄRTS: Gab es hier zu Deiner Zeit als Polizist systematische Schulungen/Vorbreitungen zum Verhalten gegenüber Linken bzw. bei Demonstrationen? Und wie läuft das im “Ernstfall” – damals war Hainburg aktuell – intern ab?

Franz Witzmann: Von 1980 bis 1990 war ich Polizeibeamter bei der BPD Wien. Die Ereignisse rund um Hainburg waren einerseits eine einmalige Angelegenheit und sie sorgten für eine  Sensibilisierung der Gesellschaft. In diesen Tagen wurden mein, und das politische Bewusstsein vieler Menschen, geweckt. In den Jahren nach Hainburg entwickelten sich verschiedene Formen des politischen Protests und der demokratischen Artikulation: Bürgerinitiativen, Sitzblockaden, Besetzungen und Friedensmärsche mit zig-tausenden Teilnehmern. Bei vielen dieser Aktionen setzte die Polizei durchaus auf die Strategie der Deeskalation. Kamen die Proteste von der politisch linken oder autonomen Szene, wurde jedoch immer wieder mit unnötiger Härte und Brutalität vorgegangen. Immerhin hingen damals noch auf jedem Wachzimmer die Fahndungsfotos der “Baader-Meinhof-Bande” und bei internen Schulungen wurden Zitate aus einem “Handbuch der RAF” verlesen. “Für die Linken seid ihr keine Menschen, sondern Bullenschweine, die weg gehören.” Mit diesem Satz wird die offizielle Einstellung der Polizei gegenüber der “Linken” auf den Punkt gebracht. Hier ist auch eine der Wurzeln für die immer wiederkehrende Brutalität gegenüber Akteuren aus dem linken Spektrum.

VORWÄRTS: An sich heißt es ja, dass die Polizei ein neutraler Hüter der Gesetze –also nicht zuletzt sozialer und politischer Rechte – ist. Wie sieht es dem gegenüber strukturell im Apparat punkto rechter Einstellungen, Rassismus etc. aus? Für wen ist die Polizei in der Praxis da?

Franz Witzmann: In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den in der Gesellschaft und Politik vorhandenen Rassismus bzw. Rechtsextremismus in die Analyse miteinzubeziehen. Vor kurzem gab es wieder Kritik von Amnesty International (ai) an der österreichischen Polizei. Es wurde fundiert und anhand von Beispielen aufgezeigt, dass es einen institutionalisierten Rassismus im österreichischen Polizeiapparat gibt. Als Bundespräsident Heinz Fischer mit dieser Kritik konfrontiert wurde, sagte er ungefähr folgendes: “Wenn es einzelne Übergriffe gibt, soll konsequent aufgeklärt und bestraft  werden. Ich verwehre mich aber gegen die Behauptung, dass die Polizei rassistisch sei.” Vor beinahe zwanzig Jahren bin ich (damals noch Polizeibeamter) an die Öffentlichkeit getreten und hatte die von ai vorgebrachte Kritik bestätigt. Die Täter aus den Reihen der Polizei werden nicht oder nur mit geringfügigen Strafen bedacht und an der Struktur, die solche Taten ermöglicht und begünstigt, wird seit Jahrzehnten nichts verbessert. Im Gegenteil: Mit Beginn der schwarzblaubraunorangen Schüssel-Ära wurde die Qualität der Überwachung ständig verbessert und ausgeweitet. Die gesetzlichen Bestimmungen zu Überwachung und Verfolgung wurden beschlossen,  wichtige Positionen in Innenministerium und Polizei wurden mit folgsamen Parteisoldaten besetzt. Zusätzlich sind in den letzten Jahren immer mehr Juristen aus Burschenschaften, wie der Olympia, innerhalb der Justiz in Positionen wie Richter oder Staatsanwalt gelangt.

VORWÄRTS: Wie ist die Reaktion im Apparat wenn jemand – so wie Du – offen die Rolle der Polzei in Frage stellt? Anders gefragt: Ist die Polizei im Sinne “Freund und Helfer” reformierbar oder geht die Entwicklung aktuell in eine ganz andere Richtung?

Franz Witzmann: Ich bin überzeugt, dass viele PolizistInnen an sich – zumindest am Beginn ihrer Tätigkeit – eine demokratische Einstellung haben und sich bei ihrer Arbeit korrekt und an den Menschenrechten orientiert verhalten. Allerdings steht die hierarchische, militärische Struktur auf der einen Seite und die immer restriktiver werdenden Gesetze auf der anderen Seite der Verwirklichung einer demokratischen Polizei entgegen.

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