Die internationalen Auswirkungen der Russischen Revolution

Jan Rybak

Bis 1923/24, als die stalinistische Bürokratie begann die Macht in Partei und Staat zu übernehmen, war allen MarxistInnen klar, dass die russische Revolution „nur“ der Auftakt zur Weltrevolution sei. Das erste Glied in einer Kette von Revolutionen, die in der ganzen Welt die Herrschaft der KapitalistInnen und Großgrundbesitzer stürzen sollte. 

Verrat der Sozialdemokratie

Die Zweite Internationale war mit ihren mächtigen Sektionen jahrzehntelang der Hoffnungsträger für Millionen ArbeiterInnen. Die sozialdemokratischen Massenparteien und Gewerkschaften kämpften seit der Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für den Sturz des Kapitalismus. Doch im August 1914 stellten sich die meisten sozialdemokratischen FührerInnen im Rahmen der „Burgfriedenspolitik“ auf die Seite ihrer „eigenen“ herrschenden Klassen in den Dienst des imperialistischen Weltkriegs. Nur eine Hand voll RevolutionärInnen, unter ihnen Lenin, Trotzki, Liebknecht und Luxemburg erhielten die Idee des sozialistischen Internationalismus aufrecht. Es war notwendig die internationale ArbeiterInnenbewegung wieder neu aufzubauen, um nach dem Krieg den Generalangriff auf den krisengeschüttelten Kapitalismus zu organisieren.

Auftakt zur Weltrevolution

Die Oktoberrevolution begeisterte viele Menschen in allen Länder. Zum ersten Mal hatten die ArbeiterInnen und Bauern/BäuerInnen eines ganzen Landes bewiesen, das es tatsächlich möglich war den Kapitalismus zu stürzen und den Krieg zu beenden. An der Deutsch-russischen Front verteilten die Bolschewiki die Zeitschrift „Völkerfriede“ was zu Verbrüderungen zwischen deutschen und russischen Soldaten führte. Etwa 10.000 Kriegsgefangene wurden in russischen Lagern für die Revolution gewonnen und geschult, um in ihrer Heimat für sie zu kämpfen. Sowjetrussland setzte große Geldmengen für revolutionäre und Friedenspropaganda in den kriegführenden Ländern ein. Dies wurde von den kriegsmüden und hungernden Völkern Europas begeistert aufgegriffen.

Jännerstreiks

Im Jänner 1918 brachen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn Meuterein und Streiks aus. Ziel der Streikenden ArbeiterInnen und meuternden Soldaten und Matrosen war die Verteidigung der russischen Revolution und ein Ende des Krieges. Die Bewegung wurde blutig unterdrückt, doch sie sollte nur die Ouvertüre für weitaus größere Ereignisse sein. 

Deutschland

Im November 1918 weigerten sich die Kieler Matrosen noch einmal in eine längst verlorene „Entscheidungsschacht“ zu ziehen. Nach russischem Vorbild wählten sie Räte und marschierten mit der Forderung nach Frieden und dem Sturz des Kaisers auf Berlin. Wo sie hinkamen erhoben sich ArbeiterInnen und Soldaten gegen Krieg Kaiser und wählten ebenfalls Räte, welche in vielen Gegenden die Macht übernahmen. Am 9. November zogen die revolutionären Matrosen in Berlin ein. Massendemonstration und -streiks zwangen den Kaiser zum Rücktritt. Als letzte Amtshandlung ernannte der Kaiser eine provisorische Regierung unter dem Sozialdemokraten Ebert. Dieser dachte nicht daran die Macht den revolutionären ArbeiterInnen- und Soldatenräten zu übergeben. Erst zur Jahreswende 1918/19 gründete sich die Kommunistische Partei Deutschlands. Diese war aber nicht fähig den Aufständen der Soldaten und ArbeiterInnen eine Führung zu bieten. Die sozialdemokratische Regierung ließ rechtsextreme Freikorps aufstellen, welche die Revolution in Blut ertränkten. Unter den vielen Tausend Toten waren auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Österreich und Ungarn

Ähnliches geschah zur selben Zeit in Österreich. Die Soldaten weigerten anzugreifen und verhafteten ihre Offiziere. Die ArbeiterInnen der Industrie streikten, wählten Räte und zwangen den Kaiser zur Abdankung. Doch auch in Österreich war es die sozialdemokratische Führung, die verhinderte, dass aus einem Aufstand gegen Krieg und Monarchie eine Revolution zum Sturz des Kapitalismus wurde. Trotzdem bereitete die erstarkte ArbeiterInnenbewegung von 1918/19 die Grundlage für viele große soziale Errungenschaften.

Ungarn erreichte bereits Ende 1918 die Unabhängigkeit von Österreich. Doch dort, wo die sozialdemokratische Führung, das Bürgertum und die Großgrundbesitzer stehen bleiben wollten begann für die ArbeiterInnen, Soldaten und kleinen Bauern/Bäuerinnen erst die Revolution. Im März 1919 wählte das Volk nach russischem Vorbild Räte. Unter dem ehemals in Russland internierten Kriegsgefangenen Bela Kún wurde die Ungarische Räterepublik ausgerufen. Doch auch hier war, wie in Deutschland das Hauptproblem der Mangel an bewusster revolutionärer Führung. Die Kommunistische Partei war eben erst gegründet und unerfahren und die Sozialdemokratie versuchte den revolutionären Prozess zu torpedieren. Die Folge war die militärische Niederlage der ungarischen Roten Armee gegen die von der Entente ausgerüsteten slowakischen und rumänischen Truppen. Es folgte die grausame Unterdrückung des ungarischen Volkes durch den Horthy-Faschismus.

Die Kommunistische Internationale

Durch den Zusammenbruch der Zweiten Internationale war es notwendig geworden eine neue „Kommandozentrale“ für die Weltrevolution zu schaffen. So tagte von 2. bis 6. März 1919 in Moskau der Gründungskongress der dritten, der kommunistischen Internationale. Delegierte aus 35 Ländern, darunter allerdings nur vier Kommunistische Parteien die auch diesen Namen trugen (Deutschland, Österreich, Russland, Ungarn), gründeten die neue „Weltpartei der proletarischen Revolution“. Außerdem waren unter anderem die Sozialistischen Parteien Frankreichs und Italiens vertreten, bei denen sich jeweils eine klare Mehrheit für den Anschluss an die KomIntern und die Umbenennung in Kommunistische Partei entschied. In den Statuten hieß es: „ Die Kommunistische Internationale stellt sich zum Ziel: mit allen Mitteln, auch mit den Waffen in der Hand, für den Sturz der internationalen Bourgeoisie und für die Schaffung einer internationalen Sowjetrepublik, als Übergangsstufe zur vollen Vernichtung des Staates, zu kämpfen.“

Dieser Appell blieb nicht ungehört. Lloyd George, britischer Premierminister und erbitterter Feind der Revolution schreibt 1919: „Ganz Europa ist vom Geist der Revolution erfüllt. Die Arbeiter sind nicht nur von einem Gefühl der Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen, wie sie vor dem Kriege bestanden, ergriffen, sondern von Groll und Empörung. Die ganze bestehende soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung wird von der Masse der Bevölkerung vom einen Ende Europas bis zum anderen in Frage gestellt.“

Große Siege und verpasste Chancen

Lloyd George hatte mit seiner Aussage nicht unrecht. 1919 fegten Monatelange Massenstreiks durch Frankreich. In Italien meuterten Matrosen und Soldaten, in Süditalien und Sizilien begannen LandarbeiterInnen und Kleinbauern/bäuerinnen die Großgrundbesitzer zu enteignen. Im industriellen Norditalien reagierten die ArbeiterInnen auf Aussperrungen durch die Unternehmer mit Fabriksbesetzungen, Wahlen von ArbeiterInnenräten und Fortführung der Produktion unter eigener Regie. Doch die Gewerkschafts- und Parteiführung zögerte den Generalstreik zur Revolution zu steigern und so zerschlug die Polizei mit Hilfe der von Unternehmern aufgestellten faschistische Schwarzhemden die Bewegung.

Die Revolution im Osten

Die Zweite Internationale hatte jahrzehntelang nur die europäische und amerikanische ArbeiterInnenklasse als revolutionäre Subjekte anerkannt. Mit der beginnenden Verbürgerlichung der Sozialdemokratie kam es sogar zu einer Unterstützung des Kolonialismus durch viele Führer der Internationale. Auf „humane“ Art du Weise sollte den „barbarischen“ Völkern Afrikas und Asiens die Zivilisation gebracht werden.

Die dritte Internationale stellte sich klar gegen diesen Verrat an den ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen der Kolonien. Lenin und Trotzki erkannten das revolutionäre Potenzial, der Kolonialvölker. So kamen 1920 in Baku 1891 Delegierte, vor allem aus Asien zu einem „Kongress der Völker des Ostens“ zusammen. Der Kongress rief die Menschen in den Kolonien und abhängigen Ländern dazu auf sich gegen den Imperialismus als gemeinsamen Feind zu erheben. Sinowjew, Vorsitzender der Kommunistischen Internationale in seiner Rede auf dem Kongress: „Heute, Genossen können wir sagen, die Stunde ist gekommen, da sich die Arbeiter aller Länder, Millionen und Abermillionen in ihrer Zahl, erheben, eine Rote Armee des Ostens gründen, den Imperialismus stürzen und jeden britischen oder französischen Räuber aus der Türkei, Persien, Indien und China vertreiben werden. Genossen! Die Kommunistische Internationale spricht heute zu euch, den Völkern des Ostens und ruft euch auf: Brüder, wir vereinigen euch zu einem heiligen Volkskrieg gegen den Weltimperialismus!“

Der Appell verhallte nicht ungehört. Der Baku-Kongress und die Deklaration des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch Sowjetrussland führte zu einem nie gekannten Aufschwung der Befreiungsbewegungen in den Kolonien und abhängigen Ländern. In Persien, dem heutigen Iran und Irak, kämpften Bauern und Bäuerinnen gegen die britischen Besatzer und gründeten sogar eine Iranische Rote Armee. In Indien kam es zu Bauernaufständen und Massenstreiks in der Textilindustrie, ebenfalls mit dem Ziel die Kolonialherren los zu werden.

In China gründeten die ArbeiterInnen in Shanghai 1925 sogar einen eigenen Sowjet und verteidigten die Stadt wochenlang gegen die angreifenden Truppen der Kuomintang. Die 1920 gegründete KP Chinas wurde innerhalb weniger Jahre zu einer Massenpartei mit hunderttausenden Mitgliedern.

Niederlagen und Hoffnung

Die meisten Revolutionen, die auf die Oktoberrevolution folgten mussten Niederlagen hinnehmen. In manchen Ländern, wie Ungarn oder Italien führte die auf die Niederlage folgende reaktionäre Welle direkt zur Machtübernahme durch den Faschismus. So etwa in Ungarn oder Italien. In vielen anderen Ländern führten sie zu mindest zum Sturz der Monarchien und der kolonialen Vorherrschaft bzw. zu einer deutlichen Verbesserung der sozialen Lage der ArbeiterInnenklasse.

Lenin sprach von vier Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution:

  1. Es muss eine Spaltung in der herrschenden Klasse ob des weiteren Vorgehens geben.
  2. Die Mittelklassen sind in Bewegung und neigen den Interessen des Proletariats zu.
  3. Die Mehrheit der ArbeiterInnen sehen in ihrer aktuellen Situation keine Perspektive auf Verbesserung.
  4. Es gibt eine revolutionäre Partei, welche die revolutionäre Energie der Massen bündelt und sie zum Sieg führt.

Alle diese Bedingungen waren in den Revolutionen nach 1917 gegeben. Bis auf eine. Es gab keine bewussten, revolutionären Massenparteien, welche die Revolution zum Sieg hätten führen können. Allein in Russland bestand diese Partei in Form der Bolschewiki. Diese Tatsache entschied über Sieg oder Niederlage der Revolutionen.

Für uns stellt sich heute eine ähnliche Aufgabe, wie in den Jahren nach 1917. Wir müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen und schon heute mit dem Aufbau revolutionärer Parteien beginnen, die fähig sind in einer entsprechenden Situation wie die Bolschewiki 1917 die ArbeiterInnen zum Sieg über den Kapitalismus und zum Aufbau des Sozialismus zu führen.