Die Krise ist nicht vorbei - Was noch auf uns zukommt

Verabschiedet von der Konferenz der SLP 12/13.9.09

Die vorliegende Resolution ist kein Perspektivendokument sondern lediglich eine kurze Resolution die einige kommende Angriffspunkte und mögliche Arbeitsfelder hervorhebt. Umfassendere Analysen gab und gibt es in anderen Dokumenten und Stellungnahmen.

Die jüngste Prognose der Commerzbank geht davon aus, dass die Wirtschaftskrise bis Ende des Jahres insgesamt 10.000.000.000.000 Dollar (das sind zehn Billionen) gekostet haben wird. Umgerechnet bedeutet dass eine Belastung von unglaublichen 1500 Dollar pro WeltbürgerIn. Von einem Ende der Krise ist keineswegs auszugehen, auch wenn von „EpertInnen“ und PolitikerInnen versucht wird, das Bild einer Erholung zu zeichnen. Unklar ist zwar der weitere Verlauf (V,W,L-Kurve), klar ist aber, dass das Schlimmste nicht vorüber ist. Selbst wenn es eine vorübergehende Erholung geben sollte, ist diese nur eine Verschnaufpause vor dem nächsten Einbruch. Ein längeres und stärkeres Wachstum steht nicht auf der Tagesordnung, eine Wiederholung des Nachkriegsaufschwunges ist (weder in Dauer noch Stärke) ausgeschlossen.

Die Struktur der österreichischen Wirtschaft – Exportorientierung, großer Dienstleistungsbereich, starkes Engagement in Osteuropa – bedeutet, dass die Krise in Österreich um so härter wird, je länger sie dauert. Denn gerade wichtige Wirtschaftspartner der österreichischen Wirtschaft wie Deutschland haben die Krise keineswegs überwunden. Und in Osteuropa stehen noch weitere Einbrüche bevor die durch das starke Engagement der österreichischen Banken aber z.B. auch der Bauwirtschaft auch hier dramatische Auswirkungen haben können. Für eine gewisse Zeit kann nationalstaatlich abgefedert werden, aber sobald dafür die Ressourcen fehlen, wird Österreich besonders stark betroffen sein. Die sozialen Konsequenzen sind zzt noch nicht in vollem Umfang absehbar, aber die Arbeitslosigkeit wird weiter stark ansteigen, ebenso die Armut – beides wird eine neue und für die so gut wie alle Menschen erstmalige dramatische Dimension umfassen. Diese und kommende Regierungen  werden die neoliberalen Umverteilungsmaßnahmen der letzten Jahre nicht nur nicht zurück nehmen, sondern im Rahmen der Krise bzw. in einer Verschnaufpause und nach Krisenende den noch verbliebenen Sozialstaat weiter dramatisch aushöhlen. Die aktuellen staatlichen Hilfspakete werden nicht durch entsprechende Mehreinnahmen von einer wieder wachsenden Wirtschaft finanziert werden, sondern es wird versucht werden, die Kosten der ArbeiterInnenklasse in vollem Umfang aufzubürden. Dies wird durch Angriffe in diversen Bereichen ebenso erfolgen wie durch Reallohnverluste in Folge einer starken Inflation, die viele ÖkonomInnen als Folge der steigenden Staatsverschuldungen erwarten. Die Opfer der Krise sind und werden noch stärker werden die Jugendlichen, die ArbeitnehmerInnen und zunehmend auch Teile der Mittelschichten.

Die verschiedenen Angriffsfelder sind noch offen, einige zeichnen sich bereits ab. Vizekanzler Pröll (ÖVP) macht deutlich: "Wenn es ums Sparen geht, darf es kein Tabu geben. Vor der Konsolidierung kann man sich nicht drücken." Klar ist auf jeden Fall: auch nach der Krise wird nichts wie zuvor sei

  • Öffentlicher Dienst: Europaweit gibt es Angriffe auf die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Das Muster ist gleich: die KollegInnen werden als „privilegiert“ diffamiert um Verschlechterungen durch zu drücken, die entweder eine Absenkung auf das Niveau der Privatwirtschaft bringt oder wo der Privatbereich rasch nachzieht. Die angekündigten Nulllohnrunden im Öffentlichen Dienst in Salzburg und Kärnten sind ein Anzeichen dafür. Die Angriffe auf die LehrerInnen ein weiteres. Insgesamt geht es darum, im Öffentlichen Dienst die Arbeitszeit zu verlängern und die Einkommen zu kürzen – die Modelle werden unterschiedlich sein (Fortbildung in der unterrichtsfreien Zeit, unbezahlte Überstunden durch Pauschalierung, erhöhtes Arbeitspensum in der gleichen Zeit, Kürzungen bei Zulagen, Senkung der Einstiegsgehälter bei Neueinstellungen etc).
  • Pensionen: Über die Medien wird gerade wieder eine „die Pensionisten lassen die Jugend für ihren Luxus zahlen“ Kampagne gefahren. Es ist also mit weiteren Angriffen auf (schon und künftige) PensionistInnen zu rechnen. In Diskussion ist eine weitere Anhebung des Pensionsantrittsalters, folgen können auch Abschlüsse unter der Inflationsrate. Pröll z.B. kündigt ein Ende der Hacklerregelung an.
  • Gesundheit: Das Gesundheitswesen ist nach wie vor eine Baustelle, die Krankenkassen werden durch steigende Arbeitslosigkeit sinkende Beiträge zu verzeichnen haben, die Defizite also weiter steigen. Die medizinische Versorgung am Land wird durch Zusammenlegungen und Schließungen von Spitälern verschlechtert werden. Bei den Kassen müssen wir mit weiteren Leistungskürzungen rechnen. Wir dürfen uns nicht davon täuschen lassen, dass PolitikeInnen aller Coleurs es feiern, wenn in den USA über eine öffentliche Gesundheitsvorsorge diskutiert wird. Zwar wird diese in Österreich nicht abgeschafft, aber zunehmend ausgehöhlt werden. Die Richtung ist klar: was über die Basisversorgung hinausgeht, wird nur mehr durch Privatversicherungen abgedeckt werden. Insbesondere Frauen und ältere Menschen werden Opfer dieser Einsparungen sein. Die jüngste Verordnung zur Schweinegrippe zeigt, was geplant ist: Erkrankte sollen in Hauskrankenpflege durch eine einzelne Betreuungsperson in Quarantäne gepflegt werden. Der Staat spart Geld – die Arbeit werden wohl v.a. Frauen leisten.
  • Arbeitslose: mit steigender Arbeitslosigkeit wird das AMS rasch an seine finanziellen Grenzen stoßen. Insbesondere, da die Kosten für die Kurzarbeit (d.h. Lohnsubventionen für die Unternehmen) maßgeblich vom AMS getragen werden. Von den angekündigten Verbesserungen für Arbeitslose im Regierungsübereinkommen wird angesichts der Krise nichts übrig bleiben (schon damals mit einem * versehen). Im Gegenteil könnte versucht werden, durch die Kürzungen entstandenen Engpässe in der öffentlichen Versorgung durch eine österreichische Version der 1-Euro-Jobs (fast unbezahlte Zwangsarbeit für Arbeitslose) auszugleichen, anstatt neue kollektivvertraglich bezahlt Stellen im Öffentlichen Dienst zu schaffen.
  • Lohnentwicklung: Ende September starten die Kollektivvertragsverhandlungen für den Metallbereich. Das bisherige Agieren der Gewerkschaft lässt befürchten, dass weitgehende Zugeständnisse in den Bereichen Löhne, Arbeitszeit und Flexibilisierung gemacht werden im Abtausch für (eher weniger als mehr) fixe Jobgarantien. Das Ergebnis werden – wenn es keinen Widerstand von der Basis gibt – Reallohnverluste der ArbeiterInnenklasse in der kommenden Periode sein.  

Regierung und Unternehmen werden versuchen, die Kosten der Krise auf die ArbeiterInneklasse gesamt abzuwälzen 

Aber natürlich werden – ganz im Sinne einer Teile-und-Herrsche-Politik – nicht alle gleich stark betroffen sein. Zu den ersten Opfern werden junge, v.a. junge ArbeitnehmerInnen zählen. Im Zuge der Krise wird zwar auch in bestehende Vertäge eingegriffen werden, aber v.a. werden die Arbeitverträge und Kollektivverträge für neu einzustellende drastisch verschlechtert werden. Bei der Post wurde dies – mit Zustimmung der Gewerkschaft – bereits vorgemacht. Bei den LehrerInnen ist im Zuge des geplanten neuen Dienstrechtes mit ähnlichem zu rechnen.

Auch von der Tendenz, nur mehr eine Basisversorgung bei Gesundheit, Bildung und Pensionen abzudecken werden v.a. jüngere Menschen dramatisch betroffen sein, da sie sich keine privaten Zusatzversicherungen leisten können.

Neben Jugendlichen werden Frauen und MigrantInnen am härtesten getroffen werden. Unter den ArbeitnehmerInnen werden die Auswirkungen bei den Industrie-ArbeiterInnen noch durch die Kurzarbeitsregelungen für einige Zeit abgefedert, aber das ist keine Dauerlösung. Im Gegenteil wird es in Österreich zu einer Schrumpfung der Industriearbeitsplätze kommen. Im Dienstleistungsbereich setzen die Effekte verzögert ein, die gesunkenen Auslastungen im Sommer-Tourismus zeigen dass bereits an.

Wir werden in dieser Krise aber eine Betroffenheit der gesamten „Mittelschicht“ sehen. Eine ganze Schicht, die bisher dachte, sie ginge das alles nichts an, ihre Jobs und ihr Lebensstandard wäre aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Könnens sicher, werden plötzlich vor dem Aus stehen. Der internationale Stellenabbau im Bankenwesen deutete das bereits an.   

Stimmung und Widerstand

Mit dem neoliberalen Dogma ist auch der von den herrschenden mühsam erzeugte gesellschaftliche „Grundkonsens“ zerfallen. Auch wenn wir nicht von einem wirklichen Klassenbewusstsein sprechen können, so werden die bestehenden Klassenunterschiede größer, deutlich sichtbarer und verstärkt wahrgenommen. Dies drückt sich in einer Ablehnung des Establishments, „der Politik“, aber auch dem neoliberalen-turbo etc. Kapitalismus aus.  Der steigende Anteil von „WechselwählerInnen“ drückt die Auswechselbarkeit der etablierten Parteien aus. Zwischen SPÖ und ÖVP sehen viele zu Recht in der Praxis kaum einen Unterschied. Auch wenn die ÖVP gestärkt durch das EU-Wahlergebnis versucht in der Regierung stärker aufzutreten sind die Regierungsparteien durch die Krise doch stark aneinander gebunden und sind zzt vorzeitige Neuwahlen unwahrscheinlich. Natürlich gibt es innerhalb der Parteien über das WIE umgehen mit der Krise Richtungsstreitigkeiten die auch immer wieder zu internen Problemen führen können, wirkliche oppositionelle Strömungen gibt es aber keine. Gerade die vermeintlich linke SPÖ-OÖ gibt sich im aktuellen LT-Wahlkampf bemerkenswert brav.

Im Gegensatz dazu meinen 76% in einer Umfrage, der Wohlstand sei in Österreich nicht gerecht verteilt. Die herrschende Klasse benützt wieder verstärkt den Begriff „Marktwirtschaft“ um sich vom „brutalen Kapitalismus“ abzugrenzen und ein scheinbar sozialeres Modell zu präsentieren. Die Illusionen in das Funktionieren des Kapitalismus und in eine soziale Spielart werden aber zunehmend geringer – und werden mit wachsender Dramatik der sozialen Situation weiter schrumpfen. Der Unmut wächst, aber in welche Richtung er sich entwickeln wird ist offen und hängt von der Entwicklung von Klassenkämpfen und dem Entstehen einer linken politischen Kraft ab.

Es wird im Zuge der Krise bzw. des Versuches die Kosten auf die ArbeiterInnenklasse abzuwälzen zu Klassenkämpfen kommen. Auch wenn die Situation in Österreich schwieriger ist als in anderen Ländern (extrem bremsende Gewerkschaftsführung mit starkem Einfluss, fehlende Erfahrungen im Klassenkampf, fehlende gewerkschaftliche und politische Strukturen jenseits der Bürokratie) so werden dies keine absolut hemmenden Faktoren sein. Im Frühjahr gab es mit den SchülerInnenstreiks die größte Jugendbewegung seit Jahrzehnten in Österreich – noch dazu für LehrerInneninteressen, was ein relatives hohes politisches Bewusstsein voraussetzt. Laut einer OGM-Umfrage steigt Potential für Proteste. 49 % aller Befragten zeigen mehr Protestbereitschaft und 43 % mehr Bereitschaft zu Streiks und Demonstrationen. Beschäftigte haben bereits und werden verstärkt – aus Verzweiflung, aus Wut, aus Perspektivlosigkeit – zu betrieblichen Kampfmaßnahmen greifen. Ein Teil der Gewerkschaftsführung wird versuchen diese zu bremsen und ihre Politik des wirtschaftlichen Burgfriedens in Krisenzeiten fortsetzen. Andere Teile der Gewerkschaftsbewegung aber werden von der Stimmung und künftigen Kämpfen angetrieben sich nach links bewegen. Diese gilt es wo noch verbunden von der SPÖ zu lösen, zu organisieren und eine strukturierte Opposition im ÖGB aufzubauen.

Die Entwicklung von Klassenkämpfen wird auch wichtig für die Entstehung neuer politischer Formationen sein. In Österreich hinkt diese im internationalen Vergleich noch hinterher – ein wesentlicher Grund für die Stärke der extremen Rechten um FPÖ und in Kärnten BZÖ. Solange es keine starke organisierte linke Kraft gibt, die ein antirassistisches und antikapitalistisches (oder zumindest kapitalismuskritisches) Programm hat, kann die extreme Rechte diesen Raum füllen und die gesellschaftliche Polarisierung findet fast ausschließlich auf der Rechten statt. Eine neue linke Kraft würde linke Inhalte in die öffentliche Debatte einbringen und enttäuschte SPÖ-, Grün- und v.a. NichtwählerInnen mobilisieren. Ein Teil der FPÖ/BZÖ-WählerInnenschaft würde zu den NichtwählerInnen wechseln. In begrenztem Ausmaß könnten manche FPÖ/BZÖ-WählerInnen auch eine linke Kraft unterstützten. Es gibt zwar (nicht zu letzt wegen der rassistischen Politik der etablierten Parteien und einer gewissen rassistischen Grundstimmung bzw. deren Akzeptanz) bei den FPÖ-WählerInnen eine wachsende Schicht echter „ÜberzeugungstäterInnen“. Dennoch können eine echte linke Alternative und Klassenkämpfe dieser Strömung einen Teil ihrer Basis nachhaltig entziehen. Die Entwicklung der Linken in Deutschland (trotz aller Kritik an ihr) und die Schwächung der Rechten z.B. bei den jüngsten Wahlen in Sachsen zeigen das Potential (aber auch dass dieses bei einer falschen Politik nicht ausgeschöpft werden kann).

Bei der Entstehung einer neuen politischen Formation wird die Frage des Rassismus eine wichtige, teilweise aber auch verkomplizierende Rolle spielen. Einerseits kann die Anbiederung der SPÖ an die FPÖ bei Teilen der SPÖ/SJ-Basis zu einem endgültigen Bruch führen und daraus ein Teil einer neuen Formation werden. Andererseits erleben wir gerade bei Schichten in der ArbeiterInnenklasse, die besonders kämpferisch argumentieren auch häufige einen gewissen Rassismus oder eher Nationalismus (keinen ideologischen, eher einen „pragmatischen“). Besonders rechte Parteien, aber auch etablierte Parteien und teilweise sogar der ÖGB, können mit einer nationalistischen „unsere Leute zuerst“ Haltung diese Stimmung nutzen und schüren und die ArbeiterInnenklasse auf dieser Basis weiter spalten. Die Aufgabe von SozialistInnen ist es aufzuzeigen, dass derartige nationalistische Positionen kein Rezept sind, um soziale Kämpfe zu gewinnen. Auf dieser Basis und wenn es gelingt, den Rassismus zu durchbrechen und die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von ArbeiterInnen verschiedener Nationalitäten und Religionen in der Praxis zu zeigen, ist es möglich, dass diese ArbeiterInnen wichtige KämpferInnen in den kommenden Klassenkämpfen werden.

Die Krise birgt enorme Gefahren, insbesondere in Bezug auf soziale Katastrophen und das Erstarken rechter Kräfte. Sie bietet aber auch enorme Chancen für den Aufbau einer neuen linken Kraft und des Aufbaus revolutionärer Kräfte rund um die SLP. Wir erleben in den letzten Monaten ein verstärktes Interesse an unseren Ideen und die Suche vieler Menschen nach einer Organisation. Dieser Trend wird sich nicht einfach ungebremst fortsetzen sondern hängt von der weiteren Entwicklung der Krise und der Klassenkämpfe ab. Der Aufbau einer starken marxistischen Kraft ist möglich und eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein entschlossener Kampf gegen die Folgen der Krise, ein Zurückdrängen des Rechtsextremismus und die Grundlage für den Sturz des Kapitalismus gelegt wird.