Der Feind meines Feindes ist nicht automatisch mein Freund!

Welche grundlegenden Lehren man aus dem Fehler der Linkswende ziehen sollte.

Nach dem Putschversuch in der Türkei rief die „Neue Linkswende“ für Samstag, den 16. Juli zu einer Demonstration gegen den Putsch auf. Es folgte eine Demonstration, zu der auch, bzw. vor allem, die AKP/Erdogan-nahe Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) aufgerufen hatte und die eine Pro-Erdogan Demonstration türkischer NationalistInnen inklusive der faschistischen Grauen Wölfe wurde – Angriffe auf KurdInnen inklusive. Im Anschluss kam es zu intensiven Debatten unter verschiedenen Linken und massiver Kritik an der „Neuen Linkswende“, die in mehreren Stellungnahmen zurückruderte und schließlich von einem schweren politischen Fehler sprach. Regierungsvertreter nützten die Demonstration, um „den Türken“ das Demonstrationsrecht abzusprechen. Und pseudo-fortschrittliche Medien wie Vice setzten zu einem Rundumschlag gegen die Linke an. Normalerweise beschäftigt sich die SLP in Artikeln nicht mit der Kritik an anderen linken Organisationen. Wir stehen für solidarische Bündnisarbeit in jenen Fragen, in denen es Gemeinsamkeiten gibt. In diesem Fall – der viel Staub aufgewirbelt hat – halten wir es aber für notwendig, die damit verbundenen grundlegenden Probleme aufzuzeigen, um für die künftige antifaschistische und antirassistische Arbeit die Lehren zu ziehen.

Einmal ganz abgesehen davon, dass die Entwicklung der Demonstration absehbar war und auch viele davor gewarnt hatten, können politische Fehler passieren. Wichtig ist, dass man sie einsieht, analysiert und daraus lernt. Wie auch andere in der Linken fährt die „Neue Linkswende“ schon seit langem eine Strategie, die unter dem Vorwand einer scheinbaren größtmöglichen Breite eine Anbiederung an nationalistische und chauvinistische Kräfte bedeutet. Der Wunsch nach einer großen und breiten Bewegung ist verständlich – umso mehr wir sind, umso eher können wir etwas erreichen. Doch dazu braucht es nicht nur viele Menschen, sondern auch ein gemeinsames Programm und eine gemeinsame Strategie.

In der Flüchtlingsbewegung nahmen zehntausende Menschen an diversen Mobilisierungen und Demonstrationen teil - zehntausende Menschen, denen keine Vorschläge gemacht wurden, was sie weiter tun können und wie sie sich organisieren können; zehntausende Menschen, die im Wesentlichen eine Botschaft bekamen: „Wir sind alle super und wir schaffen das“. Dass es an Ressourcen für Flüchtlinge UND Hiesige fehlt, wurde ignoriert und verschwiegen. Zentrales Ziel der OrganisatorInnen, zu denen die „Neue Linkswende“ führend gehörte, war es, RednerInnen von SPÖ und Grünen für diese Demonstration zu bekommen. Da durfte es dann keine Kritik an der Wiener Stadtregierung geben. Doch diese Wiener Stadtregierung ist es, die HelferInnen monatelang ohne Unterstützung unbezahlt arbeiten ließ; die will, dass LehrerInnen unbezahlt Mehrarbeit leisten; die die Ressourcen von sozial schwachen WienerInnen zu Flüchtlingen umschichtet. Und die so die Grundlage für einen weiteren Aufstieg der FPÖ legt. Wir begrüßen die Teilnahme von ehrlichen Mitgliedern von SPÖ und Grünen auf solchen Mobilisierungen. Sie sind genauso wütend über „ihre“ Parteien wie wir es sind. Die Spitzen dieser Parteien aber sind seit vielen Jahren verantwortlich für Sozialabbau (auch in Wien, auch in Oberösterreich wo die Grünen lange in der Regierung waren), für Nicht-Erfüllung der Unterbringungsquoten bei Flüchtlingen (Oberösterreich) und eben für die Umverteilung zwischen armen ÖsterreicherInnen und armen Flüchtlingen. Wenn man nicht aufzeigt, dass es genug Reichtum bei den Reichen gibt und es daher nicht nötig ist, „unten“ zu kürzen, dann hilft man den Rechten und ihrer rassistischen Propaganda. Und es braucht ein Programm, um konkrete soziale Verbesserungen zu erkämpfen, Forderungen und eine Strategie, die zeigen, dass die Linke nicht nur schöne Worte hat, sondern den Widerstand gegen hohe Mieten und niedrige Löhne sehr real und vor Ort aufgreift, aber nicht dort stecken bleibt, sondern die Verantwortung des kapitalistischen Wirtschaftssystems für Armut und Flucht aufzeigt und auch den Kampf um eine demokratische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung führt.

Wenn aus dem Versuch heraus, eine größtmögliche Breite herbeizuführen, auf inhaltliche Basis verzichtet oder diese völlig verwässert wird, dann führt das nicht zur Stärkung sondern im Gegenteil zur Schwächung. Zehntausende haben für eine menschliche Asylpolitik demonstriert. Durch die Anbiederung an die Führungen von SPÖ und Grünen gab es eine große und laute Anlage. Doch wenn durch diese nur Wohlfühlpropaganda vermittelt wird, aber keine Vorschläge und Ideen dafür, wie die Fluchtursachen bekämpft werden können und woher das Geld für Flüchtlinge kommen soll, dann schwächt dieses Vorgehen längerfristig die Bewegung und schadet Flüchtlingen.

In Folge der Demonstration vom 16. Juli kam es seitens zahlreicher österreichischer PolitikerInnen insbesondere aus ÖVP zu FPÖ zu Pauschalverurteilungen gegen „die“ Türken, es wurde laut über den Abbau des Demonstrationsrechtes und anderer demokratischer Rechte nachgedacht, sowie zur Ausreise aufgefordert. Die etablierten Parteien nutzen jede Gelegenheit, um die demokratischen Rechte gerade auch von MigrantInnen einzuschränken. Werden türkische Nationalisten, Faschisten oder Erdogan-Fans so gestoppt werden? Sicher nicht! Durch den permanenten Ausschluss eines großen Teiles der hier lebenden Menschen aus dem demokratischen Prozess und indem Jobs, Wohnungen etc. entlang ethnischer Linien vergeben oder eben nicht vergeben werden, treiben die etablierten Parteien Menschen Erdogan&MHP geradezu in die Arme. Kein Fußbreit gilt auch für türkische Faschisten – hier kann es keine Toleranz geben. Gestoppt werden müssen sie durch die gemeinsame Organisierung von linken und antifaschistischen TürkInnen, KurdInnen und ÖsterreicherInnen. Die Verteidigung des Demonstrationsrechtes für TürkInnen bedeutet nicht, dass türkische FaschistInnen demonstrieren dürfen. Sie dürfen nicht, aber nicht, weil sie TürkInnen sind, sondern weil sie FaschistInnen sind.

Oft wird in einer letztlich rassistischen Herangehensweise ausgeklammert, dass die vermeintliche „Community“ nicht homogen ist. Oft werden KurdInnen, AlewitInnen, TürkInnen u.a., NationalistInnen und VertreterInnen des Selbstbestimmungsrechtes, rechte und linke, arme und reiche MigrantInnen aus der Türkei einfach in einen Topf geworfen. Eine letztlich sogar überhebliche Herangehensweise. Bei der großen Demonstration gegen Pegida in Wien lud die „Neue Linkswende“ diverse türkische bzw. moslemische Organisationen ein und erwartete dann letztlich sogar, dass kurdische Organisationen das Thema Kurdistan ausklammern sollen, damit es nicht zu Konflikten auf der Demonstration mit türkischen NationalistInnen kommt. Es ging also nicht um ein gemeinsames Bündnis gegen Rassismus, sondern nur gegen Pegida. Auch hier wieder eine vermeintliche Breite, die letztlich die Bewegung sogar schwächt.

Dieser Zugang ist auch die Grundlage für den „schweren politischen Fehler“ nach dem Putschversuch in der Türkei. Der Putsch ist abzulehnen und hat keine fortschrittlichen Elemente. Doch wer sich auf eine „der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Logik begibt, der landet bei einer impliziten oder sogar expliziten Unterstützung des Erdogan-Regimes. Eines Regimes, das für den Abbau demokratischer Rechte, Angriffe auf Frauen- und Gewerkschaftsrechte und neoliberale Wirtschaftspolitik steht.

Die „Neue Linkswende“ steht mit dieser Herangehensweise nicht alleine dar. Eine vermeintliche Breite durch politische Unschärfe zu gewinnen, hat auch bei anderen in der Vergangenheit zur Zusammenarbeit mit oder sogar in rassistischen, rechten bzw. für Kürzungspolitik und Rassismus stehenden Organisationen geführt. Der Ausschluss der „Neuen Linkswende“ aus der OGR entspringt der Ablehnung der Zusammenarbeit mit Rechten, Nationalisten und Faschisten. Es ist aber eine falsche und formale Antwort auf ein politisches Problem, denn es liegt keine Ablehnung der politischen Taktik, die zu dieser Herangehensweise geführt hat, zugrunde.

Für effektiven Kampf gegen Rechts – egal ob es türkische oder österreichische Rechte sind – braucht die Linke eine Herangehensweise, die Menschen entlang ihrer sozialen bzw. Klassenzugehörigkeit anspricht und nicht auf Grundlage ihrer Religion oder Nationalität. Ein türkischstämmiger Bauarbeiter, eine bosnische Kassiererin, ein kurdischer Schulwart – sie sind nicht v.a. „Ausländer“ sondern v.a. KollegInnen, ArbeiterInnen, Teil der ArbeiterInnenklasse. Sie sind zusätzlich auch mit Rassismus konfrontiert, wie auch Frauen von sexistischer Unterdrückung betroffen sind. Die Überwindung dieser Spaltungsmechanismen gelingt aber nicht darüber, dass wir genau diese betonen und Menschen primär als „MigrantInnen“ oder „Frauen“ ansprechen.

Die Demonstration am 16. Juli hat gezeigt, wozu eine solche Herangehensweise führen kann. Lernen wir daraus. Schluss mit moralischem Wohlfühl-Antirassismus. Wir brauchen den gemeinsamen Kampf von Lohnabhängigen, ArbeiterInnen etc., egal welcher Religion oder Nationalität gegen die da oben, die Regierungen, KapitalistInnen etc, egal welcher Religion oder Nationalität. Antirassistische Bündnisse und Organisationen brauchen demokratische Strukturen, eine Orientierung auf den Kampf gegen soziale Missstände und das kapitalistische System, das sie hervorbringt und die Beteiligung am Aufbau einer politischen Kraft für ArbeiterInnen, egal welcher Herkunft.