Der syrisch-irakische Knoten

Je tiefer der Nahe Osten im Chaos versinkt, desto deutlicher wird die Politik des Imperialismus.
Alexander Svojtko

Ebenso bestürzt wie ratlos steht die „Weltöffentlichkeit“ vor der gegenwärtigen Katastrophe, die sich im Nahen Osten vor Aller Augen ereignet. Täglich gibt es Meldungen über das Elend der Kriegsflüchtlinge (ihre Zahl geht längst in die Millionen), über den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der IS-Milizen und über die Ausweglosigkeit des Konflikts. Es wächst das Gefühl „da muss man doch was tun!“. Vom US-Präsidenten Obama abwärts zeigen sich auch westliche PolitikerInnen zwar „zutiefst betroffen von der humanitären Tragödie“ und „schockiert von den abscheulichen Gräueltaten“ des selbsternannten „Islamischen Staates“ IS. Doch hinter den Kulissen verfolgen sie alle letztendlich nur ihre eigenen imperialistischen Staats- und Wirtschaftsinteressen.

Tatsächlich waren es die Interventionen des westlichen Imperialismus in den letzten hundert Jahren, die ursächlich zur derzeitigen Lage in Syrien, im Irak und auch der östlichen Türkei geführt haben. Das beginnt mit dem Sykes-Picot-Abkommen, das nach dem 1. Weltkrieg die koloniale Aufteilung der Erbmasse aus dem Osmanischen Reich zwischen Großbritannien und Frankreich regelte. Und es reicht bis zur US-Invasion in den Irak von 2003, die unter anderem auch direkt zur Gründung der IS-Vorläuferorganisation „al-Qaida im Irak“ führte.

Im vierten Jahr des Bürgerkriegs in Syrien und der Ausweitung des Konflikts auf die benachbarten Staaten treten sowohl alle inneren Widersprüche der imperialistischen „Weltordnung“ als auch das zynische Spiel der Machtpolitik, die diesem Chaos zugrunde liegt, besonders deutlich zutage. Die Bündnispartner wechseln ständig. Beispiele?

Bekanntermaßen wollen die USA auch ihren langjährigen Erzfeind Iran an Bord der Anti-IS-Allianz holen. Der wird sich jedoch so lange zieren, als im Gegenzug keine Zugeständnisse beim Atomprogramm gemacht werden, und deshalb auch an der Unterstützung des syrischen Diktators Assad festhalten. Dieser wird allerdings von den USA (noch) als Gegner betrachtet, dem Russlands Wladimir Putin die Stange hält.

Als besonders zynisch zeigt sich die Taktik des türkischen Präsidenten Erdoğan. Nicht nur, dass er den Fall der von den kurdischen Volksmilizen der PYD verteidigten, syrisch-türkischen Grenzstadt Kobanê an den IS hingenommen hätte. Im Sog der Kämpfe nutzte er offenbar auch die Gunst der Stunde, um erstmals seit 2012 wieder mit Kampfjets und Bombardements gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK im Südosten der Türkei vorzugehen.

Und auch, dass der IS – wenn auch auf verschlungenen Wegen – internationale Erdölgeschäfte tätigen und damit regelmäßig Millionen US-Dollars bzw. Euro lukrieren kann, macht deutlich, wie scheinheilig und heuchlerisch die internationalen Wirtschafts- und Politeliten tatsächlich vorgehen, solange nur die Kassa stimmt.

Selbst wenn es einer Intervention von außen gelänge, den IS militärisch zu zerschlagen und den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, würde das keineswegs eine dauerhafte Lösung der Krise darstellen. Was es dazu braucht, ist eine breite Massenbewegung, die über ethnische (türkisch, kurdisch, arabische) und konfessionelle (sunnitische, schiitische) Grenzen hinweg alle die ArbeiterInnen, die Armen, die Unterdrückten der Region eint. Eine solche in Komitees organisierte Bewegung könnte die Basis einer Regierung der Werktätigen sein und so auf Dauer den Ausstieg aus der kapitalistisch-imperialistischen Spirale der permanenten Ausbeutung und Unterdrückung schaffen.

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