Deutschland: 1. Runde geht an die Lokführer - 2. Runde jetzt vorbereiten

Sascha Stanicic, CWI-Deutschland

Die Lokführer und ihre Gewerkschaft GDL haben in der monatelangen Tarifauseinandersetzung für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten einen ersten wichtigen Erfolg erzielt. Das Zugeständnis eines eigenständigen Tarifvertrags, der der GDL die Möglichkeit gibt für alle LokführerInnen Löhne und Arbeitszeiten zu verhandeln, ist die notwendige Voraussetzung für einen Kampf zur vollen Durchsetzung der Forderungen von einem Mindestgrundlohn von 2.500 Euro und einer Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde auf vierzig Stunden pro Woche.

Dieser Erfolg konnte nur erzielt werden, weil die LokführerInnen in mehreren Streiks den Druck auf die Arbeitgeberseite kontinuierlich erhöht haben und dem Druck der Bosse, der anderen Gewerkschaftsführer und der Regierungsparteien nicht nachgegeben haben.

Entscheidend waren dabei der 62-stündige Steik im Güterverkehr und der 48-stündige Vollstreik. Dabei entstanden auch Initiativen von unten, zum Beispiel organisierten KollegInnen in Berlin öffentlichkeitswirkame Protestaktionen während des Streiks. Damit geht nach nervenzehrenden Monaten der Tarifauseinandersetzung die erste Runde an die GDL. Jetzt kommt es darauf an, die zweite Runde vorzubereiten und sicher zu stellen, dass die maximale Kampfkraft der Kolleginnen und Kollegen mobilisiert werden kann, um die Forderungen, um die es eigentlich in diesem Kampf geht, auch durchzusetzen. Dabei gilt es auch die Lehren aus der Auseinandersetzung der letzten Monate zu ziehen.

Dieser Erfolg der LokführerInnen sendet eine wichtige Botschaft in die Gewerkschaftsbewegung und an alle Lohnabhängigen: kämpfen lohnt sich! Gewerkschaften sind nicht dazu da, Verzicht zu organisieren, sondern für die Interessen ihrer Mitglieder zu kämpfen

In einigen Medien gab es Spekulationen, ob es tatsächlich zu einer Einigung im Sinne eines eigenständigen Tarifvertrags gekommen ist und es wurde spekuliert, dass sich wiederholen könnte, was nach den Schlichtungsgesprächen mit Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf geschah, dass die Einigung sich als schnell platzende Luftblase entpuppt. Bisher ist folgendes bekannt: Im Rahmen eines Manteltarifvertrages für alle Bahnbeschäftigten soll es Einzeltarifverträge für sechs Beschäftigtengruppen, eine davon die der LokführerInnen, geben. Der Manteltarif soll 80% regeln, der Rest soll in Einzeltarifverträgen vereinbart werden. Bestandteil des Einzeltarifvertrags sollen die Entgelte und die Arbeitszeiten sein. Im Dezember wird es eine Einmalzahlung von 800 Euro geben, als Kompensation für die nicht ausgezahlten Erhöhungen aus dem Transnet/GDBA Abschluss.

Weitere Details, was mit dem eigenständigen Tarifvertrag verhandelt werden kann, sollen noch bis Mitte Dezember geklärt werden. Sollte es sich dabei herausstellen, dass es sich wieder um eine Mogelpackung handelt und Mehdorn einmal mehr versucht die GDL und die Öffentlichkeit an der Nase herum zu führen, kann die Antwort der GDL nur eine sein: keine weiteren Verhandlungen und unbefristeter Streik.

Eines ist klar: der Arbeitskampf ist nicht beendet, sondern geht in die nächste Runde. Jetzt geht es darum, tatsächlich materielle Verbesserungen für die LokführerInnen herauszuholen

Ein maximaler Erfolg wird nur möglich sein, wenn die maximale Kampfkraft mobilisiert wird. Mehdorn und Suckale haben oft genug bewiesen, dass ihnen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bahnbeschäftigten am Allerwertetsten vorbei gehen. Darauf zu hoffen, dass sie in Verhandlungen den berechtigten Forderungen der GDL nachgeben, kommt dem Warten auf den Weihnachtsmann gleich. Deshalb sollte die GDL ab sofort ihre Mitgliedschaft auf eine Wiederaufnahme des Streiks während der nächsten Verhandlungsrunde vorbereiten. Besteht während Verhandlungen eine Friedenspflicht? Nein. Dies hat Manfred Schell Ende November auf einer Pressekonferenz auf Nachfrage bestätigt. Es gibt keinen Grund, an einer selbst auferlegten Friedenspflicht festzuhalten. Der Druck von Arbeitsniederlegungen würde die GDL-Verhandlungskommission in eine stärkere Position bringen und den Druck auf den Bahn-Vorstand massiv erhöhen.

Wie sollten die nächsten Streiks aussehen? Es gab nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die mit der „Stop and Go“-Taktik des GDL-Vorstands nicht einverstanden waren und in der Unterbrechung der Streiks und der Wiederaufnahme von Verhandlungen ein unnötiges Entgegenkommen gegenüber dem Arbeitgeber sahen. Die SAV hat diese Sichtweise geteilt. Diese Taktik hat die Auseinandersetzung in die Länge gezogen und es erschwert, die große Sympathie in der Bevölkerung aufrecht zu erhalten und praktische Unterstützung von GewerkschaftsaktivistInnen aus anderen Bereichen zu steigern und dadurch den Druck auf Mehdorn und Co zu erhöhen. Außerdem ist es auch nicht möglich die Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, die unter erheblichem Druck stehen, ein- und ausknipsen, wie einen Lichtschalter. Bei jeder Wiederaufnahme der Arbeit werden die KollegInnen dem Druck der Vorgesetzten ausgesetzt, geht Dynamik verloren und bedarf es einer neuen Anstrengung zur nächsten Mobilisierung. Deshalb sollte die GDL einen unbefristeten Streik vorbereiten für den Fall, dass ihre berechtigten Forderungen nicht akzeptiert werden. Das letzte Angebot von acht Prozent Lohnerhöhung bei einer 41-Stunden-Woche ist nicht einmal als Verhandlungsgrundlage akzeptabel.

Um einen maximalen Effekt zu erzielen bedarf es der aktiven Beteiligung möglichst vieler KollegInnen. Mitglieder werden sich aber nur dann überzeugt und aktiv einbringen, wenn sie über den Stand der Dinge kontinuierlich informiert werden, sich austauschen können und sicher sind, dass alle Entscheidungen demokratisch von der Mitgliedschaft gefällt werden. Besonders in den letzten zwei Wochen fühlten sich viele KollegInnen nicht ausreichend informiert über den Verhandlungsstand. Schritte, um den Arbeitskampf zum Erfolg zu bringen und die in Mitgliederversammlungen auf allen Ebenen beschlossen werden könnten, sind:

  • wöchentliche Ortsgruppenversammlungen spätestens ab Januar, die die Mitglieder über den Stand der Diskussionen im Vorstand und der Tarifkommission und bei den Verhandlungen informieren.
  • während eines Streiks: tägliche Streikversammlungen zur Informierung der Streikenden und Wahl von Streikkomitees zur Koordination und Organisierung von öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Streikposten.
  • Organisierung einer bundesweiten Konferenz Mitte Januar von Hauptvorstand, Tarifkommission und jeweils einem in den Ortsgruppenversammlungen zu wählenden Delegierten zur Vorbereitung von Kampfmaßnahmen zur vollen Durchsetzung der Forderungen
  • Keine Zustimmung zu einem Verhandlungsergebnis und keine Streikunterbrechung ohne ausführliche Diskussion in Mitgliederversammlungen und anschließender Urabstimmung

Von entscheidender Bedeutung für einen tatsächlichen Sieg der LokführerInnen wird auch sein, ob die Sympathie unter anderen Bahnbeschäftigten und in der Bevölkerung aufrecht erhalten und in praktische Solidarität verwandelt werden kann. Um dies zu erreichen, sollte die GDL praktische Schritte zu gemeinsamen Aktionen mit anderen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ergreifen: vor allem gegen die Bahnprivatisierung, aber auch für Lohnerhöhungen für andere Teile der Bahnbelegschaft und der Lohnabhängigen insgesamt.

Viele Kolleginnen und Kollegen beschäftigt auch das Schicksal der Zugbegleiter und des Gastronomiepersonals, die in der Einigung auf einen eigenständigen Tarifvertrag nicht vorgesehen sind. Diese KollegInnen haben im Streik eine wichtige Rolle gespielt und dürfen nicht einfach vergessen werden. Die GDL-Führung hat die Verantwortung, einen Weg aufzuzeigen, wie auch für diese Beschäftigten Lohnerhöhungen und eine Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt werden können, die ihrer besonderen Belastung entsprechen. Die SAV ist davon überzeugt, dass die ursprünglichen Forderungen nach einem eigenständigen Tarifvertrag und den entsprechenden Lohnerhöhungen bzw. der Verkürzung der Arbeitszeit für das gesamte Fahrpersonal in einem konsequenten Streik durchgesetzt werden kann.

Zweifellos wird das Bahn-Management versuchen, die erlittene Schlappe in den Verhandlungen mit der GDL wieder auszugleichen. Auch deshalb muss sicher gestellt werden, dass der Manteltarifvertrag, den die GDL gemeinsam mit den beiden anderen Gewerkschaften Transnet und GDBA verhandeln wird, keine Verschlechterungen für die Belegschaft vorsehen wird. Die GDL sollte die Auseinandersetzung um den Manteltarifvertrag nutzen, um allen KollegInnen und allen Gewerkschaften bei der Bahn einen gemeinsamen Kampf vorzuschlagen. Denn auch, wenn Transnet Chef Hansen das jetzt ablehnt, gilt weiterhin die Klausel, die im Vertrag, den Transnet und GDBA mit der Bahn abgeschlossen haben. Die lautet: erreicht die GDL mehr als die in diesem Tarifvertrag abgeschlossenen 4,5% - und das ist mittlerweile ziemlich sicher – können letztere den Kampf für höhere Lohnerhöhungen wieder aufnehmen. Das wäre ein Weg, um die Einheit der Bahn-Beschäftigten im Kampf zu erreichen, Verbesserungen für alle durchzusetzen und Mehdorns Privatisierungsplänen den Todesstoß zu versetzen.

Die SAV hat in den letzten Monaten an der Seite der kämpfenden LokführerInnen gestanden, sie praktisch unterstützt, Solidarität organisiert und in einigen Städten gemeinsame Aktionen durchgeführt. Wie werden auch weiterhin alle unsere Möglichkeiten nutzen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die GDL einen Sieg erzielen wird. Denn ein Sieg der GDL wird ein Zeichen für die gesamte Arbeiterklasse setzen: Verzicht muss nicht sein, Kampf kann erfolgreich sein!

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